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Oberlandesgericht Koblenz Beschluss vom 16.04.2019 - 12 U 692/18 - Haftung bei Unfall mit Segway

OLG Koblenz v. 16.04.2019: Haftung bei Unfall mit Segway und Fußgänger auf Fuß- und Radweg




Das Oberlandesgericht Koblenz (Beschluss vom 16.04.2019 - 12 U 692/18) hat entschieden:

Fußgänger haben auf einem gemeinsamen Fuß- und Radweg gegenüber sog. Elektrokleinstfahrzeugen wie Segways absoluten Vorrang. Ein Segway-Fahrer muss seine Fahrweise und Geschwindigkeit so anpassen, dass eine Behinderung oder gar Gefährdung von Fußgängern ausgeschlossen ist.

Siehe auch
Elektro-Zweiräder - Pedelec - Segway - E-Bike - E-Scooter - E-Roller
und
Gemeinsame Rad- und Fußwege - kombinierter Geh- und Radweg

Gründe:


Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Unfallereignis vom 29.07.2016 auf dem Geh-/Radweg der ...[A] zwischen ...[G] und ...[B].

Hinsichtlich der weitergehenden Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Mainz vom 09.05.2018 Bezug genommen.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin,

1. den Beklagten zu verurteilen, ihr ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren immateriellen und materiellen Schäden aus Anlass des Unfallereignisses vom 29.07.2016 zu ersetzen, soweit kein Leistungsübergang auf Drittleistungsträger erfolgt ist,

3. den Beklagten zu verurteilen, ihr vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.088,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt im Berufungsverfahren,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 09.05.2018, Aktenzeichen 4 O 189/17, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.




Die Stellungnahme der Klägerin mit Schriftsatz vom 05.04.2019 führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Der Senat hält auch nach erneuter Beratung an den Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 11.03.2019 umfassend fest.

Soweit die Klägerin in Erwiderung auf den gerichtlichen Hinweis im Wesentlichen einwendet, der Senat habe die Anforderungen an die verkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten eines Segwayfahrers überspannt und quasi eine Gefährdungshaftung zu ihren, der Klägerin, Lasten postuliert, vermag der Senat ihrer Argumentation nicht zu folgen. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, ihr sei ein schuldhaftes Verhalten auch unter Berücksichtigung der im Hinweisbeschluss vom 06.03.2019 erläuterten Haftungsgrundsätze nicht zur Last zu legen.

Das Gesetz verpflichtet in § 7 Abs. 5 MobHV den Führer einer elektronischen Mobilitätshilfe, der sein Fahrzeug auf einem kombinierten Fuß- und Radweg bewegt, ausdrücklich zu einem Fahrverhalten, dass jede Gefährdung oder Behinderung von Fußgängern ausschließt. Da es sich bei elektronischen Mobilitätshilfen um Kraftfahrzeuge handelt, finden auf den Segwayfahrer grundsätzlich die für Kraftfahrzeugführer geltenden Verhaltensanforderungen Anwendung. Werden, wie im vorliegenden Fall, Mobilitätshilfen auf Verkehrsflächen außerhalb von Fahrbahnen zugelassen, so haben sich elektronische Mobilitätshilfen - gerade angesichts der hohen Differenzgeschwindigkeit zu den übrigen, die Verkehrsfläche nutzenden Verkehrsteilnehmern, wie hier den diese Fläche ebenfalls nutzenden Fußgängern - im Interesse der Verkehrssicherheit und des Verkehrsflusses unterzuordnen (vgl. Bundesrat Drucksache 532/09, S. 8/9).

Zwar ist für eine Haftung nach dieser Norm nicht schon der bloße Betrieb der elektronischen Mobilitätshilfe ausreichend. Jedoch ist ein haftungsbegründendes schuldhaftes Verhalten des Segwayfahrers bereits dann zu bejahen, wenn dieser seine Fahrweise nicht so einrichtet, dass die den absoluten Vorrang auf solchen Verkehrsflächen genießenden Fußgänger sich dort gefahrlos und ungehindert bewegen können. In diesem Sinne ist das Tatbestandsmerkmal des „Gefährdungsausschlusses“ gesetzesimmanent, so dass ein Verstoß hiergegen ein schuldhaftes Verhalten des „fahrenden Verkehrsteilnehmers“ darstellt.


Den vorbezeichneten hohen Sorgfaltsanforderungen an das nach § 7 MobHV gebotene Fahrverhalten ist die Klägerin vorliegend nicht gerecht geworden.

Die Klägerin hat den Beklagten zu einem Zeitpunkt wahrgenommen, als dieser sich auf dem Fuß- und Fahrradweg rückwärts dem Bereich näherte, der ihre Fahrlinie kreuzte und den sie in Kürze erreichen würde. Sie hat dies nach eigenem Bekunden zum Anlass genommen, durch Rufen und Betätigen der Klingel ihres Fahrzeugs auf sich aufmerksam zu machen.

Ob die Klägerin davon ausgehen durfte, der Beklagte, der für sie erkennbar damit beschäftigt war, den Zeugen ...[D] zu fotografieren und damit ersichtlich abgelenkt war, werde die akustischen Warnsignale wahrnehmen, obwohl nach Aussage der Zeugin ...[E] sowie des Zeugen ...[F] reger Betrieb herrschte, kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls musste die Klägerin schon beim erstmaligen Erkennen der Gefahrenlage, die sich für sie aus der geschilderten Situation ergeben konnte, das weitere Verhalten des Beklagten abwarten und ihre Geschwindigkeit so einrichten, dass sie in der Lage war, ihr Fahrzeug kurzfristig abzubremsen, wenn sich hierfür die Notwendigkeit ergeben würde, um einen Zusammenstoß mit dem Beklagten zu vermeiden.

Die Beachtung dieser an sie gerichteten hohen Sorgfaltsanforderungen hat die Klägerin vorliegend in schuldhafter Weise versäumt.

Die Klägerin selbst hat insoweit in der mündlichen Verhandlung bei dem Landgericht am 11.04.2018 ausgeführt, es, das Segway, habe „schon einen gewissen Bremsweg“. Ihr war daher bewusst, dass es ihr in der konkreten Lage nicht möglich war, ihr Fahrzeug innerhalb kürzester Zeit zum Stillstand zu bringen, wenn der Beklagte, weil er die akustischen Signale überhört hatte, in ihren Fahrweg treten würde. Ob diese von ihr mitgeteilte Erkenntnis auf ein nicht hinreichendes Fahrvermögen der Klägerin zurückzuführen war, wie der Umstand nahelegen könnte, dass der Zeuge ...[F] bekundete, ein Segway könne bei der von der Gruppe gefahrenen Geschwindigkeit sehr schnell zum Stehen gebracht werden, kann letztlich dahinstehen. Jedenfalls durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, der Beklagte werde ihr Rufen und Klingeln schon wahrgenommen haben und situationsangemessen reagieren. Sie musste die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass ihr Rufen und Klingeln in dem allgemeinen Geräuschpegel untergegangen war und dass der Beklagte sie auch ansonsten nicht wahrgenommen hatte. Die Klägerin selbst hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: „Als ich geklingelt habe, war schon noch ein Stückchen zwischen mir und dem Mann. Er ist aber weiter gelaufen. Als er dann weitergelaufen ist, habe ich ihn dann erst wirklich bewusst wahrgenommen“.

Diese Schilderung der Klägerin macht deutlich, dass sich die Klägerin erst sehr spät bewusst machte, dass die von ihr als drohend erkannte Situation durch die ausgestoßenen Warnsignale nicht abgewendet war, so dass für sie weiterhin Veranlassung bestand, ihre Geschwindigkeit zu reduzieren und sich auf ein Haltemanöver einzustellen.



Die Tatsache, dass die genaue, von der Klägerin im Vorfeld des Unfallgeschehens und bei der Kollision gefahrene Geschwindigkeit nicht feststeht, ist insoweit für die Beurteilung der Haftungsfrage nicht von entscheidender Relevanz, so dass es auch der Einholung eines Sachverständigengutachtens - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht bedurfte. Maßgeblich ist, dass die von der Klägerin gefahrene Geschwindigkeit in der konkreten Situation unangepasst war, weil die Klägerin im Vertrauen darauf, dass der Beklagte auf ihr Zurufen hin und mit Blick auf ihr Klingelzeichen die drohende Gefahr erkennen würde, zunächst ihre Fahrt in der zuvor geübten Weise fortsetzte und erst zu einem Zeitpunkt verkehrsangemessen reagierte, als sie sich auf Höhe des Beklagten befand und dort feststellte, dass dieser auf ihre akustischen Warnsignale hin seine Rückwärtsbewegung nicht abgebrochen hatte, sondern weiter in ihren Fahrweg hineintrat. Dass es ihr in diesem Augenblick nicht mehr gelingen konnte, ihr Fahrzeug rechtzeitig anzuhalten, vermag die Klägerin nicht zu entlasten. Vielmehr ist der schuldhafte Verkehrsverstoß der Klägerin, der vorliegend aus den im Hinweisbeschluss dargelegten Gründen zu ihrer alleinigen Haftung für die Folgen des Unfallgeschehens führt, bereits in dem verspäteten Reaktionsverhalten zu sehen.

Die Klage ist somit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet und die gegen das klageabweisende Urteil gerichtete Berufung daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils und des angefochtenen Beschlusses erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

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