Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgerichtshof München Beschluss vom 28.01.2019 - 11 C 18.2530 - Intendiertes Ermessen bei der Anordnung eines Gutachtens

VGH München v. 28.01.2019: Zum sog. intendierten Ermessen bei der Anordnung eines Gutachtens zur Behebung von Fahreignungszweifeln


Der Verwaltungsgerichtshof München (Beschluss vom 28.01.2019 - 11 C 18.2530) hat entschieden:

  1.  Hinreichende Erfolgsaussichten für einen PKH-Antrag liegen nicht erst vor, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs gewiss ist, sondern es reicht aus, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Obsiegen ebenso in Frage kommt wie ein Unterliegen. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht dürfen dabei nicht überspannt werden.

  2.  Einerseits besteht die Auffassung, in bestimmten Situationen sei das in § 11 FeV eröffnete Ermessen intendiert und damit Ermessenserwägungen nur erforderlich, wenn besondere Umstände vorliegen. Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen.

  3.  Ob angesichts der Begründungspflichten aus § 11 Abs. 6 FeV und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (U.v. 17.11.2016 a.a.O) im Rahmen des § 11 FeV von einem intendierten Ermessen ausgegangen werden kann, erscheint aber durchaus fraglich.

  4.  Geht man gleichwohl von einem intendierten Ermessen aus, dann hätte die Fahrerlaubnisbehörde aber darauf verweisen müssen, dass deshalb keine weiteren Erwägungen erforderlich sind. Die Figur des intendierten Ermessens wird unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als nicht unproblematisch angesehen, weshalb bei der Annahme grundsätzlich Zurückhaltung geboten ist


Siehe auch
Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht
und
Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Gründe:


I.

Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe sowie Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten für eine Klage gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen A, B, BE, C1, C1E, CE79 (C1E > 12.000 kg, L ≤ 3), M und L.

Im Jahr 2011 brachte die Klägerin auf Anordnung der Beklagten ein psychiatrisches Gutachten vom 5. Juli 2011 bei. Damit wurde festgestellt, dass die Klägerin unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung, einem Hypophysenadenom, einer generalisierten Epilepsie, einer chronischen Nierenerkrankung Stadium 2 und einer mittelgradigen depressiven Episode leide, gleichwohl aber in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden. Auflagen oder Nachuntersuchungen wurden nicht empfohlen. Daraufhin schloss die Beklagte das damalige Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung der Klägerin ab.

Mit Ereignismeldung vom 7. Oktober 2016 meldete die Polizeiinspektion N...-​... der Beklagten, dass die Klägerin am 6. Oktober 2016 untergebracht werden musste. Sie habe auf die Streife einen desorientierten Eindruck gemacht, teilnahmslos gewirkt und ein Gespräch verweigert. Sie sei im Klinikum N...-​... mit Fixierungen an beiden Armen festgestellt worden und habe beim vorübergehenden Lösen der Fixierungen umgehend versucht, sich Verletzungen an ihrem Körper zuzufügen.

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 forderte die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf das Gutachten vom 5. Juli 2011 und den Vorfall vom 6. Oktober 2016 auf, bis spätestens 20. Dezember 2016 ein Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation beizubringen. Es sei zu klären, ob bei der Klägerin eine psychische Erkrankung (multiple Persönlichkeitsstörung, affektive Psychose) vorliege, die die Fahreignung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV in Frage stelle oder ob sie trotz einer solchen Erkrankung fahrgeeignet sei. Unter Würdigung der Sachlage bestünden erhebliche Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, die gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV nur durch ein fachärztliches Gutachten der Richtung Psychiatrie ausgeräumt werden könnten.




Die Klägerin teilte am 9. Februar 2017 mit, sie sei aufgrund einer Verletzung zunächst in Behandlung im Klinikum N...-​... gewesen und unmittelbar im Anschluss in der psychiatrischen Klinik in E.... Sie sei dort vom 6. bis 24. Oktober 2016 und vom 26. Oktober bis 4. November 2016 stationär untergebracht gewesen. Tagesklinisch sei sie dort noch am 4., 5. und 6. November 2016 versorgt worden. Vom 6. bis 7. November 2016 und vom 9. bis 10. November sowie vom 11. bis 23. November 2016 sei sie wieder stationär untergebracht gewesen. Am 25. und 29. November sowie am 2. und 6. Dezember 2016 sei sie tagesklinisch versorgt worden. Vom 9. bis 10. Dezember 2016 und vom 13. bis 14. Dezember 2016 sei sie erneut stationär aufgenommen gewesen. Am 16. und 20. Dezember 2016 sei sie tagesklinisch versorgt worden. Vom 27. Januar bis 7. Februar 2017 sei sie wieder stationär behandelt worden. Seit 8. Februar 2017 befinde sie sich erneut in stationärer Behandlung. Sie habe nur sich selbst aber keine Dritten gefährdet. Der stationäre Aufenthalt diene nur der Wundheilung. Die Selbstgefährdung stehe in keinem Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs.

Mit Bescheid vom 10. Februar 2017 entzog die Beklagte der Klägerin die Fahrerlaubnis aller Klassen und verpflichtete sie, ihren Führerschein binnen drei Tagen nach Zustellung des Bescheids abzuliefern. Zur Begründung führt die Beklagte aus, die Klägerin habe das zu Recht verlangte Facharztgutachten nicht vorgelegt und es sei daher von ihrer Fahrungeeignetheit auszugehen.

Mit Schreiben vom 22. Februar 2017 teilte das Klinikum am E... mit, dass die Klägerin sich noch immer in stationärer Behandlung befinde. Sie habe erst jetzt erfahren, dass sie ihren Führerschein abgeben müsse. Am 24. Februar 2017 gab sie den Führerschein bei der Beklagten ab.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Februar 2017 hat die Regierung von Mittelfranken mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2017 zurückgewiesen. Die Beklagte habe der Klägerin zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen. Das Gutachten vom 5. Juli 2011 sei nicht ausreichend, um die Fahreignung der Klägerin zu belegen. Dass die Klägerin nicht in der Lage sei, ein weiteres Gutachten zu finanzieren, führe zu keiner anderen Beurteilung.

Über die Klage gegen den Bescheid vom 10. Februar 2017 hat das Verwaltungsgericht Ansbach noch nicht entschieden. Mit der Klageschrift legte die Klägerin einen Bericht der Klinik am E... vom 23. November 2016 vor. Danach war die Klägerin schon über 40 Mal stationär aufgenommen, zuletzt vom 18. bis 19. September 2016.

Den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessvertreterin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Oktober 2018 abgelehnt. Die tatbestandlichen Anknüpfungspunkte des § 11 Abs. 2 FeV seien unzweifelhaft gegeben. Die ärztliche Feststellung vom 5. Juli 2011 sei zum maßgeblichen Zeitpunkt schon fünf Jahre alt gewesen. Die Selbstgefährdung sei eine neue Tatsache, die die Anordnung eines Gutachtens erforderlich mache. Die Gutachtensbeibringung sei auch rechtmäßig und anlassbezogen. Es sei ihr zwar nicht zu entnehmen, dass die Beklagte das eingeräumte Ermessen ausgeübt habe, doch es sei nicht zu erkennen, welche weniger belastenden Maßnahmen die Beklagte hätte ergreifen können. Bei akuten Psychosen sei eine Fahreignung nicht gegeben. Da damit gewichtige Eignungsbedenken vorgelegen hätten, sei das Entschließungsermessen auf Null reduziert gewesen und es bestehe kein Anlass zu weiteren Ermessenserwägungen. Die Klägerin habe auch keine möglichen weniger einschneidenden Maßnahmen genannt. Auch die Fragestellung sei nicht zu beanstanden. Dass die Klägerin sich eine Begutachtung finanziell nicht leisten könne, führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Zwar sei in der Rechtsprechung geklärt, dass die mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit unter bestimmten Umständen dazu führen könne, dass der Schluss auf die Nichteignung bei Nichtvorlage eines Gutachtens nicht in jedem Fall gezogen werden könne. Die Klägerin habe aber diesbezüglich der Beibringungslast nicht genügt.

Gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe hat die Klägerin Beschwerde erhoben. Sie trägt vor, im Rahmen der Prüfung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe dürfe keine einem Urteil gleichstehende Prüfung der Rechtslage erfolgen. Das Verwaltungsgericht habe die Entscheidung über die Klage vorweggenommen. Gerade die Argumentation zur Frage des Nachweises mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit sei nicht nachvollziehbar.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.





II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Klägerin ist für das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihre Prozessvertreterin beizuordnen (§ 121 Abs. 1 ZPO), da sie gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten der Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussichten auf Erfolg bietet.

Hinreichende Erfolgsaussichten liegen nicht erst vor, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs gewiss ist, sondern es reicht aus, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Obsiegen ebenso in Frage kommt wie ein Unterliegen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn 26). Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht dürfen dabei nicht überspannt werden (BVerfG, B.v. 5.12.2018 – 2 BvR 2257/17 – juris Rn. 14; B.v. 5.12.2018 – 2 BvR 1122/18 u.a. – juris Rn. 12; B.v. 18.9.2017 – 2 BvR 451/17 u.a. – NVwZ 2018, 319 Rn. 11).

Hier besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Obsiegen der Klägerin, denn es stellt sich die Frage, die im Hauptsacheverfahren noch zu klären sein wird, ob die Beklagte überhaupt erkannt hat, dass Ermessen auszuüben ist. Sollte dies zu bejahen sein, erscheint fraglich, ob die Ausübung des Ermessens in der Begutachtungsanordnung vom 18. Oktober 2016 den gesetzlichen Vorgaben und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht (vgl. U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 36 ff.).

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, sind in der Gutachtensanordnung keinerlei Ausführungen zum Ermessen enthalten. Zur Erforderlichkeit einer Begründung der Ermessensentscheidung bei der Anordnung einer Begutachtung im Rahmen des § 11 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnisverordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Ansatzpunkte vertreten.

Einerseits besteht die Auffassung, in bestimmten Situationen sei das in § 11 FeV eröffnete Ermessen intendiert und damit Ermessenserwägungen nur erforderlich, wenn besondere Umstände vorliegen (zu einem Fall des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 1. Alt. FeV, NdsOVG, B.v. 29.11.2017 – 12 ME 197/17 – juris). Auch hinsichtlich der „Katalogerkrankungen“ der Anlagen 4 und 5 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung wird vertreten, das Ermessen sei hinsichtlich der Anordnung eines ärztlichen Gutachtens intendiert (Siegmund in jurisPK-​Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, Stand 14.1.2019, § 11 Rn. 18). Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. In einem solchen Fall bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1997 – 3 C 22.96 – BVerwGE 105, 55 Rn. 14 m.w.N.). Ob angesichts der Begründungspflichten aus § 11 Abs. 6 FeV und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (U.v. 17.11.2016 a.a.O) im Rahmen des § 11 FeV von einem intendierten Ermessen ausgegangen werden kann, erscheint aber durchaus fraglich.

Geht man gleichwohl von einem intendierten Ermessen aus, dann hätte die Fahrerlaubnisbehörde aber darauf verweisen müssen, dass deshalb keine weiteren Erwägungen erforderlich sind (vgl. Tiedemann in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK, VwVfG, 41. Auflage, § 39 Rn. 49 und Aschke in Bader/Ronellenfitsch a.a.O. § 40 Rn. 41). Die Figur des intendierten Ermessens wird unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als nicht unproblematisch angesehen (vgl. Pautsch in Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 40 Rn. 8), weshalb bei der Annahme grundsätzlich Zurückhaltung geboten ist (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 30). Im vorliegenden Fall führte darüber hinaus nicht die bei der Klägerin ebenfalls vorhandene Erkrankung an Epilepsie, die in Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung aufgeführt ist, zu der Begutachtungsanordnung, sondern die schon bekannte Erkrankung in Form einer multiplen Persönlichkeitsstörung, die keine Katalogerkrankung ist. Ob bei der Klägerin darüber hinaus noch eine akute Psychose vorliegt oder zum Zeitpunkt der Gutachtensanordnung vorlag, steht nicht fest, sondern sollte durch das Gutachten erst aufgeklärt werden.


Zum anderen wird vertreten, dass die Fahrerlaubnisbehörde in ihrer Gutachtensanordnung nicht begründen müsse, weshalb sie sich neben anderen grundsätzlich in Betracht kommenden Gefahrerforschungsmaßnahmen gerade für diejenige der Aufforderung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens entschieden habe, denn es handele sich bei der Beibringungsaufforderung nicht um einen Verwaltungsakt und die Begründungsanforderungen seien in § 11 Abs. 6 FeV abschließend geregelt (Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 73). Dem entspricht wohl weitgehend auch die Auffassung, die Ausübung des Entschließungsermessens reiche grundsätzlich aus und es bedürfe deshalb keiner weiteren Ermessenserwägungen (vgl. VGH BW, B.v. 11.8.2015 – 10 S 444/14 – juris Rn. 25; B.v. 8.3.2013 – 10 S 54/13 – juris Rn. 5).

Demgegenüber verlangt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei noch verwertbaren, aber bereits länger zurückliegenden Verkehrsverstößen im Rahmen der Anordnung einer medizinisch-​psychologischen Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV eine Ermessensbetätigung dahingehend, ob diese Zuwiderhandlungen nach wie vor die Anforderung eines Gutachtens rechtfertigen oder ob verbleibende Eignungszweifel auch durch andere geeignete Beweismittel ausgeräumt werden können (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 34 ff.). Nach dem zweiten amtlichen Leitsatz des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2016 (a.a.O.) soll dies auch für Ermessenserwägungen im Rahmen der nach § 11 Abs. 2 FeV zu treffenden Ermessensentscheidungen gelten.

Der erkennende Senat vertritt die Auffassung, dass auch bei medizinischen Fragen Eignungszweifel unter Umständen durch andere geeignete Beweismittel ausgeräumt werden können (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – ZfSch 2016, 295 Rn. 13). In Fällen der Unterbringung des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers nach dem Unterbringungsgesetz ist deshalb ggf. zuerst ein Arztbericht der Einrichtung, in der die Unterbringung erfolgte, anzufordern (z.B. BayVGH, B.v. 25.4.2016 – 11 CS 16.227 – juris Rn. 14), auch weil dem Betroffenen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr Untersuchungen abverlangt werden dürfen als erforderlich (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 24). Bei mehreren Unterbringungen erscheint eine vorherige Anforderung von Krankenhausberichten zwar nicht unbedingt notwendig (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2016 – 11 C 15.2611 – juris Rn. 5), denn je gewichtiger die Eignungsbedenken sind, desto geringer wird das Entschließungsermessen. Gleichwohl sind die Ermessenserwägungen in der Beibringungsaufforderung offenzulegen (vgl. Dauer a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist der Behörde mit dem Polizeibericht nur eine Unterbringung der Klägerin bekannt geworden und es hätte erwogen werden können, ob zuerst ein Bericht der Klinik am E... angefordert wird.

Darüber hinaus bestehen aber keine Zweifel, dass angesichts der bekannten und erheblichen Erkrankungen der Klägerin die Anordnung eines psychiatrischen Facharztgutachtens grundsätzlich in Betracht kommt und bei ordnungsgemäßer Ausübung des Ermessens nicht zu beanstanden wäre. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei einigen psychischen Erkrankungen der Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV selbst für das Führen von Fahrzeugen der Gruppe 1 regelmäßige Kontrollen notwendig sind. Bei einer multiplen Persönlichkeitsstörung und dem Auftreten von erheblichen Zwischenfällen erscheint es daher ohne weiteres zulässig, fünf Jahre nach Vorlage des letzten Gutachtens ein neues ärztliches Gutachten anzufordern, obwohl keinerlei Auffälligkeiten im Straßenverkehr vorliegen. Darüber hinaus ergibt sich auch aus dem von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten Bericht der Klinik am E... vom 23. November 2016, dass sie in den letzten Jahren schon 40 Mal dort aufgenommen werden musste. Dieser Bericht entkräftet die bestehenden Fahreignungszweifel daher nicht, sondern gibt ebenfalls Anlass zu weiterer Aufklärung. Die Beklagte ist somit nicht gehindert, nach ordnungsgemäßer Ermessensausübung erneut eine Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens zu erlassen.



Soweit die Klägerin geltend macht, das Verwaltungsgericht habe ihre mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit zur Einholung eines Gutachtens nicht zutreffend berücksichtigt, kann sie damit nicht durchdringen. Von der Anordnung des Gutachtens war nicht wegen fehlender finanzieller Mittel der Klägerin abzusehen. Als Folge der Beibringungslast mutet das Gesetz einem Kraftfahrer die Kosten für die Begutachtung grundsätzlich ebenso zu wie die notwendigen Kosten zum verkehrssicheren Führen des Fahrzeugs (vgl. BVerwG, U.v. 13.11.1997 – 3 C 1.97 – BayVBl 1998, 634 = juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 11 CS 17.1821 – juris Rn. 17; SächsOVG, B.v. 4.9.2015 – 3 D 45/15 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 7.3.2014 – 16 A 1386/13 – juris Rn. 7; OVG Berlin-​Bbg., B.v. 28.2.2011 – 1 S 19.11, 1 M 6.11 – juris Rn. 8). Sollte ein Betroffener zwingend auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sein und die Kosten für das Fahreignungsgutachten nicht aufbringen können, so kann er ggf. unter strengen Voraussetzungen eine darlehensweise Vorfinanzierung durch das Landratsamt beantragen, ohne allerdings darauf einen Anspruch zu haben (vgl. zum Angebot der Vorfinanzierung durch eine Behörde BayVGH, B.v. 8.4.2016 – 11 C 16.319, 11 C 16.320 – juris Rn. 14). Diese Voraussetzungen hat die Klägerin aber schon nicht hinreichend dargetan.

Angesichts der offenen Fragen, ob die Beklagte überhaupt Ermessen ausgeübt hat und – bejahendenfalls – ob die Ermessensausübung bei Erlass der Gutachtensaufforderung rechtmäßig ist, ist der Klägerin Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihre Prozessvertreterin beizuordnen.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum