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OLG Karlsruhe Beschluss vom 03.08.2011 - 9 U 59/11 - Staatshaftung für den TÜV bei Diebstahl eines zu begutachtenden Fahrzeugs

OLG Karlsruhe v. 03.08.2011: Staatshaftung für den TÜV bei Diebstahl eines zu begutachtenden Fahrzeugs


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 03.08.2011 - 9 U 59/11) hat entschieden:
  1. Der TÜV handelt hoheitlich, wenn er ein Gutachten gemäß § 21 Abs. 1 StVZO (Betriebserlaubnis für Einzelfahrzeuge) erstattet.

  2. Wird dem TÜV im Rahmen von § 21 Abs. 1 StVZO ein Fahrzeug vorgeführt, obliegen den verantwortlichen Mitarbeitern Obhutspflichten als drittschützende Amtspflichten gegenüber dem Eigentümer des Fahrzeugs.

  3. Wenn ein zu begutachtendes Fahrzeug aus der Halle des TÜV entwendet wird, scheidet eine eigene Haftung des TÜV aus. Bei einer Verletzung von Obhutspflichten haftet das betreffende Bundesland gemäß Art. 34 S. 1 GG.

Siehe auch Amtshaftung im Verkehrsrecht und Fahrzeugdiebstahl - Kfz-Diebstahl


Gründe:

I.

Am 08.01.2010 verbrachte der Kläger einen PKW Mercedes Benz 420 SE zur Beklagten. Bei der Beklagten handelt es sich um die TÜV … GmbH, die nach der Straßenverkehrszulassungsordnung erforderliche Untersuchungen durchführt und Gutachten erstellt. Für den vom Kläger vorgeführten PKW sollte ein sogenanntes Vollgutachten gemäß § 21 Abs. 1 StVZO erstellt werden.

Da eine Untersuchung des Fahrzeugs am Nachmittag des 08.01.2010 nicht mehr erfolgen konnte, verblieb der PKW zur beabsichtigten Untersuchung am nächsten Werktag (Montag, 11.01.2010) in der Halle der Beklagten. Die Autoschlüssel verblieben über Nacht auf einem Schreibtisch in einem der an die Halle angrenzenden Büroräume.

In der Nacht zum 09.01.2010 wurde das Rolltor zur Halle der Beklagten mit Gewalt von unbekannten Tätern aufgebrochen. Die Täter fanden die Fahrzeugschlüssel und entwendeten den PKW. Dieser wurde später mit erheblichen Beschädigungen in einem Waldstück aufgefunden.

Der Kläger hat erstinstanzlich von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 7.687,00 € nebst Zinsen verlangt. In dieser Höhe sei ihm durch die Entwendung und Beschädigung seines Fahrzeugs ein Schaden entstanden. Die Beklagte sei für die Entwendung verantwortlich. Sie habe ihren Obhutspflichten im Verhältnis zum Kläger nicht genügt. Insbesondere wäre die Beklagte verpflichtet, Fahrzeugschlüssel von solchen Fahrzeugen, die über Nacht in der Halle blieben, in dem in den Büroräumen vorhandenen Tresor zu verwahren.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ob die Beklagte passiv legitimiert sei, könne dahinstehen. Es könne offen bleiben, ob vorliegend § 839 Abs. 1 BGB (Amtshaftung) anwendbar sei, wodurch sich eine Passivlegitimation nur für das Land Baden-​Württemberg und nicht für die Beklagte ergeben würde. Denn in jedem Fall sei dem verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Unter den gegebenen Umständen habe dieser alles Erforderliche und Zumutbare getan, um das vom Kläger vorgeführte Fahrzeug gegen Entwendung zu sichern. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, generell über Nacht Fahrzeugschlüssel im Tresor aufzubewahren.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er hält an seinem erstinstanzlichen Antrag fest. Auf der Basis des festgestellten Sachverhaltes sei die rechtliche Bewertung des Landgerichts unzutreffend. Der Umstand, dass die Beklagte Plaketten nachts generell im Tresor verwahre, zeige, dass sie mit entsprechenden Diebstahlsgefahren rechne. Daher hätte auch der Fahrzeugschlüssel des klägerischen PKWs im Tresor aufbewahrt werden müssen. Die Ablage der Schlüssel auf einem Tisch im Büro habe den Diebstahl für die unbekannten Täter deutlich erleichtert. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Versuche der Täter, den Tresor aufzubrechen, erfolglos geblieben seien.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts. Sie weist zudem auf die weiteren, bereits erstinstanzlich erhobenen, Einwendungen gegen die Klage hin. Insbesondere sei sie nicht passiv legitimiert, da ihr eine eventuelle Obhutspflicht nur als Amtspflicht obliege, so dass nur eine Haftung des Landes Baden-​Württemberg in Betracht komme.


II.

Die Berufung des Klägers hat nach vorläufiger Auffassung des Senates keine Aussicht auf Erfolg. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erscheint auch im Hinblick auf § 522 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 ZPO nicht geboten. Die Klage ist nicht begründet, da die Beklagte nicht passiv legitimiert ist.

1. Die Beklagte hat bei dem streitgegenständlichen Sachverhalt in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 Satz 1 GG gehandelt. Daher kommt gemäß Art. 34 Satz 1 GG nur eine Haftung des Staates, in diesem Falle des Landes Baden-​Württemberg, in Betracht. Bei einer - möglichen - Amtshaftung findet eine Haftungsverlagerung statt, die eine unmittelbare Haftung der Beklagten ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1967 - VII ZR 34/65 -, Rdnr. 22, zitiert nach Juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2006 - 12 U 154/06 -, Rdnr. 23, zitiert nach Juris).

2. Die Beklagte ist im Rahmen ihrer Aufgaben gemäß § 21 Abs. 1 StVZO hoheitlich tätig geworden. Zum Bereich der hoheitlichen Tätigkeit gehören auch Obhutspflichten, sofern sie - wie vorliegend - in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Prüfung gemäß § 21 Abs. 1 StVZO stehen. Sofern die Beklagte fahrlässig unzureichende Vorkehrungen gegen eine Entwendung des vom Kläger vorgeführten Fahrzeugs getroffen haben sollte, kommt nur eine Amtshaftung des Staates und keine eigene Haftung der Beklagten in Betracht.

a) Der Kläger hat den streitgegenständlichen PKW bei der Beklagten vorgeführt, um ein Gutachten gemäß § 21 Abs. 1 StVZO erstellen zu lassen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Mitarbeiter des technischen Überwachungsvereins bei der Erstellung derartiger Gutachten hoheitlich handeln. Dies hat zur Konsequenz, dass die Verletzung von drittschützenden Amtspflichten im Zusammenhang mit der Erstellung eines solchen Gutachtens (nur) zu einer Amtshaftung führen kann, für die der örtlich zuständige technische Überwachungsverein nicht passiv legitimiert ist (vgl. BGH a. a. O.; BGH, NVwZ-​RR 2003, 543; OLG Karlsruhe a. a. O.).

b) Im Zusammenhang mit der Erstellung eines Gutachtens gemäß § 21 Abs. 1 StVZO obliegen dem technischen Überwachungsverein zwar vorrangig Amtspflichten, die die Sicherheit des Straßenverkehrs betreffen. Die Überprüfung eines Fahrzeugs und die Erstellung eines Gutachtens ist allerdings zwangsläufig damit verbunden, dass der technische Überwachungsverein das betreffende Kraftfahrzeug für einen gewissen Zeitraum zum Zwecke der Untersuchung in seine Obhut nimmt. Daraus ergeben sich notwendig gewisse Gefahren für den Eigentümer, dessen Fahrzeug bei unsachgemäßer Behandlung beschädigt oder bei ungenügenden Sicherheitsvorkehrungen entwendet werden kann. Da die Prüfungstätigkeit des TÜV nicht ohne gewisse Gefahren für das jeweilige Fahrzeug möglich ist, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der hoheitlichen Aufgabe des TÜV, die durch § 21 Abs. 1 StVZO vorgegeben ist, und den sich daraus ergebenden Obhutspflichten bei der Untersuchung von Fahrzeugen. Die Inobhutnahme von fremdem Eigentum ist keine eigenständige Tätigkeit des technischen Überwachungsvereins, die sich von seiner hoheitlichen Hauptaufgabe (Untersuchung und Erstellung von Gutachten) trennen ließe. Die Obhutspflichten des TÜV sind daher dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen. Die Pflicht des TÜV, das Eigentum dessen nicht zu schädigen, der ihm eine Sache zur Prüfung übergeben muss, ist mithin eine allgemeine und drittschützende Amtspflicht (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2006 - 12 U 154/06 -, zitiert nach Juris; OLG München, OLGR 1994, 135; vgl. im Übrigen zu Obhutspflichten von Behörden in ähnlichen Fällen BGH, NJW 1973, 2102; LG Stade, NVwZ-​RR 2009, 50).

Die im vorliegenden Fall unter Umständen in Betracht kommende Pflichtverletzung der Beklagten betrifft eine solche hoheitliche Obhutspflicht. Der Kläger hat den PKW zur Beklagten gebracht, weil eine Prüfung gemäß § 21 Abs. 1 StVZO zum Zwecke der Erteilung einer Betriebserlaubnis erforderlich war. Das Fahrzeug verblieb nur deshalb in der Halle der Beklagten, weil sie am 08.01.2010 das erforderliche Gutachten nicht mehr erstellen konnte. Der Verbleib des Fahrzeugs bei der Beklagten sollte die Durchführung der Untersuchung und Erstellung eines Gutachtens am nächsten Arbeitstag (Montag, 11.01.2010) ermöglichen. Aus den Erklärungen des Vertreters der Beklagten im Termin vor dem Landgericht vom 15.02.2011 ergibt sich, dass die Beklagte im Rahmen ihres üblichen Betriebsablaufes regelmäßig Fahrzeuge über Nacht in ihrer Halle stehen lässt. Der Verbleib eines Fahrzeugs bei der Beklagten ermöglicht ihr, am nächsten Werktag früh sofort mit der Untersuchung beginnen zu können. Es gibt unter diesen Umständen keinen Anlass, die Inobhutnahme des Fahrzeugs rechtlich von der hoheitlichen Aufgabe gemäß § 21 Abs. 1 StVZO zu trennen.

3. Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf einen privatrechtlichen Verwahrungsvertrag stützen.

a) Nach dem beiderseitigen Sachvortrag hat es keine ausdrücklichen Willenserklärungen des Klägers und des zuständigen Mitarbeiters der Beklagten gegeben, die einen Verwahrungsvertrag rechtfertigen könnten.

b) Auch für einen konkludenten Verwahrungsvertrag liegt nichts vor. Unstreitig waren sich der Kläger und der zuständige Mitarbeiter der Beklagten bei der Vorführung des PKWs am Nachmittag des 08.01.2010 darüber einig, dass das Fahrzeug zum Zwecke der Untersuchung bis zum nächsten Werktag bei der Beklagten verbleiben sollte. Der Sache nach handelte es sich dabei um eine Absprache, wie die Prüfung der Beklagten gemäß § 21 Abs. 1 StVZO ablaufen sollte. Die Interessenlage der Parteien machte keinen unentgeltlichen Verwahrungsvertrag erforderlich. Der Verbleib des Fahrzeugs bei der Beklagten war zur Durchführung der Untersuchung erforderlich, woraus sich hoheitliche Obhutspflichten der Beklagten ergaben (siehe oben). Unter diesen Umständen bestand kein Anlass für einen - gesonderten - Verwahrungsvertrag zwischen den Parteien (ebenso in einem entsprechenden Fall OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2006 - 12 U 154/06 -, Rdnr. 25, zitiert nach Juris).

4. Da die Beklagte nicht passiv legitimiert ist, kommt es nicht darauf an, ob sie Obhutspflichten verletzt hat. Es kann dahinstehen, ob die Sicherheitsvorkehrungen der Beklagten gegen eine Entwendung des PKWs ausreichend waren oder ob sie - insbesondere - eventuell verpflichtet gewesen wäre, die Fahrzeugschlüssel im Tresor zu verwahren, in welchem sie regelmäßig nachts die Plaketten aufbewahrt.