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Kammergericht Berlin Urteil vom 17.12.1990 - 12 U 960/90 - Zum Schneiden beim paarweisen Nebeneinander-Abbiegen

KG Berlin v. 17.12.1990: Zum Schneiden beim paarweisen Nebeneinander-Abbiegen aus zwei Fahrspuren




Besonders im Großstadtverkehr, wo oft gleich nach einem engen Abbiegen der erste Fahrstreifen (rechts durch parkende Fahrzeuge oder links durch wartende Linksabbieger) besetzt ist, kann also der eng Abbiegende sofort in den jeweils daneben befindlichen Fahrstreifen "wechseln", ohne auf einen in weitem Bogen parallel zu ihm ebenfalls Abbiegenden Rücksicht nehmen zu müssen.

So hat z.B. das Kammergericht Berlin (Urteil vom 17.12.1990 - 12 U 960/90) festgestellt:

   Der Kraftfahrer, der sich zuerst rechts eingeordnet hat und rechts abbiegt, ohne daß Fahrstreifen für Rechtsabbieger markiert bzw. vorhanden sind, ist berechtigt, auf den ersten freien Fahrstreifen der Straße einzufahren, in die er abbiegt. Wenn er hieran durch einen parallel mit ihm abbiegenden Verkehrsteilnehmer behindert wird, hat letzterer den gesamten Unfallschaden zu tragen.

Siehe auch
Nebeneinander Abbiegen aus mehreren Fahrstreifen
und
Stichwörter zum Thema Abbiegen

Zum Sachverhalt:


Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am ... gegen 16.25 Uhr in ... auf dem Einmündungsbereich K ereignete.

Der genannte Einmündungsbereich ist ausweislich des vom Senat beigezogenen amtlichen Lageplans so gestaltet, daß der Verkehr aus der 9 m breiten ..., auf der Fahrstreifen nicht markiert sind, nicht in nördlicher Richtung weiterfahren oder nach links, sondern wegen eines durchgehenden breiten Mittelstreifens auf der ... nur nach rechts in östlicher Richtung weiterfahren kann. Unmittelbar östlich der aus drei - markierten - Fahrstreifen bestehenden südlichen Richtungsfahrbahn der ... befindet sich eine Lichtzeichenanlage für eine Fußgängerfurt.

Zu der angegebenen Zeit hielt Frau ... mit dem Personenkraftwagen ... ihres Ehemannes, des Klägers, am östlichen Fahrbahnrand der ... im Einmündungsbereich, weil die genannte Lichtzeichenanlage rotes Licht abstrahlte. Links neben ihr hielt der Beklagte zu 1) mit dem vom Beklagten zu 2) gehaltenen Kehrichtsammelwagen ... der B S B aus demselben Grunde. Als die Ampelanlage für den Verkehr auf der südlichen Richtungsfahrbahn der ... grünes Licht abzustrahlen begann, setzten Frau ... und der Beklagte zu 1) gleichzeitig die von ihnen geführten Fahrzeuge in Bewegung und bogen nach rechts ab. Hierbei gedachte Frau ..., auf den mittleren Fahrstreifen zu gelangen, weil unmittelbar hinter der genannten Lichtzeichenanlage auf dem ersten, rechten Fahrstreifen der ... Fahrzeuge abgestellt waren. Im Bereich dieses mittleren, zweiten Fahrstreifens berührten sich die beiden Fahrzeuge der Parteien. Hierbei wurde ausweislich der polizeilichen Verkehrsunfallmeldung vom selben Tage der Personenkraftwagen des Klägers am vorderen Kotflügel links, am Blinker und Scheinwerfer beschädigt. Am Lastkraftwagen des Beklagten zu 2) wurde die rechte Beifahrertür eingedrückt; es blieben Schrammen auf der rechten Seite des Kabinenaufbaus zurück.




Aus den Entscheidungsgründen:


... Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Beklagte zu 2) dem Kläger den gesamten Schaden aus dem Unfallereignis vom ... zu ersetzen und damit weitere 1.022,95 DM zu zahlen. Die Haftung des Beklagten zu 2) als Halter des Fahrzeuges der ... sowie für das fahrlässige, für den Schaden des Klägers ursächliche Verhalten des Beklagten zu 1) ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG, ferner aus § 839 BGB in Verbindung mit Art 34 GG sowie aus § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 PflVG. Wenngleich sich nicht feststellen läßt, daß der Unfall für die Ehefrau des Klägers ein unabwendbares Ereignis darstellte (vgl. § 7 Abs. 2 StVG), führt das Ausmaß des Verursachungsanteils und des Verschuldens des Beklagten zu 1) unter Berücksichtigung der vom Lastkraftwagen ausgehenden Betriebsgefahr zur uneingeschränkten Haftung des Beklagten zu 2) (§ 17 Abs. 1 StVG), weshalb ihm seinerseits kein Ersatzanspruch gegen den Kläger zusteht, deshalb seine hilfsweise Aufrechnung (§§ 387, 389 BGB) mangels Forderung nicht durchgreift. Hierzu ist folgendes hervorzuheben:

Es kann dahinstehen, ob von der ... aus ein paarweises Rechtsabbiegen möglich oder üblich ist. Weil der Beklagte zu 1) sich mit dem Lastkraftwagen links neben dem Fahrzeug des Klägers befand, sich also entgegen der Regel des § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO nicht möglichst weit rechts eingeordnet hatte, traf ihn gegenüber dem von der Ehefrau des Klägers geführten Personenkraftwagen eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Er mußte es deshalb sorgfältig beobachten, durfte es nicht behindern, in Bedrängnis bringen oder gefährden und notfalls den Vortritt lassen (vgl. KG VRS 69, 305, 306; Jagusch / Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl., StVO § 9 Rdn. 27; Drees /Kuckuk /Werny, Straßenverkehrsrecht, 6. Aufl., StVO § 9 Rdn. 12). Diese Pflicht ergibt sich zusätzlich aus § 1 Abs. 2 StVO. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn von der A Straße in die ... zwei Abbiegespuren nach rechts markiert gewesen wären, die dort in den ersten und zweiten Fahrstreifen münden würden. Eine solche Situation ist jedoch vorliegend nicht gegeben.


Somit hatte der Beklagte zu 1) von vornherein die Fahrweise der Ehefrau des Klägers sorgfältig zu beobachten und ihr stets den Vortritt zu lassen. Auch den unstreitigen Umständen ist nichts anderes zu entnehmen. So setzten beide die von ihnen geführten Fahrzeuge von der ... aus zur selben Zeit in Bewegung, als die Lichtzeichenanlage für die ... grünes Licht abzustrahlen begann. Auch dem Beklagten zu 1) war nach dem Vorbringen des Beklagten zu 2) nicht entgangen, daß in der ... hinter der Lichtzeichenanlage auf dem ersten Fahrstreifen Fahrzeuge abgestellt waren. Deshalb konnte er sich von vornherein nicht der Einsicht verschließen, daß die Ehefrau des Klägers ihre Fahrt auf dem mittleren Fahrstreifen fortsetzen werde. Er war nicht berechtigt, ihr diesen Vorrang zu nehmen. Als sie sich zum mittleren Fahrstreifen hin orientierte, führte sie entgegen der Ansicht des Landgerichts keinen unachtsamen Wechsel des Fahrstreifens im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO aus. Dem steht bereits entgegen, daß der Beklagte zu 1) sich noch nicht auf dem mittleren Fahrstreifen eingeordnet hatte, also nicht zum fließenden Verkehr auf diesem Fahrstreifen gehörte. Demzufolge kann die Ehefrau des Klägers ferner nicht darauf verwiesen werden, daß sie sich den Regeln des sogenannten Reißverschlussverfahrens hätte unterordnen müssen. Schließlich ergibt sich nichts anderes daraus, daß der Beklagte zu 2) erstmals im Berufungsverfahren geltend macht, die Ehefrau des Klägers hätte auch hinter der Lichtzeichenanlage noch ein Stück auf dem ersten Fahrstreifen fahren können. Denn diese Behauptung erscheint unsubstantiiert, weil bislang die Parteien übereinstimmend davon ausgegangen sind, daß unmittelbar hinter der Lichtzeichenanlage der erste Fahrstreifen besetzt war. Zudem erläutert der Beklagte zu 2) nicht die Länge des angeblichen freien Stücks, weshalb es bei der Feststellung bleibt, daß der Beklagte zu 1) voraussehen und erkennen mußte, daß die Ehefrau des Klägers ihre Fahrt vernünftigerweise nur auf dem mittleren Fahrstreifen fortsetzen konnte. Dem hatte der Beklagte zu 1) uneingeschränkt Rechnung zu tragen.




Somit trifft die Ehefrau des Klägers kein Mitverschulden, für welches der Kläger einzustehen hätte. Entsprechendes ist ferner nicht der Art der Beschädigungen an beiden Fahrzeugen zu entnehmen. Denn wenngleich es hiernach vorstellbar ist, daß die Ehefrau mit dem Personenkraftwagen des Klägers vorn links gegen den Lastkraftwagen des Beklagten zu 2) geraten ist, bleibt von entscheidender Bedeutung, daß dies auf dem mittleren Fahrstreifen der ... geschah. Auf diesen Fahrstreifen fuhr sie berechtigt ein. Hierbei hat der Beklagte zu 1) sie unberechtigt und nicht voraussehbar behindert.

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