Das Verkehrslexikon

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OVG Bautzen Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14 - Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach mangelnder Fahrpraxis über einen Zeitraum von 16 Jahren

OVG Bautzen v. 30.09.2014: Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach mangelnder Fahrpraxis über einen Zeitraum von 16 Jahren


Das OVG Bautzen (Beschluss vom 30.09.2014 - 3 D 35/14) hat entschieden:
Die Tatsache, dass jemand seit dem Entzug seiner Fahrerlaubnis mehr als 16 Jahren keine Fahrpraxis mehr besitzt, rechtfertigt die Annahme, dass er nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist.


Siehe auch Wiedererteilung der Fahrerlaubnis - Wiedererlangung der Fahreignung und Die prüfungsfreie Neuerteilung einer Fahrerlaubnis


Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit welchem ihm die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts versagt wurde, bleibt ohne Erfolg.

Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG) verwirklichen, in dem Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn die Sach- und Rechtslage bei summarischer Prüfung zumindest als offen erscheint, wobei die Anforderungen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 38 Satz 1 SächsVerf) nicht überspannt werden dürfen. Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten i. S. v. § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Insbesondere darf das Bewilligungsverfahren nicht dazu benutzt werden, die Klärung streitiger Rechts- und Tatsachenfragen im Hauptsacheverfahren zu verhindern (BVerfG, Beschl. v. 14. Oktober 2003, NVwZ 2004, 334 m. w. N.). Ein Erfolg des Rechtsbehelfs muss nicht gewiss sein; vielmehr reicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit aus, die bereits gegeben ist, wenn im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 166 Rn. 14a) ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in Fällen der Beendigung des Rechtsstreits der Zweck der Prozesskostenhilfe, Unbemittelten die für die Führung eines aussichtsreichen Rechtsstreits erforderlichen Kosten aufzubringen, nicht mehr erreicht werden kann. Denn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt grundsätzlich voraus, dass die fragliche Rechtsverfolgung noch "beabsichtigt" (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO) ist. Ist das erstinstanzliche Verfahren, wie hier durch Urteil des Verwaltungsgerichts v. 29. April 2014 - 2 K 1518/14 - beendet, haben die Beteiligten keine Aufwendungen für einen aussichtsreichen Rechtsstreit mehr aufzubringen. Eine gleichsam rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt jedoch ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Bewilligungsantrag im Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens bereits bewilligungsreif war (BVerfG Beschl. v. 14. April 2010 - 1 BvR 362/10 -; BVerwG vom 3. März 1998 - 1 PKH 3/98 - juris). Dies setzt zumindest voraus, dass der Antragsteller alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche und Zumutbare getan hat (st. Rspr. vgl. zuletzt SächsOVG, Beschl. v. 23. Juli 2012 - 3 D 77/12 - juris), wovon hier auszugehen ist.

Ausgehend von obigem Prüfungsmaßstab hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts zu Recht abgelehnt. Denn die vom Verwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesene Klage des Klägers mit dem Ziel, den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 24. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamts für Straßenbau und Verkehr vom 11. Februar 2014 zu verpflichten, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen A und BE samt Einschlussklassen direkt neu zu erteilen, hatte keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, Abs. 5 StVG i. V. m. § 20 Abs. 1 und 2 FeV) liegen beim Kläger nämlich nicht vor. Ungeachtet der Frage, ob das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass beim Kläger aufgrund nachgewiesenen Alkoholmissbrauchs wegen seiner Trunkenheitsfahrt mit einem BAK von 1,81 Promille am 8. März 1998 (vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 2 StVG Rn. 46 f.) weiterhin Zweifel an dessen Fahreignung mit der Folge bestehen, dass er diese nur aufgrund eines von ihm beizubringenden medizinisch-​psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV auszuräumen vermag, steht der Neuerteilung derzeit jedenfalls § 20 Abs. 2 FeV entgegen. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde zwingend eine Fahrerlaubnisprüfung anzuordnen (SächsOVG, Beschl. v. 26. Juli 2013 - 3 D 9/13 -, juris Rn. 10; vgl. Dauer a. a. O. § 20 FeV Rn. 2), wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.

So liegt der Fall hier. Ob Tatsachen vorliegen, die den Schluss erlauben, dass der Bewerber diese Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, hat die Fahrerlaubnisbehörde bei der Entscheidung über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen, wobei der Zeitdauer der mangelnden Fahrpraxis freilich eine herausragende Rolle zukommt (zu § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV: BVerwG, Urt. v. 27. Oktober 2011 - 3 C 31/10 -, juris Rn. 11; Dauer a. a. O.). Von Bedeutung kann auch sein, über welchen Zeitraum sich die Fahrpraxis des Bewerbers in der jeweiligen Fahrerlaubnisklasse erstreckt hatte, bevor ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde.

Die Tatsache, dass der Kläger seit dem Entzug seiner Fahrerlaubnis durch Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 22. Juni 1998 nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis ist und somit inzwischen seit mehr als 16 Jahren keine Fahrpraxis mehr besitzt, rechtfertigt im vorliegenden Fall die Annahme, dass er nicht mehr über die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs im Verkehr erforderlichen technischen Kenntnisse sowie über ausreichende Kenntnisse einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt und zu ihrer praktischen Anwendung nicht mehr fähig ist, wie dies nach § 20 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 FeV auch im Falle der Neuerteilung der Fahrerlaubnis vorauszusetzen ist (nach 17 Jahren: BayVGH, Urt. v. 17. April 2012 - 11 B 11.1873 -, juris Rn. 33; nach 14 Jahren: OVG NRW, Beschl. v. 22. März 2012 - 16 A 55/12 -, juris; Beschl. v. 4. Januar 2012 - 16 A 1500/10 -, juris; nach 13 Jahren bei nur 15-​monatiger Fahrpraxis vor Entziehung der Fahrerlaubnis: SächsOVG a. a. O.). Hinzu kommt, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis (Klasse 3) erstmals am 21. März 1996 erteilt wurde und sich seine Fahrpraxis vor der Entziehung seiner Fahrerlaubnis somit nur auf einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckte.

Ungeachtet der Frage von etwaigen Eignungszweifeln infolge des Alkoholmissbrauchs kann dem Kläger ein Anspruch auf Neuerteilung von Fahrerlaubnissen somit nur nach erfolgreicher Teilnahme an einer Fahrerlaubnisprüfung zustehen (§ 15 Abs. 1 FeV).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da nach § 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses eine Festgebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).