Das Verkehrslexikon

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OLG Karlsruhe Urteil v. 09.07.1999 - 10 U 55/99 - Mithaftung von 20% des Beifahrers, der sich in einem Sportwagen nicht mit einem Sicherheitsgurt anschnallt

OLG Karlsruhe v. 09.07.1999: Mithaftung von 20% des Beifahrers, der sich in einem Sportwagen nicht mit einem Sicherheitsgurt anschnallt


Das OLG Karlsruhe NZV 1999, 335 ff = DAR 1999, 455 ff. (Urt. v. 09.07.1999 - 10 U 55/99) hat entschieden:
Den Beifahrer trifft ein Mitverschulden, wenn er in einem nur mit zwei Rücksitzen versehenen und demzufolge auch nur mit zwei Sicherheitsgurten ausgestatteten Pkw (Sportwagen) neben zwei weiteren Personen in der Mitte der Rückbank ohne Anschnallmöglichkeit mitfährt und bei einem Verkehrsunfall durch Herausschleudern aus dem Fahrzeug schwere Kopf- und Beckenverletzungen erleidet.


Siehe auch Sicherheitsgurt und Anschnallpflicht und Sicherheitsgurt - Tateinheit oder Tatmehrheit beim Zusammentreffen mit anderen Verstößen


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Klägerin fällt ein Mitverschulden nach §§ 9 StVG, 254 BGB zur Last, das im Ergebnis mit 20 % zu bewerten ist.

Die Haftung der Beklagten für die Folgen des Unfallereignisses vom 30.12.1992, bei dem die Klägerin erheblich verletzt wurde, steht außer Streit. Die Beklagten wenden jedoch zu Recht ein, dass die Klägerin an der Entstehung des Schaden ein Mitverschulden trifft. Die Beklagten stützen den Vorwurf der Obliegenheitsverletzung in zweiter Instanz nur noch auf den Umstand, dass die Klägerin nicht angeschnallt war. Dieser Einwand kann zwar auch von dem in Anspruch genommenen Halter oder Fahrer den Insassen des eigenen Kraftfahrzeugs entgegengehalten werden (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 3. Aufl., § 9 Rdnr. 49). Denn das Nichtanlegen eines Sicherheitsgurts stellt nach feststehender Rechtsprechung (BGH NJW 1979, 1363, BGHZ 119, 268) - auch des Senats - ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden dar, dessen Höhe von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Seit Inkrafttreten der Anschnallpflicht auf den Rücksitzen gilt dies auch, wenn auf dem Rücksitz kein Gurt benutzt wird. Der Klägerin kann jedoch ein Verstoß gegen die in § 21 a StVO normierte Gurtanlegepflicht nicht angelastet werden. Wie die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme ergeben hat, saß die Klägerin zum Unfallzeitpunkt auf der Rückbank des Pkw in der Mitte zwischen zwei weiteren Mitfahrerinnen. Unstreitig handelt es sich bei dem vom Kläger gefahrenen Unfallfahrzeug um ein sogenanntes zwei-plus-zweisitziges Coupe, das auf der Rückbank für zwei Personen zugelassen ist und auch nur zwei Personen Platz bietet. Für die beiden vorgesehenen Plätze auf der Rückbank sind zwei Sicherheitsgurte vorhanden. Der in der Mitte sitzenden Klägerin kann daher nicht der Vorwurf gemacht werden, einen vorhandenen Gurt nicht benutzt zu haben.

Die Klägerin hat sich jedoch in eine Situation begeben, in der sie erkennbar einer höheren Gefährdung ausgesetzt war. Ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn der Geschädigte gegen Vorschriften verstoßen, sondern auch dann, wenn er vorwerfbar gegen seine wohlverstandenen Interessen gehandelt hat ("Verschulden gegen sich selbst"). Es kann dahingestellt bleiben, ob es, wie die Beklagten meinen, der Klägerin zumutbar war, die anderen Beifahrer zu bitten, ihr einen Platz mit Sicherheitsgurt zu überlassen. Der von der Klägerin eingenommene Platz war kein ausgewiesener Sitzplatz in dem für vier Personen zugelassenen Sportcoupe. Die höchstzulässige Zahl der in einem Pkw zu befördernden Personen ist allerdings gesetzlich nicht bestimmt, so dass - solange andere Bestimmungen (etwa über das zulässige Gesamtgewicht) nicht verletzt sind - weder dem Beklagten Ziffer 1 noch der Klägerin ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass mehr Personen in dem Fahrzeug mitgefahren sind, als Plätze und Gurte vorhanden waren (OLG Düsseldorf VRS 50, 315; OLG Karlsruhe, VM 1981, 36; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 21 a StVO Rdnr. 9; Mühlhaus/Janiszewski, Straßenverkehrsordnung, 14. Aufl., Rdnr. 16; aA Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. § 23 StVO Rdnr. 18). Die Klägerin hat jedoch bewusst durch die Mitfahrt auf einem von der Konstruktion des Pkw nicht vorgesehenen und daher auch nicht mit einen Gurt versehenen Platz auf der Mitte der Rückbank eine Risikoerhöhung im Falle eines Unfalls in Kauf genommen, die dazu führt, dass sie eine Mitverantwortung für den Schaden in Form einer Quote tragen muss.

Unstreitig wären die Verletzungen der Klägerin deutlich geringer ausgefallen, wenn sie einen Gurt getragen hätte. Die Klägerin hat der Behauptung der Beklagten nicht widersprochen, dass die Verletzungen am Kopf und im Beckenbereich durch das Herausschleudern aus dem Fahrzeug entstanden sind. Gegen das Herausgeschleudertwerden aus dem Fahrzeug bei einem Überschlagunfall bietet gerade ein angelegter Sicherheitsgurt erhöhten Schutz.

Bei der Bemessung der Mithaftungsquote war zu berücksichtigen, dass es sich hier nicht um den typischen Fall der vorwerfbaren und sanktionsbewehrten Nichtanlegung eines vorhandenen Gurts handelt. ..."







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