Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 20.12.2013 - 3 Ws 510/13 - 141 AR 555/13 - Anfechtung eines Einstellungsbeschlusses

KG Berlin v. 20.12.2013: Zur Anfechtung eines Einstellungsbeschlusses im Strafverfahren


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 20.12.2013 - 3 Ws 510/13 - 141 AR 555/13) hat entschieden:
Zwar ist ein Beschluss, mit dem das Strafverfahren nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, nach § 153 Abs. 2 Satz 4 StPO grundsätzlich nicht anfechtbar. Trotz des entgegenstehenden Wortlauts ist ein derartiger Beschluss jedoch nicht jeglicher Anfechtung entzogen. Nach herrschender Meinung ist die Vorschrift vielmehr einschränkend dahin auszulegen, dass sich die Unanfechtbarkeit nur auf die Ermessensentscheidung des Gerichts über die Einstellung nach § 153 StPO bezieht. Statthaft ist das Rechtsmittel der Beschwerde nach obergerichtlicher Rechtsprechung jedoch in den Fällen, in denen es an einer prozessualen Voraussetzung für die Einstellung fehlt. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn eine erforderliche Zustimmung zur Verfahrenseinstellung nicht oder nicht wirksam erklärt worden ist.


Siehe auch Einstellung des Strafverfahrens und Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen


Anmerkung:
Gleichlautende Beschlüsse: 3 Ws 600/13 - 141 AR 556/13 und 3 Ws 555/13 - 141 AR 555/13.


Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen die Angeklagte wegen fahrlässigen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis einen Strafbefehl über 20 Tagessätzen zu je 25,00 Euro erlassen. Auf den in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch der Angeklagten hat das Amtsgericht sie zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Berufung eingelegt. Das Landgericht Berlin hat das Verfahren durch Beschluss vom 18. September 2013 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt, wobei es von einer wirksamen Zustimmung der Angeklagten zur Verfahrenseinstellung ausgegangen ist. Mit einem weiteren Beschluss vom selben Tage hat das Landgericht die beantragte Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger abgelehnt. Gegen beide Beschlüsse hat die Angeklagte Beschwerde eingelegt. Die Beschwerden haben nur teilweise Erfolg.

1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen den die Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO betreffenden Beschluss des Landgerichts ist zulässig. Zwar ist ein Beschluss, mit dem das Strafverfahren nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, nach § 153 Abs. 2 Satz 4 StPO grundsätzlich nicht anfechtbar. Trotz des entgegenstehenden Wortlauts ist ein derartiger Beschluss jedoch nicht jeglicher Anfechtung entzogen. Nach herrschender Meinung ist die Vorschrift vielmehr einschränkend dahin auszulegen, dass sich die Unanfechtbarkeit nur auf die Ermessensentscheidung des Gerichts über die Einstellung nach § 153 StPO bezieht. Statthaft ist das Rechtsmittel der Beschwerde nach obergerichtlicher Rechtsprechung jedoch in den Fällen, in denen es an einer prozessualen Voraussetzung für die Einstellung fehlt (vgl. BGHSt 47, 270 ff.; OLG Hamm, VRS 108, 265 und NStZ-​RR 2004, 144). Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn eine erforderliche Zustimmung zur Verfahrenseinstellung nicht oder nicht wirksam erklärt worden ist (vgl. Diemer in Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl., § 153 Rn 38 m. N.) Da die Beschwerdeführerin das Vorliegen einer wirksamen Zustimmung zu der Einstellung beanstandet, ist ihr Rechtsmittel zulässig.

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Die Angeklagte hat ihre Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO nicht erklärt. Das Landgericht hatte in dieser Frage den Wahlverteidiger der Angeklagten angeschrieben, der sich jedoch außerstande gesehen hat, eine prozessuale Erklärung abzugeben, weil es ihm nicht gelungen sei, Kontakt zu seiner Mandantin aufzunehmen. Da auch der Strafkammer der aktuelle Aufenthaltsort der Angeklagten nicht bekannt war, richtete es unter Schilderung des Sachverhalts eine Anfrage an die bestellte Betreuerin der Angeklagten. Diese teilte der Strafkammer daraufhin mit, dass die Angeklagte mit einer Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO einverstanden sei. Daraufhin hat das Landgericht das Verfahren eingestellt.

Zwei Tage später teilte die Betreuerin der Angeklagten dem Landgericht mit, sie nehme ihre Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens zurück. Ihre Erklärung sei unwirksam, weil die Betreuung nur den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Vertretung vor Behörden und Wohnungsangelegenheiten, nicht jedoch die Vertretung vor Gerichten umfasse.

Gegen die Verfahrenseinstellung hat der Verteidiger für die Angeklagte Beschwerde mit der Begründung eingelegt, es fehle an der nach § 153 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlichen Zustimmung der Angeklagten. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, weil die Betreuerin nach Ansicht der Strafkammer lediglich die Zustimmungserklärung der Angeklagten weitergeleitet, nicht jedoch selbst eine Erklärung abgegeben hat.

Eine Klärung durch den Senat hat ergeben, dass die Betreuerin die Angeklagte auf die Anfrage des Landgerichts nicht erreichen konnte, und in dem Glauben, im wohlverstandenen Interesse der Angeklagten zu handeln, entgegen dem Wortlaut ihrer Mitteilung an das Landgericht selbst ohne Rücksprache mit der Angeklagten die Zustimmung erklärt habe. Da die Betreuung nicht auch die Vertretung der Angeklagten vor Gerichten umfasst, erfolgte die durch die Betreuerin erklärte Zustimmung zur Verfahrenseinstellung außerhalb des ihrer Bestellung zugrunde liegenden Wirkungskreises. Danach steht fest, dass es an der nach § 153 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlichen Zustimmung der Angeklagten zur Einstellung des Verfahrens fehlt. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.

2. Vor der Verfahrenseinstellung hat der Wahlverteidiger der Angeklagten unter Hinweis darauf, dass sich die unter Betreuung stehende Angeklagte angesichts ihrer psychischen Verfassung nicht selbst verteidigen könne, seine Beiordnung als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 Satz 1 letzte Alternative StPO beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht ersichtlich, dass sich die gesetzlich durch ihre Betreuerin vertretene Angeklagte nicht selbst verteidigen könne. Überdies sei das Verfahren mit Beschluss vom selben Tage gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Auch gegen diesen Beschluss hat die Angeklagte Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Insoweit ist die Beschwerde jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 140 Abs. 2 StPO liegen nicht vor. Der der Angeklagten zur Last gelegte Tatvorwurf ist sachlich und rechtlich einfach gelagert. In erster Instanz ist lediglich eine geringe Geldstrafe verhängt worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Angeklagte nicht in der Lage ist, sich gegen diesen Vorwurf selbst zu verteidigen. Dafür, dass, wie in der Beschwerdebegründung vorgetragen, die psychische Verfassung der Angeklagten ihr eine Verteidigung unmöglich macht, fehlt es an tatsächlichen Anhaltspunkten. Aus einem bei den Akten befindlichen ärztlichen Bericht ergeben sich zwar eine deutliche Beeinträchtigung von Konzentration und Aufmerksamkeit und der Verdacht auf eine paranoide Psychose. Zum Entlassungszeitpunkt aus einer stationären Behandlung am 6. September 2012 waren inhaltliche Denkstörungen bei der Angeklagten aber nicht feststellbar. Anhaltspunkte dafür, dass sie die ärztlicherseits für erforderlich gehaltene Weiterbehandlung abgebrochen oder sich ihr Zustand zwischenzeitlich wieder verschlechtert hat, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO und entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.