Das Verkehrslexikon

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Oberverwaltungsgericht Bautzen Beschluss vom 03.12.2021 - 6 B 314/21 - Verlust und Wiederhersteellung der Fahreignung bei schizoaffektiver Störung

OVG Bautzen v. 03.12.2021: Verlust und Wiederhersteellung der Fahreignung bei schizoaffektiver Störung




Das Oberverwaltungsgericht Bautzen (Beschluss vom 03.12.2021 - 6 B 314/21) hat entschieden:

  1.  Wer unter einer schizoaffektiven Störung mit gegenwärtig schizomanischer Episode leidet, ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.Die bedingte Wiedererlangung der Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und Ts ist möglich nach dem Abklingen der schizomanischen Episoden und anhaltender psychiatrischer Stabilisierung unter regelmäßigen fachärztlichen Kontrollen.

  2.  Wird der Fahrerlaubnisbehörde ein Fahreignungsgutachten direkt durch die begutachtende Fachärztin zugeleitet, hängt dessen Verwertbarkeit durch die Fahrerlaubnisbehörde maßgeblich davon ab, ob das Gutachten den in § 11 Abs. 5 FeV i. V. m. Anlage 4a zur Fahrerlaubnisverordnung geregelten Anforderungen entspricht.


Siehe auch
Krankheiten und Fahrerlaubnis
und
Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht

Gründe:


Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Mai 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamts für Straßenbau und Verkehr vom 20. Juli 2021 vor dem Verwaltungsgericht am 11. August 2021 im Verfahren 6 K 1543/21 erhobenen Klage des Antragstellers. Mit diesem Bescheid wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen B, C1, BE, C1E, M und L entzogen und der Führerschein eingezogen.

Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der angefochtenen Verfügungen (BVerwG, Urt. v. 23. Oktober 2014 - 3 C 3.13 -, juris Rn. 13; zur Aberkennung des Rechts, von einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen: v. 28. Juni 2012 - 3 C 30.11 -, juris Rn. 1), hier also des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2021.




Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 FeV. Die Fahrerlaubnisbehörde hat gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV demjenigen, der sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV unter anderem insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach den lfd. Nr. 7.5.1 und 7.6.1 dieser Anlage 4 ist bei allen (gegenwärtigen) manischen affektiven Psychosen und bei akuten schizophrenen Psychosen eine Fahreignung für sämtliche Fahrerlaubnisklassen nicht gegeben. Nach Abklingen der manischen Phase der affektiven Psychose ist nach der lfd. Nr. 7.5.2 der benannten Anlage 4 eine Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T gegeben, wenn nicht mit einem Wiederauftreten gerechnet werden muss, ggf. ist eine medikamentöse Behandlung notwendig; für die Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF ist in dem Fall die Fahreignung gegeben, soweit Symptomfreiheit vorliegt. Demgegenüber besteht nach dem Ablauf einer schizophrenen Psychose nach der lfd. Nr. 7.6.2 der benannten Anlage 4 dann eine Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T, wenn keine Störungen nachweisbar sind, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen; für die Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF ist in dem Fall die Fahreignung nur ausnahmsweise unter besonders günstigen Umständen gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Fahrerlaubnisbehörde auf Grundlage des Fahreignungsgutachtens der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. S. (im Folgenden: Fachärztin) vom 2. Juni 2021 davon ausgehen durfte, dass sich der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Danach leidet der Antragsteller unter einer schizoaffektiven Störung mit gegenwärtig schizomanischer Episode. Die Krankheit weise sowohl Merkmale der affektiven als auch schizophrenen Psychosen auf. Unter günstigen Bedingungen könne nach Abklingen der schizomanischen Episoden und anhaltender psychiatrischer Stabilisierung unter regelmäßigen fachärztlichen Kontrollen eine bedingte Fahreignung für die Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T) wiedererlangt werden.




Ohne Erfolg trägt der Antragsteller im Beschwerdeverfahren wiederholt vor, die ihm gegenüber ergangene Anordnung der Antragsgegnerin vom 16. März 2021 zur Beibringung eines verkehrsmedizinischen Fahreignungsgutachtens durch einen Facharzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bis zum 16. Juni 2021, aufgrund derer die Fachärztin tätig geworden sei, sei schon rechtswidrig erfolgt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Fahreignungsgutachten unabhängig davon, ob die Anordnung gerechtfertigt war, jedenfalls dann zu Lasten des Fahrerlaubnisinhabers verwertet werden, wenn es der Behörde vorgelegt wird (BVerwG, Urt. v. 28. Juni 2012 - 3 C 30.11 -, juris Rn. 26; Urt. v. 28. April 2010 - 3 C 2.10 -, juris Rn. 17 ff.). Die Frage der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung stellt sich nur dann, wenn nach § 11 Abs. 8 FeV aus der Tatsache, dass sich der Betroffene weigert, das Fahreignungsgutachten beizubringen oder er dieses nicht fristgerecht beibringt, auf die Nichteignung geschlossen wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 28. April 2010 a. a. O. Rn. 10; SächsOVG, Beschl. v. 18. März 2021 - 6 B 3/21 -, juris Rn. 5; Beschl. v. 26. Februar 2021 - 6 B 431/20 -, juris Rn. 8 m. w. N.). Das Ergebnis der Prüfung oder des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat.

Die Fachärztin durfte das Gutachten auch an die Fahrerlaubnisbehörde übermitteln. Ausweislich der Verwaltungsakte (AS 55) hatte sie es bereits am 2. Juni 2021 fertiggestellt und der Antragsgegnerin übermittelt, wo es am 4. Juni 2021 (AS 54) einging. Dass der Antragsteller mit einer Begutachtung durch Frau Dr. med. S. nicht mehr einverstanden war, teilte sein Prozessbevollmächtigter der Antragsgegnerin und der Fachärztin am 3. Juni 2021 mit, also zu einem Zeitpunkt, an dem das Gutachten bereits fertiggestellt und abgesandt worden war. Zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung und Absendung lag somit ein Einverständnis des Antragstellers noch vor. Im Übrigen hätte die Fachärztin das Gutachten auch dann der Fahrerlaubnisbehörde übersenden dürfen, wenn sie die Mitteilung, dass der Antragsteller mit ihrer Begutachtung nicht mehr einverstanden ist, früher erreicht hätte. Angesichts der Größe der Gefahr, die von einer weiteren motorisierten Verkehrsteilnahme einer Person, an deren Fahreignung erhebliche und begründete Zweifel bestehen, für das Leben und die Gesundheit einer Vielzahl unbeteiligter Personen ausgehen kann, ist der Arzt auch ohne Entbindung von der Schweigepflicht berechtigt, die zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit zuständigen Stellen des Staates von einschlägigen Tatsachen in Kenntnis zu setzen (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 18. März 2021 a. a. O. Rn. 17 m. w. N.). Bei einer Abwägung überwiegt in solchen Fällen die staatliche Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit seiner Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf) das Recht des Antragstellers, über die Weitergabe und Nutzung seiner höchstpersönlichen und sensiblen (Gesundheits-) Daten selbst zu entscheiden (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 33 SächsVerf; vgl. auch § 4 Abs. 1 Nr. 2 Sächsisches Datenschutz-Umsetzungsgesetz) und sein Interesse und das Interesse der Allgemeinheit, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gewahrt bleibt. Dies gilt vor allem auch für psychische Erkrankungen, die die Fahreignung in Frage stellen und zu schwerwiegenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer führen können, wie z. B. organische, affektive oder schizophrene Psychosen (vgl. Nummer 7.1, 7.5 und 7.6 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV sowie SächsOVG, Beschl. v. 18. März 2021 a. a. O.).

Selbst wenn man demgegenüber unterstellt, dass die Antragsgegnerin die Informationen unter Bruch eines Berufsgeheimnisses erlangt hätte, ergäbe sich keine andere Beurteilung, weil dies nicht zu einem Verwertungsverbot für die Informationen bei ihr führen würde. Da sich ein ausdrückliches Verwertungsverbot aus den Regelungen der §§ 11 ff. FeV und auch aus sonstigem innerstaatlichen Recht nicht ableiten lässt, ist im Einzelfall zwischen dem Schutz der betroffenen Rechtsgüter abzuwägen. Diese Abwägung fällt im Fahrerlaubnisrecht aus den eben bei der Offenbarungsbefugnis genannten Gründen bei begründeten Zweifeln an der Fahreignung in aller Regel zu Lasten des jeweiligen Fahrerlaubnisinhabers bzw. -bewerbers aus (SächsOVG, Beschl. v. 18. März 2021 a. a. O. Rn. 18 m. w. N.). Einem Verwertungsverbot steht das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 28. April 2010 a. a. O. Rn. 19).

Wird der Fahrerlaubnisbehörde ein Fahreignungsgutachten - wie hier direkt durch die begutachtende Fachärztin - zugeleitet, hängt dessen Verwertbarkeit durch die Fahrerlaubnisbehörde vielmehr maßgeblich davon ab, ob das Gutachten den in § 11 Abs. 5 FeV i. V. m. Anlage 4a zur Fahrerlaubnisverordnung geregelten Anforderungen entspricht. Ist dem so, kann es von der Fahrerlaubnisbehörde zur Beurteilung der Fahreignung verwertet werden. Daran bestehen hier keine Zweifel.




Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, weist das Gutachten keine für einen Nichtsachkundigen erkennbaren Mängel an der Sachkunde oder Unvoreingenommenheit der Fachärztin auf, die sich bei der Erstellung des Gutachtens an den Vorgaben der Begutachtungsleitlinien orientiert hat. Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Fachärztin die Fremdanamnese der Psychiaterin P., bei der der Antragsteller zuvor in ständiger Behandlung gewesen ist, verwerten durfte. Aus dem Gutachten der Fachärztin geht hervor, dass der Antragsteller hierzu ausdrücklich am 31. Mai 2021 seine schriftliche Zustimmung erteilt hatte. Dass der Antragsteller kein Einverständnis erteilt haben will, wie die Beschwerde vorträgt, ist vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft.

Auch ansonsten ist nicht ersichtlich, dass das Gutachten der Fachärztin zu einem „unzutreffenden Ergebnis“ kommt. Entgegen der Ansicht des Antragstellers kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass er vor der Begutachtung oder im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids medikamentös so eingestellt gewesen ist, dass an seiner Fahreignung keine Zweifel hätten aufkommen können. Der Senat schließt sich den Feststellungen des Verwaltungsgerichts an, wonach die ärztliche Bescheinigung seines Hausarztes Dr. T. schon nicht den sich aus Anlage 4a zur Fahrerlaubnisverordnung ergebenden Anforderungen entspricht, zumal diesem die Zusatzqualifikation als Facharzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation fehlt. Im Übrigen ist beim Antragsteller trotz wiederholter stationärer Behandlung mit medikamentöser Einstellung auch keine Stabilisierung eingetreten, wie die Vorfälle am 23. Dezember 2020 und 9. April 2021 verdeutlichen.

Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab und stellt nach § 123 Abs. 2 Satz 3 VwGO fest, dass er den Gründen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss folgt.

Das vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren zum Nachweis seiner aktuellen Fahreignung vorgelegte neurologisch-psychiatrische Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. P. vom 22. November 2021, welcher über eine Qualifikation zu verkehrsmedizinischer Begutachtung verfügt, rechtfertigt ebenfalls keine Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts.

Im Regelfall richtet sich die nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung nach den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, da das vorläufige Rechtsschutzverfahren letztlich den Rechtsschutz in der Hauptsache sicherstellen soll. Die nach Aktenlage vorgenommene summarische und vorläufige Prüfung stellt zwar ein wesentliches Element der Interessenabwägung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Sofortvollzuges dar, sie vermag aber die Prüfung, ob überhaupt ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug vorliegt, nicht zu ersetzen. Die Anordnung einer sofortigen Vollziehung im Einzelfall nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO setzt ein besonderes Interesse an der Vollziehung schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens voraus. Daher ist auch bei offensichtlicher Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs in der Hauptsache im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO stets zu prüfen, ob das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (zur Ausweisung eines Ausländers: BVerfG, Beschl. v. 12. September 1995 - 2 BvR 1179//95 -, juris Rn. 47; zur Entziehung der Fahrerlaubnis: BVerwG, Beschl. v. 5. November 2018 - 3 VR 1.18 -, juris Rn. 24).

Weist der Betroffene nach Erlass des Widerspruchsbescheids nach, dass er die Fahreignung aktuell wiedererlangt hat, kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Entziehung seiner Fahrerlaubnis mehr bestehen. Bestehen die Zweifel an seiner Fahreignung hingegen fort, gebietet es die anzustellende Interessenabwägung nicht, die Wiederherstellung und Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Anfechtungsklage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis anzuordnen (BVerwG, Beschl. v. 5. November 2018 - 3 VR 1.18, 3 C 13.17 -, juris Rn. 22 ff.).


Im Streitfall bestehen die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers und damit das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung seiner Fahrerlaubnis fort, da er nicht glaubhaft gemacht hat, seine Fahreignung seit Erlass des Widerspruchsbescheids wiedererlangt zu haben. Das von ihm im Beschwerdeverfahren vorgelegte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. P. vom 22. November 2021, das dem Antragsteller unter Auflage eines „weiteren psychiatrischen Dispensaire und einer regelmäßigen medikamentösen Behandlung“ attestiert, er sei aus neurologisch-psychiatrischer und verkehrsmedizinischer Sicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden, ist nicht geeignet, die bestehenden Zweifel an seiner aktuellen Fahreignung auszuräumen. Denn die Begutachtung erfolgte nicht unter Berücksichtigung der von der Fahrerlaubnisbehörde in der Beibringungsanordnung vom 16. März 2021 gestellten Fragen. Danach hat die Beantwortung im Kontext mit Unterlagen zu erfolgen, welche von der Fahrerlaubnisbehörde bestimmt und der begutachtenden Stelle zur Verfügung gestellt werden. Somit entspricht das vom Antragsteller vorgelegte Attest nicht den Anforderungen nach Nummer 1 Buchst. a Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV, wonach die Untersuchung anlassbezogen und unter Verwendung der von der Fahrerlaubnisbehörde zugesandten Unterlagen über den Betroffenen vorzunehmen ist und sich der Gutachter an die durch die Fahrerlaubnisbehörde vorgegebene Fragestellung zu halten hat. Diese Regelungen korrespondieren mit § 11 Abs. 5, Abs. 6 Satz 1 und Satz 4 FeV, wonach die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 FeV in der Anordnung festlegt, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind, diese der untersuchenden Stelle mitteilt und ihr die vollständigen Unterlagen übersendet. Dies gilt sowohl für die Vorbereitung einer Entscheidung über die Entziehung einer Fahrerlaubnis (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 FeV) als auch über die Erteilung oder Verlängerung (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Entspricht ein vorgelegtes Gutachten nicht diesen Anforderungen, ist es nicht verwertbar (Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 41). Hierauf wurde der Antragsteller in der Beibringungsanordnung ausdrücklich hingewiesen. Wie die Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt, fehlt in dem Gutachten von Dr. P. insbesondere ein Eingehen auf Teile der Krankengeschichte sowie auf das Gutachten von Dr. med. S. vom 17. Juni 2021, sodass davon ausgegangen werden muss, dass dem Gutachten von Dr. P. nur ein Teil der Krankengeschichte und der Befunde und Gutachten zugrunde liegen.

Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 9. November 2021 gibt keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Der Antragsteller lässt darin mitteilen, dass er sich inzwischen wieder zur Behandlung bei der Psychiaterin P. begeben habe und diese bestätige, dass er medikamentös eingestellt sei und von ihm keinerlei Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit im Straßenverkehr mehr ausgehe. Das Gericht möge von ihr eine Bescheinigung anfordern. Es ist nicht Sache des Gerichts im Eilverfahren, ärztliche Gutachten in Auftrag zu geben, sondern Sache des Antragstellers, die Wiedererlangung seiner Fahrtüchtigkeit nachzuweisen.

Soweit der Antragsteller vorträgt, er könne seinen privaten wie geschäftlichen Verpflichtungen ohne Fahrerlaubnis nicht mehr nachkommen, rechtfertigt dies ebenfalls kein anderes Ergebnis der anzustellenden Interessenabwägung. Solange er den Nachweis seiner hinreichenden Fahreignung nicht führt, hat sein persönliches Mobilitätsinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse am wirksamen Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer sowie seiner selbst regelmäßig zurückzutreten (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 13. Oktober 2009 - 3 B 314/09 -, juris Rn. 6). Gründe, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung nahelegen könnten, sind nicht ersichtlich. Entscheidend für die Entziehung ist nach Wortlaut und Schutzzweck allein, dass sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG). Ist der Eignungsmangel, also das Fehlen der persönlichen Voraussetzungen des Fahrerlaubnisinhabers „erwiesen“, verlangt der Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Kraftfahrzeugführern, dass der Kraftfahrer, der die in körperlicher, geistiger oder charakterlicher Hinsicht zu stellenden Anforderungen nicht (mehr) erfüllt und deshalb für die übrigen Verkehrsteilnehmer eine Gefahr begründet, keine Kraftfahrzeuge mehr führen darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 18. März 1982 - 7 C 69.81 -, juris Rn. 15, 16 für die Befähigung). Diese Erwägungen gelten unabhängig davon, ob der Eignungsmangel neu aufgetreten ist oder schon längere Zeit oder immer vorlag (st. Rspr; SächsOVG, Beschl. v. 18. März 2021 a. a. O. Rn. 23 m. w. N.).



Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Nr. 1.5, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; abgedruckt z. B. in: SächsVBl. 2014, Heft 1, Sonderbeilage).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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