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Landgericht Wuppertal Urteil vom 08.01.2015 - 9 S 143/14 - Arglistiges Verhalten eines Versicherten bei Verkehrsunfallflucht

LG Wuppertal v. 08.01.2015: Arglistiges Verhalten eines Versicherten bei Verkehrsunfallflucht und Versicherungsregress


Das Landgericht Wuppertal (Urteil vom 08.01.2015 - 9 S 143/14) hat entschieden:
Arglistiges Verhalten nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG ist gegeben bei einem Versicherten, der sich in dem Wissen, einen (Bagatell-) Schaden verursacht zu haben, vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernt und insoweit auch weiß, dass er damit die an sich gebotene Schadensabwicklung über die Versicherung unmöglich macht. Ein Versicherungsnehmer handelt bereits dann arglistig, wenn er sich bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann.


Siehe auch Arglist und Obliegenheitsverletzung im Versicherungsregress und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt Regress von dem bei ihr haftpflichtversicherten Beklagten aufgrund der Regulierung eines vom Beklagten verursachten Verkehrsunfalls.

Am 28.03.2012 stieß der Beklagte mit dem von ihm gesteuerten PKW beim rückwärtigen Ausparken gegen einen auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkten PKW. Der Beklagte wurde von seiner Frau, die ihn beim Rangieren herausgewunken hatte, auf den Unfall aufmerksam gemacht. Er stieg aus, sah sich die Folgen kurz an und entfernte sich dann vom Unfallort. Ein Zeuge informierte die Polizei, die den Beklagten letztlich als Fahrer ermitteln konnte. Der Beklagte wurde rechtskräftig strafrechtlich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt. Die Klägerin regulierte den Schaden i.H.v. 1.978,52 € und verlangt nun Regress wegen einer Obliegenheitsverletzung i.S.d. § 28 VVG.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Amtsgericht die Klage ab. Zwar habe der Beklagte eine Verkehrsunfallflucht begangen und dadurch eine Obliegenheitsverletzung gegenüber der Klägerin begangen. Jedoch habe er den Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 VVG geführt. Eine andere Möglichkeit als die volle Leistungspflicht der Klägerin habe nicht bestanden. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, welche Maßnahmen sie bei sofortiger Erfüllung der Obliegenheit durch den Beklagten getroffen und welchen Erfolg sie sich davon versprochen hätte. Der Kausalitätsgegenbeweis sei auch nicht wegen einer arglistigen Obliegenheitsverletzung ausgeschlossen. Allein die Unfallflucht lasse nicht den Schluss auf ein arglistiges Verhalten zu. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte einen gegen die Interessen der Klägerin gerichteten Zweck verfolgt hätte, seien nicht ersichtlich. Er sei von einem Bagatellschaden ausgegangen. Er habe durch seine Flucht keine Umstände verschleiern wollen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Der Kausalitätsgegenbeweis könne nicht angenommen werden. Mangels zeitnaher Schilderung des Unfalls habe sie keine Kausalitätsprüfung des Schadens vornehmen und keine Einwendungen zur Schadenhöhe prüfen können. Es habe nicht festgestellt werden können, wer der verantwortliche Fahrer und ob dieser fahrtauglich gewesen sei. Eine Alkoholisierung des Beklagten könne nicht ausgeschlossen werden. Der Kausalitätsgegenbeweis könne nur entfallen, wenn der Versicherer zeitnah über den Unfall informiert werde, was vorliegend aber gerade nicht geschehen sei. Der Beklagte habe auch nicht nur von einem Bagatellschaden ausgehen können. Bei einer Unfallflucht nach § 142 Abs. 1 StGB sei regelmäßig von Arglist auszugehen. Von einer weiteren Sachverhaltsdarstellung wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO, 26 Mr. 8 EGZPO abgesehen.


II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die Klägerin kann aus §§ 116 Abs. 1 S. 2 VVG, 426 BGB die Rückerstattung des von ihr zur Schadensregulierung geleisteten Betrages verlangen. Der Beklagte hat gegen seine Obliegenheit verstoßen, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dient, und den Unfallort nicht ohne die erforderlichen Feststellungen zu verlassen (Ziff. E.1.3 der AKB). Damit entfällt - bei Vorsatz - der Versicherungsschutz (Ziff. E.7.1 der AKB). Von einem vorsätzlichen Handeln des Beklagten ist auszugehen, da er den Unfall bemerkt und deswegen die Obliegenheitsverletzung jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Soweit der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.12.2014 in Abrede gestellt hat, einen Fremdschaden bemerkt zu haben, war dieses Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unzulässig und nicht zu berücksichtigen, weil dies erstinstanzlich nicht nur unstreitig, sondern sogar zugestanden war (vgl. Schriftsatz des Beklagten vom 14.1.2014, Seite 2 und 4 = Bl. 29 und 31 der Akte), und auch im Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils festgestellt worden ist, ohne dass insoweit Tatbestandsberichtigung beantragt worden wäre.

Eine Verpflichtung der Klägerin zur Leistung ergibt sich nicht aus § 28 Abs. 3 VVG. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wird in den Fällen des § 142 Abs. 1 StGB das Aufklärungsinteresse des Versicherers durch einen Verstoß gegen diese Norm in jedem Falle beeinträchtigt (BGH, zfs 2013, 91). Der Beklagte hat aber eine Verkehrsunfallflucht im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB begangen, da er nicht am Unfallort gewartet hat oder sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat.

Ob der genannten Auffassung des BGH in jedem Falle und uneingeschränkt zu folgen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Insbesondere bestand keine Veranlassung, den - teils sehr spekulativen - Ausführungen hierzu weiter nachzugehen. Denn der Beklagte hat die Obliegenheit zur Überzeugung der Kammer nicht nur vorsätzlich, sondern auch arglistig verletzt, was den Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG ausschließt. Arglist führt auch dann zur (vollständigen) Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn die Verletzung der Obliegenheit folgenlos geblieben ist (Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 28, Rn. 115).

Der Begriff der Arglist ist vorliegend allein in dem ihm in § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG zugewiesenen Sinne zu verstehen. Keinesfalls ist er mit ähnlich klingenden Begriffen, wie etwa der Heimtücke im strafrechtlichen Sinne, zu verwechseln. Ein arglistiges Verhalten nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG setzt (nur) voraus, dass der Versicherte der Obliegenheit bewusst und gewollt zuwider handelt und zugleich wenigstens in Kauf nimmt, das Verhalten des Versicherers dadurch zu dessen Nachteil zu beeinflussen. Der Versicherte muss daher einen aus seiner Sicht gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgen.

Dies ist der Fall. Zwar lässt allein der Umstand, dass sich der Beklagte vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernt hat, noch nicht den Schluss auf ein arglistiges Verhalten zu Lasten der Klägerin zu, denn einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, damit stets einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, gibt es nicht (vgl. Urteil der Kammer vom 05.09.2013, 9 S 17/13; LG Duisburg, 7 S 104/12, juris, mit weiteren Nachweisen; vgl. auch BGH, zfs 2013, 91). Vorliegend ist allerdings festzustellen, dass der Beklagte nicht nur den Unfall, sondern auch den gegnerischen Schaden festgestellt hat. Er ist selbst von einem "Bagatellschaden" ausgegangen, was laut Berufungserwiderung einen Schaden von bis zu 50,- € bedeutet. Allerdings sind auch "kleinere Schäden" oder "Bagatellschäden" Schäden. Solche werden - jedenfalls in Deutschland - üblicherweise auch repariert; jedenfalls hat der Unfallgegner einen Anspruch auf Schadensersatz. Die tatsächliche Schadenshöhe konnte der Beklagte vor Ort kaum einschätzen. Er hat sich also in dem Wissen, einen (Bagatell-​) Schaden verursacht zu haben, vom Unfallort entfernt und wusste insoweit auch, dass er damit die an sich gebotene Schadensabwicklung über die Versicherung unmöglich macht. Arglistig handelt der Versicherungsnehmer aber bereits dann, wenn er sich bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH, NJW 1986, 1100). Ein solches Bewusstsein ist anzunehmen, wenn dem Versicherungsnehmer - wie hier - bekannt ist, dass er einen Schaden verursacht hat.

Anders wäre es nur, wenn der Beklagte davon ausgegangen wäre, gar keinen Schaden verursacht zu haben. Dies hat er jedoch erstinstanzlich nicht behauptet, während sein abweichender Vortrag hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2014 unbeachtlich ist (s.o.). Mithin wollte er einen, wenn auch vermeintlich kleinen, Schaden verschleiern. Zwar mag der Beklagte in der vorliegenden Situation nicht an versicherungsrechtliche Fragen gedacht haben (daher kritisch gegenüber der Annahme von Arglist: Rixecker in: Römer, VVG, 4. Aufl., § 28, Rn. 106; LG Offenburg, ZfS 2013, 178). Es reicht - wie erörtert - jedoch ein entsprechendes Bewusstsein. Auch wenn das Verlassen der Unfallstelle durch den Beklagten nicht in erster Linie gegen die berechtigten Interessen der Klägerin, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, gerichtet gewesen sein mag, ist es per se geeignet, die Aufklärung des Tatbestandes und die Ermittlung des Haftungsumfanges der Versicherung nachteilig zu beeinflussen. Bereits dies rechtfertigt die Annahme eines arglistigen Handelns (so auch LG Detmold, NJW-​RR 2013, 602; LG Düsseldorf, MDR 2010, 1319).

Hierin liegt letztlich auch keine "Doppelbestrafung", Menschliches Handeln hat zuweilen sowohl strafrechtliche, als auch zivilrechtliche Konsequenzen. Auch eine verschärfte Haftung des Straftäters in der zivilrechtlichen Auseinandersetzung ist unserer Rechtsordnung nicht fremd. Die letztlich doch sehr polemischen Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2014 können daher von der Kammer nicht nachvollzogen werden.

Die Höhe des - somit bestehenden - Anspruchs der Klägerin ist zwischen den Parteien nicht im Streit.


III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 1.978,52 €