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Verwaltungsgericht Lüneburg Beschluss vom 20.06.2017 - 1 B 35/17 - Rechtmäßigkeit einer Gutachtenaufforderung eines Facharztes

VG Lüneburg v. 20.06.2017: Zur Rechtmäßigkeit einer Gutachtenaufforderung eines Facharztes


Das Verwaltungsgericht Lüneburg (Beschluss vom 20.06.2017 - 1 B 35/17) hat entschieden:
  1. An die Rechtmäßigkeit der Gutachtenaufforderung sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller die Gutachtenaufforderung mangels Verwaltungsaktqualität nicht unmittelbar anfechten kann. Die Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens zur Frage der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 (Fahrzeuge der Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF) lässt für den Betroffenen nicht erkennen, dass auch die Frage der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Fahrzeuge der Fahrerlaubnisklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T) überprüft werden soll.

  2. Macht der Betroffene von dem ihm zustehenden Recht Gebrauch, den begutachtenden Arzt gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde nicht von der Schweigepflicht zu entbinden, treffen ihn gesteigerte Sorgfaltspflichten zur fristgerechten Beibringung des Gutachtens, denn in diesem Fall hat es ausschließlich der Betroffene in der Hand, für eine fristgerechte Gutachtenbeibringung Sorge zu tragen.

Siehe auch Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 22. März 2017 verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, BE, C1E, M, S, L, T und die zugleich angeordnete sofortige Vollziehung dieser Verfügung.

Die Polizeistation E. regte durch Mitteilung vom 3. Juni 2016 eine Überprüfung der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen an. Hintergrund war ein Geschehen vom 2. Februar 2016. An diesem Tag forderte der Antragsteller um 14.25 Uhr telefonisch bei der Polizeistation E. ein umgehendes Erscheinen mit der Begründung, in der F. in E., Einmündung G., stünde ein LKW verkehrsbehindernd und gefährdend. Mit seinem PKW, BMW 745i, habe er das parkende Fahrzeug nur unter Schwierigkeiten passieren können. Die Polizeibeamten stellten vor Ort statt eines LKW einen Transporter mit einer Fahrzeugbreite von 1965 mm fest, der am rechten Fahrbahnrand parkte. Die Parksituation zeigte laut Mitteilung der Polizeibeamten weder eine Behinderung noch eine Gefährdung auf, die Durchfahrbreite betrug danach an der Stelle des parkenden Transporters mehr als drei Meter, ein verkehrswidriges Parken konnte aus polizeilicher Sicht nicht festgestellt werden. Die Polizisten fertigten Lichtbilder der vorgefundenen Situation. Nachfolgend führte der Antragsteller im Rahmen eines um 14.54 Uhr gesandten Faxes aus, die Polizei sei bis zum Versand des Faxes nicht vor Ort gewesen. Ausweislich der Mitteilung der Polizei waren die eingesetzten Beamten zu diesem Zeitpunkt zur Aufnahme des Geschehens vor Ort.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2016 bat der Antragsgegner den Antragsteller um dessen persönliche Vorsprache bis zum 23. Juni 2016 und Beibringung einer hausärztlichen Bescheinigung binnen dieser Frist mit der Begründung, es erscheine aufgrund der benannten Mitteilung der Polizei eine Überprüfung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erforderlich.

Der Aufforderung des Antragsgegners vom 10. Juni 2016 zur persönlichen Vorsprache kam der Antragsteller nicht nach. Er teilte am 22. Juni 2016 telefonisch mit, dass er nicht erscheinen werde. Über das Telefongespräch fertigte eine Mitarbeiterin des Antragsgegners eine Telefonnotiz mit Schilderung des Telefongesprächs und folgendem Zusatz:
„Die völlig unangemessene Reaktion des Herrn H. auf ein freundlich geführtes Gespräch bestätigt den Eindruck, den er hier seit Jahren vermittelt (sh. Akte). Allerdings scheint sich sein Zustand verschlechtert zu haben. Die cholerischen Ausbrüche bieten inzwischen Anlass zu Zweifeln an seinem Realitätssinn. Sie könnten Hinweis auf eine psychotische Erkrankung/Persönlichkeitsveränderungen sein und sollten im Rahmen dieser Überprüfung seiner Kraftfahreignung neurologisch-​psychiatrisch abgeklärt werden.“
Mit Schreiben vom selben Tag an den Antragsgegner erklärte der Antragsteller, er weise das Schreiben des Antragsgegners vom 10. Juni 2016 „ausdrücklich vollständig unter Protest“ zurück. Mit weiterem Schreiben vom selben Tag an den Antragsgegner führte der Antragsteller aus, das parkende Fahrzeug habe nicht die gesetzlichen Abstände eingehalten und stelle zudem eine Gefahrensituation für Fußgänger, Schulkinder und auch ihn dar, so dass die Polizei hätte einschreiten müssen.

Unter dem 21. Juli 2016 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, ein fachärztliches Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation und eines Augenarztes bis zum 23. September 2016 vorzulegen und bat zugleich unter Fristsetzung bis zum 3. August 2016 um Abgabe der erforderlichen Einverständniserklärungen. Zur Begründung führte er aus: Das Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie diene der Klärung der Frage, ob bei dem Antragsteller eine Gesundheitsstörung oder Krankheit vorliege, die für die uneingeschränkte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erheblich sei und ob er trotz einer etwaig festgestellten Gesundheitsstörung oder Krankheit ein Kraftfahrzeug der Gruppe 2 sicher führen könne, gegebenenfalls unter welchen Auflagen oder mit welchen technischen Hilfsmitteln. Insoweit verwies der Antragsgegner auf den durch die Polizeistation E. geschilderten Vorfall und legte dar, dass dieser sowie die nachfolgenden Reaktionen des Antragstellers Anlass zu der Annahme gäben, dass dieser zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr uneingeschränkt geeignet sei.

Mit Schreiben vom 4. August 2016 erinnerte der Antragsgegner den Antragsteller an die Vorlage der Einverständniserklärungen, drohte unter erneuter Fristsetzung zur Vorlage der Einverständniserklärungen die Entziehung der Fahrerlaubnis an und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Gegen die Aufforderung zur Beibringung der erforderten Gutachten erhob der Antragsteller am 15. August 2016 Klage. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 17. August 2016 teilte er dem Antragsgegner mit, dass er den Anordnungen Folge leisten werde, dies sowie die notwendige Einverständniserklärung allerdings „unter der auflösenden Bedingung“ stünden, dass das Verwaltungsgericht die Rechtsauffassung des Antragsgegners bestätigen würde. Mit Schreiben vom 1. September 2016 erinnerte der Antragsgegner abermals an die Vorlage der Einverständniserklärungen. Am 2. September 2016 legte der Antragsteller die Einverständniserklärung hinsichtlich der augenärztlichen Untersuchung vor und teilte mit, dass der Gutachter für die neurologische-​psychiatrische Begutachtung geäußert habe, der Auftrag zur Erstellung des Gutachtens könne nur durch den Antragsgegner erfolgen. Am 5. September 2016 wies der Antragsgegner darauf hin, dass die Einverständniserklärung für die neurologisch-​psychiatrische Untersuchung nach wie vor ausstehe, diese aber gemäß § 11 Abs. 5 FeV für die Weitergabe der Fahrerlaubnisakte an den Gutachter erforderlich sei. Am 8. September 2016 erinnerte der Antragsgegner nochmals an die Vorlage der Einverständniserklärung und kündigte erneut an, bei Nichtvorlage der Erklärung die Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8 FeV zu entziehen. Am 9. September 2016 reichte der Antragsteller die Einverständniserklärung für die neurologisch-​psychiatrische Untersuchung nach, auf der das vorgedruckte Einverständnis zur Entbindung des Gutachters von der Schweigepflicht gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde durch den Antragsteller gestrichen war. Aufgrund Verhinderung des Gutachters und zwischenzeitlichen Urlaubs des Antragstellers erfolgte eine neurologisch-​psychiatrische Untersuchung letztlich erst am 1. Februar 2017. Mit Schreiben vom 14. Februar 2017 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, das neurologisch-​psychiatrische Gutachten sowie das bis zu diesem Zeitpunkt nur als Fax vorliegende, augenärztliche Gutachten im Original bis zum 27. Februar 2017 vorzulegen. Am 27. Februar 2017 übersandte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers das augenärztliche Gutachten im Original und teilte mit, dass dem Antragsteller das neurologisch-​psychiatrische Gutachten noch nicht vorliege. Der Antragsgegner verlängerte daraufhin die Frist zur Vorlage des neurologisch-​psychiatrischen Gutachtens bis zum 12. März 2017. Innerhalb der gesetzten Frist legte der Antragsteller das erforderte Gutachten nicht vor.

Mit Verfügung vom 22. März 2017 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen, ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Am 28. März 2017 teilte der Antragsteller mit, am 25. März 2017 den Verlust seines Führerscheins bemerkt zu haben und beantragte einen Ersatzführerschein.

Gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis hat der Antragsteller am 30. März 2017 Klage (1 A 89/17) erhoben. Nachfolgend hat er am 6. April 2017 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage beantragt.


II.

Der zulässige Antrag des Antragsellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis für alle erteilten Klassen gerichteten Klage hat nur teilweise Erfolg.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist die sofortige Vollziehung von der Behörde den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so entscheidet das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage auf der Grundlage einer eigenen Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das besondere öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.12.2014 - BVerwG 7 VR 5.14 -, juris Rn. 9; Nds. OVG, Beschl. v. 10.9.2014 - 8 ME 87/14 -, juris Rn. 2). Im Rahmen der Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs eine entscheidende Bedeutung. Ergibt sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg haben wird, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Erweist sich der Rechtsbehelf bei summarischer Überprüfung demgegenüber als offensichtlich erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Adressaten des Verwaltungsaktes, von dessen Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Stellen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs hingegen als offen dar, so ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich, bei der in Rechnung zu stellen ist, welche Gründe bei bestehender Unsicherheit im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs für und gegen eine Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts sprechen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 10.5.2010 - 13 ME 181/09 -, juris Rn. 4).

Nach Maßgabe dessen ist der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage teilweise begründet.

1. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus, soweit ihm mit Verfügung vom 22. März 2017 auch die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, M, S, L und T entzogen wurde. Denn die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis ist - bei der hier gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage - insoweit offensichtlich rechtswidrig, so dass insoweit das Interesse des Antragstellers, von der Entziehung seiner Fahrerlaubnis vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Auf eine solche Ungeeignetheit darf die Fahrerlaubnisbehörde nach §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 Satz 1 FeV unter anderem dann schließen, wenn der Betroffene das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf eine Nichteignung des Betroffenen ist allerdings nur dann zulässig, wenn die vorherige Anordnung der ärztlichen oder medizinisch-​psychologischen Untersuchung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2005 - BVerwG 3 C 21.04 -, juris Rn. 22). Eine solche Anforderung muss weiter hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Anforderung entnehmen können, was konkret der Anlass gewesen ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. An die Rechtmäßigkeit sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller die Gutachtenaufforderung mangels Verwaltungsaktqualität nicht unmittelbar anfechten kann.

Wird - wie hier - die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1, 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV auf die unterbliebene Vorlage eines von der Fahrerlaubnisbehörde angeforderten Gutachtens gestützt, muss die Behörde grundsätzlich von der Nichteignung des Betroffenen ausgehen; der Schluss auf seine Nichteignung ist allerdings nur zulässig, soweit die Anforderung des Gutachtens rechtmäßig war. Dies setzt unter anderem voraus, dass die dem Betroffenen mitgeteilte Fragestellung den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV ergebenden Anforderungen entsprochen hat (Nds. OVG, Beschl. v. 3.4.2017, -12 PA 32/17-​, n.v.). Die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens vom 21. Juli 2016 gab dem Antragsteller allerdings nur auf, ein Gutachten zu der Frage beizubringen, ob der Antragsteller aufgrund einer etwaig für die Eignung zur Führung eines Kraftfahrzeugs erheblichen Gesundheitsstörung oder Krankheit in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug der Gruppe 2 sicher zu führen. Nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen umfasst die Gruppe 2 unter Verweis auf die Einteilung in der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung die Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF. Zur Gruppe 1 gehören die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T. Dem Antragsteller wurde aber die Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, M, S, L und T, mithin solche sowohl der Gruppe 1 als auch der Gruppe 2 entzogen.

Der Antragsgegner stützt die Anforderung eines neurologischen-​psychiatrischen Gutachtens ausweislich seines Schreibens an den begutachtenden Facharzt vom 9. September 2016 auf den Verdacht einer neurologischen/psychiatrischen Störung oder krankheitsbedingten Persönlichkeitsveränderung. Ausweislich Nummer 6 und 7 Anlage 4 FeV wird sowohl bei Krankheiten des Nervensystems (Nummer 6) als auch bei Psychischen (geistigen) Störungen (Nummer 7) für die Voraussetzungen der Überprüfung einer Eignung oder bedingten Eignung zwischen den Klassen der Fahrerlaubnis A, A1, A2, B, BE, AM, L und T (entsprechen der Gruppe 1) und den Klassen der Fahrerlaubnis C, C1, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF (entsprechen der Gruppe 2) unterschieden. So kann, je nach Erkrankung und Grad der Krankheit, die Feststellung der Eignung oder bedingten Eignung für Gruppe 1 und Gruppe 2 bei gleichem Krankheitsbild unterschiedlich ausfallen. Damit hätte bei Verneinung der (uneingeschränkten) Eignung hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen Gruppe 2 aber nicht zugleich zwingend auf eine Nichteignung für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 geschlossen werden können und dürfen.

Dass dem Antragsteller vor diesem Hintergrund bei unzureichender Mitwirkung bei der Gutachtenbeibringung die Fahrerlaubnis für alle Fahrerlaubnisklassen und damit auch für die - nicht zur Begutachtung in Aussicht genommenen - Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 ( A1, B, BE, M, S, L und T) entzogen werden sollte, wurde in der Gutachtenanforderung nicht hinreichend deutlich.

Da sich dieser Mangel in der Mitteilung an den Antragsteller aber auf einen abgrenzbaren und eigenständigen Teil bezieht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 3.4.2017, a.a.o.; Beschl. v. 7.5.2014, - 12 ME 54/14 -, juris Rn. 27), durfte der Antragsgegner nicht auf eine Ungeeignetheit nach §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 Satz 1 FeV durch die nicht fristgerechte Beibringung eines Gutachtens schließen, soweit es die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 betraf, mit der Folge, dass die Klage insoweit aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird.

2. Hinsichtlich der Klassen C1 und C1E ist der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage allerdings unbegründet. Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Denn die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden Anforderungen und die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis stellt sich für diese Klassen - bei der hier gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage - als offensichtlich rechtmäßig dar. Hiernach überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides insoweit das Interesse des Antragstellers, von der Entziehung seiner Fahrerlaubnis vorläufig verschont zu bleiben.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit §§ 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Der Antragsteller hat sich gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen C1 und C1E erwiesen, weil er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat, §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 Satz 1 FeV. Die diesbezügliche, vorherige Anordnung der ärztlichen Untersuchung war insoweit formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig, zudem auch hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich.

Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens kann dann angeordnet werden, wenn Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen, insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 der Fahrerlaubnisverordnung hinweisen. Eignungsbedenken sind zu klären, wenn konkrete Tatsachen bekannt geworden sind, die nachvollziehbar den Verdacht rechtfertigen, bei dem Betroffenen könne eine Ungeeignetheit oder eine nur eingeschränkte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegen (Nds. OVG, Beschl. v. 11.4.2005 - 12 ME 540/04 -, juris Rn. 7). Nach dem Wortlaut der Regelungen reicht das Bestehen von Bedenken gegen die Eignung aus, die auf der Behörde „bekannt gewordenen Tatsachen" beruhen. Ausreichend sind insoweit alle Tatsachen, die nachvollziehbar den Verdacht rechtfertigen, es könne eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegen. Ob sie solche „Verdachtsmomente“ begründen, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls, zu denen auch Angaben Dritter zählen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 11.4.2005 - 12 ME 540/04 -, juris Rn. 6 f.).Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Antragstellers zum Zeitpunkt der Gutachtenanforderung nicht darauf an, ob sich aus den Tatsachen gesichert Persönlichkeitsveränderungen im Rahmen einer Psychose ableiten lassen, sondern allein, ob Tatsachen vorliegen, die einen entsprechenden Verdacht rechtfertigen. Ob tatsächlich eine krankhafte Änderung der Persönlichkeit vorliegt, die eine Ungeeignetheit oder eingeschränkte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründet, ist der Beurteilung durch ein fachärztliches Gutachten vorbehalten, ansonsten bedürfte es der Einholung eines Gutachtens nicht mehr.

Der Antragsgegner konnte vor diesem Hintergrund seine Anordnung auf die ihm bekannt gewordenen Tatsachen des Vorfalls vom 2. Februar 2016 sowie das nachfolgende Verhalten des Antragstellers stützen. Objektiv hat - wie sich bereits aus den vom Geschehnisort am 2. Februar 2016 getätigten Lichtbildern ergibt - keinerlei Grund für ein polizeiliches Einschreiten bestanden, weil der Transporter weder verkehrswidrig noch gefährdend parkte. Auch handelte es sich entgegen der Angabe des Antragstellers erkennbar nicht um einen LKW. Zudem war schon ausweislich der Lichtbilder das Passieren des ordnungsgemäß geparkten Transporters an dieser Stelle ohne weiteres möglich, was auch für den Antragsteller unschwer erkennbar sein musste. Gleichwohl bestand der Antragsteller noch mit Schreiben vom 22. Juni 2016 darauf, dass durch das abgestellte Fahrzeug Gefahren für Fußgänger, Schulkinder und ihn bestanden hätten und ein Einschreiten der Polizei erforderlich gewesen sei. Im Zusammenhang mit der Nutzung seines PKW verkannte demnach der Antragsteller eine Verkehrssituation völlig. Auch die per Schreiben am 2. Februar 2016 an die Polizei aufgestellte Behauptung des Antragstellers, dass die Polizeibeamten bis zum Zeitpunkt des Versands des Faxes nicht vor Ort gewesen seien, entsprach nicht den tatsächlichen Umständen. Ebenso tätigte der Antragsteller in dem Telefongespräch am 22. Juni 2016 mit der Mitarbeiterin des Antragsgegners Äußerungen, die nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprachen, indem er ausweislich der Telefonnotiz unter anderem mitteilte, in dem Schreiben des Antragsgegners vom 10. Juni 2016 sei kein Sachverhalt dargestellt und seien keine weiteren Informationen enthalten. Dies entspricht ersichtlich nicht den Tatsachen.

Die Mitarbeiterin des Antragsgegners führte in ihrer Telefonnotiz weiter an, dass die in diesem Telefongespräch gezeigte, völlig unangemessene Reaktion des Antragstellers den seit Jahren bekannten Eindruck bestätige, der Zustand des Antragstellers sich aber verschlechtert zu haben scheine und das cholerische und unangemessene Verhalten des Antragstellers nach ihrer Einschätzung Anlass zu Zweifeln an dem Realitätssinn des Antragstellers geben könnte. Die Unangemessenheit der Reaktionen des Antragstellers zeigt sich weiterhin in seinen, in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen, Schreiben, in denen er beispielsweise aufgrund einer nach seiner Auffassung falschen Adressierung des Schreibens vom 10. Juni 2016, das den Antragsteller trotz dessen offensichtlich erreicht hat, im Schreiben vom 22. Juni 2016 die Möglichkeit einer darauf bezogenen Dienstaufsichts- oder Fachaufsichtsbeschwerde anführt. Dem Antragsteller fällt es dabei erkennbar schwer, auch nur die Möglichkeit einzuräumen, dass die Straßenverkehrssituation am 2. Februar 2016 auch anders beurteilt werden könnte, als von ihm vorgenommen. Vor diesem Hintergrund zeigten sich dem Antragsgegner hinreichend Verdachtsmomente, die Bedenken an der geistigen Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründeten und er durfte demgemäß der Klärung dieser Bedenken nachgehen.

Das Vorgehen des Antragsgegners war verhältnismäßig, denn er hatte zunächst versucht, die Bedenken durch ein Gesprächsangebot und der Bitte um Vorlage einer hausärztlichen Bescheinigung auszuräumen. Dem ist der Antragsteller jedoch nicht nachgekommen, sondern er hat dieses Anliegen sowohl telefonisch als auch schriftlich zurückgewiesen. Eine Klärung der Bedenken war vor diesem Hintergrund der ärztlichen Begutachtung vorbehalten.

Der Antragsteller hat innerhalb der gesetzten Frist das geforderte neurologisch-​psychiatrische Gutachten nicht vorgelegt, § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV. Er kann sich dabei nicht darauf berufen, dass diese Säumnis auf ein Verschulden des von ihm beauftragten Arztes zurückzuführen ist. Der betroffene Inhaber der Fahrerlaubnis beauftragt den Gutachter grundsätzlich im eigenen Namen mit der Untersuchung und der Erstellung des Gutachtens. Ohne sein Einverständnis darf der Gutachter das Gutachten weder der Fahrerlaubnisbehörde zuleiten, noch Auskunft geben oder Mitteilungen gegenüber dieser Stelle tätigen. Der Antragsteller hat sowohl in der Einverständniserklärung zur Übersendung der Fahrerlaubnisakte an den untersuchenden Gutachter die dort vorgesehene Schweigepflichtentbindungserklärung gestrichen, als auch ausweislich seines Schreibens vom 2. Februar 2017 (Anlage K13 der Klagschrift) gegenüber dem Gutachter bestimmt, dass das neurologisch-​psychiatrische Gutachten ausschließlich ihm, dem Antragsteller, zugeleitet wird.

Es steht dem Antragsteller frei, sein Recht auf Inanspruchnahme der ärztlichen Schweigepflicht wahrzunehmen und zu bestimmen, dass ausschließlich ihm sämtliche Informationen zugeleitet werden. Nimmt er dieses Recht war, obliegt ihm aber auch eine gesteigerte Pflicht, für die Rechtzeitigkeit der Gutachtenvorlage Sorge zu tragen. Denn damit hat es zugleich allein der Antragsteller in der Hand, eine fristgerechte Vorlage des Gutachtens zu bewirken oder etwaige Nachfragen mit dem Gutachter zu klären. In einem solchen Fall ist dem Antragsgegner jede Einflussnahmemöglichkeit zur Förderung des Vorgangs genommen. Von der ärztlichen Schweigepflicht erfasst ist auch der Name des Patienten (OLG Karlsruhe, Urteil v. 11.08.2006 - 14 U 45/04 -, juris Rn. 26) und daraus resultierend der Umstand, ob und wann jemand überhaupt einen Arzt konsultiert hat.

Der Antragsteller kann sich insoweit nicht darauf berufen, der Antragsgegner habe die nicht fristgerechte Vorlage des Gutachten verschuldet, in dem er dem Gutachter mit Schreiben vom 18. Januar 2017 die zwischenzeitlich zur Fahrerlaubnisakte hinzugekommenen Unterlagen übersandte. Selbst bei Annahme des Vortrags des Antragstellers, dass dem Gutachter diese Unterlagen erst am 8. Februar 2017 zugegangen seien, wäre bis zum Ablauf der letztmaligen Verlängerung der Vorlagefrist grundsätzlich hinreichend Zeit zur Erstellung eines Gutachtens verblieben. Zwar hat der Antragsteller die mit Verfügung des Gerichts vom 20. April 2016 gestellten Fragen, ob der Antragsteller einer erneuten Einbestellung durch den Gutachter nicht nachgekommen sei und welchen Grund im Übrigen der Gutachter dem Antragsteller gegenüber dafür angegeben habe, dass das Gutachten für die am 1. Februar 2017 erfolgte Begutachtung nach wie vor nicht vorliege, nicht beantwortet. Auch ist er der Bitte um Klarstellung mit Verfügung vom 8. Mai 2017, ob der Vortrag weitergehend aufrecht erhalten werde, dass dem Antragsteller das Gutachten nicht vorliege, obwohl den zwischenzeitlich eingereichten Anlagen zu entnehmen ist, dass gegenüber dem Antragsteller jedenfalls im April 2017 sowohl Gebühren für eine gutachterliche Äußerung als auch für ein Einschreiben abgerechnet worden waren, nicht nachgekommen. So teilte der Antragsteller lediglich mit, dass der Vortrag in der Antragsschrift vom 4. April 2017 so zu verstehen ist, dass der Gutachter dem Antragsgegner das Gutachten „bis dahin“ nicht vorgelegt hat.

Dennoch ergibt sich aus dem Zusammenspiel der vorgelegten Anlagen, insbesondere aus dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16. März 2017 an den Gutachter (Anlage K 16 der Klagschrift), dass der Antragsteller einer Bitte des Gutachters, einen neuen Untersuchungstermin zu vereinbaren, bis dahin nicht nachgekommen war, obwohl er ausweislich seines eigenen Schreibens in dem beigezogenen Verwaltungsvorgang (Schreiben vom 7.3.2017 an den Gutachter, Bl. 193 des Verwaltungsvorgangs) zwischenzeitlich mit der Praxis des Gutachters im telefonischen Kontakt stand, auch, nachdem ihm offensichtlich die Aufforderung des Gutachters erreicht hatte. Vor diesem Hintergrund lässt sich mit der für das vorläufige Rechtsschutzverfahren erforderlichen, aber auch hinreichenden, überwiegenden Wahrscheinlichkeit bei vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht feststellen, dass die nicht fristgerechte Beibringung nicht dem Antragssteller zuzurechnen wäre; zumal es ihm gegebenenfalls oblegen hätte, dem Wunsch des Gutachters zu einem ergänzenden Gespräch umgehend nachzukommen oder aber andernfalls zumindest durch hinreichend aussagekräftige Belege, beispielsweise eine erneute Terminsbestimmung des Gutachters gegenüber dem Antragsgegner und dessen Zusage innerhalb der Beibringungsfrist glaubhaft zu machen, dass eine nicht fristgerechte Beibringung ausschließlich auf außerhalb seiner Einflusssphäre liegenden Umständen beruht.

Hiernach hat der Antragsteller nicht nachvollziehbar dargelegt, dass eine fristgerechte Beibringung ihm nicht möglich gewesen wäre.

Schließlich liegt hier ein besonderes Vollzugsinteresse hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis vor; dieses ist in der Wahrung der Sicherheit des Straßenverkehrs zu sehen.

Die Kostenentscheidung beruht unter Berücksichtigung des anteiligen Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten in Hinblick auf die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 und der Gruppe 2 auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Anlehnung an Nr. 46.5 in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).