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Kammergericht Berlin Beschluss vom 22.05.2014 - 8 U 114/13 - Mindestanforderungen an einen gutgläubigen Erwerb

KG Berlin v. 22.05.2014: Mindestanforderungen an einen gutgläubigen Erwerb beim Gebrauchtwagenkauf


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 22.05.2014 - 8 U 114/13) hat entschieden:
Die Übergabe und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) sind Mindestanforderungen für einen gutgläubigen Erwerb von Kraftfahrzeugen. Wer einen Gebrauchtwagen kauft (ob vom Händler oder von einer Privatperson), ohne sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) vorlegen zu lassen, handelt schon allein aus diesem Grund grob fahrlässig im Sinne von § 932 Abs. 2 BGB.


Siehe auch Gutgläubiger Fahrzeugerwerb und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht


Gründe:

Die Berufung war durch Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Absatz 2 Satz 1 ZPO). Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Hinweis nach § 522 Absatz 2 Satz 2 ZPO vom 27. März 2014 verwiesen, der im Einzelnen wie folgt lautet:
“Die Berufung des Beklagten richtet sich gegen das am 4. Juli 2013 verkündete Urteil der Zivilkammer 37 des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Der Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor:

Ihm sei im Rahmen des Verkaufs die Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt worden. Dies habe er durch Vorlage des Kaufvertrages, welcher die Übergabe des vorgenannten Dokuments bestätige, auch unter Beweis gestellt. Das Landgericht hätte ihn gemäß § 448 ZPO anhören müssen. Da die - sehr gut gefälschte - Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegen habe, habe für ihn kein Grund bestanden, die Fahrgestellnummer zu überprüfen.

Jedenfalls aber hätte das Landgericht einen richterlichen Hinweis geben müssen.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hätte er wegen des Umstandes, dass der Darlehensnehmer ihm gegenüber erklärt hat, dass die Zulassungsbescheinigung Teil I abhanden gekommen sei, keinen Verdacht schöpfen müssen. Der Darlehensnehmer sei immer bereit gewesen, die Zulassungsbescheinigung Teil I zusammen mit dem Beklagten bei der zuständigen Kraftfahrzeugzulassungsstelle neu zu beantragen und habe dies auch getan.

Der Beklagte beantragt,
das am 4. Juli 2013 verkündete Urteil der Zivilkammer 37 des Landgerichts Berlin abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend, ergänzt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und trägt ergänzend vor:

Es werde bestritten, dass der Darlehensnehmer immer bereit gewesen sei, irgendwelche Zulassungsbescheinigungen neu zu beantragen, und sich auch sonst “kooperativ” gezeigt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in beiden Rechtszügen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.


II.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Der Beklagte hat das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gutgläubig erworben (§ 932 BGB). Ihm ist infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, dass das Fahrzeug nicht dem Veräußerer gehörte. Das Landgericht hat in jeder Hinsicht zutreffend in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass der Beklagte grob fahrlässig gehandelt hat, weil er das Fahrzeug gekauft hat, ohne sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) vorlegen zulassen.

Gemäß § 932 Abs. 1 S. 1 BGB wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn das Fahrzeug dem Veräußerer nicht gehört, es sei denn, dass er im Zeitpunkt der Übergabe nicht in gutem Glauben gewesen ist. Nach § 932 Abs. 2 BGB schließen nur positive Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der fehlenden Eigentümerstellung des Veräußerers die Redlichkeit des Erwerbers aus. Unter grober Fahrlässigkeit ist ein Handeln zu verstehen, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, NJW 2005, 1365). Beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs besteht keine allgemeine Nachforschungspflicht. Die Übergabe und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) sind aber die Mindestanforderungen für einen gutgläubigen Erwerb von Kraftfahrzeugen (BGH NJW 2006, 3488; NJW 1996, 2226; NJW 1975, 735). Wer einen Gebrauchtwagen kauft (ob vom Händler oder von einer Privatperson), ohne sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) vorlegen zu lassern, handelt schon allein aus diesem Grund grob fahrlässig im Sinne von § 932 Abs.2 BGB (jurisPK-​BGB, 6. Auflage (2012), § 932, Rdnr. 30).

Der Beklagte ist für die Behauptung, dass er das Fahrzeug unter Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) erworben habe, beweisfällig geblieben. Zwar enthält der Kaufvertrag vom 19. Oktober 2011 die Bestätigung, dass er bei Übergabe des Fahrzeuges den Fahrzeugschein und den KfZ-​Brief erhalten habe. Diese Bestätigung ist jedoch kein Beweis dafür, dass der Fahrzeugschein und der Fahrzeugbrief tatsächlich bei Abschluss des Kaufvertrages vorlagen. Zwar besteht grundsätzlich eine Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für alle über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunden. (Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Auflage, § 125, Rdnr. 21). Zutreffend hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung aber ausgeführt, dass durch den Kaufvertrag lediglich bewiesen ist, dass die Vertragsparteien Entsprechendes erklärt haben, nicht aber dass Fahrzeugbrief und Fahrzeugschein tatsächlich übergeben worden sind. Dass die Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) entgegen den Festhaltungen im Kaufvertrag tatsächlich nicht bei Abschluss des Kaufvertrages übergeben worden ist und auch nicht vorlag, hat der Beklagte in der ersten Instanz nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 20. November 2012 mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2012 selbst eingeräumt. Entgegen der Auffassung des Beklagten war das Landgericht nicht verpflichtet, den Beklagten gemäß § 448 ZPO anzuhören. § 448 ZPO setzt voraus, dass die richterliche Gesamtwürdigung der Verhandlung und bisherigen Beweisaufnahme eine gewisse, nicht notwendig hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung erbringen, das heißt, es muss mehr für als gegen sie sprechen und bereits einiger Beweis erbracht sein (Zöller, ZPO, 30. Auflage, § 448, Rdnr. 4). Da vorliegend entgegen den Festhaltungen im Kaufvertrag die Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) bei Abschluss des Kaufvertrages nicht übergeben worden ist und der Beklagte dies zudem erst nach Durchführung der ersten mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, ist diese Wahrscheinlichkeit nicht ersichtlich.

Soweit der Beklagte meint, das Landgericht habe ihm jedenfalls einen richterlichen Hinweis erteilen müssen, hat er nicht vorgetragen, was er bei einem entsprechenden Hinweis vorgetragen hätte.

Der Beklagte hat aber auch dann grob fahrlässig im Sinne von § 932 Abs. 2 BGB gehandelt, wenn ihm bei Abschluss des Kaufvertrages die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) vorgelegen haben sollte.

Der Beklagte hat es unstreitig unterlassen, die in der gefälschten Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) angegebene Fahrgestellnummer mit der Fahrgestellnummer des verkauften Fahrzeuges zu vergleichen. Der Beklagte irrt, wenn er meint, dazu nicht verpflichtet gewesen zu sein, weil die Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegen habe. Die Händlereigenschaft des Beklagten begründet eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, die eine gewissenhafte Prüfung des vorgelegten KfZ-​Briefes erfordert (OLG Braunschweig, Urteil vom 1. September 2011 - 8 U 170/10). Darüber hinaus ist der Beklagte als Händler zumindest verpflichtet, die Übereinstimmung der in der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) angegebenen Fahrgestellnummer mit der Fahrgestellnummer des Fahrzeuges zu vergleichen (BGH, Urteil vom 23. Mai 1966 - VIII ZR 60/64).

Der Beklagte hatte aber darüber hinaus auch Anlass, weitere Prüfungen vorzunehmen.

Für den Gebrauchtwagenhandel hat der BGH wegen der dort nicht selten vorkommenden Unregelmäßigkeiten in ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung der Umstände, die für den Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeuges eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers begründen, einen strengen Maßstab angelegt (BGH, NJW-​RR 1987, 1456, 1457). Unter Anlegung dieses strengen Maßstabes hätte sich der Beklagte veranlasst sehen müssen, weitere Prüfungen vorzunehmen, nachdem der Veräußerer des Fahrzeuges ihm die Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) mit dem Argument, dieser sei abhanden gekommen, bei Abschluss des Kaufvertrages nicht vorlegen konnte, und zwar ungeachtet der Frage, ob der Veräußerer erklärt hat, bei der Wiederbeschaffung des Dokumentes behilflich zu sein. Die einem Kraftfahrzeughändler obliegende gesteigerte Sorgfaltspflicht hätte es zumindest erfordert, dass der Beklagte sich u.a. durch Öffnen der Motorhaube davon überzeugt, dass das in der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) angegebene Fahrzeug mit dem verkauften Fahrzeug identisch ist. Da er dies nicht getan hat, ist ihm auch diesem Grund grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen.

Im Übrigen hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich und eine mündliche Verhandlung nicht geboten.

Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 28.050,00 € festzusetzen.”
Der Senat sieht auch nach erneuter Beratung und unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des Beklagten vom 23. April 2014, der im Wesentlichen bereits Vorgetragenes wiederholt, keinen Anlass, davon abzuweichen. Hierauf hat der Senat den Beklagten wunschgemäß bereits mit Beschluss vom 28. April 2014 hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.


Der Streitwert für die Berufung wird auf 28.050,00 € festgesetzt.