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OLG Hamm Urteil vom 12.12.1997 - 20 U 121/97 - Die Wildschadenklausel erfasst Schäden, die durch eine Fehlreaktion infolge des Aufpralls eingetreten sind

OLG Hamm v. 12.12.1997: Die Wildschadenklausel erfasst Schäden, die durch eine Fehlreaktion infolge des Aufpralls eingetreten sind


Das OLG Hamm (Urteil vom 12.12.1997 - 20 U 121/97) hat entschieden:
  1. Die Wildschadenklausel erfasst über Anstoßschäden hinaus auch solche Schäden, die durch eine Fehlreaktion infolge des Aufpralls eingetreten sind.

  2. Grob fahrlässiges Verhalten des Fahrers, der nicht Repräsentant ist, schadet dem Versicherungsnehmer bei einer eventuellen Fehlreaktion nicht.

  3. Bei einem grob fahrlässigen Irrtum darüber, ob die Rettungsmaßnahme für geboten gehalten werden durfte, schadet das Verhalten des jeweiligen Fahrers, auch wenn er nicht Repräsentant ist.

  4. Offen bleibt, ob insoweit nicht schon einfache Fahrlässigkeit schadet.

Siehe auch Darlegungs- und Beweislast bei Wildschäden und Rettungskosten und Stichwörter zum Thema Beweisprobleme


Zum Sachverhalt:

Der Kläger unterhält für seinen Pkw Opel Calibra bei der Beklagten u. a. eine Teilkaskoversicherung mit 300 DM Selbstbehalt. Am 13.02.1995 fuhr der Zeuge P. gegen 23.50 Uhr auf der BAB 46 mit etwa 100 km/h bei Dunkelheit und Nässe in Richtung H. Zentrum. Er behauptet, er habe einen von rechts über die Fahrbahn laufenden Hasen überfahren. Jedenfalls geriet das Fahrzeug gegen die Mittelleitplanke und erlitt dabei wirtschaftlichen Totalschaden. Die Beklagte hat die Beteiligung eines Hasen und die Schadenshöhe bestritten.

Das Landgericht hat nach Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Sch. die Klage abgewiesen, weil beide Zeugen zwar den Zusammenstoß mit einem Hasen bestätigt hätten, nach den zutreffenden Ausführungen des Sachverständigen dadurch das Fahrzeug aber nicht habe instabil werden können.

Die Berufung meint, darauf komme es nicht an. Hilfsweise macht sie den Glasbruchschaden gelten. Die Berufung hat nur wegen des Glasbruchschadens Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Nach dem Ergebnis der vom Senat teilweise wiederholten Beweisaufnahme steht fest, dass ein Hase, es mag sich auch tun ein Kaninchen gehandelt haben, an dem Unfall beteiligt war. Dies haben sowohl der Fahrer P., als auch dessen Beifahrer S. bestätigt. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die übereinstimmenden Angaben beider Zeugen erfunden sind, bestehen nicht. Solche liegen insbesondere nicht darin, dass die Polizeibeamten am Unfallort einen Hasen nicht gefunden haben. Sie haben danach auch gar nicht gesucht, obwohl die Beteiligung eines Kaninchens schon am Unfallort gegenüber den Beamten erwähnt worden ist. Die Unfallaufnahme hat ersichtlich unter den widrigen Umständen (Dunkelheit und Regen) gelitten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sieht der Senat deshalb als erwiesen an, dass ein Hase oder Kaninchen von dem Fahrzeug überrollt worden ist.

Keine Feststellungen konnte der Senat dagegen zu der Frage , treffen, ob der Zeuge P. zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit dem Tier das Steuer verrissen hat, der Anstoß des Tieres also eher zufällig erfolgt ist, oder ob der Zeuge erst: infolge des Anstoßes in einer Schreckreaktion das Steuer verrissen hat und deshalb gegen die Leitplanke geraten ist. Zwar haben beide Zeugen berichtet, das Tier vor dem Anstoß gesehen zu haben. Der Zeuge P. meinte auch, in der Fahrschule gelernt zu haben, in solchen Situationen auf das Tier zuzuhalten. Wie und warum es dann aber gleichwohl zu dem Unfall gekommen ist, konnte er jedoch nicht erklären. Seine erstinstanzliche Vermutung, das Tier müsse sich im Radkasten verfangen haben, was das Fahrzeug unlenkbar gemacht habe, ist nach dem Ergebnis des vom Landgericht eingeholten technischen Gutachtens des Sachverständigen Sch. widerlegt. Der Sachverständige hat einen, (nicht extra aus diesem Anlass, wie er mehrfach ausdrücklich betont), frisch geschossene Hasen mit einem Mittelklassefahrzeug mehrfach überfahren. Das Fahrverhalten des Fahrzeugs wird dadurch nicht berührt, wie auch sowieso zu erwarten war.

Letztlich handelt es sich bei der Darstellung des Zeugen P., auf das Tier zugehalten zu haben, aber auch nur um eine Vermutung. Es bleiben als Ursache des Unfalles die bereits oben aufgezeigten Möglichkeiten, dass der Zeuge entweder zur Vermeidung des Zusammenstoßes mit dem Tier bereits das Steuer verrissen oder dass er dies erst getan hat, als er die Schläge hörte, die das Überrollen des Tieres mit Vorder- und Hinterrad hervorgerufen hat.

2. Rechtlich ergibt sich daraus folgendes:

a) Hat der Zeuge im Anschluss an den Zusammenstoß mit dem Tier aus nicht weiter aufklärbaren Gründen das Steuer verrissen, ist die Beklagte einstandspflichtig. Der Versicherungsfall Wildunfall (§ 12 Abs. 1 I d AKB) liegt vor. Zwar ist durch das Überrollen des Tieres als solches keinerlei Schaden am Fahrzeug entstanden. Die Wildschadenklausel erfasst aber über Anstoßschäden hinaus auch solche Schäden, die durch eine Fehlreaktion infolge des Aufpralls eingetreten sind (BGH VersR 92, 349, OLG Hamm VersR 87, 1129; OLG Celle VersR 88, 1173; Landgericht Düsseldorf VersR 90, 300).

Die Beklagte ist auch nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles bzw. der Schadenfolgen des Versicherungsfalles leistungsfrei (§ 61, 62 Abs. 2 WG). Zwar dürfte das Verhalten des Zeugen P. als grob fahrlässig einzustufen sein. Der Zeuge durfte, nachdem er das Tier ohne Schaden für das Fahrzeug und ohne dass dies instabil geworden wäre, überrollt hatte, nicht das Steuer verreißen. Beim Überrollen eines Kleintieres besteht kein Anlass zu einer solchen Reaktion (so BGH VersR 97, 351 <352> für das Ausweichen vor einem solchen Tier). Letztlich kann dies aber unentschieden bleiben.

Denn jedenfalls wäre ein solches Verhalten des Zeugen dem Kläger nicht zurechenbar. Er ist als Schwager des Klägers, der sich das Fahrzeug ausgeliehen hatte, Weitergehendes ist nicht vorgetragen, kein Repräsentant. Sowohl in den Fällen des § 61 VVG als auch in den Fällen des § 62 VVG schadet dem Versicherungsnehmer nur eigenes Verhalten und das Verhalten derjenigen Personen, das er sich versicherungsrechtlich zurechnen lassen muss. Die Beklagte wäre mithin einstandspflichtig.

b) Soweit der Zeuge P. zur Vermeidung des Zusammenstoßes mit dem Tier das Steuer verrissen hat und deshalb gegen die Leitplanke geraten ist, kann eine Ersatzpflicht der Beklagten nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Rettungskosten in Betracht kommen (§ 63 VVG). Dass das Tier im Ausweichvorgang noch berührt worden ist, ändert daran nichts. Insoweit ist kein Schaden eingetreten. Der tatsächlich geltend gemachte Schaden beruht nicht auf der Berührung des Tieres, sondern auf der zuvor vorgenommenen Ausweichbewegung.

Einer Erstattungspflicht der Beklagten steht nicht schon entgegen, dass der Zeuge P. als Dritter nicht Adressat der Rettungsobliegenheit des § 62 VVG ist. Die Erstattung von Rettungskosten kommt auch dann in Betracht, wenn dem Dritten keine Rettungspflicht obliegt (BGH VersR 91, 459 <460>).

Der Zusammenstoß mit Wild hat unmittelbar bevorgestanden. Die Rettungskosten sind auch objektiv, subjektiv muss das nicht bezweckt sein, zu dem Zweck aufgewendet worden, das versicherte Risiko nicht eintreten zu lassen (BGH VersR 97, 351). Dafür, dass hier die Abwendung des versicherten Schadens lediglich eine Reflexwirkung einer aus anderen Gründen eingeleiteten Rettungshandlung war (BGH VersR 94, 1181), bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte.

Allerdings war die Rettungsmaßnahme weder objektiv geboten noch durfte sie der Zeuge P. den Umständen nach für geboten halten (§ 63 Abs. 1 S. 1 VVG). Ob dem Versicherungsnehmer insoweit nur ein grob fahrlässiger Irrtum über die Erforderlichkeit der Rettungsmaßnahme schadet, wie die herrschende Meinung für richtig hält (Nachweise bei BGH VersR 97, 351 unter 2 b), kann auch der erkennende Senat dahinstehen lassen. Denn aus den Gründen des vorerwähnten Urteils des Bundesgerichtshofes ist auch das Verhalten des Zeugen P., was keiner weiteren Ausführung bedarf, als grob fahrlässig einzustufen.

Die Entschädigungspflicht der Beklagten hängt deshalb nur davon ab, ob dem Kläger - anders als in den Fällen der §§ (61, 62 VVG - über eigenes grob fahrlässiges Verhalten und das Verhalten von Repräsentanten hinaus auch das Verhalten sonstiger Dritter zuzurechnen ist. Die Frage wird von Römer in Römer-Langheid (VVG, 1997, § 63 Rnr. 8) verneint, von Voit in Prölss-Martin, (VVG, 25. Aufl., § 63 Anmerkung 2 a, OLG Schleswig r + s 91, 11/13) und im folgenden Stange (Rettungsobliegenheiten und Rettungskosten im Versicherungsrecht VVW, 1995, S. 158) bejaht. Im übrigen hat die Frage, soweit bekannt, in Rechtsprechung und Literatur bislang keine Beachtung gefunden.

Nach Auffassung des Senates schadet bei Rettungsmaßnahmen auch das Verhalten eines nicht als Repräsentant einzustufenden Fahrers, sofern dieser die Aufwendungen nicht den Umständen nach für geboten halten durfte. Es geht hier nicht darum, wie sonst regelmäßig bei Fragen der Zurechnung des Repräsentantenhandelns, ob ein eingetretener Versicherungsfall wegen des Verhaltens eines beliebigen Dritten nicht entschädigungspflichtig ist. Fragekern ist vielmehr, ob die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage § 63 Abs. 1 S. 1 VVG erfüllt sind. Schon nach seinem Wortlaut gewährt das Gesetz eine Entschädigung nur, wenn die Rettungshandlung entweder objektiv geboten war oder den Umständen nach jedenfalls für geboten gehalten werden durfte. Wenn die Erstattungspflicht über Rettungshandlungen des im Gesetz ausdrücklich erwähnten Versicherungsnehmers hinaus auch auf Rettungshandlungen Dritter ausgedehnt wird (so überzeugend BGH VersR 91, 459), müssen die gesetzlichen Voraussetzungen auch in der Person des Dritten erfüllt sein. Das Gesetz lässt eine Auslegung dahin, dass auch völlig sachwidrige Rettungshandlungen Dritter ersatzpflichtig sind, nach Auffassung des Senates nicht zu.

Entscheidend für eine solche Auslegung spricht auch der Kontext zu § 670 BGB. Die Voraussetzungen beider Vorschriften, auch nach § 670 BGB sind Aufwendungen, die der Auftragnehmer den Umständen nach für erforderlich halten darf, zu ersetzen, unterscheiden sich nur in ihrem Wortlaut (geboten/erforderlich), nicht aber der Sache nach. Bei beiden Vorschriften ist ein subjektiv-objektiver Maßstab zum Zeitpunkt der Erbringung der Aufwendungen anzulegen. Beide Vorschriften, nicht anders als § 683 BGB für die Geschäftsführung ohne Auftrag, sind Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, dass ein Dritter, auch soweit er dazu nicht verpflichtet ist, Aufwendungen, die er im Interesse eines Dritten erbringt, ersetzt verlangen kann, wenn er diese den Umständen nach für geboten halten durfte. Nur aus diesem Rechtsverständnis, und nicht schon mit versicherungsvertragsrechtlichen Überlegungen, ist auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (VersR 91, 459) gerechtfertigt, dass auch die Rettungshandlung eines Dritten, dem keine Rettungspflicht nach 62 VVG obliegt, unter den Voraussetzungen des 63 VVG erstattungspflichtig ist.

Eine andere Auffassung würde auch zu unausräumbaren Wertungswidersprüchen führen: Wenn der Dritte, etwa in der Feuerversicherung, ein Feuer mit seinem eigenen Mantel löscht, besteht ein vom Versicherer dem Versicherungsnehmer zu erstattender Schaden nur unter der Voraussetzung, dass letzterer einem Anspruch aus 683, 670 BGB ausgesetzt ist, also dann, wenn der Dritte die Aufwendungen den Umständen nach für erforderlich halten durfte.

Es wäre schlechthin unerklärlich, wenn der Versicherer Aufwendungsersatz selbst bei grober Fahrlässigkeit des Dritten leisten müsste, wenn dieser nicht seinen Mantel sondern Rettungsmittel des Versicherungsnehmers für das Löschen des Feuers benutzt hätte.

Ob der Ausschluss des Ersatzes von Rettungskosten, was der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 18.12.1996 offen gelassen hatte, nur auf die Fälle grob fahrlässiger Verkennung der Erforderlichkeit der durchgeführten Rettungsmaßnahme beschränkt ist, was nach den vorstehenden Ausführungen zweifelhaft ist, kann dahinstehen. Jedenfalls kann das grob fahrlässige Verhalten eines Dritten, auch wenn dieser nicht Repräsentant ist, einen solchen Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers nicht begründen.

Den Nachteil der Unaufklärbarkeit dessen, dass dem Schaden ein vom Versicherer auszugleichender Vorgang zugrundeliegt, muss der Kläger tragen.

3. Ersatzpflichtig ist allerdings der Glasbruchschaden (§ 12 Abs. 2 AKB). Der Versicherungsfall liegt unstreitig vor. Insoweit ist die Beklagte nicht wegen grober Fahrlässigkeit des Zeugen P. frei geworden. In einem eingetretenen Versicherungsfall muss der Versicherungsnehmer sich nur das grob fahrlässige Verhalten ihm versicherungsrechtlich zurechenbarer Personen zurechnen lassen. Dazu gehört der Zeuge P., wie bereits erwähnt, nicht. ..."