Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 25.04.2016 - 11 CS 16.227 - Facharztgutachten und Verdacht auf psychische Erkrankung

VGH München v. 25.04.2016: Anordnung eines Facharztgutachtens bei Verdacht auf psychische Erkrankung


Der VGH München (Beschluss vom 25.04.2016 - 11 CS 16.227) hat entschieden:

   Die Fahreignung wird nur durch schwerwiegende psychische Erkrankungen ausgeschlossen. Vor der Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung muss die Fahrerlaubnisbehörde zuerst prüfen, ob der Sachverhalt zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen weiter aufgeklärt werden kann. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten, bei dem regelmäßig der Charakter des Betroffenen zu erforschen ist, nur angeordnet werden darf, wenn die der Anforderung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – BverfGE 89, 69 = juris Rn. 63).

Siehe auch
Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht
und
Krankheiten und Fahrerlaubnis

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, B, BE, C1, C1E, C, CE, L, M und T.

Am 11. Juni 2015 meldete der Fachbereich 31 des Landratsamts F... der Fahrerlaubnisbehörde, die Polizeiinspektion E... habe den Antragsteller am 6. Juni 2015 nach Art. 10 Abs. 2 UnterbrG in die Nervenklinik ..., B..., eingewiesen. Die Polizei sei von einer Gemein- und Selbstgefährlichkeit ausgegangen. Dem Polizeibericht ist zu entnehmen, der Antragsteller habe in der Vergangenheit immer wieder heftige Auseinandersetzungen in der Familie, insbesondere mit seiner Mutter gehabt. Seit ca. Mitte 2014 eskaliere die Situation und es sei schon zu mehreren Polizeieinsätzen und Anzeigen gekommen. Die Gewaltausbrüche steigerten sich und der Antragsteller habe konkrete Suizidgedanken (mit dem Auto) geäußert. Am 6. Juni 2015 habe er versucht, mit einer Axt auf seine Mutter loszugehen. Das Einschreiten eines Zeugen habe Schlimmeres verhindert.




Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete daraufhin mit Schreiben vom 16. Juni 2015 die Vorlage eines Gutachtens eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie oder für Nervenheilkunde bis 20. August 2015 an. Es sei zu klären, ob bei dem Antragsteller eine Erkrankung vorliege, die nach Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stelle (hier: psychische Störung). Als Anlass wurde der Vorfall vom 6. Juni 2015 geschildert. Die daraus resultierenden Zweifel an der Fahreignung könnten nur durch ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie oder eines Facharztes für Nervenheilkunde mit verkehrsmedizinischer Qualifikation ausgeräumt werden. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete darüber hinaus an, dass ihr Schreiben dem Gutachter vor der Begutachtung unbedingt vorgelegt werden müsse. Eine Übersendung von Unterlagen an den Gutachter erfolge nicht, da keine weiteren Unterlagen vorliegen würden. Es genüge, wenn dieses Schreiben vorgelegt werde, da darin der maßgebliche Sachverhalt zusammengefasst sei.

Nachdem der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, hörte ihn die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 30. September 2015 zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Eine Äußerung erfolgte nicht. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis aller Klassen, ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die unverzügliche Abgabe des Führerscheins und die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an. Der Antragsteller habe das zu Recht geforderte Gutachten nicht vorgelegt. Es könne daher nach § 11 Abs. 8 FeV darauf geschlossen werden, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 stellte die Fahrerlaubnisbehörde das Zwangsgeld fällig und drohte unmittelbaren Zwang an. Ob der Führerschein zwangsweise eingezogen und das Zwangsgeld bezahlt wurde, kann den Akten nicht entnommen werden.

Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage (Az. B 1 K 15.994) hat das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 12. Januar 2016 abgelehnt. Die Begutachtungsanordnung stehe mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang. Es sei auf den Zeitpunkt der Zustellung der Behördenentscheidung am 10. Dezember 2015 abzustellen. Die Ergebnisse einer später durchgeführten strafgerichtlichen Hauptverhandlung könnten nicht berücksichtigt werden. Im Verwaltungsverfahren habe der Antragsteller den Sachverhalt nicht bestritten, sondern erst mit seinem Eilantrag geltend gemacht, er sei nicht mit einer Axt auf seine Mutter losgegangen, um sie zu verletzen. Er habe gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde auch nicht erwähnt, dass er aus der Nervenklinik umgehend wieder entlassen worden sei. Erst im gerichtlichen Verfahren habe er mitgeteilt, dass die am 22. Dezember 2015 durchgeführte Hauptverhandlung die polizeiliche Sachverhaltsdarstellung nicht bestätigt habe. Es hätten zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung daher hinreichende Tatsachen i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV vorgelegen, die die Anordnung rechtfertigten.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Er macht geltend, es treffe nicht zu, dass er Suizidgedanken geäußert habe. Es sei unerfindlich, weshalb der Polizeibericht dies behaupte. Die Fahrerlaubnisbehörde hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Die Gutachtensanordnung sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 1993 – 1 BvR 689/92 unverhältnismäßig, da, eine Begutachtung durch einen Psychiater ein ebenso starker Eingriff wie eine medizinisch-​psychologische Begutachtung sei.




Er legte das Urteil des Amtsgerichts F... vom 22. Dezember 2015, rechtkräftig seit diesem Tag, vor. Das Amtsgericht hat den Antragsteller damit wegen des Vorfalls am 6. Juni 2015 ausschließlich wegen Sachbeschädigung verurteilt, da er die Tür zur Wohnung seiner Mutter eingetreten hatte. Hinsichtlich der versuchten Körperverletzung zum Nachteil seiner Mutter sei er nicht zu verurteilen, da die Tathandlung schon vor Erreichen des Versuchsstadiums abgebrochen worden sei. Jedenfalls handele es sich aber um einen strafbefreienden Rücktritt. Weiterhin sei davon auszugehen, dass auch kein Tötungsvorsatz oder Körperverletzungsvorsatz vorgelegen habe. Hinsichtlich eines Vorfalls vom 24. Dezember 2014 verurteilte das Amtsgericht den Antragsteller wegen Körperverletzung zum Nachteil seines Bruders, weil er diesem ins Gesicht geschlagen habe.

Darüber hinaus legte der Antragsteller eine Epikrise des Klinikums B... vom 9. Juni 2015 über seinen Aufenthalt vom 7. bis 8. Juni 2015 vor. Damit wird eine vorübergehende psychomotorische Störung auf psychische Belastung (ICD-​10 F43.0) diagnostiziert. Es wird festgestellt, dass keine fremdaggressiven Verhaltensweisen, insbesondere keine tätliche Fremdaggressivität festgestellt werden könne und der Antragsteller sich von Suizidalität distanziert zeige. Er sei leicht agitiert und aufgewühlt. Eine psychiatrische Medikation sei nicht notwendig gewesen. Es wurde ihm eine weitere ambulante nervenärztliche und psychotherapeutische Behandlung empfohlen, um seine traumatische Lebenserfahrung aufzuarbeiten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.




II.

Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das form- und fristgerechte Beschwerdevorbringen berücksichtigt, ist begründet, denn die Klage gegen Nr. 1 und 2 des Bescheids vom 8. Dezember 2015 wird voraussichtlich erfolgreich sein.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-​Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung begründen. Bedenken bestehen insbesondere dann, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung hinweisen.

Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er das Gutachten nicht fristgerecht bei, kann nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Ungeeignetheit geschlossen werden, wenn er in der Beibringungsaufforderung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob die mit dem Polizeibericht vom 7. Juni 2015 bekannt gewordenen Umstände es rechtfertigten, ohne vorherige weitere Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie oder eines Facharztes für Nervenheilkunde anzuordnen, um aufzuklären, ob der Antragsteller an einer die Fahreignung ausschließenden psychischen Störung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV leidet. Selbst wenn man die Frage in der Gutachtensbeibringungs-anordnung als hinreichend konkret ansieht, da zwar nicht auf Erkrankungen nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV Bezug genommen wird‚ aber zumindest in einem Klammerzusatz die Fragestellung auf psychische Erkrankungen eingegrenzt wird, stellten die Schilderungen und Vermutungen in dem Polizeibericht wohl keine hinreichend konkreten Tatsachen dar, die die Beibringungsaufforderung rechtfertigten, denn die Fahreignung wird nur durch schwerwiegende psychische Erkrankungen ausgeschlossen. Dass dem geschilderten Gewaltausbruch des Antragstellers am 6. Juni 2015 tatsächlich eine solche schwerwiegende psychische Erkrankung zugrunde liegen könnte, kann daraus nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden. Familiäre Streitigkeiten werden häufig sehr emotional geführt und die Schilderungen der Beteiligten, insbesondere im zeitlichen Zusammenhang mit den Streitigkeiten, sind ebenfalls oftmals stark von Emotionen geprägt.

Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte die Fahrerlaubnisbehörde daher zuerst prüfen müssen, ob der Sachverhalt zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen weiter aufgeklärt werden kann. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet, dass ein medizinisch-​psychologisches Gutachten, bei dem regelmäßig der Charakter des Betroffenen zu erforschen ist, nur angeordnet werden darf, wenn die der Anforderung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – BverfGE 89, 69 = juris Rn. 63). Zwar soll mit einem psychiatrischen Gutachten nicht der Charakter des Betroffenen bewertet werden, sondern es soll untersucht werden, ob psychische Störungen vorliegen. Gleichwohl stellt auch eine solche Untersuchung eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts dar (vgl. Di Fabio in Maunz/ Dürig, Grundgesetz, 75. EL 09/2015, Art. 2 Rn. 152) und wird regelmäßig als wesentlich belastender empfunden als eine Untersuchung, mit der nur körperliche Gebrechen aufgeklärt werden sollen. Zwar findet eine solche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts regelmäßig ihre Rechtfertigung in den Sicherheitsinteressen der übrigen Verkehrsteilnehmer. Gleichwohl ist sie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf das dafür zwingend erforderliche Maß zu beschränken.




Hier entsprechen die Ausführungen im Polizeibericht und in der Gutachtensanordnung auch nicht dem mittlerweile durch das Strafgericht rechtskräftig festgestellten Sachverhalt, an den die Fahrerlaubnisbehörde nunmehr nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gebunden wäre. Das Amtsgericht F... hat mit seinem Urteil vom 22. Dezember 2015 festgestellt, dass der Antragsteller nicht versucht hat, seine Mutter mit der Axt zu verletzen oder gar zu töten, da es zum einen schon nicht zu einem Versuchsstadium einer gefährlichen Körperverletzung gekommen und zum anderen kein Verletzungs- oder Tötungsvorsatz nachweisbar sei. Zwar war die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 3 StVG nicht gehindert, die Fahreignung in eigener Zuständigkeit zu überprüfen, da eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB wegen des Vorfalls vom 6. Juni 2015 durch das Strafgericht nicht in Betracht gekommen ist. Es wäre dabei aber erforderlich gewesen, den in diesem Punkt eher unpräzisen Polizeibericht, der wohl auf Grund von Berichten Dritter davon ausging, der Antragsteller habe versucht, seine Mutter zu verletzen, kritisch zu prüfen und ggf. eigene Ermittlungen anzustellen. Es hätte daher nahegelegen, zuerst polizeiliche Ermittlungsberichte und Zeugenbefragungen oder die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft anzufordern sowie ggf. die an dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten zu befragen.

Darüber hinaus ergibt sich aus der vorgelegten Epikrise des Klinikums B... vom 9. Juni 2015, dass der Antragsteller zwar unterschwellig gereizt war, aber keine tätliche Fremdaggressivität zeigte und sich von Suizidalität distanzierte. Eine Medikation war nach Ansicht der behandelnden Ärzte weder im Verlauf der Unterbringung noch danach erforderlich und der Antragsteller wurde am 8. Juni 2015 wieder entlassen. Bei der diagnostizierten psychomotorischen Störung auf Grund psychischer Belastung nach ICD-​10 F.43.0 handelt es sich um eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt und die im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Anhaltspunkte für eine affektive Störung nach ICD-​10 F.30-​F.39, die nach Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt, sind nicht festgestellt worden. Nach Nr. 3.12.4 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Begutachtungsleitlinien, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, gültig ab 1.5.2014, geändert durch Bekanntmachung vom 3.3.2016 [VkBl 2016, 185]) liegt eine die Fahreignung ausschließende affektive Störung nur bei sehr schweren Depressionen, die z.B. mit depressiv-​wahnhaften oder depressiv-​stuporösen Symptomen oder mit akuter Suizidalität einhergehen und bei manischen Phasen vor. Nachdem die Einschätzung in dem Polizeibericht, der Antragsteller sei vermutlich psychisch krank, ersichtlich nicht von einem Arzt stammte, die Hinweise auf Suizidalität eher allgemein gehalten waren und auch keine Bewertung des Sachverhalts durch einen Arzt beim Gesundheitsamt erfolgte, konnte die Einschätzung aus dem Polizeibericht, die sich ohnehin nicht speziell auf eine psychische Erkrankung bezogen hat, die geeignet ist, die Fahreignung in Zweifel zu ziehen, nicht ohne weitere Prüfung als ausreichende Tatsachengrundlage für die Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens verwendet werden. Der Fahrerlaubnisbehörde war bekannt, dass der Antragsteller in einer psychiatrischen Klinik untergebracht worden war und deshalb hätte sie den Antragsteller zuerst auffordern können, den Entlassbericht dieser Klinik vorzulegen. Nur wenn der Antragsteller nicht bereit gewesen wäre, diesen Entlassbericht vorzulegen und mit einer Überprüfung des Sachverhalts durch einen Arzt beim Gesundheitsamt die Zweifel an der Fahreignung ebenfalls nicht hätten ausgeräumt werden können, wäre es gerechtfertigt gewesen, die Beibringung eines psychiatrischen Gutachtens anzuordnen.


Dass der Antragsteller bei seiner Anhörung vor Erlass des Entziehungsbescheids die Epikrise nicht vorgelegt und die Vorwürfe nicht bestritten hat, führt nicht dazu, dass er die Entziehung seiner Fahrerlaubnis hinnehmen müsste. Im Falle der Fahrerlaubnisentziehung ist es Sache der Behörde, die Tatsachen zu ermitteln, die Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen. Der Betroffene ist nur verpflichtet mitzuwirken und ein zu Recht angeordnetes Gutachten beizubringen. Ist das Gutachten nicht rechtmäßig angeordnet, darf er die Untersuchung und Beibringung des Gutachtens verweigern ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnisbehörde bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens unter Berufung auf § 11 Abs. 8 FeV seine Fahrerlaubnis entzieht (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – juris Rn. 8).

Ob die erhebliche Aggressivität des auch in der Vergangenheit bereits auffälligen Antragstellers, die aus den Feststellungen des Strafgerichts im Urteil vom 22. Dezember 2015 hervorgeht, ggf. die Anordnung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens nach § 11 Abs. 3 Nr. 6 oder 7 FeV rechtfertigen könnte, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn die Fahrerlaubnisbehörde hat ein solches Gutachten nicht angeordnet.

Darüber hinaus bestehen aber auch Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Gutachtensbeibringungs-aufforderung nach § 11 Abs. 6 FeV. Die Fahrerlaubnisbehörde ist davon ausgegangen, sie müsse die vorhandenen Unterlagen, d.h. insbesondere den Polizeibericht, weder nach § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV der untersuchenden Stelle übersenden, noch dem Antragsteller nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV mitteilen, dass er Einsicht in diese Unterlagen nehmen könne. Angesichts der Tatsache, dass solche Berichte durchaus missverständlich und interpretationsfähig sein können, erscheint es eher fraglich, ob eine solche Vorgehensweise im Ausnahmefall den Vorgaben des § 11 Abs. 6 FeV entspricht.

Die Interessenabwägung fällt daher zu Gunsten des Antragstellers aus. Dabei ist neben den Erfolgsaussichten der Klage insbesondere zu berücksichtigen, dass sich aus der Epikrise des Klinikums B... nicht ergibt, dass der Antragsteller an einer psychischen Erkrankung leidet, die Zweifel an der Fahreignung hervorruft. Darüber hinaus hat er sich entschieden, zur Vermeidung weiterer Konflikte mit seinen Familienangehörigen eine gewisse räumliche Distanz herzustellen und ist nach D... verzogen.

Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben und die aufschiebende Wirkung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 8. Dezember 2015 wiederherzustellen und hinsichtlich der Nrn. 3 und 5 anzuordnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, Anh. zu § 164 Rn. 14). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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