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Kammergericht Berlin Urteil vom 26.09.2005 - 12 U 57/04 - Zur Feststellung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für einen verabredeten Unfall

KG Berlin v. 26.09.2005: Zur Feststellung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für einen verabredeten Unfall


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 26.09.2005 - 12 U 57/04) hat entschieden:
  
Zur Feststellung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für einen verabredeten Unfall.

Siehe auch
Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell
und
Zur vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Nach Auffassung des Gerichts liegen auch nicht ausreichend Anhaltspunkte für einen sogenannten gestellten Unfall vor. Entgegen der Auffassung des Beklagten zu 3), wonach es Sache des Klägers sei, darzulegen und zu beweisen, dass es sich bei dem schädigenden Ereignis um einen Unfall handelte, braucht der Kläger nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nur die Verursachung des Schadens durch das bei der Beklagten versicherte Kraftfahrzeug darzutun und zu beweisen (Senat, Urteile vom 7. Mai 1998 - 12 U 2685/97; vom 15. Januar 1998 - 12 U 378/97). Ferner hat der Geschädigte das Ausmaß des unfallbedingten Schadens darzulegen und zu beweisen.

Die Haftung entfällt dann, wenn in ausreichendem Maße Umstände vorliegen, die die Feststellung gestatten, dass es sich bei dem Schadensereignis um einen verabredeten Unfall gehandelt hat. In diesem Fall scheitert ein Ersatzanspruch an der Einwilligung des Geschädigten, ohne dass auf § 152 VVG abzustellen wäre. Den Nachweis dafür, dass ein vorgetäuschter Unfall vorliegt, hat grundsätzlich der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung zu führen. Doch genügt der Nachweis einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für unredliches Verhalten. Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, gestatten eine entsprechende Feststellung (BGHZ 71, 339; BGH VersR 1979, 514; OLG Hamm, NJW-RR 1987, 1239; OLG Saarbrücken, DAR 1989, 64, Senat VerkMitt 1995, 84; 1996, 51).




Im vorliegenden Fall reichen die von der Beklagten zu 3) vorgetragenen Indizien, soweit sie unstreitig bzw. bewiesen sind, nicht dazu aus, um eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für einen gestellten Unfall zu begründen.

Für einen gestellten Unfall kann sprechen, dass der Kläger in der Schadensanzeige die - reparierten - Vorschäden nicht angegeben hat.

Auch erscheint das klägerische Fahrzeug, ein Honda Accord, als geeignet für einen gestellten Unfall. Allerdings handelt es sich lediglich um ein Fahrzeug der Mittelklasse, nicht dagegen um ein älteres Fahrzeug der Luxusklasse, bei dem schon wegen der hohen Unterhaltskosten ein Motiv für das Fingieren eines Verkehrsunfalls nahe liegt.

Soweit die Beklagte zu 3) geltend macht, die Schäden an den Fahrzeugen würden nicht korrespondieren und der vom Kläger behauptete Schadenshergang sei nicht plausibel, ist dies durch das Gutachten des Sachverständigen S... widerlegt worden. Der Sachverständige hat bei seiner ergänzenden Befragung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 24. Februar 2005 ausgeführt, die am Fahrzeug des Klägers festgestellten Schäden seien eindeutig auf eine Kollision mit dem bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Ford Fiesta zurückzuführen. Auch sei der Schadenshergang plausibel. Einwendungen hiergegen hat die Beklagte zu 3) nicht erhoben.

Ihre Behauptung, der Kläger einerseits und die Beklagten zu 1) und 2) andererseits hätten sich vor dem Unfall gekannt, hat die Beklagte zu 3) weder hinreichend dargetan noch unter Beweis gestellt. Sie hat lediglich beweislos behauptet, ein Neffe des Klägers hätte mit dem Beklagten zu 1) bzw. dem Beklagten zu 2) vorübergehend in derselben Wohnung gewohnt. Selbst wenn dies zuträfe, was die Beklagte zu 3) nicht bewiesen hat, stünde damit noch nicht fest, dass sich der Kläger und die Beklagten zu 1) und 2) vor dem Unfall gekannt haben. Soweit die Beklagte zu 3) behauptet, der Beklagte zu 1) habe kein Motiv für seine Fahrt nach Berlin angeben können, trifft dies so nicht zu. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 15. Januar 2003 hat der Beklagte zu 1) auf die entsprechende Anfrage geantwortet, er sei „einfach so nach Berlin gekommen“. Dass Menschen nicht nur aus geschäftlichen Gründen oder um Verwandte zu besuchen, sondern auch „einfach so“, also offenbar aus touristischen Gründen, nach Berlin kommen, deutet aus Sicht des Gerichts noch nicht auf einen gestellten Unfall hin.

Die auf Antrag der Beklagten zu 3) beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft B... - . Ju Js .. /. (vormals Staatsanwaltschaft D..... . Js .. /. ) - enthalten keine weiteren Indizien, die auf einen gestellten Unfall schließen lassen. Das entsprechende Verfahren ist auf eine Strafanzeige der Beklagten zu 3) hin aufgenommen worden. Der Inhalt der Ermittlungsakten deckt sich im Wesentlichen mit demjenigen der hiesigen Akten. Im Übrigen beschränkt sich die Ermittlungsakte hinsichtlich des streitgegenständlichen Vorfalls lediglich auf die Einschätzung, es bestünde „der begründete Verdacht, dass das Geschehen vorher abgesprochen wurde“ (Beiakte Bl. 49), ohne dass zusätzliche Anhaltspunkte für diese Einschätzung mitgeteilt werden.

Ein - wenn auch schwaches - Indiz für einen gestellten Unfall ist darin zu sehen, dass der Kläger auf Gutachtenbasis abrechnet.




Soweit die Beklagte zu 3) auch aus vermeintlichen Widersprüchen des Klägers, des Beklagten zu 1) und des Zeugen B... hinsichtlich des Schadenshergangs auf einen gestellten Unfall schließen will, vermag das Gericht dem für den vorliegenden Fall nicht zu folgen.

Die Widersprüchlichkeit beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass die genannten Personen bei ihrer Befragung durch das Landgericht angegeben hatten, das Beklagtenfahrzeug sei in Bewegung gewesen, während der Sachverständige S... überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt hat, das Beklagtenfahrzeug müsse zum Zeitpunkt der Kollision gestanden haben oder könne sich allenfalls sehr langsam mit etwa 1 km/h rückwärts bewegt haben. Es ist indessen zu berücksichtigen, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden die Beteiligten, die auf das Unfallgeschehen - wenn es denn nicht abgesprochen war - nicht vorbereitet sind, oftmals nur Bruchteile von Sekunden zur Verfügung haben, um den Schadenshergang zu erfassen. Wahrnehmungsexperimente mit Richtern und Staatsanwälten haben ergeben, dass in einer derartigen Situation auch „unverdächtige“ Zeugen ein ihnen gezeigtes Unfallgeschehen nicht nur im Randbereich, sondern im Kerngeschehen unzutreffend wiedergegeben haben (Kirchhoff, Richter als Zeugen - Bericht über ein Wahrnehmungsexperiment, MDR 2001, 661, 664).

Wenn der Kläger und der Zeuge B... daher meinten, das Fahrzeug des Beklagten zu 1) sei noch in Bewegung gewesen, so lässt sich dies ohne weiteres auch mit einem Fehler in der Wahrnehmung oder mit einem Erinnerungsfehler erklären und muss nicht auf einen gestellten Unfall hindeuten. Dafür spricht auch, dass der Kläger einschränkend gesagt hat, der Vorgang sei „sehr schnell“ abgelaufen. Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass die Aussage des Zeugen B... keinen Anhaltspunkt dafür enthielte, dass das Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden hat. Denn der Zeuge B... hat gegenüber dem Landgericht bekundet, er habe einen Rückfahrscheinwerfer am Beklagtenfahrzeug nicht wahrgenommen.

Gegen einen gestellten Unfall spricht andererseits, dass das unfallverursachende Fahrzeug nicht typisch für einen gestellten Unfall ist, wie der Sachverständige S.... auf Seite 22 seines Gutachtens überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt hat. Wie auch dem Gericht, das geschäftsplanmäßig mit der Bearbeitung von Verkehrsunfallsachen und damit auch von sogenannten „gestellten Unfällen“ zuständig ist, bekannt ist, werden in derartigen Fällen häufig Mietfahrzeuge, gestohlene Fahrzeuge oder stark vorbeschädigte bzw. minderwertige Fahrzeuge als Schadensverursacher verwandt.

Gegen einen gestellten Unfall spricht zudem, dass die Straße an der Unfallörtlichkeit in beiden Fahrtrichtungen stark frequentiert ist und dass der Kläger, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, einen Zeitpunkt abwarten musste, zu dem kein Gegenverkehr herrschte, da andernfalls die Gefahr bestand, durch die Kollision in die linke Fahrspur abgelenkt zu werden. Auch herrscht nach den Ausführungen des Sachverständigen am Unfallort, der in einem Wohngebiet liegt, zur fraglichen Zeit (früher Nachmittag) in der Regel Fußgängerverkehr.



Weiter hätte aufgrund der relativ schmalen Fahrbahn der Britzer Straße und der rechts- und linksseitig befindlichen Barrieren im Fall eines Ausbrechens des klägerischen Fahrzeugs eine erhebliche Verletzungsgefahr bestanden. Schließlich bestand zur fraglichen Zeit die Gefahr, dass ungewünschte Zeugen auftauchen konnten.

Unter Abwägung all dieser Umstände vermag das Gericht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für einen gestellten Unfall nicht zu erkennen. ..."

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