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Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 02.07.2001 - 13 U 224/00 - Zurechenbarkeit psychischer Folgeschäden

OLG Hamm v. 02.07.2001: Kausalitätsnachweis für eine HWS-Verletzung und Zurechenbarkeit psychischer Folgeschäden


Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 02.07.2001 - 13 U 224/00) hat entschieden:

  1.  Hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer unfallursächlichen HWS-Verletzung ist ärztlichen Bescheinigungen vom Unfalltag über HWS-Verletzungen nicht uneingeschränkt das entscheidende Gewicht beizumessen; die Bewertung einer solchen Bescheinigung im Rahmen der Beweiswürdigung hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab (entgegen OLG Bamberg, 5. Dezember 2000, 5 U 195/99, DAR 2001, 121).

  2.  Die Zurechnung eines psychischen Folgeschadens setzt voraus, dass eine mehr als nur geringfügige Primärverletzung feststeht, es sei denn, die Verletzung trifft gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten; Maßstab für die Beurteilung der Geringfügigkeit sind die Grundsätze, welche hinsichtlich der Versagung eines Schmerzensgeldes bei Bagatellverletzungen Anwendung finden (im Anschluss an BGH, 30. April 1996, VI ZR 55/95, NJW 1996, 2425, BGH, 11. November 1997, VI ZR 376/96, NJW 1998, 810 und BGH, 16. November 1999, VI ZR 257/98, NJW 2000, 862).

  3.  Einem Unfall sind psychisch vermittelte gesundheitliche Primärschäden dann nicht mehr zurechenbar, wenn bereits der Unfall selbst als Bagatelle einzustufen ist, weil er nach seinem Ablauf und seinen Auswirkungen keinen verständlichen Anlass für psychische Reaktionen bietet, die über das Maß dessen hinausgehen, was im Alltagsleben als typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadenfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens hinzunehmen sind. Bei einer Insassenbelastung mit einer maximalen Geschwindigkeitsänderung von 4 km/h in Längsrichtung und 2,5 km/h in Querrichtung kann ein Bagatellunfall vorliegen.


Siehe auch
Haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang
und
Stichwörter zum Thema Personenschaden


Tatbestand:


Der am 1.1.1959 geborene Kläger nimmt den Beklagten als Haftpflichtversicherer auf immateriellen und materiellen Schadenersatz sowie Feststellung der Ersatzpflicht wegen eines Verkehrsunfalls am 12.07.1996 in L in Anspruch.

Die volle Haftung des Beklagten dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit.

Am vorgenannten Unfalltag befand sich der Kläger als Beifahrer in dem Pkw Ford Fiesta seiner Ehefrau, die den B-​weg in L-​B L befuhr. An der Einmündung B/H-​straße stoppte die Ehefrau des Klägers den Pkw, weil sich auf der vorfahrtberechtigten H-​straße der bei dem Beklagten versicherte Sattelzug näherte. Infolge Unachtsamkeit des Kraftfahrzeugführers hatte sich eine seitlich angebrachte Stütze des auf dem Sattelzug befindlichen Ladekrans gelöst und ragte nach rechts über die seitliche Begrenzung des Fahrzeuges hinaus. Mit dieser Stütze stieß der Sattelzug seitlich gegen die Frontstoßstange des stehenden Ford Fiesta.

Der Kläger stand zum Zeitpunkt des Unfalls in einem Angestelltenverhältnis; er war in einem Supermarkt als Abteilungsleiter tätig, seit dem 3.6.1996 aber arbeitsunfähig erkrankt. Bereits im März 1994 war beim Kläger ein mittelgradiger Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 festgestellt und im April 1994 operativ behandelt worden. Die Beschwerden im Wirbelsäulenbereich besserten sich in der Folgezeit nicht nachhaltig. Bei einem Überfall im Mai 1995 in dem Geschäft des Klägers erlitt er eine Prellung der rechten Hüfte und eine Verrenkung der LWS. Der Kläger unterzog sich zwei weiteren stationären Heilbehandlungen in der Zeit vom 1.6. bis zum 7.6.1995 und zuletzt vom 3.6. bis zum 11.6.1996 in der Neurochirurgischen Klinik des Marien-​Hospitals L. Wegen der die Vorbehandlungen und die Befunde betreffenden Einzelheiten wird auf die Seite 18 des gerichtlichen Gutachtens vom 8.7.2000 Bezug genommen.




Der Kläger wurde nach dem Unfall zur stationären Heilbehandlung in das EVK L eingeliefert. Dort blieb er bis zum 31.7.1996. Es wurde unter dem 29.7.1996 (BA 47 Js 1475/96 StA Paderborn, Bl. 18) ein HWS-​Schleudertrauma und eine erhebliche Verschlimmerung der vorbestehenden Beschwerdesymptomatik diagnostiziert. Der Entlassung schloss sich vom 7.8. bis zum 18.9.1996 eine Rehabilitationsbehandlung in der Klinik L in B S an. Am 12.11.1996 begab sich der Kläger in fachärztliche Behandlung zu B wegen Ohrengeräuschen und Hörminderung (Bl. 10 d.A.) Es wurden eine Hörminderung und ein Tinnitus festgestellt. Dem Kläger wurden Hörgeräte verschrieben. Weitere stationäre Krankenhausaufenthalte erfolgten in der Zeit vom 14.5.1997 bis zum 4.6.1997 in der Rehaklinik N, vom 26.1. bis zum 17.2.1998 in der Neurologischen Klinik der Westfälischen Klinik G und vom 4.8. bis zum 15.9.1998 in der V-​klinik, Fachklinik für Psychotherapie und Psychosomatik. Es schloss sich eine ambulante psychotherapeutische Behandlung seit dem 14.01.1999 an, die nach Angaben des Klägers noch andauert. Wegen der weiteren die Behandlungen und Befunde betreffenden Einzelheiten wird auf die Seiten 19 und 20 des gerichtlichen Gutachtens vom 8.7.2000 verwiesen.

Der Beklagte beglich die Sachschäden der Ehefrau des Klägers voll und zahlte an diese wegen einer geltend gemachten HWS-​Verletzung ein Schmerzensgeld von 1.000 DM. An den Kläger leistete der Beklagte einen Schmerzensgeldvorschuss von 4.000 DM.

Der Kläger bezieht seit dem 1.6.2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bl. 319 f. d.A.).

Der Kläger hat behauptet:

Aufgrund des Unfalls sei es zu einer richtungsgebenden Verschlechterung seiner bestehenden Wirbelsäulenleiden gekommen. Er habe ein HWS-​Schleudertrauma und eine Schädigung im LWS-​Bereich erlitten. Im Zeitpunkt des Unfalls habe er sich auf dem Wege der Besserung befunden, er habe nur vergleichsweise geringe Schmerzen gehabt, die Fortbewegung sei uneingeschränkt und ohne Gehhilfen möglich gewesen. Eine Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit sei nunmehr nicht mehr möglich. Er könne seit dem Unfall nicht mehr ohne Gehhilfen laufen. Die Hörminderung und der Tinnitus seien vor dem Unfall nicht vorhanden gewesen und beruhten ebenfalls auf dem Unfallereignis. Sie seien bereits kurze Zeit nach dem Unfall aufgetreten, weshalb er, der Kläger, wegen der Ohrgeräusche vor der Behandlung durch B bei dem HNO-​Arzt B gewesen sei.

Der Kläger hat ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 30.000 DM verlangt.

Darüber hinaus hat er - unstreitige - Kosten von 258,00 DM wegen der Hörgeräte und einen Verdienstausfall in der Zeit vom 5.8.1996 bis zum 30.09.1998 von insgesamt 54.830, 35 DM mit der Behauptung geltend gemacht, ohne den Unfall hätte er ab August 1996 wieder seinen Beruf ausüben können.




Wegen der die Schadensberechnung betreffenden Einzelheiten wird auf die Seiten 6 bis 8 d.A. der Klageschrift nebst Anlagen (Bl. 6 f. d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

  1.  den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 16.3.1998 zu zahlen;

  2.  den Beklagten zu verurteilen, an ihn 54.830, 35 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  3.  den Beklagten zu verurteilen, an ihn 258,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  4.  festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Unfall vom 12.7.1996 auf der Hstraße in L noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Beklagte hat beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat eine Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen bestritten. Soweit Gesundheitsschäden überhaupt etwas mit dem Unfall zu tun haben könnten, seien sie nur vorübergehend gewesen und längst abgeklungen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens zu den Unfallfolgen die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe nicht bewiesen, dass die geklagten Beschwerden durch den Unfall hervorgerufen worden seien.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 186 bis 198 d.A. Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Klägers, mit der die erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt werden.

Er trägt vor:

Zu seinen Gunsten griffen Beweiserleichterungen ein. Erklärungen im Strafverfahren komme eine Geständniswirkung i.S.d. §§ 288, 532 ZPO zu. Die erstinstanzlichen Gutachten seien nicht überzeugend. Die durch den Anstoß verursachten Krafteinwirkungen seien nicht zutreffend ermittelt worden. Der medizinische Sachverständige habe Forschungsergebnisse nicht ausreichend berücksichtigt. So sei es angebracht, zur Feststellung von Unfallschäden an der Wirbelsäule eine dynamische Kernspintomographie durchzuführen. Es müsse zudem zwingend eine Neurologe hinzugezogen werden. Im Übrigen sei dem erhobenen Erstbefund nicht das ihm zukommende Gewicht beigemessen worden.

Der Kläger beantragt,

   das am 15.09.2000 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn (2 O 379/98) abzuändern und nach seinen in erster Instanz gestellten Schlussanträgen mit der Maßgabe zu entscheiden, dass als immaterieller Schadenersatz mindestens 30.000 DM über die bereits gezahlten 4.000 DM hinaus verlangt werden.

Der Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts und das diesem zugrunde liegende Sachverständigengutachten unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Beweisantritte der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört. Er hat darüber hinaus Beweis erhoben durch eine mündliche Anhörung der Sachverständigen Dipl. Ing. B und C. Wegen der persönlichen Angaben des Klägers und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 2. Juli 2001 Bezug genommen.

Die Akten 47 Js 1475/96 StA Paderborn lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger hat nicht bewiesen, dass die von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Verkehrsunfall vom 12.07.1996 in L verursacht wurden.

I.

Dem Kläger stehen gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz gem. §§ 847, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 1 Abs. 2 StVO; §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 249 f., 842 BGB, 3 Nr. 1, 2 PflVG zu.

1. Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach für das sorgfaltswidrige Handeln des Führers des Sattelzuges steht zwischen den Parteien außer Streit.

2. Streit besteht zwischen den Parteien bezüglich der Unfallursächlichkeit der von dem Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Bezüglich der Frage, ob ein Unfall zu einer Verletzung geführt hat, obliegt dem Anspruchsteller der Vollbeweis gemäß § 286 ZPO (BGH VersR 1986, 1121; OLG Hamm, VersR 1999, 990). Wenn allerdings der erste Verletzungserfolg feststeht, kommt für die Weiterentwicklung des Schadens dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO zu Gute, wobei hier je nach Lage des Falles eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. etwa BGH VersR 1993, 55; Senat, OLG Report 1995, 258).

Dabei entlastet es den Schädiger nicht, wenn er auf eine Konstitution des Geschädigten trifft, die den Schadenseintritt erleichtert oder vergrößert: Wer einen gesundheitlich geschwächten Menschen in seiner Gesundheit beeinträchtigt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als ob er einen Gesunden verletzt hätte (z.B. BGH NJW 1993, 2234; OLG Hamm, VersR 1996, 247 m.w.N.).

a) Aus Erklärungen des Fahrzeugführers im Ermittlungsverfahren kann der Kläger entgegen seiner Auffassung kein Geständnis i.S.d. §§ 288, 532 ZPO, dass eine Körperverletzung vorgelegen hat, herleiten, weil hierzu Tatsachen im Rechtsstreit zugestanden werden müssen; Äußerungen in anderen Verfahren genügen also nicht.

b) Beweiserleichterungen greifen zugunsten des Klägers entgegen seiner Auffassung nicht ein:

Wie vorangehend dargelegt, findet § 287 ZPO nur Anwendung, wenn zunächst der Vollbeweis einer Erstverletzung erbracht ist.

Ansatzpunkte für eine Beweisvereitelung bestehen nicht. Der Beklagte hat anhand des Fahrzeugbriefs (Ablichtungen Bl. 165 -167 d.A.) belegt, dass der unfallbeteiligte Sattelauflieger ein anderes Kennzeichen bekommen hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte bezüglich des unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges falsche Angaben gemacht oder in sonstiger Weise die Beweisführung des Klägers vereitelt hat.

Aus einem groben Verschulden folgt im Unfallhaftpflichtrecht keine Umkehr der Beweislast bezüglich des Kausalverlaufs. Die andersartige Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht (vgl. hierzu Palandt-​Thomas, 60. Auflage, Rnr. 170 zu § 823 BGB) beruht auf den dortigen Besonderheiten. Im übrigen ist auch ein grobes Verschulden des Fahrzeugführers nicht bewiesen, weil die Möglichkeit besteht, dass nur durch eine unzureichende Kontrolle der Stützensicherung der Unfall herbeigeführt wurde.

c) Der Kläger hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht den Vollbeweis dahin erbracht, dass der streitgegenständliche Unfall ursächlich für die von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden ist.

aa) Im unfallanalytisch-​technischen Teil hat der Sachverständige Dipl. Ing. B vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei die unfallbedingten Krafteinwirkungen und die daraus resultierenden Insassenbelastungen dargestellt. In dem Senatstermin hat der Sachverständige nochmals anschaulich erläutert, dass es bei der hier in Rede stehenden Streifkollision nicht maßgeblich auf die Masse und die Geschwindigkeit des beteiligten Lkw ankomme, sondern auf den Grad der Verhakung zwischen dem Lkw und dem Ford Fiesta, in dem der Kläger saß. Die Lage des Pkw nach dem Unfall gemäß Verkehrsunfallskizze und vor allem entscheidend das Ergebnis der durchgeführten Versuche, die bei dem Versuchsfahrzeug zu eher schwereren Beschädigungen als am Pkw des Klägers geführt hätten, gäben zuverlässig Auskunft über die Kräfte, die auf den Kläger bei dem Unfall einwirkten. Bei der Bestimmung der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen hat der Sachverständige zugunsten des Klägers die Werte aus dem ersten und zweiten Versuch quadratisch aufaddiert und ist dabei zu einer maximalen Geschwindigkeitsänderung in Querrichtung von nur 2, 5 km/h und von lediglich 4 km/h in Längsrichtung gelangt, wobei die mittlere Beschleunigung in Längsrichtung etwa 2, 4 g und in Querrichtung 1, 4 g beträgt.

Der Sachverständige hat unter Zugrundelegung von Versuchsreihen dargelegt, dass aufgrund der geringen Krafteinwirkung auf den Insassen und der Sitzposition des Klägers auf der stoßabgewandten Seite aus technischer Sicht ein Anstoß des Kopfes an Fahrzeugteile nicht zu erwarten sei; es sei allenfalls denkbar, dass der Kläger bei der Rückpendelbewegung mit einer nur sehr geringen Energie gegen den Seitenholm gelangt sei. Der Kläger hat damit übereinstimmend angegeben, keinerlei äußere Verletzungsanzeichen an seinem Kopf nach dem Unfall festgestellt zu haben.

bb) Der Senat hält in Übereinstimmung mit dem Landgericht auch das Gutachten des C für überzeugend.

Der Sachverständige hat unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen B sein Gutachten auf breiter Tatsachengrundlage erstattet. Ihm lagen die Untersuchungsbefunde der behandelnden Ärzte vor. Er hat eigene umfassende Untersuchungen durchgeführt. Bei seinen Ausführungen ist er nicht einseitig vorgegangen, sondern hat den kontroversen Meinungsstand in der Wissenschaft zu der Problematik des HWS-​Schleudertraumas wiedergegeben. Dies gilt auch bezüglich der Frage, ob Vorschädigungen zu einer größeren Empfindlichkeit der Wirbelsäule führen. Der Sachverständige hat zudem bei der Begutachtung die vom Kläger angegebene Kopfhaltung vor dem Unfall einbezogen und zwischen den unterschiedlichen Krafteinwirkungen in Längs- und Querrichtung unterschieden.

Bezüglich der Lendenwirbelsäule hat er ausgeführt, dass diese im Verhältnis zur Halswirbelsäule bei einem Anstoß besser geschützt sei, weil sie im Sitz eingebettet sei und dieser aufgrund des Stoßimpulses mitschwinge. Im Senatstermin wurden die Wirkungen eines Queranstoßes bei einer - erheblicher höheren als hier vorliegenden - Geschwindigkeitsänderung von 3, 7 km/h anhand eines Filmes über einen durchgeführten Versuch anschaulich demonstriert. Das vorangehend beschriebene Mitschwingen des Sitzes konnte deutlich beobachtet werden.

C hat schließlich nachvollziehbar dargelegt, dass die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden unabhängig vom Unfall aufgrund der Vorschädigung der Wirbelsäule eingetreten sein könnten.

Die abschließende Bewertung des Sachverständigen, wonach das gegenständliche Unfallereignis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ursächlich für Schädigungen der HWS und davon abgeleitet für Gehörschädigungen sei und es zudem sehr unwahrscheinlich sei, dass die Beschwerden im Bereich der LWS auf den Unfall zurückzuführen seien, verliert nicht aufgrund der zu den Akten gereichten ärztlichen Befunde und Bewertungen (vgl. BA 47 JS 1475/96 StA Paderborn, Bl. 18; Bl. 9 f.; Bl. 72 f. d.A.) an Überzeugungskraft:

In der ärztlichen Bescheinigung vom 29.7.1996 wird ohne Begründung ein HWS-​Schleudertrauma diagnostiziert. Aussagekräftiger sind die Stellungnahmen vom 9.9.1997 und 31.10.1997 des P und von M. Dort wird von einer leichten HWS-​Distorsion ausgegangen, die allerdings bereits abgeklungen sei und sich auf das Beschwerdebild des Klägers nicht mehr auswirke; es wird eine zweimonatige Ausheilphase angenommen und die unfallbedingte MdE vom 12.7. bis zum 12.9.1996 auf 20 % geschätzt (Bl. 32, 75 d.A.). Eine Begründung für die angenommene leichte HWS-​Distorsion fehlt; so wird im Gegenteil ausgeführt, dass eine Röntgenuntersuchung der HWS aufgrund sich einstellender Beschwerden erst 12 Tage nach dem Unfall durchgeführt worden sei, was keinen typischen Verlauf nach HWS-​Distorsionen darstelle (Bl. 19 d.A.). Ein morphologisches Substrat für die Unfallursächlichkeit der geklagten Beschwerden konnte nicht gefunden worden. Es wird ausgeführt, dass degenerative Veränderungen an der HWS in der Form einer das altersentsprechende Maß überschreitenden Osteochondrose vorlägen (Bl. 27 d.A.). Bezüglich der LWS wird eine sich nicht mehr auswirkende, ausgeheilte LWS-​Prellung als Unfallfolge angenommen, ohne dass diese Feststellung begründet wird (Bl. 30 d.A.). Den Ärzten standen zudem - anders als dem gerichtlichen Sachverständigen - bei ihren Bewertungen keine Informationen über die unfallbedingten Krafteinwirkungen zur Verfügung.

In dem Gutachten des HNO-​Arztes B vom 19.9.1997 (Bl. 9 f. d.A.) werden die festgestellte Hörminderung und die Ohrgeräusche auf das Unfallereignis mit der Begründung zurückgeführt, selbst geringe HWS-​Distorsionen könnten die o.a. Beschwerden verursachen, wobei ausgeführt wird, dass auch andere Erkrankungen die festgestellte Symptomatik auslösen könnten. Der begutachtende Facharzt setzt also bei seiner Schlussfolgerung voraus, dass der Unfall zu einer HWS-​Distorsion führte. Die Frage, ob eine solche unfallbedingte HWS-​Distorsion vorlag, unterfällt dem Fachgebiet des gerichtlichen Sachverständigen. Da eine solche Verletzung nicht bewiesen ist, ist der Bewertung des Facharztes offensichtlich die Grundlage entzogen mit der Folge, dass dann auch aus seiner Sicht und damit in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen eine Unfallursächlichkeit nicht mehr festgestellt werden kann.

Der Senat ist im Übrigen der Auffassung, dass bezüglich der Problematik unfallbedingter HWS-​Verletzungen ärztlichen Bescheinigungen vom Unfalltag über HWS-​Verletzungen nicht uneingeschränkt das entscheidende Gewicht beizumessen ist; die Bewertung einer solchen Bescheinigung im Rahmen der Beweiswürdigung hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab (a.A. OLG Bamberg in der vom Kläger angeführten Entscheidung DAR 2001, 121).


Denn es ist nicht die therapeutische Aufgabe des behandelnden Arztes, eine Kausalität zwischen dem Unfallereignis und den geklagten Beschwerden herzustellen oder die subjektiven Angaben seiner Patienten über Beschwerden kritisch in Frage zu stellen; so kann es aus der Sicht eines Arztes, der nicht als Gutachter tätig ist, vorsorglich geboten sein, aufgrund einer Verdachtsdiagnose Behandlungsmaßnahmen einzuleiten (vgl. hierzu Lemcke, NZV 1996, 337, 339). Auch dem behandelnden Arzt, der ersichtlich keine Verdachtsdiagnose gestellt hat, stehen nicht die Informationen zum Unfallablauf zur Verfügung, welche aufgrund eines unfallanalytisch-​technischen Gutachtens gewonnen werden können. Die Bewertung eines ärztlichen Attestes hängt zudem davon ab, welche objektiven Feststellungen der Arzt getroffen hat. Wie bei jedem anderen von einer Partei vorgebrachten Beweismittel ist das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung gehalten (§§ 286, 287 ZPO), ärztliche Bescheinigungen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Es kann daher häufig bei entsprechenden Beweisantritten der Parteien geboten sein, durch die Einholung einer interdisziplinären Sachverständigengutachtens die Frage der Unfallursächlichkeit einer behaupteten HWS-​Verletzung zu klären.

cc) Der Senat sieht zu weiteren Beweiserhebungen keinen Anlass.

(1) Die vom Kläger zur Geschwindigkeit des Lkw benannten Zeugen sind nicht zu vernehmen, weil es aus den vom Sachverständigen B dargelegten Gründen [s.o. aa)] nicht auf diesen Punkt für die Bewertung der Insassenbelastung entscheidend ankommt.

(2) Es ist zudem nicht - wie vom Kläger im Senatstermin beantragt - erforderlich, eine dynamische Kernspintomographie an der Halswirbelsäule des Klägers durchzuführen, weil die Durchführung der Untersuchung zu keinen neuen Feststellungen führen würde.

Der Sachverständige C hat hierzu ausgeführt, dass es sich bei dieser Methode um ein in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein anerkanntes, sondern sehr umstrittenes Verfahren handele, das in diesem Fall auch keine besseren Erkenntnisse liefere, als die herkömmliche Kernspintomographie.

(3) Das vom Kläger beantragte neurologische Gutachten muss ebenfalls nicht eingeholt werden.

Die Hals- und Lendenwirbelsäule unterliegt mit den neurologischen Aspekten im vollen Umfang dem orthopädischen Fachgebiet. Der Orthopäde C hat dargelegt, es seien keinerlei Ansatzpunkte dafür erkennbar, dass durch die Einschaltung eines Neurologen für das Beweisthema relevante bessere Erkenntnisse gewonnen werden könnten.

(4) Im Rahmen des dem Senat gem. § 412 ZPO eingeräumten Ermessens ist die Einholung eines Obergutachtens zur der Unfallursächlichkeit der Halswirbelsäulenbeschwerden nicht angezeigt.

Bei C handelt es sich um einen auf dem Gebiet des HWS-​Schleudertraumas besonders erfahrenen und versierten Sachverständigen. Die Teilnahme des Sachverständigen an wissenschaftlichen Studien spricht nicht gegen, sondern für seine Qualifikation. Es ist dabei selbstverständlich, dass der Sachverständige zu bestimmten Schlussfolgerungen gelangt. Zu beanstanden wäre seine Begutachtung nur dann, wenn er ohne Berücksichtigung anderer Auffassungen einseitig aus seiner Sichtweise die Feststellungen träfe. Dies ist aber bei seinem Gutachten - wie vorangehend dargelegt - nicht der Fall. Der Senat hat sich in einer Vielzahl von Fällen mit der Problematik des HWS-​Schleudertraumas auseinandergesetzt. Dabei ist immer wieder zu Tage getreten, dass es - wie der Sachverständige C dargelegt hat - unterschiedliche - in der Wissenschaft umstrittene - Positionen zum HWS-​Schleudertrauma gibt. Es ist nicht ersichtlich, dass es gegenwärtig bessere, unangefochtenere Erkenntnismöglichkeiten als diejenigen gibt, welche in erster und zweiter Instanz herangezogen wurden. Insgesamt ist bei allen Streitfragen rund um das HWS-​Schleudertrauma zu beachten, dass bei Erschöpfung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten nach der allgemeinen Beweislastregel Zweifel zu Lasten des beweispflichtigen Geschädigten gehen (vgl. etwa OLG Hamm, OLGR 1995, 211, 212).

(5) Zu weiteren Beweiserhebungen besteht schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt psychischer oder psychosomatischer Störungen Anlass.

(a) Wie das Landgericht - vom Kläger nicht angegriffen - zutreffend ausgeführt hat, fehlt es für die Zurechnung eines psychischen Folgeschadens an einer Primärverletzung. Denn die Zurechnung eines psychischen Folgeschadens setzt voraus, dass eine Erstverletzung feststeht, die noch dazu mehr als eine Bagatellverletzung darstellen muss (zum Vorstehenden: BGH NJW 1996, 2425, 2426; 1998, 810, 811; 2000, 862, 863).

(b) Es ist auch kein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob die geltend gemachten Beschwerden die Folge einer psychisch vermittelten Einwirkung auf den Körper des Klägers darstellen.

Es ist allgemein anerkannt, dass eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 Abs. 1 BGB keine physische Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraussetzt, vielmehr auch psychisch vermittelt werden kann (z.B. BGH VersR 1971, 905; VersR 1986, 240; NJW 1996, 2425, 2426; Geigel-​Rixecker, 23. Auflage, Kap. 1, Rnr. 11, 12; Palandt-​Heinrichs, 60. Auflage, Rnr. 69 f. zu Vorbem. v. § 249 BGB). Typisch hierfür ist der Schockschaden, den jemand auf den Tod oder die Verletzung eines anderen erleidet (vgl. hierzu Palandt-​Heinrichs, Rnr. 71 zu Vorbem. v. § 249 BGB).

Um eine uferlose Ausweitung der Haftung zu vermeiden, finden jedoch eingrenzende Kriterien Anwendung. So muss etwa bei Schockschäden der Schock im Hinblick auf den Anlass verständlich (adäquat) sein, was zu einer Eingrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten führt ( vgl. BGH VersR 1971, 905; Palandt-​Heinrichs a.a.O.). Die geltend gemachte Beeinträchtigung muss darüber hinaus selbst einen Krankheitswert aufweisen, also eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (z.B. BGH NJW 1996, 2425, 2426).



Es kann dahingestellt bleiben, ob den vom Kläger behaupteten Beschwerden ein Krankheitswert im oben genannten Sinne zukommt. Denn gesundheitliche Beeinträchtigungen mit Krankheitswert wären dem Schadensereignis jedenfalls deshalb nicht zurechenbar, weil ein Bagatellunfall vorliegt:

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat - wie vorangehend unter (a) angeführt - im Rahmen der Problematik des psychischen Folgeschadens die Bagatellverletzung als zurechnungsunterbrechendes Kriterium anerkannt. Nach Auffassung des Senats ist dieser Ansatz auch für die Zurechnung der psychisch vermittelten Gesundheitsverletzung ein angemessenes Abgrenzungskriterium; danach sind einem Unfall psychisch vermittelte gesundheitliche Beeinträchtigungen dann nicht mehr zurechenbar, wenn bereits der Unfall selbst als Bagatelle einzustufen ist, weil er nach seinem Ablauf und seinen Auswirkungen keinen verständlichen Anlass für psychische Reaktionen bietet, die über das Maß dessen hinausgehen, was im Alltagsleben als typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens hinzunehmen ist (vgl. Senat, Urteil v. 2.4.2001 - 13 U 148/00 - ; OLG Oldenburg, DAR 2001, 313; ähnlich OLG Hamm (6. ZS.) r+s 2001, 62, 64 f.: "banales Unfallereignis" ; vgl. auch OLG Köln, OLGR 2000, 22, 23).

Der Ablauf des Unfalls als solcher kann nicht in einem außergewöhnlichen Maße auf den Kläger eingewirkt haben, weil er von dem Unfallereignis überrascht wurde und auch die Begleitumstände nach dem Unfall nicht über das hinausgingen, was im dichten Straßenverkehr bei tagtäglich passierenden Unfällen mit Sachschäden zu verzeichnen ist.

Wie vorangehend dargelegt [vgl. aa) und bb)], haben korrespondierend mit den relativ geringfügigen Beschädigungen am Pkw unfallbedingt nur sehr geringe Kräfte in Längs- und Querrichtung auf den Körper des Klägers eingewirkt; sie gehen von der Intensität nicht über das hinaus, was auch sonst im Alltagsleben als Belastung vorkommen kann.

Bei objektiver Betrachtung handelte es sich insgesamt um ein gewöhnliches Unfallereignis, das nicht geeignet ist, psychische Reaktionen mit Krankheitswert hervorzurufen.

II.

Mangels bewiesener Kausalität ist der Feststellungsantrag nicht begründet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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