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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss vom 16.01.2002 - 1 Ss 168/01 - Verantwortlichkeit des Fahrers für den Inhalt eines Unfallmerkblatts

OLG Karlsruhe v. 16.01.2002: Verantwortlichkeit des Fahrers für den Inhalt eines Unfallmerkblatts




Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 16.01.2002 - 1 Ss 168/01) hat entschieden:

   Darlegung der gefahrgüterrechtlichen Anforderungen an die mitzuführenden Unfallmerkblätter und für die Verantwortlichkeit des Fahrers für den Inhalt eines Unfallmerkblatts

Siehe auch
Gefahrgutbeförderung - Beförderung von gefährlichen Gütern
und
Pflichten des Fahrzeugführers und Zustand des Fahrzeugs

Gründe:


I.

Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Tauberbischofsheim vom 21.12.2000 wegen "fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 9 Abs. 4 Nr. 3 a, 10 Nr. 8 c, f. GGVS" (richtig: i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter) zu einer Geldbuße von DM 100.- verurteilt. Er hat gegen das Urteil Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und die Sachrüge erhoben.

Die Rechtsbeschwerde wurde gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassen.





II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das angefochtene Urteil hätte schon deswegen nicht bestehen bleiben können, weil die Feststellungen lückenhaft sind. Es wäre erforderlich gewesen mitzuteilen, welchen Inhalt das mitgeführte Unfallmerkblatt hatte, weil nur so dessen Nichtübereinstimmung mit den Vorschriften der GGVS überprüft werden kann. Zudem fehlen im Urteil des Amtsgerichts jegliche Feststellungen zu inneren Tatseite.

2. Der Senat hat mit Beschluss vom heutigen Tag die Rechtslage zum Inhalt der bei Gefahrguttransporten mitzuführenden Merkblätter im Verfahren 1 Ss 140/01, in dem es um die Verantwortlichkeit des Verladers ging, wie folgt beurteilt:

Nach § 9 Abs. 4 Nr. 3a der Gefahrengutverordnung Straße (GGVS) vom 22.12.1998 (BGBl. I S. 3993) hat der Fahrzeugführer die nach Randnummer 10381 der Anlage B zum Europäischen Übereinkommen vom 30. September 1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) in der Fassung durch die 14. ADR-Änderungsverordnung vom 29. September 1998 (BGBl. II S.2618) aufgeführten Begleitpapiere mit sich zu führen. Verstößt er schuldhaft hiergegen, handelt er ordnungswidrig gem. § 10 Nr. 8 c GGVS i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter vom 29. September 1998 (BGBl. I S.3114).




§ 9 Abs. 2 Nr. 6 legt dem Verlader (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5 GGVS) die bußgeldbewehrte (§ 10 Nr. 6 f GGVS) Pflicht auf, dafür zu sorgen, dass die in Anlage B Randnummer 10385 Abs. 1 und 3 S. 2 beschriebenen schriftlichen Weisungen in den Besitz des Fahrzeugführers gelangen.

Anlage B Randnummer 10385 schreibt den Inhalt der schriftlichen Weisungen für den Fahrzeugführer bei Unfällen oder sonstigen Zwischenfällen, die sich während der Beförderung ereignen, vor. Hierbei enthält Absatz 1 unter

lit. c: die zu treffenden allgemeinen Maßnahmen, wie z.B. die Warnung anderer Verkehrsteilnehmer,

lit. d: die bei kleineren Leckagen oder Undichtigkeiten zur Verhinderung größerer Schäden zu treffenden zusätzlichen Maßnahmen,

lit. e: die gegebenenfalls für spezielle Güter zu treffenden besonderen Maßnahmen,

lit. f: die erforderliche Ausrüstung zur Anwendung der allgemeinen und ggf. der zusätzlichen und/oder besonderen Maßnahmen.

In Abs. 8 wird der Inhalt der Weisung weiter konkretisiert und ein Muster zur Erstellung vorgeschrieben. Unter dem Punkt "Vom Fahrzeugführer zu treffende allgemeine Maßnahmen" heißt es u.a.:

   "- Warnzeichen auf der Straße aufstellen ..." Unter dem Punkt "Vom Fahrzeugführer zu treffende zusätzliche und/oder besondere Maßnahmen" heißt es:

   "Dieser Abschnitt enthält geeignete Anweisungen sowie ein Verzeichnis der erforderlichen Ausrüstung (z.B. Schaufel, Auffangbehälter ...), die es dem Fahrzeugführer erlauben, die gemäß der (den) Klasse(n) der beförderten Güter erforderlichen zusätzlichen und/oder besonderen Maßnahmen zu treffen."


Welche Anweisungen im Einzelfall geeignet und welche Hilfsmittel hierfür erforderlich sind, wird nicht genannt. Einen Hinweis hierfür liefert jedoch Anlage B Randnummer 10260. Dort wird vorgeschrieben, mit welchen Ausrüstungsgegenständen der Fahrzeughalter das Fahrzeug auszustatten hat. So werden unter

lit. b und a zwei selbststehende Warnzeichen (z.B. reflektierende Kegel etc.) und unter

lit. c die erforderlichen Ausrüstungen zur Durchführung der in den Sicherheitshinweisen nach Rn. 10385 genannten zusätzlichen und besonderen Maßnahmen aufgeführt.

Allerdings werden die erforderlichen Ausrüstungsgegenstände auch hier nicht konkretisiert im Gegensatz zur Vorgängervorschrift (entsprechend der 13. ADR-Änderungsverordnung), in der z.B. noch "Kanalisationsabdeckung und geeignete Bindemittel" ausdrücklich genannt wurden. Jedoch lässt sich lit. b entnehmen, dass jedenfalls bei den vom Fahrzeugführer zu treffenden allgemeinen Maßnahmen als Ausrüstung für die Maßnahme "Warnzeichen auf der Straße aufstellen" das hierfür erforderliche Warnzeichen aufzuführen ist. Sinn der Änderung der Randnummer 10260 war es, den Beteiligten am Gefahrenguttransport eine flexiblere Regelung an die Hand zu geben. Rdn. 10260 a.F. sah die dort vorgeschriebene Ausrüstung für jede Beförderungseinheit vor, ohne danach zu differenzieren, welches Gefahrengut geladen war. So mussten z.B. auch dann Kanalabdeckungen und Bindemittel mitgeführt werden, wenn keine flüssigen Stoffe geladen waren. Die genannte Änderung entbindet jedoch weder den Halter davon, das Fahrzeug mit den im Einzelfall gemäß der Klasse der beförderten Güter erforderlichen Hilfsmitteln auszustatten, noch den Verlader diese im Unfallmerkblatt aufzuführen. Die wünschenswerte höhere Flexibilität für die am Gefahrenguttransport Beteiligten erfordert andererseits eine höhere Sorgfalt bei der Erstellung des Unfallmerkblattes. Hinweise dafür, welche Maßnahmen zu treffen und welche Hilfsmittel nötig sind, gibt die Richtlinie zur Durchführung der Gefahrengutverordnung Straße (GGVS-Durchführungsrichtlinie - RS 002) vom 19.05.1999 (VkBl. S. 419, Anlage zu VkBl. 12/1999 vom 30.06.1999). Hierbei handelt es sich zwar nur um eine verwaltungsinterne Regelung, die lediglich die Vollzugsbehörden bindet, sie dient aber auch dazu, den Betroffenen die Anwendung und den Umgang mit den Bestimmungen der GGVS zu erleichtern. Bei der Auslegung der Verordnung kommt ihr daher eine nicht unmaßgebliche Rolle zu. Die Durchführungsrichtlinie nennt unter Punkt 94.7.5 als geeignete Hilfsmittel Schaufel, Besen, Auffangbehälter (ggf. mit Angabe des Fassungsraums), Bindemittel (ggf. mit Angabe der Masse) und Kanalisationsabdeckung (ggf. mit Angabe der Größe). Unter Punkt 94.8.1 wird für die Erstellung der schriftlichen Weisungen eines Einzelunfallmerkblattes das Muster 1 der Anlage 6 empfohlen. Dort werden bei Flüssigkeiten, unter den zu treffenden allgemeinen Maßnahmen, als Hilfsmittel zwei selbststehende Warnzeichen und, unter den zusätzlichen und/oder besonderen Maßnahmen, als Hilfsmittel Kanalisationsabdeckung, Schaufel, Besen und Auffangbehälter genannt.



Der Senat ist der Auffassung, dass die Richtlinie damit die GGVS zutreffend auslegt. So können bei flüssigen Stoffen kleinere und größere Mengen Gefahrengut austreten. Hiergegen sind geeignete Maßnahmen vorzusehen. Sollen etwa Tropfmengen aufgefangen werden, so ist anzugeben, mit welchem Hilfsmittel dies erfolgen soll. Es liegt auf der Hand, dass hier ein geeigneter Auffangbehälter mitzuführen ist. Nichts anderes gilt etwa für die Maßnahme "Eindringen in Kanalisation, Gruben, Keller möglichst verhindern". Alleine mit einer Schaufel oder einem Spaten wird hier nicht viel auszurichten sein, wenn, wie etwa in Innenstädten, keine Bindemittel wie Erde oder Sand vorhanden sind. Hier ist das Mitführen von Kanalisationsabdeckungen und Bindemitteln erforderlich.

Unzumutbare Anforderungen an die am Gefahrenguttransport Beteiligten werden damit nicht gestellt, sind dies doch relativ kostengünstig zu erwerbende Hilfsmittel, die jedoch geeignet sind, den von dem Gefahrengut ausgehenden Umweltgefahren wirksam zu begegnen.


3. Eine Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht kam nicht in Betracht. Der Senat schließt aus, das bei einer Neuverhandlung noch Feststellungen getroffen werden könnten, die zu einer Verurteilung des Betroffenen führen. Auf der Grundlage der bisherigen - insoweit rechtsfehlerfreien - Feststellungen kann dem Betroffenen jedenfalls ein Verstoß gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht nicht angelastet werden. Zwar sind wegen der besonderen Gefahren, die von der Beförderung gefährlicher Güter ausgehen, an die am Gefahrenguttransport Beteiligten hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht bei der Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen über die Ausrüstung und Kontrolle der Fahrzeuge zu stellen. Es würde jedoch eine Überspannung der Anforderungen an die Sorgfaltspflicht darstellen, wollte man von dem Fahrzeugführer verlangen, er habe die ihm vom Verlader oder Beförderer zur Verfügung gestellten Unfallmerkblätter auf ihre Übereinstimmung mit der normativen Regelung der Randnummer 10385 der Anlage B zu überprüfen. Zudem bestimmt Abs. 3 S. 1 der Randnummer 10385 ausdrücklich, dass der Absender (Verlader) für den Inhalt der schriftlichen Weisung verantwortlich ist. Der Fahrzeugführer, der die ihm vom Verantwortlichen übergebenen Merkblätter mitzuführen hat, hat daher nur zu prüfen, ob und ggf. welches Gefahrengut er geladen hat und ob er das bzw. die dafür erforderlichen schriftlichen Weisungen (Unfallmerkblätter) mit sich führt (ähnlich OLG Köln VRS 77, 78). Diese Sorgfalt hat der Betroffene beachtet, da er ein die Klasse des transportierten Gefahrengutes betreffendes Unfallmerkblatt mit sich führte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.

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