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Landgericht Stuttgart Urteil vom 28.10.2021 - 14 O 68/21 - Vermögensschaden trotz objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung

LG Stuttgart v. 28.10.2021: Vermögensschaden trotz objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung




Das Landgericht Stuttgart (Urteil vom 28.10.2021 - 14 O 68/21) hat entschieden:

  1.  In Fällen des sog. "Abgas- oder Dieselskandals" liegt der Schaden des Autokäufers schon in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung in Form des Kaufvertrags. Betroffenes Rechtsgut ist deshalb die Vertragsfreiheit als solche, nicht das Vermögen des Käufers (Anschluss an BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19; entgegen BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 101 AR 161/20).

  2.  Der deliktische Gerichtsstand des Erfolgsorts gemäß § 32 ZPO befindet sich in diesen Fällen am Ort des Vertragsschlusses. Für die Frage, wo der Vertrag geschlossen wurde, ist unerheblich, wo die sich aus ihm ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen sind (Anschluss an RG, Urteil v. 12. Februar 1906 - VI. 343/05, RGZ 62, 379; entgegen OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. Juni 2021 - 16a AR 3/20).


Siehe auch
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal
und
Stichwörter zum Thema Autokaufrecht

Tatbestand:


Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „Abgasskandal“.

Der in M. wohnhafte Kläger erwarb am 19.6.2015 von der X GmbH in Stuttgart das streitgegenständliche Fahrzeug des Typs … der Beklagten. Den Kauf finanzierte er über ein Darlehen bei der X Bank mit Sitz in W. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typgenehmigung nach dem Standard Euro 5 und einen Motor des Typs ….

Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug wird in Abhängigkeit zur Außentemperatur reguliert (sog. „Thermofenster“).

Der Kläger trägt vor, die Motorsteuerung sei derart manipuliert, dass erkannt werde, wann sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand für einen Abgastest befinde. Er macht weiter geltend, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, hätte er hiervon gewusst.

Der Kläger beantragt:

  1.  Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.927,27 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ….

  2.  Festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.

  3.  Die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.820,70 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Sie trägt vor, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Einrichtungen verbaut seien. Das sog. „Thermofenster“ sei aus Gründen des Bauteilschutzes notwendig.

Zur Vervollständigung im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2.9.2021 Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist unbegründet.

A.

Die Klage ist zulässig.

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart ergibt sich aus § 32 ZPO. Danach ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die unerlaubte Handlung begangen wurde, was sowohl den Ort umfasst, an dem der Schädiger gehandelt hat (Handlungsort), als auch den Ort, an dem der schädigende Erfolg eingetreten ist (Erfolgsort). Ohne Belang ist hingegen der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist oder sich vertieft hat (Schadensort).

I.

Gegen die Beklagte ist in Stuttgart kein Gerichtsstand unter dem Gesichtspunkt des Handlungsorts eröffnet.

Der BGH hat mit Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19, Tz. 47 für die Fälle des sog. „Abgasskandals“ Folgendes ausgeführt, dem sich das Gericht anschließt:

   „Insoweit bewirkt § 826 BGB einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. Senatsurteile vom 19. November 2013 - VI ZR 336/12, NJW 2014, 383 Rn. 28 f.; vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 306/03, BGHZ 161, 361, 368, juris Rn. 17; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 385).“

Mit anderen Worten liegt die deliktische Handlung in einem Eingriff in die als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit grundrechtlich geschützten Vertragsfreiheit (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Stand 94. EL Januar 2021, Art. 2, Rn. 19). Der Eingriff in diese erfolgt durch den Vertragsabschluss, zu dem der Vertragspartner verleitet wird, weil im Augenblick des Vertragsschlusses die Parteien grundsätzlich verbindliche und erforderlichenfalls gerichtlich durchsetzbare Verpflichtungen begründen und sich insoweit in ihrer Vertragsfreiheit privatautonom einschränken (vgl. § 311 Abs. 1 BGB).

Dass die Beklagte an dem streitgegenständlichen Kaufvertragsschluss zwischen dem Kläger und dem X Zentrum Stuttgart beteiligt gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Handlungen der Beklagten, die für die Schädigung des Klägers (mit) kausal gewesen sein könnten, würden sich allenfalls auf die Entscheidung beschränken, ein Fahrzeug mit unerlaubten Abschalteinrichtungen in Verkehr zu bringen. Diese Entscheidung dürfte indes entweder am Sitz der Beklagten in I. (Landgerichtsbezirk Ingolstadt) oder am Sitz der Konzernmutter der Beklagten in W. (Landgerichtsbezirk Braunschweig) gefallen sein, woraus sich ein Gerichtsstand in Stuttgart nicht ergibt.


II.

Ein Gerichtsstand in Stuttgart besteht allerdings unter dem Gesichtspunkt des Erfolgsorts, da der streitgegenständliche Kaufvertrag am Sitz des Autohauses in Stuttgart und damit im Landgerichtsbezirk Stuttgart geschlossen wurde.

Ein Vertrag kommt zustande durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Antrag und Annahme, wobei diese jeweils mit ihrem Zugang beim Empfänger wirksam werden, § 130 Abs. 1 BGB. Wird, wie im gewerblichen Geschäftsverkehr üblich, die Annahmeerklärung vom gewerblichen Verkäufer abgegeben, weil seine „Angebote“ unverbindlicher Natur sind, da sie nur dazu dienen sollen, einen Kunden zur Abgabe rechtsverbindlicher Angebote im juristischen Sinne einzuladen, und wird, wie gleichermaßen üblich, gemäß § 151 BGB auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet, kommt der Vertrag dort zustande, wo der Annehmende seine Willenserklärung abgegeben hat (in diesem Sinne: MüKo-BGB/Busche, 9. Aufl. 2021, § 147 Rn. 39).

So liegen die Dinge auch hier, denn auch aus der als Anl. K1 vorgelegten Rechnung lassen sich keine Umstände entnehmen, weshalb im hiesigen Fall von der nach § 151 BGB maßgeblichen Verkehrssitte, auf eine Annahmeerklärung zu verzichten, abgewichen werden sollte.

III.

Auf wirtschaftliche Aspekte, etwa die Frage, wo das Vermögen des Klägers belegen ist, wo der Kaufpreis gezahlt wurde oder wo sich dessen Wohnsitz befindet, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Insofern spielt es keine Rolle, dass diese Orte nicht im Bezirk des Landgerichts Stuttgart liegen, sondern das Vermögen des Klägers sich an dessen Wohnsitz in M. (Landgerichtsbezirk München I) befindet und die Bezahlung des Kaufpreises mittels einer Finanzierung durch die X Bank erfolgte, die ihren Sitz in W. (Landgerichtsbezirk Braunschweig) hat.

1. Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, dass der Wohnsitz des Klägers für die Bestimmung des deliktischen Erfolgsorts maßgeblich sei, weil dort das Vermögen des Klägers belegen sei (in diesem Sinne: BayObLG, Beschluss v. 10.2.2021 – 101 AR 161/20, Tz. 28, juris; OLG Brandenburg, Beschluss v. 30.9.2020 – 1 AR 24/20, Tz. 12, juris; OLG München, Beschluss v. 11.3.2020 – 34 AR 235/19, Tz. 12, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 30.10.2017 – 5 Sa 44/17, Tz. 20, juris; OLG Frankfurt, Beschluss v. 3.7.2017 – 13 SV 6/17, Tz. 15, juris; aus der Literatur: Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 32 Rn. 15; MüKo-ZPO/Patzina, 6. Aufl. 2020, § 32 Rn. 20; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 32 Rn. 13; unklar: OLG Stuttgart, Beschluss v. 9.6.2021 – 16a AR 3/20, das jedenfalls auch auf den Vertragsschluss abstellt) berufen sich diese Stimmen in dem vorliegenden Fall eines unerwünschten Vertragsabschlusses zu Unrecht auf die Rechtsprechung des BGH, Beschluss v. 27.11.2018 – X ARZ 321/18, Tz. 18 (juris). In dieser wird ausgeführt, dass „bei Vermögensschäden aus unerlaubter Handlung der Ort des Schadenseintritts dort [liege], wo in das Vermögen als geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde“ und sie betrifft damit nicht den Fall, in dem – wie unter I dargestellt – in die Vertragsfreiheit und gerade nicht in das Vermögen eingegriffen wird.

So stellt der BGH in seinem Urteil vom 25.5.2020 (VI ZR 252/19, Tz. 47) ausdrücklich klar, dass der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB „nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten [dient]. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ‚ungewollten‘ Verpflichtung wieder befreien können.“ Eine ungewollte Verpflichtung entsteht jedoch gerade mit dem Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts, also des Kaufvertrags.

Anders als im vorliegenden Fall des unerwünschten Vertragsschlusses handelt es sich bei einem Kartellschadensersatzanspruch, zu dem der obige Beschluss des BGH vom 27.11.2018 ergangen ist (dem folgend für Fälle des sog. „Abgasskandals“ allerdings ausdrücklich BayObLG, a.a.O.), auch (nur) um einen Vermögensschaden des betroffenen Käufers, weil er die Kaufsache zwar zu einem kartellbedingt überhöhten Preis kauft, aber – anders als im Falle des „Abgasskandals“ – er den grundsätzlich gewollten Kaufgegenstand erwirbt. Im Falle einer Aufklärung über den kartellbedingt überhöhten Preis hätte der Käufer mithin dieselbe Sache nur zu einem geringeren Preis erworben, weshalb sich der Schaden auf die Preisdifferenz beschränkt. Damit unterscheiden sich diese Fälle von dem hiesigen, weil vorliegend der Käufer eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gerade nicht das begehrte, im öffentlichen Straßenverkehr nutzbare, Fahrzeug erwirbt, sondern ein Fahrzeug, das er, mangels Zulassung zum öffentlichen Straßenverkehr, allenfalls als Ausstellungsstück verwenden dürfte, weshalb davon auszugehen ist, dass er im Falle einer Aufklärung hierüber nicht (nur) einen geringeren Preis gefordert, sondern vom Kauf insgesamt Abstand genommen hätte.

Folgerichtig stellt der BGH in seinem oben unter I. genannten Urteil auch nicht auf seine Rechtsprechung zum Schadensersatz bei Kartellschadensersatzfällen ab, sondern auf seine Rechtsprechung zur Erschleichung von Förderdarlehen durch nicht förderberechtigte Personen (vgl. BGH, Urteil v. 28.10.2014 – VI ZR 15/14; Urteil v. 21.12.2004 – VI ZR 306/03), in der es auf die Frage der wirtschaftlichen Auswirkungen des Vertragsabschlusses auf das Vermögen der Beteiligten aber gar nicht ankommt, sondern ein Schaden auch dann besteht, wenn die im unerwünschten Verpflichtungsgeschäft bestimmte Leistung und Gegenleistung gleichwertig sind (so ausdrücklich BGH, Urteil v. 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Tz. 16; in diesem Sinne auch Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearbeitung 2018, Stand: 28.2.2020, § 826 Rn. 149).

Dies entspricht auch gesetzlichen Wertungen. Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber in § 516 Abs. 2 BGB einen unerwünschten (Schenkungs-)Vertrag gerade für den Fall anerkennt, in dem der Beschenkte aus dem ihm unerwünschten Vertrag ausschließlich wirtschaftliche Vorteile hat, wenn das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vermögensschadens Voraussetzung dafür wäre, einen Vertragsschluss als ungewollt zu klassifizieren.



Dass sich eine ungewollte Verpflichtung aus einem Kaufvertrag im Vermögen des Betroffenen als gegen ihn gerichtete Forderung negativ widerspiegelt, ist zwar zutreffend, stellt aber einen bloßen Schadensort dar, der für die Bestimmung des Gerichtsstands ohne Bedeutung ist (vgl. BGH, Urteil v. 14.5.1969 – I ZR 24/68, Tz. 21, juris).

2. Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertreten wird, es käme für die Bestimmung des Erfolgsorts nach § 32 ZPO darauf an, wo die streitgegenständlichen Verbindlichkeiten aus dem Kaufvertrag zu erfüllen sind (in diesem Sinne OLG Stuttgart, Beschluss v. 9.6.2021 – 16a AR 3/20; KG Berlin, Beschluss v. 2.7.2020 – 2 AR 1013/20, Tz. 12, juris; OLG Hamm, Beschluss v. 3.9.2019 – 32 SA 54/19, Tz. 23, juris), ist dem nicht zu folgen.

So stellt der Bundesgerichtshof (Urteil v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, Tz. 47) zunächst ausdrücklich klar, dass der Schädigungserfolg in einer „auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ‚ungewollten‘ Verbindlichkeit“ liegt. Die Erfüllung dieser ungewollten Verbindlichkeit sorgt jedoch nicht dafür, dass der Betroffene mit der Verbindlichkeit belastet würde, sondern im Gegenteil für deren Erlöschen, § 362 Abs. 1 BGB. Selbstwidersprüchlich ist insoweit die Entscheidung des KG Berlin (Beschluss v. 2.7.2020 – 2 AR 1013/20) das in Tz. 11 die Auffassung vertritt, der Erfolgsort befinde sich dort, wo der Vertrag abgeschlossen und die Vermögensverfügung vorgenommen worden sei, sich in Tz. 12 allerdings auf den – zutreffenden – Standpunkt stellt, durch Erfüllungshandlungen würde der Schaden lediglich perpetuiert, ohne näher zu erläutern, warum es dann auf den Ort der Vermögensverfügung noch ankommen soll (dem folgend ohne nähere Begründung: OLG Stuttgart, Beschluss v. 9.6.2021 – 16a AR 3/20).

Die unerlaubte Handlung, also das Verleiten zum Vertragsschluss, ist außerdem bereits vollendet, bevor dessen Erfüllung erfolgen kann. § 311 Abs. 1 BGB setzt nämlich zwingend voraus, dass ein Vertrag (vollständig und wirksam) geschlossen ist, um in der Folge zu erfüllende Pflichten überhaupt erst zu begründen. In diesem Fall lässt sich jedoch – weil es sich dann nämlich nur um den für den Gerichtsstand irrelevanten Schadensort handelt – aus dem Erfüllungsort des Vertrags kein Gerichtsstand gemäß § 32 ZPO ableiten (vgl. BGH, Urteil v. 14.5.1969 – I ZR 24/68, Tz. 21, juris).

Soweit das OLG Stuttgart (Beschluss v. 9.6.2021 – 16a AR 3/20) in Anlehnung an die obige oberlandesgerichtliche Rechtsprechung die Auffassung vertritt, dass „auch wenn der Schaden im Sinn von § 826 BGB normativ im ungewollten Vertragsschluss zu sehen ist, dies nichts daran [ändert], dass die täuschungsbedingt eingegangenen Verbindlichkeiten aus dem Kaufvertrag gemäß § 269 Abs. 1 BGB jeweils am Wohnsitz des Klägers in […] zu erfüllen waren“, ist auch dies nicht überzeugend.

Für die Frage, an welchem Ort der Vertrag geschlossen wurde, ist die Frage, wo er zu erfüllen ist, ohne Bedeutung (so bereits RG, Urteil v. 12.2.1906 – Rep. VI. 343/05 = RGZ 62, 379, 381).

Darüber hinaus ist kein Grund ersichtlich, weshalb in den Fällen des sog. „Abgasskandals“ das Trennungs- und Abstraktionsprinzip, wonach der Vertragsschluss als Verpflichtungsgeschäft und das zu seiner Erfüllung vorgenommene Verfügungsgeschäft grundsätzlich zwei unterschiedliche und von einander unabhängige Rechtsgeschäfte darstellen, durchbrochen wäre.

Insbesondere liegt keine sog. „Fehleridentität“ vor. Dies würde voraussetzen, dass auch die Vermögensverfügung von der Täuschung beeinflusst wird, was jedoch nicht der Fall ist. Hinsichtlich der Vermögensverfügung unterliegt der Käufer noch nicht einmal einem täuschungsbedingten Irrtum. Nach seiner Vorstellung zahlt er den Kaufpreis, um seine dahingehende Verpflichtung aus § 433 Abs. 2 BGB zu erfüllen. Diese Vorstellung ist zutreffend. Dass der Käufer seinen Willen die Schuld zu tilgen nur entwickelt, weil er davon ausgeht, im Gegenzug ein zulassungsfähiges Fahrzeug übereignet zu erhalten, ist ein unbeachtlicher Motivirrtum (kritisch hierzu auch Meier/Jocham, JuS 2021, 494, 497).

Auch eine Geschäftseinheit, die Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft zu einem einheitlichen Geschäft verbinden würde (vgl. BGH NJW 1981, 274), ist nicht ersichtlich. Insbesondere genügt es nicht, dass der Kaufvertrag und der zur Finanzierung abgeschlossene Darlehensvertrag verbundene Geschäfte im Sinne des § 358 Abs. 4 BGB darstellen, denn auch den Vorschriften über verbundene Verträge liegt die Vorstellung zugrunde, dass die jeweiligen Geschäfte im Ausgangspunkt rechtlich selbständig sind und nur die Rechtsfolgen eines Widerrufs ausgeweitet werden (BeckOGK-BGB/Rosenkranz, Stand 1.10.2021, § 358 Rn. 22).




B.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

I.

Es bestehen keine Ansprüche gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263 StGB oder aus § 826 BGB.

1. Insbesondere fehlt es, soweit zwischen den Parteien unstreitig ist, dass in dem Fahrzeug ein „Thermofenster“ existiert, an einer vorsätzlichen Täuschung bzw. einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung 2007/715/EG nur eine solche Einrichtung, die darauf abzielt, die Leistung des Emissionskontrollsystems während des Zulassungsverfahrens zu verbessern um auf diesem Wege die Typgenehmigung zu erlangen (EuGH, Urteil v. 17.12.2020 – Rs. C-693/18, Tz. 102). Soweit die Beklagte vorträgt, das Thermofenster diene dem Schutz des Motors ist dies, als gerade nicht auf die Erlangung der Typgenehmigung abzielendes Motiv, nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass der EuGH in der obigen Entscheidung festgestellt hat, dass der Rechtfertigungsgrund des Motorschutzes, der eine Prüfstandserkennung rechtfertigen kann, keine vorhersehbaren, der gewöhnlichen Nutzung entsprechende Vorkommnisse, umfasst (EuGH, a.a.O, Tz. 109 f.). Denn damit ist nicht ausgesagt, dass Nutzungs- und Verschleißerscheinungen auch dann außer Betracht zu bleiben hätten, wenn gerade deren Vermeidung das Ziel der fraglichen Funktion ist und nicht die Erkennung der Prüfsituation im Rahmen der Zulassung.

Im Übrigen war das Verständnis, dass auch die Verhinderung der Nutzungs- und Verschleißerscheinungen vom Motorschutz im Sinne der genannten Verordnung erfasst ist, zumindest zum Zeitpunkt des Verkaufs des Fahrzeugs vertretbar, sodass auch insoweit ein Schädigungsvorsatz ausscheidet (vgl. BGH, Beschluss v. 19.1.2021 – VI ZR 433/19).



2. Weitere Manipulationen hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der BGH mit Beschluss vom 28.1.2020 – VIII ZR 57/19 die Auffassung vertreten hat, zum substantiierten Vortrag sei die Äußerung von Vermutungen ausreichend, wenn keine sichere Kenntnis vorliege. Allerdings ergibt sich aus der obigen Entscheidung im Umkehrschluss auch, dass zumindest Anhaltspunkte vorzutragen sind, auf die sich besagte Vermutungen stützen. Hieran fehlt es.

Der klägerische Vortrag lässt sich im Wesentlichen damit zusammenfassen, dass in das streitgegenständliche Fahrzeug ein Diesel-Motor eingebaut ist und dass Fahrzeuge auf dem Prüfstand andere Abgaswerte haben als auf der Straße. Aus dem Umstand, dass es sich bei einem Fahrzeug um eines mit Diesel-Motor handelt lässt sich allerdings nicht per se der Schluss ziehen, dass Abgaswerte manipuliert würden. Auch dass sich die Abgaswerte im tatsächlichen Fahrbetrieb von denen auf dem Prüfstand unterscheiden ist nicht ungewöhnlich, sondern zu erwarten, dient doch die Normierung von Prüfstandsbedingungen gerade dazu, eine im realen Fahrbetrieb nicht vorhandene Vergleichbarkeit herzustellen.

Soweit der Kläger vorträgt, dass andere Fahrzeuge der Beklagten Gegenstand von amtlichen Rückrufen waren, lässt sich hieraus für das streitgegenständliche Fahrzeug, das nur Gegenstand einer freiwilligen Servicemaßnahme und gerade keines Rückrufs war, nichts ableiten.

II.

Mangels Rücknahmepflicht der Beklagten ist kein Annahmeverzug festzustellen. Auch ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten besteht nicht.

C.

Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätze geben zu deren Wiedereröffnung keinen Anlass.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

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