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OLG Saarbrücken Urteil vom 20.04.2006 - 5 U 575/05 - Zur Deckungspflicht bei telefonischer Beantragung einer Vollkaskoversicherung

OLG Saarbrücken v. 20.04.2006: Zur Deckungspflicht bei telefonischer Beantragung einer Vollkaskoversicherung


Das Saarländische OLG in Saarbrücken (Urteil vom 20.04.2006 - 5 U 575/05) hat entschieden:
  1. Vermag ein Versicherungsnehmer zu beweisen, dass er bei der telefonischen Bitte um Überlassung einer Versicherungsbestätigung nach § 29 a StVZO die Absicht geäußert hat eine Vollkaskoversicherung zu beantragen, und erhält er daraufhin die Deckungskarte ohne ausdrückliche und hervorgehobene Beschränkung auf den Haftpflichtschutz, so genießt er vorläufige Deckung in der Fahrzeugvollversicherung.

  2. Ist dabei die Frage der Höhe der Selbstbeteiligung offen geblieben, so ist diese Lücke nach § 315 BGB zu schließen.

Siehe auch Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Voll- oder Teilkaskoversicherung und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Zum Sachverhalt:

Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Erstattung des Wiederbeschaffungswertes des bei einem selbstverschuldeten Verkehrsunfall vom 18.11.2004 schwer beschädigten PKW Audi A3, 1.9 TDI Ambition, amtliches Kennzeichen SB-... (Erstzulassung am 14.11.1996, Laufleistung zum Unfalltag ca. 178.000 km), den der Kläger für seinen Sohn zu einem Preis von 7500 EUR erworben hatte und für ihn versichern wollte. Weder zu einer förmlichen Stellung eines Versicherungsantrags noch gar zu dem Abschluss eines Versicherungsvertrages ist es zwischen den Parteien gekommen. Die Parteien streiten aber darüber, ob die Beklagte zur Leistung aus einer auch eine Vollkaskoversicherung umfassenden Zusage vorläufiger Deckung verpflichtet ist.

Auf eine mündliche Aufforderung des Klägers warf der Versicherungsagent der Beklagten, der Zeuge W., Anfang November 2004 eine Deckungskarte in den Briefkasten des Klägers ein. Was Gegenstand und Inhalt des dazu führenden Gesprächs war, ist zwischen den Parteien streitig.

Unter Hinweis darauf, dass auch "das Vorfahrzeug aus diesem Vertrag" teilkaskoversichert gewesen sei, hat die Beklagte auf die Schadensanzeige des Klägers vom 24.11.2004 (Bl. 12 d.A.) gemäß ihrem Schreiben vom 20.12.2004 (Bl. 76 d.A.) - kulanzhalber - lediglich den entstandenen Glasbruchschaden abgerechnet. Eine Erstattung des darüber hinaus gehenden Schadens aus einer Vollkaskoversicherung hat sie dagegen abgelehnt, weil weder ein solcher Versicherungsvertrag abgeschlossen noch eine entsprechende Zusage vorläufiger Deckung erteilt worden sei.

Der Kläger hat behauptet, den Zeugen W. am 5.11.2004 angerufen und ihn um Überlassung einer Deckungskarte für das Fahrzeug gebeten zu haben; dabei habe er dem Zeugen W. gegenüber erklärt, er wolle auch eine Vollkaskoversicherung abschließen, über die Höhe der Selbstbeteiligung müsse man bei Antragstellung noch sprechen. So sei grundsätzlich auch bei früheren Vertragsabschlüssen verfahren worden, bei denen es - unstreitig - erst Wochen bis Monate später zu einer förmlichen Antragstellung und Policierung gekommen sei. Dabei sei für sämtliche bei der Beklagten zuvor bereits versicherten Fahrzeuge zumindest eine Teilkaskoversicherung abgeschlossen worden. Alle neuwertigeren KFZ - wozu auch der nunmehr beschädigte PKW gehöre - seien durch den Kläger vollkaskoversichert worden; hinzu komme, dass der beschädigte PKW für seinen 19-jährigen Sohn bestimmt gewesen sei, der noch nicht über ausreichende Erfahrungen im Straßenverkehr verfüge, so dass auch aus diesem Grunde - ebenso wie bei einem über die Ehefrau des Klägers versicherten PKW des Patenkindes - Vollkaskoschutz beabsichtigt gewesen sei. Der Kläger habe deshalb darauf vertraut, dass auch in diesem Fall vorläufige Deckung auch für Unfallschäden bestehe. Daher sei die Beklagte zur Erstattung des an dem Fahrzeug des Klägers entstandenen (Total-) Schadens in Höhe des Wiederbeschaffungswertes verpflichtet, den der Kläger gemäß dem Schadengutachten der D. vom 25.11.2004 (Bl. 6 ff. d.A.) auf 6.900,- EUR beziffert hat.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe den Zeugen W. anlässlich eines zufälligen Treffens bei der Post um die Überlassung einer Deckungskarte gebeten, dabei aber nicht verlangt, dass für das Fahrzeug eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen werden solle.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung (Bl. 37 ff. d.A.) abgewiesen, da der Kläger weder den Nachweis einer Vereinbarung eines Vollkaskoschutzes noch den Nachweis eines schuldhaften Fehlverhaltens des Versicherungsagenten der Beklagten habe erbringen können.

Hiergegen richtete sich die überwiegend erfolgreiche Berufung des Klägers.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Kläger kann von der Beklagten Entschädigung in Höhe des erlittenen Fahrzeugunfallschadens abzüglich einer auf den Kläger entfallenden Selbstbeteiligung und des Betrages verlangen, den die Beklagte - kulanzhalber - auf der Basis einer Teilkaskoregulierung für den Glasbruchschaden bereits geleistet hat.

1. Die Beklagte hat dem Kläger vorläufige Deckung auch für den Fahrzeugunfallschaden, also für eine beabsichtigte Vollkaskoversicherung des vor Beantragung des Hauptvertrages beschädigten Kraftfahrzeugs, zu gewähren. Denn mit der Gewährung vorläufiger Deckung in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung durch die Aushändigung der Deckungskarte ist auch ein Vertrag über die Gewährung vorläufiger Deckung in der Vollkaskoversicherung zwischen dem Kläger und der Beklagten zustande gekommen.

a) Die Zusage vorläufiger Deckung führt zu einem von dem eigentlichen Versicherungsvertrag losgelösten, rechtlich selbständigen Versicherungsvertrag, der vor dem Beginn eines materiellen Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag und unabhängig von diesem einen Anspruch auf Versicherungsschutz entstehen lässt. Hiermit soll dem Versicherungsnehmer der endgültig gewünschte Versicherungsschutz schon für die Übergangszeit bis zur Entscheidung des Versicherers über die Annahme des Antrags auf Abschluss des Hauptvertrages gewährt werden; ob der endgültige Versicherungsvertrag letztlich zustande kommt oder nicht, ist dabei für die Leistungspflicht des Versicherers regelmäßig ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.1999 - IV ZR 112/98 - VersR 1999, 1274 f; Urt. v. 25.01.1995 - IV ZR 328/93 - VersR 1995, 409).

Ein solcher Vertrag über vorläufigen Deckungsschutz ist zwischen den Parteien durch die Aushändigung der Deckungskarte an den Kläger auch in der Vollkaskoversicherung zustande gekommen.

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urt. v. 14.07.1999 - IV ZR 112/98 - VersR 1999, 1274 f.; Urt. v. 19.03.1986 - IVa ZR 182/84 - VersR 1986, 541 f.) führt die Aushändigung der sogenannten Deckungskarte - der für die behördliche Zulassung des Kraftfahrzeugs benötigten Versicherungsbestätigung gemäß § 29 a StVZO - an einen Versicherungsnehmer, der einen einheitlichen Antrag auf Abschluss einer Haftpflicht- und einer Fahrzeugversicherung gestellt hat, regelmäßig dazu, dass der Versicherer auch zur Gewährung vorläufigen Deckungsschutzes in der Fahrzeugversicherung verpflichtet ist, wenn er nicht deutlich darauf hinweist, dass vorläufige Deckung nur in der Haftpflichtversicherung gewährt werde. Diese Rechtsprechung beruht darauf, dass ein derartiges Vorgehen des Versicherers bei dem Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung die Vorstellung erweckt, der Versicherer behandle die kombinierten Versicherungen im Stadium vorläufigen Deckungsschutzes einheitlich, solange dem Versicherungsnehmer nichts Gegenteiliges erklärt wird. Eine solche gegenteilige Erklärung muss eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass entgegen dem Wunsch des Versicherungsnehmers vorläufig nur das Haftpflichtrisiko gedeckt ist; allein ein formularmäßiger Hinweis auf der Deckungskarte genügt hierfür nicht (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.1999 - IV ZR 112/98 - VersR 1999, 1274 f.; OLG Köln, VersR 2002, 970 f.; OLG Frankfurt, ZfSch 2001, 21 f.). Ist mit einem Antrag auf Überlassung einer Versicherungsbestätigung das Anliegen auf Gewährung von Vollkaskoschutz verbunden, so kann es im übrigen verständiger Auslegung entsprechen, sowohl einen Antrag auf Abschluss eines Vertrages über vorläufigen Deckungsschutz in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung als auch einen solchen auf vorläufige Vollkaskodeckung anzunehmen. Die Vollkaskoschutz umfassende vorläufige Deckung ergäbe sich dann aus § 5 Abs.1-3 VVG.

Der Anwendbarkeit der Auslegungsregel steht § 1 Abs. 3 AKB nicht entgegen. Ob die AKB überhaupt für das Rechtsverhältnis gelten - die Beklagte hat sie dem Kläger auf dessen mündlichen Antrag auf Abschluss einer Kraftfahrtversicherung hin zu keinem Zeitpunkt überlassen - kann dahinstehen. Mit der Einfügung dieser Bestimmung in die AKB, wonach die Aushändigung der Versicherungsbestätigung nur für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung als Zusage einer vorläufigen Deckung gilt, haben die Versicherer die von ihnen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spätestens bei Aushändigung der Versicherungsbestätigung zu schaffenden klaren Verhältnisse nicht hergestellt. Denn allein mit dieser Bestimmung ändert sich nichts an der Vorstellung des Versicherungsnehmers von der einheitlichen Behandlung seines Antrags auf Versicherungsschutz in den beiden Versicherungssparten. Vielmehr bleibt derjenige, dem diese Bestimmung der AKB unbekannt oder nicht mehr gegenwärtig ist, unverändert schutz- und aufklärungsbedürftig und versteht die Aushändigung der Versicherungsbestätigung weiterhin auch als vorläufige Deckungszusage in der gewünschten Kaskoversicherung (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.1986 - IVa ZR 182/84 - VersR 1986, 541 f.; OLG Köln, aaO.; OLG Koblenz, aaO.).

Nach dem von den Vertragsparteien mit der vorläufigen Deckungszusage verfolgten Zweck - der endgültig gewünschte Versicherungsschutz soll schon für die Übergangszeit bis zu Entscheidung des Versicherers über die Annahme auf Abschluss des Hauptvertrages gewährt werden - setzt die von der Rechtsprechung entwickelte Auslegungsregel auch nicht voraus, dass ein verbindlicher (schriftlicher) Antrag auf Abschluss des Hauptvertrages gestellt ist. Sie greift vielmehr schon dann ein, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherer den Wunsch nach Kaskoversicherungsschutz nach dem noch abzuschließenden Hauptvertrag telefonisch (BGH, Urt. v. 19.03.1986 - IVa ZR 182/84 - VersR 1986, 541 f.) oder sonst mündlich mitgeteilt hat (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.1999 - IV ZR 112/98 - VersR 1999, 1274 f.).

c) Dass er der Beklagten, also ihrem Agenten W. gegenüber, einen solchen Wunsch geäußert hat, muss allerdings der Kläger beweisen. Das ist ihm gelungen (§ 286 ZPO).

...(wird näher ausgeführt) ...

2. Ist somit auf den einheitlichen Antrag des Klägers durch die Aushändigung der Deckungskarte zwischen den Parteien ein Vertrag über die Gewährung vorläufigen Deckungsschutzes auch in der Vollkaskoversicherung zustande gekommen, so ist die Beklagte dem Kläger gemäß §§ 12 Abs. 1 Ziff. II e, 13 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AKB dem Grunde nach zur Erstattung der notwendigen Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes verpflichtet.

a) Für die Berechnung der Entschädigung legt der Senat das von der Beklagten eingeholte Schadengutachten der D. Automobil GmbH vom 25.11.2004 (Bl. 6 ff. d.A.) zugrunde, das die Reparaturkosten mit 16.000,- EUR inkl. MwSt und den Wiederbeschaffungswert mit 6.900,- EUR inkl. MwSt angibt. Der Wiederbeschaffungswert - dabei handelt es sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 AKB um den Kaufpreis, den der Versicherungsnehmer aufwenden muss, um ein gleichwertiges gebrauchtes Fahrzeug zu erwerben - stellt gemäß § 13 Abs. 1 AKB die Höchstgrenze für den Entschädigungsanspruch des Klägers dar.

b) Auf den Betrag von 6.900,- EUR ist gemäß § 13 Abs. 9 AKB jedoch zum einen eine Selbstbeteiligung des Klägers anzurechnen. Allerdings ist von den Parteien über die Höhe der Selbstbeteiligung weder anlässlich der Vereinbarung der vorläufigen Deckung noch zu einem späteren Zeitpunkt eine Einigung erzielt worden. Ausgehend davon, dass die Parteien sich trotz dieses offenen Einigungsmangels (vgl. § 154 BGB) erkennbar vertraglich binden wollten, stellt dieser Umstand jedoch das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages nicht in Frage. Vielmehr können in einem solchen Fall zur Schließung der Einigungslücken grundsätzlich die §§ 315 ff. BGB herangezogen werden (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 02.04.1964 - KZR 10/62 - BGHZ 41, 271 ff.; Urt. v. 19.01.1983 - VIII ZR 81/82 - DB 1983, 875 f.; zur Bemessung der Prämie nach § 315 BGB vgl. OLG Celle, VersR 1976, 673 f.; OLG Düsseldorf, VersR 2000, 1355 ff.). Unter Berücksichtigung der von dem Kläger selbst bereits mit seinem vorprozessualen Schreiben vom 26.11.2004 (Bl. 43 f. d.A.) gegenüber der Beklagten erklärten Bereitschaft, bei einer Schadensregulierung eine Selbstbeteiligung von 1.000,- EUR zu akzeptieren, bestehen vorliegend keine Bedenken, die Höhe der Selbstbeteiligung nach billigem Ermessen entsprechend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil auf 1.000,- EUR festzusetzen.

c) Des Weiteren ist die von der Beklagten unstreitig kulanzhalber auf Teilkaskobasis gezahlte Entschädigung für den Glasbruchschaden in Abzug zu bringen. Nach dem Schadengutachten der D. Automobil GmbH betrug diese 1.039,24 EUR.

d) Der geltend gemachte Erstattungsanspruch des Klägers ist somit lediglich in Höhe von 4.860,76 EUR begründet (6.900,- EUR ./. 1.000,- EUR ./. 1.039,24 EUR). Das Bestehen einer möglicherweise ebenfalls in Abzug zu bringenden Prämienforderung hat die Beklagte nicht dargetan. ..."