Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Kammergericht Berlin Beschluss vom 03.08.1998 - 1 Ss 114/98 - Ob eine Schadensverursachung durch einen rollenden Einkaufswagen ein Unfall ist bleibt offen

KG Berlin v. 03.08.1998: Das Berufungsgericht muss im Rahmen der vollen Überprüfung eines Urteils auch prüfen, ob eine Beschädigung durch einen selbständig rollenden Einkaufswagen überhaupt ein Unfall im Sinne des § 142 StGB ist




Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 03.08.1998 - 1 Ss 114/98) hat entschieden:

   Das Berufungsgericht muss im Rahmen der vollen Überprüfung eines Urteils auch prüfen, ob eine Beschädigung durch einen selbständig rollenden Einkaufswagen überhaupt ein Unfall im Sinne des § 142 StGB ist.

Siehe auch Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung und Der rollende Einkaufswagen

Gründe:


Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Angeklagte wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 75,00 DM und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 115,00 DM verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung der Angeklagten verworfen, wobei es davon ausgegangen ist, dass das Rechtsmittel wirksam auf die Verurteilung wegen Unfallflucht beschränkt war. Die Revision der Angeklagten beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts; insbesondere wird geltend gemacht, dass die Berufung fehlerhaft als beschränkt behandelt worden sei. Die Revision hat (vorläufig) Erfolg.

1. Die auf die Sachrüge schon von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob die Berufung beschränkt worden ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Gossner, StPO 43. Aufl., § 318 Rdn. 33), ergibt, dass das Landgericht dem Schriftsatz des Verteidigers vom 23. Dezember 1997 zu Unrecht eine wirksame Berufungsbeschränkung entnommen hat.




a) Wie die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht in ihrer Stellungnahme zu der Revision zutreffend ausgeführt hat, ist die Rechtsmittelbeschränkung nur zulässig, wenn sie dem Berufungsgericht die Möglichkeit lässt, den angefochtenen Urteilsteil, losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt, selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen (vgl. BGHSt 24, 185, 187). Dass bestimmte Tatsachen sowohl für die schuldhafte Herbeiführung des Unfalls als auch für das anschließende unerlaubte Entfernen vom Unfallort von Bedeutung sind, steht der selbständigen Prüfung einer der Taten noch nicht entgegen (BGH aaO S. 189). Jedoch darf die Entscheidung als Ganzes in sich nicht widersprüchlich sein, und das Rechtsmittelgericht ist infolgedessen bei einer Beschränkung an die auch für den nicht angegriffenen Teil der Vorentscheidung bedeutsamen Tatsachen, wie sie in der Vorinstanz festgestellt worden sind, gebunden (BGH aaO S. 188). Beanstandet ein Verfahrensbeteiligter nur den Urteilsspruch wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, ohne sich gegen die zum Unfallhergang getroffenen Feststellungen zu wenden, so muss er es hinnehmen, dass bei der Untersuchung, ob und unter welchen Umständen er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt hat, diese rechtskräftigen Feststellungen zugrunde gelegt werden.

b) Die Anwendung dieser Grundsätze führt entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht nicht dazu, dass im vorliegenden Fall von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen werden kann. Denn die eingehende Begründung der Beschränkung "auf die Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort" in dem genannten Verteidigerschriftsatz ergibt, dass die Angeklagte die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Unfallhergang keineswegs uneingeschränkt hinnehmen wollte. Das Amtsgericht hat es nach den Ausführungen in seinem Urteil als erwiesen angesehen, dass der von der Angeklagten nicht gegen ein Wegrollen gesicherte Einkaufswagen gegen die Heckklappe des Ford Fiesta ... prallte und an diesem Fahrzeugteil eine Eindellung (Fremdschaden: 1.043,00 DM) verursachte; dabei entstand ein Aufprallgeräusch, das die Aufmerksamkeit der etwa 5 bis 10 m entfernten Zeugin S. erregte. Demgegenüber führt die Verteidigung in dem genannten Schriftsatz u.a. aus, mit großer Wahrscheinlichkeit habe die Zeugin eine klappende Autotür gehört und nur in ihrer Vorstellung das Geräusch mit dem "möglichen" Aufprall des Einkaufswagens verbunden. Die Angeklagte habe einen Aufprall weder gehört noch gesehen. Sie habe sich entgegen der Urteilsbegründung auch nicht dahin eingelassen, dass sie den Zusammenstoß einräume, sondern dies nur als Möglichkeit erkannt und daher angegeben, dass sie eine "Berührung" nicht ausschließen könne. In Anbetracht dieser Formulierungen ist nicht mit der für eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung erforderlichen Klarheit (vgl. Kleinknecht/Meyer-Gossner, § 318 StPO Rdn. 2) erkennbar, dass die Angeklagte die Feststellungen zur Verursachung und zum Umfang des Schadens als bindend anerkennen und - wie die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht meint - nur noch geltend machen wollte, sie habe den Anprall nicht bemerkt. Die Überzeugungskraft der letztgenannten Einlassung hängt im übrigen gerade auch entscheidend von dem Ablauf des Unfallgeschehens ab. Schon deshalb begegnet die Annahme, die Angeklagte habe insoweit für die Berufungsinstanz auf neue Feststellungen verzichten wollen, durchgreifenden Bedenken.

2. Infolge der rechtsfehlerhaften Annahme der Beschränkung der Berufung hat das Landgericht keine eigenen Feststellungen darüber getroffen, ob ein "Unfall" im Sinne von § 142 StGB vorlag, und die diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts als rechtskräftig und für die Kammer bindend angesehen. Dieser Mangel nötigt dazu, das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum