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Oberlandesgericht Celle Urteil vom 28.07.2021 - 14 U 43/21 - Zur Abgrenzung Betriebswegeunfall und Wegeunfall bei Vereinssitzungen

OLG Celle v. 28.07.2021: Zur Abgrenzung Betriebswegeunfall und Wegeunfall bei Vereinssitzungen




Das Oberlandesgericht Celle (Urteil vom 28.07.2021 - 14 U 43/21) hat entschieden:

  1.  Als betriebliche Tätigkeit des Schädigers i.S.d. § 105 Abs. 1 SGB VII ist grundsätzlich jede gegen Arbeitsunfall versicherte Tätigkeit zu qualifizieren. Entscheidend ist, ob es sich um eine betriebsbezogene Tätigkeit handelt, die dem Schädiger von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt worden ist.

  2.  Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist weit auszulegen und objektiv zu bestimmen. Erforderlich ist eine unmittelbar mit dem Zweck der betrieblichen Beschäftigung zusammenhängende und dem Betrieb dienliche Tätigkeit. Es kommt darauf an, ob der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wurde und nicht nur bei Gelegenheit.

  3.  Zur Abgrenzung der Unfälle, die unter das Haftungsprivileg der §§ 104 f. SGB VII fallen, von sonstigen Wegeunfällen i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII, bei denen eine Entsperrung der Haftung erfolgt, ist zu prüfen, ob nach der ratio legis der §§ 104 f. SGB VII eine Haftungsbeschränkung geboten ist, weil sich aufgrund der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklicht hat, von dem der Unternehmer auch hinsichtlich eventueller Freistellungs- und Erstattungsansprüche grundsätzlich befreit werden soll. Maßgeblich ist das Verhältnis des Geschädigten zu dem in Anspruch genommenen Schädiger. Im Unfall muss sich das betriebliche Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem manifestiert haben.

  4.  Die Teilnahme an einer Vorstandssitzung eines Vereins (hier: sozialpolitischer Interessenverband in der Rechtsform des gemeinnützigen eingetragenen Vereins), die in einer privaten Gaststätte stattfindet, kann eine Haftungsprivilegierung i.S.d. § 105 SGB VII begründen. Das gilt für den von der Organisationsherrschaft des Veranstalters erfassten Bereich. Die Nutzung von Räumlichkeiten einer Gaststätte führt aber nicht dazu, dass der Nutzer ohne weiteres die Organisationshoheit über das gesamte Gaststättengelände samt zugehörigem Hof innehat.

  5.  Bei einem Sturz zu Beginn des Antritts der Rückfahrt nach Beendigung der Sitzung auf dem der Gaststätte vorgelagerten Hofgelände kann es sich um einen Wegeunfall i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII handeln (hier bejaht), wenn der Unfall nicht Ausdruck der betrieblichen Verbindung der Geschädigten zum Verein war und der Hof ohne die Herrschaft des Vereins, der die betriebliche Tätigkeit (hier: Vorstandssitzung) organisiert hat, anderen Besuchern uneingeschränkt offenstand. Der Unfall unterfällt dann keiner Haftungsprivilegierung.


Siehe auch
Haftungsbeschränkung bei Wegeunfällen
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Gründe:


I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem zwischen ihnen geschlossenen Teilungsabkommen aus dem Jahr 2008. Die Klägerin ist eine Berufsgenossenschaft, die Beklagte ein Haftpflichtversicherer.

Das Teilungsabkommen enthält in § 1 Nr. 1 folgende Regelung:

   (1) Werden von der BG (Klägerin) aufgrund des § 116 SGB X Schadenersatzansprüche gegen eine natürliche oder juristische Person erhoben, die bei der … (Beklagten) haftpflichtversichert ist, werden diese ausschließlich nach diesem Teilungsabkommen abgewickelt. Die … (Beklagte) verzichtet auf die Prüfung der Haftungsfrage und beteiligt sich nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen an den Aufwendungen der BG mit 50 % auch in den Fällen, in denen der Schaden nachweislich durch das eigene Verschulden des Verletzten (Geschädigten) entstanden ist.

In § 4 Abs. 2 des Teilungsabkommens heißt es:

   Ansprüche aus Schadensfällen des Fahrers des bei der … (Beklagte) versicherten Kraftfahrzeuges gegen dessen Halter sowie in Fällen der Haftungsprivilegierung im Sinne der §§ 104, 105 SGB VII werden von der abkommensgemäßen Schadenregulierung ausgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Inhalt des Teilungsabkommens (nachfolgend: TA) wird auf die Anlage K 1 (Anlagenband Klägerin) Bezug genommen.

Am 13. September 2017 nahmen die Versicherte der Klägerin und die Versicherte der Beklagten an einer Vorstandssitzung des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) teil. Die Sitzung fand in einer Scheune auf dem Hof der Gaststätte H. in … B. statt. Nach dem Ende der Veranstaltung wollten beide mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Beim Aufsteigen auf ihr Rad bekam die Versicherungsnehmerin der Beklagten plötzlich Krämpfe in beiden Oberschenkeln, verlor die Kontrolle über ihr Rad und stieß gegen das Fahrrad der Versicherten der Klägerin. Die Geschädigte stürzte und verletzte sich erheblich an Hüfte, Hand und Arm. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 70 %. Die bisherigen übergangsfähigen Aufwendungen der Klägerin belaufen sich auf etwas mehr als 160.400,00 €, der hälftige Anteil entspricht der mit dem Antrag zu 1. geltend gemachten Forderung.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hafte für kongruente Schäden der Verletzten unabhängig von einem Verschulden der Schädigerin bis zum Limit in Höhe von 500.000,00 € zu 50 % und darüber hinaus in Höhe der übergangsfähigen Aufwendungen. Eine Ausnahme vom Teilungsabkommen greife nicht, da es sich um einen Wegeunfall i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gehandelt habe. Auch sei der Versicherungsfall nicht durch eine betriebliche Tätigkeit der Versicherten der Beklagten verursacht worden.




Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, eine pauschalierte Haftung gem. § 1 Nr. 1 TA sei gemäß § 4 Abs. 2 TA ausgeschlossen, weil sich die Schädigerin auf die Haftungsprivilegierung gemäß § 105 SGB VII berufen könne. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB stehe nicht entgegen, da der Schadensfall auf dem Betriebsweg eingetreten sei. Auf eine Entsperrung des Haftungsprivilegs komme es wegen § 4 Abs. 2 TA ohnehin nicht an.

Hinsichtlich des Parteivorbringens und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil vom 15.02.2021 (Bl. 71 ff. d.A.) gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Anwendung des Teilungsabkommens sei gemäß § 4 Abs. 2 TA ausgeschlossen. Da die Parteien übereinstimmend davon ausgegangen seien, dass Fälle der Haftungsprivilegierung nach §§ 104, 105 SGB VII auch in der allgemeinen Haftpflichtversicherung ausgenommen sein sollen, stehe der Wortlaut des § 4 Abs. 2 TA, der sich nur auf die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung beziehe, nicht entgegen. Es greife § 105 Abs. 1 SGB VII ein, da der Vorfall als „Betriebsunfall“ zu qualifizieren sei. Der Schaden sei nicht im Rahmen eines Wegeunfalles nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII entstanden, sondern auf einem Betriebsweg.

Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 19.02.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 16.03.2021 bei dem Oberlandesgericht Celle eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 96 d.A.), welche sie mit einem am 09.04.2021 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz (Bl. 108 ff. d.A.) begründet hat.

Die Klägerin macht geltend, zu Unrecht habe das Landgericht einen Unfall auf einem Betriebsweg angenommen und einen Wegeunfall verneint. Hierdurch habe es, was unzutreffend sei, ein Haftungsprivileg gemäß §§ 104, 105 SGB VII angenommen.

Die Klägerin beantragt,

  1.  unter Aufhebung und Abänderung des Urteils des Landgerichts Verden vom 15.02.2021, Az.: 4 O 234/20, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 80.201,48 € zuzüglich Zinsen i. H. von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen;

  2.  festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über Ziff. 1. hinaus nach Maßgabe des die Parteien verbindenden Teilungsabkommens 50 % ihrer weiteren übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen, die ihr infolge des Unfalls der bei der Klägerin versicherten Frau I. K., geb. …1940, vom 13.09.2017 auf dem Hof des Gasthauses H. in der Dstr. … in … B. entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Unfälle im sogenannten innerbetrieblichen Verkehr seien als betriebliche Tätigkeit anzusehen (unter Verweis auf BGH, VersR 1974, 1077: Hotelparkplatzfall). Auch der Senat habe in seinem Beschluss vom 25.09.2018 (14 W 34/18, NJW-RR 2019, 412) ausgeführt, dass entscheidend auf die Betriebsbezogenheit der Tätigkeit abzustellen sei, die im Betriebsinteresse ausgeführt wird.

Die Klage ist der Beklagten ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde (Bl. 24 d.A.) am 29.08.2020 zugestellt worden.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung (Bl. 133 ff. d.A.), die weiteren Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsniederschrift vom 06.07.2021 (Bl.138 d.A.) Bezug genommen.




II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht ein vertraglicher Anspruch auf Ersatz von 50 % der aufgewandten Kosten sowie auf entsprechende Feststellung aufgrund des Teilungsabkommens zu. Die Haftung der Beklagten ist nicht gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII beschränkt.

Da das Haftungsprivileg entsperrt wird, steht § 4 Abs. 2 des Teilungsabkommens (TA) nicht entgegen.

Im Einzelnen:

1. Nach § 1 Nr. 1 Abs. 1 des TA kann die Klägerin, unabhängig von der Frage des (Mit-)Verschuldens, 50 % der Aufwendungen ersetzt verlangen, die sie für Geschädigte erbringt, welche von einer bei der Beklagten haftpflichtversicherten Person geschädigt worden sind. Voraussetzung ist bei Inanspruchnahme der Allgemeinen Haftpflichtversicherung nach § 1 Nr. 1 Abs. 1, S. 2 TA ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und dem versicherten Haftpflichtbereich. Der ist hier gegeben, da die Versicherungsnehmerin der Beklagten aufgrund eines Krampfes mit ihrem Fahrrad kippte und im Kippen bzw. Fallen die neben ihr befindliche Geschädigte traf, die ebenfalls stürzte und sich verletzte.

2. § 4 Abs. 2 TA steht der Anwendung des Teilungsabkommens nicht entgegen. Nach ihrem Wortlaut gilt die Regelung für die Fälle, in denen die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung in Anspruch genommen wird. Dies ist hier nicht der Fall. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf die Allgemeine Haftpflichtversicherung aufgrund übereinstimmender Auslegung der Parteien kommt nicht in Betracht. Soweit das Landgericht ausgeführt hat (S. 4 LGU), die Parteien seien übereinstimmend davon ausgegangen, „Fälle der Haftungsprivilegierung nach §§ 104, 105 SGB VII seien auch in der allgemeinen Haftpflichtversicherung ausgenommen“, findet dies im Parteivorbringen keine Stütze. Das Ergebnis einer telefonischen Erörterung mit den Parteivertretern, auf welches sich das Landgericht bezieht (aaO), ist in der Akte nicht dokumentiert.

3. Unabhängig vom Vorstehenden ist - entgegen der Auffassung des Landgerichts - eine Haftungsprivilegierung zu verneinen mit der Folge, dass das Teilungsabkommen auch dann anzuwenden ist, wenn man die Regelung des § 4 Abs. 2 TA auf die Allgemeine Haftpflichtversicherung für anwendbar hält.

Im Einzelnen:

a) § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII sieht folgende Haftungsprivilegierung vor: Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, sind diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben.




aa) Haftungsprivilegierte Personen/ Versicherungsfall (Arbeitsunfall) i.S.d. § 105 Abs.1 SGB VII:Der Schutzbereich der Norm ist eröffnet. Für die Geschädigte K. lag ein Versicherungsfall vor. Darunter ist gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII ein Unfall zu verstehen, den der Verletzte bei einer nach den §§ 2, 3 oder 6 begründeten (versicherten) Tätigkeit erleidet. Im vorliegenden Fall liegt ein Anwendungsfall von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII vor. Danach sind kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung Personen versichert, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind. Hier war die Geschädigte als Kassenprüferin im Vorstand des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), einem sozialpolitischen Interessenverband in der Rechtsform des gemeinnützigen eingetragenen Vereins (vgl. auch www.sovd.de/ impressum), tätig. Sie hatte an einer Vorstandssitzung teilgenommen.

bb)Betriebliche Tätigkeit:Eine Haftungsbeschränkung nach § 105 Abs. 1 SGB VII würde voraussetzen, dass die Schädigerin den Versicherungsfall der Geschädigten K. durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat. Dies ist zu verneinen.

(1) Als betriebliche Tätigkeit des Schädigers i.S.d. § 105 Abs. 1 SGB VII ist grundsätzlich jede gegen Arbeitsunfall versicherte Tätigkeit zu qualifizieren (vgl. Senat, Urteile vom 08.07.2020 - 14 U 25/18, juris, Rn. 28; vom 12.05.2010 – 14 U 167/09, juris, Rn. 20; vom 23.12.2009 - 14 U 99/09, juris, Rn. 57).

Entscheidend ist, ob es sich um eine betriebsbezogene Tätigkeit handelt, die dem Schädiger von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt worden ist (BAG, Urteil vom 14.03.1974 - 2 AZR 155/73, juris, Rn. 13; OLG Hamm, Urteil vom 15.06.1998 – 6 U 34/98, juris, Rn. 16).

(2) Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist weit auszulegen (Geigel/ Wellner, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., 31. Kap., Rn. 101 mwN) und objektiv zu bestimmen (Geigel/ Wellner aaO, Rn. 104). Erforderlich ist eine unmittelbar mit dem Zweck der betrieblichen Beschäftigung zusammenhängende und dem Betrieb dienliche Tätigkeit. Es kommt darauf an, ob der Schaden in Ausführu ng einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wurde und nicht nur bei Gelegenheit (Geigel/ Wellner aaO, Rn. 104 mwN).

(3) Nach den vorgenannten Grundsätzen ist eine betriebliche Tätigkeit der Schädigerin zu verneinen.


Die Schädigerin war zum Zeitpunkt des Vorfalls im Begriff, den Heimweg anzutreten; während sie dazu ihr Fahrrad bestieg, kippte sie mit diesem um. Sie war weder auf einem betriebseigenen, ihr vom SoVD gestellten („Dienst“-) Fahrrad unterwegs, noch diente die Fahrt einem betrieblichen Zweck. Zwar beabsichtigte die Schädigerin die Rückfahrt vom Versammlungsort nach Hause gemeinsam mit der Geschädigten, ihrer „Kollegin“, anzutreten, indes sollte die Fahrt auf privaten Rädern erfolgen, und Ziel der Fahrt waren die Wohnungen der beiden Beteiligten. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 18.11.1980 - VI ZR 147/78, VersR 1981, 251; vom 24.10.1967 - VI ZR 67/66, NJW 1968, 250 - zu § 637 RVO, beide Urteile auch bei juris) ist die Zurücklegung des Weges von und zu der Arbeitsstätte im eigenen Kfz grundsätzlich nicht Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit. Da die Heimfahrt nicht dem Zweck diente, am Zielort gemeinsame betriebliche Aufgaben zu erfüllen (vgl. für die Mitnahme eines Kollegen im eigenen Pkw auf Dienstfahrt mit einem entsprechenden Zweck Geigel/ Wellner aaO, Rn. 102), ist der Schaden nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht worden. Es handelt sich um eine der privaten Sphäre zuzurechnende Entscheidung der Beteiligten, wie sie den Weg zurücklegen wollten. Betriebliche Gründe oder gar Vorgaben dazu sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc) Die Haftungsprivilegierung des § 105 SGB VII greift auch deshalb nicht ein, weil es sich für die Geschädigte K. nicht um einen Betriebsweg, sondern um eine versicherte Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 SGB VII gehandelt hat. Das Geschehen ist als Wegeunfall i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII zu qualifizieren.

(1) Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist versicherte Tätigkeit das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 und 6 SGB VII zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Begründet wird dieser Versicherungsschutz damit, dass diese Wege nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit, also mit einer auf die versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden (BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R, juris, Rn. 31 mwN). Der Weg des Arbeitnehmers von und zur Arbeit ist dessen Sache, keine betriebliche Tätigkeit und nur aus sozialpolitischen Gründen in der gesetzlichen Unfallversicherung mitversichert (BAG, Urteil vom 14.12.2000 - 8 AZR 92/00, juris, Rn. 16). Die Wege erfolgen entweder mit der Handlungstendenz, sich aus dem privaten Bereich in den betrieblichen Bereich (Weg zu dem Ort der Tätigkeit) oder sich aus dem betrieblichen Bereich zurück in den privaten Bereich (Weg von dem Ort der Tätigkeit) zu begeben (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.2000 – B 2 U 14/10 R, juris, Rn. 31 mwN).

Eine solche, auf die versicherte Tätigkeit bezogene Handlungstendenz, ist hier zu bejahen. Die Geschädigte K. hatte sich in der Scheune des Gasthofes H. in B. wegen der dort stattfindenden Sitzung des örtlichen SoVD-Vorstandes aufgehalten. Die Sitzung selbst war versicherte Tätigkeit. Nach Ende der Veranstaltungar sie im Begriff, den Ort der Tätigkeit wieder zu verlassen, um nach Hause zu fahren.




(2) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2005 – VI ZR 334/04, VersR 2006, 221, Rn. 11 mwN) sowie der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urteil vom 08.07.2020 - 14 U 25/18, juris, insb. Rn. 28 ff.) ist zur Abgrenzung der Unfälle, die unter das Haftungsprivileg der §§ 104 f. SGB VII fallen, von sonstigen Wegeunfällen im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGV VII, bei denen eine Entsperrung der Haftung erfolgt, zu prüfen, ob nach der ratio legis der §§ 104 f. SGB VII eine Haftungsbeschränkung geboten ist, weil sich aufgrund der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklicht hat, von dem der Unternehmer auch hinsichtlich eventueller Freistellungs- und Erstattungsansprüche grundsätzlich befreit werden soll. Maßgeblich ist hier das Verhältnis des Geschädigten zu dem in Anspruch genommenen Schädiger. Im Unfall muss sich das betriebliche Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem manifestiert haben. Dann gelten die Haftungsbefreiungen der §§ 104, 105 SGB VII. Stand jedoch das betriebliche Verhältnis zu dem Unfall in keinem oder nur einem losen Zusammenhang, scheidet eine Haftungsprivilegierung aus. Es kommt deshalb darauf an, inwieweit der Unfall mit dem Betrieb und der Tätigkeit des Versicherten zusammenhing und ob er Ausdruck der betrieblichen Verbindung zwischen ihm und dem Unternehmen war, deretwegen das Haftungsprivileg nach § 105 SGB VII besteht.

Von einem Unfall auf einem Betriebsweg ist somit nur dann auszugehen, wenn die gemeinsame Fahrt der Arbeitskollegen selbst als Teil des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs erscheint (BGH, Urteil vom 02.12.2003 - VI ZR 349/02, juris, Rn. 17; Senat, Urteil vom 08.07.2020 - 14 U 25/18, juris, Rn. 29). Im Gegensatz dazu steht der unter § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII fallende „Wegeunfall“, der sich beim Zurücklegen des mit der Versichertentätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit ereignet. Der Weg zum Arbeitsplatz ist somit kein Betriebsweg i. S. des § 8 Abs. 1 SGB VII, wenn er nicht vom Arbeitgeber organisiert wird ("Sammeltransport") oder in firmeneignen Fahrzeugen durchgeführt (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2003 – VI ZR 348/02, DAR 2004, 344, juris, Rn. 16 f.; Urteil vom 12.10.2000 – III ZR 39/00, BGHZ 145, 311 = VersR 2001, 335, juris, Rn. 14 f.; Urteil vom 05.11.1991 - VI ZR 20/91, VersR 1992, 122, juris, Rn. 11 mwN) oder durch Anordnung des Dienstherrn zur innerbetrieblichen bzw. innerdienstlichen Aufgabe erklärt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2008 – VI ZR 212/07, ZfS 2009, 16, Rn. 18 mwN).

Die Abgrenzung erfolgt aus der Sicht des Geschädigten (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2007 – VI ZR 235/06, VersR 2008, 410, Rn. 16; näher: BAG, Urteil vom 19.08.2004 – 8 AZR 349/03, VersR 2005, 1439, juris, Rn. 19 mwN, Senat, Urteil vom 23.12.2009 - 14 U 99/09, juris).

(3) Im vorliegenden Fall hat der Betrieb, d.h. hier der SoVD, keinerlei Einfluss auf die Fahrt vom Veranstaltungsort genommen und diese insbesondere nicht für die Vorstandsmitglieder organisiert. Wie bereits oben ausgeführt, sind weder Fahrzeuge gestellt noch ist ein bestimmtes Verkehrsmittel für die Anreise verbindlich vorgegeben worden. Die beiden Beteiligten hätten grundsätzlich ebenso mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Auto oder zu Fuß den Hin- oder Rückweg bestreiten können. Das betriebliche Verhältnis der beiden Beteiligten zueinander stand auch deshalb zu dem Unfall nur in einem losen Zusammenhang, da sie ihren Einsatz- bzw. Veranstaltungsort, die Scheune des Gasthofs, bereits verlassen hatten und sich in einem allgemein zugänglichen Bereich befanden, in dem sich ein solcher Vorfall auch ohne jede betriebliche Verbindung hätte ereignen können.

Der Unfall war nicht Ausdruck der betrieblichen Verbindung der Geschädigten zum SoVD, sodass es gerechtfertigt ist, den Unfall nicht vom Haftungsprivileg als erfasst anzusehen. Die Heimfahrt gehörte nicht zum betrieblichen Sonderverkehr. Der Hof der Gaststätte war entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht kein Betriebsgelände.

Nach obergerichtlicher Rechtsprechung wäre dies nur dann der Fall, wenn der Unfall sich in einem Bereich ereignet, über den derjenige die Herrschaft hat, der die betriebliche Tätigkeit organisiert (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.12.2018 - 14 U 179/18, juris, Rn. 40). Der SoVD als Organisator der Veranstaltung hatte über die für die Vorstandsitzung angemietete Scheune während der Veranstaltung ohne Zweifel die Herrschaft und hätte etwa fremde Personen als Störer des Saales verweisen dürfen. Die Scheune unterfiel dem Organisationsbereich des SoVD. Ohne konkrete Anhaltspunkte kann hingegen nicht angenommen werden, dass der SoVD auch über den grundsätzlich allen Besuchern offenstehenden Hof der Gaststätte die Herrschaft innegehabt hätte.

Ob dies anders zu beurteilen wäre, hätte der SoVD das gesamte Gelände der Gasstätte einschließlich des Hofes quasi als „geschlossene Gesellschaft“ angemietet, bedarf hier keiner Entscheidung, da Gegenstand des Mietverhältnisses die Scheune und nicht der Hof war (vgl. Nr. 2.2 der Klageschrift, Bl. 8 f. d.A. samt Anlagen K 3 und K 4 im Anlagenordner, sowie S. 2 der Klageerwiderung, Bl. 39 d.A.; Nr. 1.2 der Replik, Bl. 63 d.A.).


Der geschützte Bereich beschränkt sich auf den Ort der Veranstaltung, d. h. den angemieteten Saal. Die Nutzung von Räumlichkeiten einer Gaststätte führt, anders als die Beklagte offenbar meint, nicht dazu, dass der Nutzer die Organisationshoheit über das gesamte Gaststättengelände innehat. Wie jeder andere Gaststättenbesucher auch hatte der SoVD keinerlei Einfluss auf Gestaltung und Beschaffenheit des Außengeländes oder die Abläufe des Gaststättenbetriebes. Die im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.07.2021 zitierten Entscheidungen des Landgerichts Erfurt (Urteil v. 07.10.2016, 9 O 1039/11, juris) und des OLG Saarbrücken (Urteil v. 19.12.2000, 4 U 941/99, juris) stehen dem nicht entgegen. In beiden Fällen ereigneten sich die Unfälle auf Firmenparkplätzen. Das Gaststättengelände stand hingegen weder im Eigentum noch im Verantwortungsbereich des SoVD. Die Geschädigte K. befand sich nicht mehr im Obhutsbereich des „Arbeitgebers“. Da der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsatz vom 15.07.2021 im Übrigen lediglich Rechtsausführungen enthält, besteht kein Anlass für die Wiedereröffnung der Verhandlung gemäß § 156 ZPO.

Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen „Hotelparkplatzfall“ (BGH, Urteil vom 25.10.2005 - VI ZR 334/04, juris) haben sich die Unfallbeteiligten hier auf dem Gaststättenhof nicht mehr im Gefahrenbereich der gemeinsamen Arbeitsstätte befunden. Arbeitsstätte der Beteiligten war nur der angemietete Saal. Der Hof stand - anders als im zitierten BGH-Fall VI ZR 334/05 der Personal- bzw. Betriebsparkplatz - grundsätzlich dem allgemeinen Verkehr offen. Insofern erscheint es sachgerecht, nicht das Durchfahren der Hofzufahrt als maßgebliches Abgrenzungskriterium für das „Werks- bzw. Betriebsgelände“ anzusehen, sondern die „Außentür der Arbeitsstätte“ (vgl. auch BSG, Urteil vom 22.09.1988 - 2 RU 11/88, juris, Rn. 16), d.h. die Scheunentür zum Hof. Dies ist auch deshalb angezeigt, da sich die Situation auf dem Hof bezüglich der Ordnungsgewalt nicht von derjenigen im allgemeinen Straßenraum unterscheidet. Unabhängig davon, ob die Beteiligten ihre Räder auf dem Gaststättengelände oder davor an der Straße abgestellt hätten, unterlag der Bereich nicht der Ordnungsgewalt des SoVD, sondern derjenigen von Dritten. Soweit Dritter der Betreiber der Gaststätte ist, ist dieser - anders als im Vergleichsfall der Hotelbetreiber - nicht Auftraggeber für einen Arbeitseinsatz der beiden Unfallbeteiligten, sondern lediglich Vermieter der Räumlichkeiten.

Nach alledem liegt kein Betriebswegeunfall vor, sondern ein Unfall auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Weg, und die Beklagte kann sich nicht auf ein Haftungsprivileg berufen.4. Die Hauptforderung ist der Höhe nach unstreitig geblieben. Die insoweit zuerkannten Zinsen seit Klagezustellung rechtfertigen sich aus Verzug gemäß §§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 BGB.5. Der Senat bejaht allein schon aufgrund der unstreitig schweren Verletzungen der Geschädigten K. (vgl. Bl. 9 d. A.) und des ausreichenden Vortrags zur Wahrscheinlichkeit eines drohenden Schadenseintritts (vgl. Bl. 15 d. A.) im Hinblick auf einen etwaigen Verjährungseintritt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 – VII ZR 187/08, juris Rn. 13; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.02.2021 - 17 U 579/19, juris, Rn. 42) das Feststellungsinteresse der Klägerin gemäß § 256 ZPO.



III.

Nach alledem war das angefochtene Urteil auf die Berufung der Klägerin abzuändern.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

V.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

VI.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.

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