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Oberverwaltungsgericht Weimar Beschluss vom 27.10.2021 - 2 EO 64/21 - Fehlerhafte Anordnung zur Beibringung eines Facharztgitachtens nach Fahrt unter Cannabis-Einfluss

OVG Weimar v. 27.10.2021: Fehlerhafte Anordnung zur Beibringung eines Facharztgitachtens nach Fahrt unter Cannabis-Einfluss




Das Oberverwaltungsgericht Weimar (Beschluss vom 27.10.2021 - 2 EO 64/21) hat entschieden:

  1.  Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens ist grundsätzlich der Zeitpunkt ihres Erlasses.

  2.  Auf den Zeitpunkt des Erlasses ist aber nicht abzustellen, wenn die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers eindeutig ausgeräumt werden, ohne dass es noch der Vorlage des geforderten Gutachtens bedarf.

  3.  Wurde bei einem Fahrerlaubnisinhaber festgestellt, dass er unter dem Einfluss von Cannabiskonsum gefahren ist, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung der ärztlichen Begutachtung zur Feststellung des Konsumstatus ein Drogenscreening mit einer Haar- und einer Urinanalyse verlangt.

  4.  Die Anordnung wird nicht schon dadurch gegenstandslos, dass der Betroffene noch vor Ablauf der Beibringungsfrist ein freiwillig durchgeführtes Drogenscreening auf der Grundlage einer Haaranalyse nach CTU-Kriterien vorlegt.

  5.  Eine Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens ist nicht mehr anlassbezogen, wenn sich die zu klärenden Fragen allgemein auf den Konsum von Drogen oder Betäubungsmitteln erstrecken, aber keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fahreignung des Betroffenen - außer dem festgestellten Cannabiskonsum – im Hinblick auf andere Betäubungsmittel, namentlich sog. harte Drogen, fraglich erscheinen könnte.


Siehe auch
Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Gründe:


I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Er wurde am 8. September 2018 als Führer eines Kraftfahrzeugs einer polizeilichen Verkehrskontrolle unterzogen. Das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Jena stellte durch toxikologischen Befundbericht vom 30. Oktober 2018 fest, dass das Blutserum des Antragstellers eine Konzentration von 1,2 ng/ml Tetrahydrocannabinol, 2,3 ng/ml 11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol und 65 ng/ml Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure enthielt. Der Antragsgegner ordnete durch Schreiben vom 19. Dezember 2019 an, dass der Antragsteller bis zum 19. März 2020 ein ärztliches Gutachten beizubringen habe. Das Gutachten solle zu folgenden Fragen Stellung nehmen:

   "Liegt beim Untersuchten Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vor? Nimmt er, auch wenn keine Abhängigkeit vorliegt, Betäubungsmittel ein? Es hat ein Drogenscreening mit mindestens einer Harn- und einer Haaranalyse zu beinhalten."

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 6. Januar 2020 ließ der Antragsteller mitteilen, dass er sich bereits einer freiwilligen Drogenkontrolle unterzogen habe. Zugleich legte er ein "Zertifikat über die freiwillige Kontrolle einer Drogenabstinenz" der T... GmbH & Co KG vom 18. Juni 2019 vor. Darin wurde bescheinigt, dass dem Antragsteller am 21. Mai 2019 ein 6,0 cm langer Haarstrang entnommen worden sei und dass sich aufgrund der durchgeführten Analyse keine Hinweise auf eine Einnahme der aufgeführten Suchtstoffe (Opiate, Cocain, Amphetamine/Metam-phetamine, Cannabinoide, Methadon, Benzodiazepine) während des Zeitraums ergäben, der der untersuchten Haarlänge entspreche (Haarwachstum 1 cm pro Monat).




Nachdem der Antragsteller das angeforderte Gutachten nicht vorgelegt hatte, entzog ihm der Antragsgegner durch Bescheid vom 5. November 2020 unter gleichzeitiger Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S und forderte ihn zur Abgabe des Führerscheins auf. Hiergegen erhob der Antragsteller am 18. November 2020 Widerspruch, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag des Antragstellers durch Beschluss vom 15. Januar 2021 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtmäßig sei. Der Antragsgegner habe auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfen, da dieser das von ihm geforderte "medizinisch-psychologische" Gutachten gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht fristgerecht beigebracht habe. Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens könne angeordnet werden, wenn Tatsachen die Annahme begründeten, dass eine Einnahme von Betäubungsmitteln i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes vorliege. Von solchen Tatsachen sei auf Grund des toxikologischen Befundberichts des Universitätsklinikums Jena vom 30. Oktober 2018 auszugehen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei die mit dem ärztlichen Gutachten zu klärende Frage nicht durch das von der T... GmbH & Co KG mittels Haaranalyse erstellte Drogenscreening geklärt. Zwar könnten ursprünglich zu Recht bestehende Bedenken gegen die Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers auch ohne die Vorlage eines zunächst geforderten Gutachtens in sonstiger Weise ausgeräumt werden und die Beibringungsanordnung entbehrlich werden lassen. Dies gelte jedoch nur dann, wenn das Ergebnis der freiwilligen Drogenkontrolle durch die T..._ GmbH & Co KG die Fragestellung des angeforderten ärztlichen Gutachtens bereits vollumfänglich beantworte. Dies sei nicht der Fall. Denn das von dem Antragsteller erstellte Drogenscreening stelle ein reines Messverfahren dar. Es diene dazu, Analysewerte zu bestimmen, die für sich genommen allein anzeigten, ob in den entnommenen Prüfsubstanzen (hier: Haare) Drogen nachzuweisen seien. Diese Nachweise berechtigten aber zunächst nur zu der Feststellung, dass die untersuchte Person Drogen konsumiert habe; eine Aussage über das Konsumverhalten könne diesem Messergebnis nicht entnommen werden. Das von dem Antragsteller angeforderte ärztliche Gutachten beschränke sich dementsprechend nicht darauf, ein Drogenscreening zum Nachweis weiteren Drogenkonsums zu erbringen, sondern fordere darüber hinaus eine fachärztliche Bewertung der angeordneten zwei Drogenscreenings. Nur eine fachkundige Beurteilung des Ergebnisses des Drogenscreenings in Verbindung mit einer themenbezogenen Befragung des Antragstellers könne Aufschluss zur Klärung möglicher Eignungszweifel leisten. Das von dem Antragsgegner angeordnete ärztliche Gutachten umfasse daher einen über das Drogenscreening der T... GmbH & Co KG hinausgehenden Begutachtungsbereich. Das Drogenscreening könne das angeordnete ärztliche Gutachten nicht ersetzen.

Der Antragsteller hat gegen den am 25. Januar 2021 zugestellten Beschluss am 28. Januar 2021 Beschwerde eingelegt und sie zugleich begründet. Darin macht er - teilweise unter konkreter Bezugnahme auf sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren - unter anderem geltend, dass der Schluss auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV nur zulässig sei, wenn die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens rechtmäßig sei. Erforderlich seien konkrete Tatsachen, die den hinreichenden Verdacht für die fehlende Eignung begründeten. Die Anordnung zur Beibringung des ärztlichen Gutachtens sei nicht anlassbezogen und unverhältnismäßig. So habe es für die Fragestellung nach "anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen" keinen konkreten Anhaltspunkt gegeben. Bei ihm sei lediglich ein positiver Befund auf Cannabinoide festgestellt worden. Zudem habe es nicht mehr der Anordnung bedurft, weil er seine Abstinenz durch das Zertifikat der T... GmbH & Co KG bereits nachgewiesen habe und somit auch keine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln habe vorliegen können. Das Drogenscreening bei der Begutachtungsstelle für Fahreignung habe den geltenden Anforderungen entsprochen. Dabei seien keine Cannabinoide, andere Drogen oder berauschende Mittel festgestellt worden.

Er beantragt,

   den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Januar 2021 zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 18. November 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 5. November 2020 wiederherzustellen und unverzüglich den abgelieferten Führerschein an ihn zurückzugeben oder ihm einen neuen Führerschein der Klassen B, M, L und S auszustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

   die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Bescheid. Die in der Anordnung zur Beibringung des ärztlichen Gutachtens gestellten Fragen seien rechtmäßig. Dabei habe er sich an den von der Bundesanstalt für Straßenwesen herausgegebenen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung orientiert. Unter Nr. 3.14.1 der Leitlinien heiße es: "Wer gelegentlich Cannabis konsumiert, ist in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden, wenn er Konsum und Fahren trennen kann, wenn kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und wenn keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen." Aufgrund dieser fachlichen Einschätzung sei die Fragestellung auch zu anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen in der Anordnung gerechtfertigt, selbst wenn zuvor keine konkreten Anhaltspunkte für die Einnahme solcher Stoffe vorlägen. Für die Feststellung der Fahreignung sei bei Cannabis-Konsum die Einnahme von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen von Relevanz. Wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt, habe der Antragsteller die Zweifel an seiner Fahreignung durch das vorgelegte Drogenscreening der T... GmbH & Co KG nicht entkräften können, weil es sich um ein reines Messverfahren handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten (ein Band) und den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners (ein Hefter) Bezug genommen; diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.




II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Das in der Beschwerdebegründung enthaltene Vorbringen, auf dessen Nachprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und dem Antrag des Antragstellers stattzugeben ist.

Bei der Entscheidung über einen einstweiligen Rechtsschutzantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs einerseits und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits vorzunehmen. Für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts ist dabei ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt, unabhängig davon, ob die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts auf einer gesetzlichen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) beruht (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 18. Juli 1973 - 1 BvR 23, 155/73 - BVerfGE 35, 382 [402]; Beschluss des Zweiten Senats vom 21. März 1985 - 2 BvR 1642/83 - BVerfGE 69, 220 [228, 229]).

Diese Abwägung gebietet hier, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids gegenüber dem Aufschubinteresse des Antragstellers zurückstehen zu lassen. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung sprechen überwiegende Gründe dafür, dass sich der angegriffene Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird und dass auf Grund der konkreten Umstände des Falles keine Gründe des öffentlichen Wohls bestehen, die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung einstweilen fortdauern zu lassen.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV kann bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nur dann bejaht werden, wenn Konsum und Fahren getrennt werden, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfindet und wenn keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Die Bewertungen der Anlage 4 zur FeV gelten nach Nr. 3 der Vorbemerkungen für den Regelfall. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.

Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3 FeV) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass (fahreignungsrelevante) Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Die Fahrerlaubnisbehörde legt unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 (und 5) zur FeV in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV). Sie teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat (§ 11 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Die Fahrerlaubnisbehörde darf aus der unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Vorlage des angeforderten Gutachtens allerdings nur dann auf die Nichteignung schließen, wenn die Anordnung der Untersuchung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 21/04 - Juris, Rn. 22; Urteil vom 17. November 2016 - 3 C 20/15 - Juris, Rn. 19; Urteil vom 17. März 2021 - 3 C 3/20 - Juris, Rn. 49).




Diesen Anforderungen wird die Anordnung des Antragsgegners, ein ärztliches Gutachten beizubringen, nicht gerecht, weil die darin enthaltenen Fragen zum Teil nicht anlassbezogen waren.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Anordnung allerdings nicht schon dadurch gegenstandslos geworden, dass er noch vor Ablauf der Beibringungsfrist ein Zertifikat über die freiwillige Kontrolle einer Drogenabstinenz der T... GmbH & Co KG vom 18. Juni 2019 vorlegte. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung ist grundsätzlich der Zeitpunkt ihres Erlasses. Die formellen Anforderungen an den Inhalt einer Beibringungsaufforderung sollen es dem Betroffenen ermöglichen, innerhalb der nach § 11 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 FeV zu bestimmenden Frist eine Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich der geforderten Begutachtung unterzieht oder nicht. Das ist für ihn wegen der sich aus § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ergebenden Rechtsfolgen von besonderer Bedeutung. Die Anordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss ihr entnehmen können, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die mitgeteilten Gründe die behördlichen Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen können. Eine unzulässige Aufforderung zur Gutachtensbeibringung kann daher nicht dadurch geheilt werden, dass die Behörde erst nachträglich die aufzuklärende Frage oder die Begründung für die Gutachtenanforderung berichtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 3 C 20/15 - Juris, Rn. 21; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. Juli 2016 - 10 S 77/15 - Juris, Rn. 50). Auf den Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung ist aber nicht abzustellen, wenn die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers eindeutig ausgeräumt werden, ohne dass es noch der Vorlage des von der Behörde geforderten Gutachtens bedarf (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. Oktober 2016 - 11 ZB 16.1535 - Juris, Rn. 11). Sofern und soweit die ursprünglichen Bedenken nicht mehr aufrechterhalten werden können, wäre eine fortbestehende Anordnung ungeeignet, den Sachverhalt weiter aufzuklären, und unverhältnismäßig.

Im zugrunde liegenden Fall ordnete die Fahrerlaubnisbehörde in der Beibringungsanordnung an, dass ein ärztliches Gutachten vorzulegen sei und dieses ein Drogenscreening mit mindestens einer Harn- und einer Haaranalyse zu beinhalten habe. Diese Anforderungen erfüllt das Zertifikat der T..._ GmbH & Co KG nicht, weil das Drogenscreening allein auf der Grundlage einer Haaranalyse nach CTU-Kriterien (chemisch-toxikologische Untersuchung) durchgeführt wurde. Zwar lassen Begutachtungsstellen häufig eine Haaranalyse (teilweise) ausreichen, wenn es darum geht, bei der Prüfung der Wiedergewinnung der Fahreignung einen Abstinenznachweis für einen zurückliegenden Teilzeitraum zu erbringen. Wurde allerdings bei einem Fahrerlaubnis-Inhaber der Konsum von Cannabis festgestellt, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Fahrerlaubnisbehörde bei der geforderten ärztlichen Begutachtung zur notwendigen Feststellung des Konsumstatus, d. h. des vorangegangenen bis aktuellen Konsumverhaltens (gelegentlich, regelmäßig; vgl. Nr. 9.2.1 und 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV), ein Drogenscreening mit einer Haar- und einer Urinanalyse verlangt. Durch die Analyse von Haarproben kann, anders als durch eine Urinanalyse, ein länger zurückliegender Zeitraum überblickt werden. Durch eine Haaranalyse lässt sich jedoch ein kurzfristig zurückliegender Konsum von Drogen nicht feststellen; auch sind einmalige oder Konsumakte in größeren Abständen oder von geringeren Mengen nicht zuverlässig nachzuweisen (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, Komm. zu Kap. 3.14.2, S. 323 ff.). Beide Analysemethoden weisen jeweils Nachteile auf, die durch die Verbindung beider Untersuchungen verringert werden. Hinzu kommt, dass sich die ärztliche Begutachtung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht auf eine labortechnische Analyse beschränken muss, sondern nach dem Grundsatz der Anlassbezogenheit und Nachvollziehbarkeit auch eine Anamnese, ggf. eine körperliche Untersuchung sowie eine ärztliche Bewertung umfassen kann (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, Anhang, Auszug aus 2. Aufl. 2005, Komm. zu Kap. 3.12.1, S. 431; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5. November 2001 - 10 S 1337/01 - Juris, Rn. 6). Erst auf der Grundlage des im ärztlichen Gutachten befundeten Konsumstatus (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV) kann die Fahrerlaubnisbehörde entscheiden, ob sie über die bisherige Maßnahme hinaus die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV) anordnet.


Die Anordnung des Antragsgegners ist aber deshalb zu beanstanden, weil die darin enthaltenen Fragen wegen ihres inhaltlichen Umfangs nicht mehr anlassbezogen waren. Hinsichtlich des genauen Grades der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss, kommt es auf die besonderen Umstände jedes Einzelfalls an. Das kann unmittelbar aus § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV entnommen werden, der bestimmt, dass die Fahrerlaubnisbehörde die zu klärenden Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls festlegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 - 3 B 16/14 - Juris, Rn. 9). Die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens ist nur anlassbezogen und im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur angemessen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde ausreichende Anhaltspunkte feststellt, die den hinreichenden Verdacht fehlender Fahreignung ergeben. Es bedarf insoweit konkreter Tatsachen, die Bedenken begründen (vgl. § 46 Abs. 3 FeV) bzw. Zweifel aufwerfen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 FeV), dass die körperliche oder geistige Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beeinträchtigt ist. Die Gründe für eine Begutachtung dürfen nicht aus der Luft gegriffen sein. Ein nur auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutender Umstand kann kein hinreichender Grund für die Anforderung eines Gutachtens sein (vgl. Beschluss des Senats vom 2. Februar 2017 - 2 EO 887/16 - Juris, Rn. 23; Dauer in: Hentschel/König/ders., Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 11 FeV, Rn. 23: jew. m. w. Nw.).

Die Anordnung des Antragsgegners vom 19. Dezember 2019 erstreckte die im Gutachten zu klärenden Fragen allgemein auf die Abhängigkeit bzw. den Konsum von "Betäubungsmitteln". Den ausdrücklich formulierten Fragen ist nicht zu entnehmen, dass sie sich auf den Konsum von Cannabis beschränken sollten. Auch wenn im Einzelfall denkbar ist, dass Inhalt und Umfang der vom Gutachter zu klärenden Frage mit hinreichender Deutlichkeit den Gründen der Anordnung entnommen werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 - 3 B 16/14 - Juris, Rn. 9), ist dies hier nicht der Fall. In der Sachverhaltsschilderung der Anordnung wird zwar ausgeführt, dass der Antragsteller bei dem zugrunde liegenden Ereignis ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss führte. Die weitere Begründung im Hinblick auf die Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und die durch das Gutachten aufzuklärenden Fragen bezieht sich jedoch wieder allgemein auf "Rauschmittel", "Drogen" und "Betäubungsmittel". Irgendwelche tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass die Fahreignung des Antragstellers - außer dem festgestellten Cannabiskonsum - im Hinblick auf andere Betäubungsmittel, namentlich sog. harte Drogen, fraglich erscheinen könnte, wurden allerdings weder von der Fahrerlaubnisbehörde angeführt noch sind sie den Akten zu entnehmen. In der nach der Verkehrskontrolle am 8. September 2018 entnommenen Blutprobe wurden außer den (nicht auffällig hohen) cannabinoiden Konzentrationen keine anderen Drogen nachgewiesen. Auch sonst bestanden keinerlei Anzeichen dafür, dass der Antragsteller mit anderen Drogen umgeht und sie konsumieren könnte. Dies gilt umso mehr, nachdem der Antragsteller noch innerhalb der Beibringungsfrist das Zertifikat der T..._ GmbH & Co KG vom 18. Juni 2019 vorlegte, das - auch wenn es, wie ausgeführt, den Anforderungen an ein ärztliches Gutachtens nicht entspricht - ein negatives Drogenscreening für alle gängigen Betäubungsmittel umfasste. Soweit sich die in der Beibringungsanordnung enthaltenen Fragen auch auf andere Betäubungsmittel als Cannabis erstreckten, waren sie daher nicht mehr anlassbezogen und unzulässig (vgl. OVG Nds., Beschluss vom 14. November 2013 - 12 ME 158/13 - Juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2020 - 16 B 672/20 - Juris, Rn. 11 ff.).

Die zu weit gefassten Fragen, die auch durch die Begründung der Anordnung nicht hinreichend eingeschränkt oder konkretisiert werden, führen grundsätzlich dazu, dass die Anforderung des Gutachtens insgesamt unzulässig und rechtswidrig ist. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht, die den Schluss auf die fehlende Fahreignung zuließe, liegt nämlich nicht vor, wenn die Behörde ein - ganz oder teilweise - ungeeignetes Mittel zur Aufklärung etwaiger Eignungszweifel gewählt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 1997 - 3 C 1/97 - Juris, Rn. 17). In einer solchen Konstellation kann dem Betroffenen in der Regel nicht angesonnen werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde. Ihm kann insbesondere nicht zugemutet werden, dem Gutachter etwa verständlich zu machen, dass entgegen dem behördlichen Gutachtenauftrag nur bestimmte Teile der Fragestellungen zulässigerweise zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden dürften (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. Juli 2016 - 10 S 77/15 - Juris, Rn. 46; OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2020 - 16 B 672/20 - Juris, Rn. 19; Dauer in: Hentschel/König/ders., Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 11 FeV, Rn. 42c).



Es kann offen bleiben, ob die erste Frage in der Beibringungsanordnung auch unzulässig ist, soweit sie andere psychoaktiv wirkende Stoffe einbezieht, obwohl es nach dem aktenkundigen Sachverhalt keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür gab, dass der Antragsteller solche Stoffe einnahm oder einnimmt (in dieser Richtung wohl OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2020 - 16 B 672/20 - Juris, Rn. 11 ff.). Allerdings besteht insoweit ein Unterschied zum Konsum anderer Betäubungsmittel (außer Cannabis), der einen eigenständigen Grund für die Annahme der fehlenden Fahreignung darstellt (vgl. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Bei einem gelegentlichen Cannabiskonsum ist die Frage der Fahreignung unmittelbar auch damit verknüpft, ob zusätzliche Hinweise auf eine verminderte Steuerungsfähigkeit bestehen (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 2. Aufl. 2005, Komm. zu Kap. 3.12.1, S. 177). So ist die Fahreignung bei gelegentlichem Konsum von Cannabis gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nur gegeben, wenn außer der Fähigkeit, Konsum und Fahren zu trennen, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt. Dies bedarf hier jedoch aus den vorgenannten Gründen keiner abschließenden Entscheidung.

Soweit der Antragsteller auch begehrt, unverzüglich den abgelieferten Führerschein an ihn zurückzugeben oder ihm einen neuen Führerschein der Klassen B, M, L und S auszustellen, ist der Antrag mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig und abzulehnen. Der Antragsteller hat keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht noch sind solche von Amts wegen ersichtlich, dass der Antragsgegner sich im Falle eines Erfolgs des Eilantrags weigern könnte, den Führerschein herauszugeben oder neu auszustellen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 12. März 2007 - 11 CS 06.2028 - Juris, Rn. 16).

Die Kosten des Verfahrens im ersten und zweiten Rechtszug hat der Antragsgegner zu tragen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit der Antrag abgelehnt wird, unterliegt der Antragsteller nur zu einem geringen Teil (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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