Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Karlsruhe Urteil vom 20.07.2006 - 12 U 86/06 - Zur Deckungspflicht bei telefonischer Beantragung einer Vollkaskoversicherung

OLG Karlsruhe v. 20.07.2006: Zur Deckungspflicht bei telefonischer Beantragung einer Vollkaskoversicherung


Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 20.07.2006 - 12 U 86/06) hat entschieden:
Hat ein Versicherungsnehmer bei der telefonischen Bitte um Überlassung einer Versicherungsbestätigung nach § 29 a StVZO die Absicht geäußert eine Vollkaskoversicherung zu beantragen, und erhält er daraufhin die Deckungskarte ohne ausdrückliche und hervorgehobene Beschränkung auf den Haftpflichtschutz, so genießt er vorläufige Deckung in der Fahrzeugvollversicherung.


Siehe auch Doppelkarte / vorläufige Vollkaskoversicherung und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Zum Sachverhalt:

Am 17.04.2005 wandte sich der Kläger telefonisch an den Versicherungsagenten der Beklagten mit der Bitte, für seinen sobald wie möglich zuzulassenden Pkw BMW 316i Compact, amtl. Kennzeichen ..., Versicherungsschutz zu vermitteln und eine Doppelkarte auszuhändigen. Bei dem Fahrzeug handelt es sich um eine - vom TÜV abgenommene - Sonderversion, bei der der serienmäßig 75 kw-Motor durch einen 235 kw starken Austauschmotor ersetzt worden war. Auf Nachfrage des Versicherungsagenten gab der Kläger an, dass er außer der Haftpflichtversicherung auch eine Kfz-Vollversicherung mit einem Selbstbehalt von 300.- € wünsche. Noch am 17.04.2005 holte der Kläger die Doppelkarte ab; am Abend desselben Tages übersandte er dem Agenten der Beklagten per Fax die von ihm angeforderten Unterlagen einschließlich des Fahrzeugbriefes. Das Fahrzeug wurde am 18.04.2005 für den Straßenverkehr zugelassen. Am 25.04.2005 verlor der Kläger aus Unachtsamkeit auf nasser Fahrbahn die Herrschaft über Fahrzeug und prallte innerorts gegen einen Baum.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme (Vernehmung des Versicherungsagenten) die Deckungsklage abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgte der Kläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter. Das Landgericht habe die Aussage des Versicherungsagenten nicht zutreffend gewürdigt. Der Zeuge habe sehr wohl schon am 17.04.2005 eine vorläufige Deckung in der Kaskoversicherung zugesagt. Dies werde durch die Rückbeziehung des Versicherungsschutzes in dem später aufgenommenen schriftlichen Versicherungsantrag bestätigt, wo der Zeuge den Beginn der bedingungsgemäßen Deckung auf den 18.05.2004, d.h. den Tag nach Aushändigung der Doppelkarte, datiert habe. Unabhängig davon sei die Beklagte auch aufgrund des von ihr angenommenen Versicherungsantrages vom 28.04.2005 zu einer Erstattung des Schadens verpflichtet.

Die Berufung war erfolgreich.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den begehrten Versicherungsschutz gem. §§ 1, 49 VVG, § 12 Ziffer 1 Abs. 2 lit e, § 13 Ziffer 5, 14 AKB zu gewähren, da bei Eintritt des Versicherungsfalls vorläufige Deckung in der Fahrzeugvollversicherung bestand (a) und die Beklagte auch nicht aufgrund einer Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei ist (b).

a) Bei Eintritt des Versicherungsfalls bestand vorläufiger Deckungsschutz aus der Kfz-Vollversicherung. Die Zusage vorläufiger Deckung begründet einen von dem eigentlichen Versicherungsvertrag losgelösten, rechtlich selbständigen Versicherungsvertrag, der vor dem Beginn eines materiellen Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag und unabhängig von diesem einen Anspruch auf Versicherungsschutz entstehen lässt. Ein solcher Vertrag über vorläufigen Deckungsschutz ist zwischen den Parteien durch die Aushändigung der so genannten Doppelkarte an den Kläger am 17.04.2005 auch hinsichtlich der Fahrzeugvollversicherung zustande gekommen. Auf die Frage, ob der Versicherungsagent der Beklagten am 17.04.2005 eine vorläufig Deckung ausdrücklich zugesagt hat oder nicht, kommt es deshalb ebenso wenig an, wie auf die Frage, ob die Beklagte möglicherweise (auch) aufgrund des von ihr angenommenen Versicherungsantrages vom 28.04.2005 einstandspflichtig wäre.

Die Aushändigung der Deckungskarte - der für die behördliche Zulassung des Kraftfahrzeugs nötigen Versicherungsbestätigung gemäß § 29a StVZO - an einen Versicherungsnehmer, der einen einheitlichen Antrag auf Abschluss einer Haftpflicht- und einer Fahrzeugversicherung gestellt hat, führt regelmäßig dazu, dass der Versicherer auch zur Gewährung vorläufigen Deckungsschutzes in der Fahrzeugversicherung verpflichtet ist, falls er nicht deutlich darauf hinweist, dass vorläufige Deckung nur in der Haftpflichtversicherung gewährt werde (BGH VersR 1986, 541f, OLG Saarbrücken Urteil vom 20.04.2006, Az. 5 U 575/05). Die Aushändigung einer Doppelkarte erweckt in diesen Fällen nämlich bei einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nach der Verkehrsauffassung die Vorstellung, der Versicherer behandle die kombinierten Versicherungen im Stadium vorläufigen Deckungsschutzes einheitlich, solange dem Versicherungsnehmer nichts Gegenteiliges erklärt wird. Eine solche gegenteilige Erklärung muss eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass entgegen dem Wunsch des Versicherungsnehmers vorläufig nur das Haftpflichtrisiko gedeckt ist; ein bloß formularmäßiger Hinweis auf der Doppelkarte genügt dagegen nicht (BGH VersR 1999, 1274f; OLG Köln, VersR 2002, 970f; OLG Frankfurt, ZfSch 2001, 21f; OLG Saarbrücken aaO.). In der Sache handelt es sich damit um eine Auslegungsregel, die die Rechtsprechung für den Tatbestand entwickelt hat, dass der Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeughaftpflicht- und in der Fahrzeugversicherung gleichzeitig beantragt und daraufhin ohne einschränkenden Hinweis eine Doppelkarte ausgestellt wird. Die Anwendung dieser Auslegungsregel setzt dabei nicht voraus, dass bei Aushändigung der Doppelkarte bereits ein verbindlicher schriftlicher Antrag auf Abschluss des Hauptvertrages gestellt ist. Nach dem von den Vertragsparteien mit einer vorläufigen Deckung verfolgten Zweck, nämlich den endgültig gewünschten Versicherungsschutz für die Übergangszeit bis zur Entscheidung über die Annahme eines Antrags vorzuverlegen, greift die Auslegungsregel schon dann ein, wenn der Versicherungsnehmer dem Versicherer den Wunsch nach einer Kaskoversicherung zusätzlich zu der Haftpflichtversicherung als Bestandteil des noch abzuschließenden Hauptvertrages telefonisch oder sonst mündlich mitgeteilt hat (BGH VersR 1999, 1274 f). An dieser Auslegungsregel hat sich auch nach Einführung von § 1 Abs. 3 AKB nichts geändert, wonach die Aushändigung der zur behördlichen Zulassung notwendigen Versicherungsbestätigung als Zusage einer vorläufigen Deckung nur für die Haftpflichtversicherung gelten soll. Denn durch die Aufnahme einer solchen Bestimmung in die Versicherungsbedingungen für den erst noch abzuschließenden Hauptvertrag wird die Erwartungshaltung eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, sein Antrag werde unter den gegebenen Umständen einheitlich behandelt, nicht im Sinne dieser Klausel abgeändert (OLG Saarbrücken aaO; Prölss/Martin-Knappmann VVG 27. Aufl. (2004) Rdnr. 8).

Im vorliegenden Fall greift zugunsten des Klägers die von der Rechtsprechung entwickelte Auslegungsregel ein. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich der Kläger am 17.04.2005 telefonisch an den Zeugen H als Versicherungsagenten der Beklagten mit der Bitte wandte, für den sobald wie möglich zuzulassenden Pkw Versicherungsschutz zu vermitteln und eine Doppelkarte auszuhändigen. Der Zeuge H fragte dabei von sich aus, ob auch eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen werden solle. Der Kläger bejahte diese Frage, was zwischen den Parteien gleichfalls unstreitig ist, und wählte eine Vollversicherung mit 300.- € Selbstbeteiligung. Der Kläger holte noch am 17.04.2005 die Doppelkarte ab und übersandte am Abend desselben Tages per Fax die von dem Zeugen H im Zusammenhang mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages verlangten Unterlagen einschließlich des Fahrzeugbriefes, die dieser an die Vertriebsdirektion der Beklagten weiterleitete. Nach eigenen Angaben ging der Zeuge H dabei davon aus, dass von diesem Zeitpunkt an Deckungsschutz in der Fahrzeugvollversicherung bestehe, auch wenn er selbst keine dahin gehende Zusage erteilt habe. Dieser Aussage ist jedenfalls zu entnehmen, dass ein Hinweis, wonach der vorläufige Deckungsschutz ausschließlich auf den Bereich der Haftpflichtversicherung beschränkt sein sollte, von Seiten des Versicherungsagenten nicht gegeben wurde. Mit Aushändigung der Doppelkarte bestand deshalb vorläufiger Deckungsschutz auch in der Kaskoversicherung.

b) Dem Kläger fällt keine Obliegenheitsverletzung bei Schließung des Vertrages über die vorläufige Deckung in der Fahrzeugvollversicherung zur Last, die die Beklagte zum Rücktritt von dem Vertrag berechtigen würde, unabhängig davon, dass die Beklagte einen solchen Rücktritt nicht, insbesondere nicht fristgerecht, erklärt hätte (§ 20 Abs. 1 VVG).

Die Beklagte hat lediglich mit Schreiben vom 11.05.2005 (Anlage K 6) die Fahrzeugvollversicherung laut Versicherungsschein vom 29.04.2005 gem. § 4 AKB nach Eintritt des Schadensfalles gekündigt. Wie sich aber aus der Fahrzeugbeschreibung in dem Versicherungsschein für die Haftpflichtversicherung vom 24.05.2005 (Anlage K 8) ergibt, hatte die Beklagte jedenfalls bei Ausstellung dieses Versicherungsscheins Kenntnis von der gesteigerten Motorleistung des klägerischen Fahrzeugs. Dass von da an binnen Monatsfrist ein Rücktritt gem. §§ 16, 17, 20 VVG erklärt worden wäre, ist nicht auszumachen. Zudem fehlt es hinsichtlich der gesteigerten Motorleistung an einer Anzeigepflichtverletzung bei Schließung des Vertrages über die vorläufige Deckung (§ 16 VVG). Zwar hat der Zeuge H die Doppelkarte vor Erhalt der von ihm angeforderten Unterlagen, insbesondere des Fahrzeugbriefs, ausgehändigt, aus denen die Fahrzeugdaten und damit wichtige Details für die versicherungstechnische Einstufung des Fahrzeugs ersichtlich waren, und hatte der Kläger bei dem vorausgehenden Telefongespräch lediglich die Typenbezeichnung des Fahrzeugs angegeben, die für die Doppelkarte benötigt wurde. Dies begründet aber nach Lage der Dinge keine Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten, auch wenn der Versicherungsagent bei Aushändigung der Doppelkarte davon ausgegangen sein sollte, dass es sich bei dem Fahrzeug um ein Serienmodell mit einer Motorleistung von nur 75 kw gehandelt habe. Wenn nämlich der Versicherungsagent dem Haftpflicht- und Fahrzeugvollversicherung begehrenden Kunden eine Doppelkarte vor dem Erhalt der angeforderten Fahrzeugunterlagen aushändigt, bringt er aus Sicht des Versicherungsnehmers zugleich zum Ausdruck, dass der vorläufige Versicherungsschutz zunächst nicht von einer Auswertung der technischen Unterlagen abhängen soll bzw. vorbehaltlich einer Beanstandung nach Auswertung der Unterlagen gewährt wird. Dies entspricht auch der erkennbaren Erwartungshaltung des Versicherungsnehmers, der davon ausgeht, dass die Motorleistung seines Pkw, jedenfalls dann, wenn das Fahrzeug wie hier vom TÜV zugelassen und straßenverkehrszulassungsrechtlich unbedenklich ist, nur eine Frage der von der Versicherung zu kalkulierenden Prämienhöhe ist, regelmäßig aber der Versicherbarkeit des Fahrzeugs als solcher und damit auch der Zusage einer vorläufigen Deckung nicht entgegensteht. Hier hat der Kläger noch am 17.04.2005, wie abgesprochen, dem Versicherungsagenten der Beklagten als deren Empfangsvertreter, die für die versicherungsrechtliche Einstufung relevanten Fahrzeugdaten übermittelt, die die Beklagte dann auch dem späteren Haftpflichtversicherungsvertrag zugrunde gelegt hat. Eine Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten ist unter diesen Umständen auch hinsichtlich der vorläufigen Deckung nicht auszumachen. ..."