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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil vom 31.03.2021 - 13 U 354/20 - Musterfeststellungsklage muss vor Verjährungseintritt erfolgt sein

OLG Karlsruhe v. 31.03.2021: Musterfeststellungsklage muss vor Verjährungseintritt erfolgt sein




Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 31.03.2021 - 13 U 354/20) hat entschieden:

   Die rechtzeitige Hemmung der Verjährung setzt nicht voraus, dass die Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage in „unverjährter Zeit“ erfolgt ist. Vielmehr ist ausreichend, wenn die Erhebung der Musterfeststellungsklage vor Verjährungseintritt erfolgt ist.

Siehe auch
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal
und
Stichwörter zum Thema Autokaufrecht

Gründe:


I.

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche hinsichtlich eines von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal.

Die Klagepartei erwarb im April 2015 einen gebrauchten Pkw VW Tiguan, bei welchem ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut ist, und der eine Laufleistung von 5.860 Kilometern hatte, zum Kaufpreis von 34.649,00 Euro.

In den Fahrzeugen des streitigen Typs war - beginnend im Laufe des Jahres 2008 - eine Software zur Steuerung des Motors installiert, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testlauf unter Laborbedingungen oder im normalen Straßenverkehr befindet. Während im Testlauf die Motorsteuerung dergestalt erfolgt, dass mittels einer Abgasrückführung die Abgase zusätzlich gereinigt werden und die Emissionsgrenzwerte entsprechend der genannten Verordnung eingehalten werden (Abgasrückführungsmodus 1), ist im Betriebsmodus des normalen Straßenverkehrs der Abgasrückführungsmodus 0 aktiv, in dem keine oder eine deutlich geringere Abgasrückführung stattfindet.

Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Unter dem 15. Oktober 2015 erging gegen sie ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-​Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte hat den Haltern von betroffenen Fahrzeugen das Aufspielen eines Software-​Updates angeboten, mit denen die Software entfernt werden sollte.




Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 04.12.2019, eingegangen beim Landgericht am gleichen Tag, erhoben und am 10.01.2020 der Beklagten zugestellt.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger hat vorgetragen, er habe sich am 14.09.2019 zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet und am 27.09.2019 wieder abgemeldet. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich der Kläger nicht auf die Hemmung der Verjährung berufen könne, weil er sich erst im Jahr 2019, und somit bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die behaupteten Ansprüche des Klägers verjährt seien, zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet habe. Die Inanspruchnahme des Musterfeststellungsverfahrens sei zudem rechtsmissbräuchlich.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, der erstinstanzlichen Feststellungen sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Hiergegen richten sich die Berufungen der Parteien.

Die Beklagte beantragt,

   Das am 27. April 2020 verkündete Urteil des Landgerichts Offenburg, Az.: 3 O 455/19 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Berufung der Klagepartei zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

  1.  Das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 27.04.2020, 3 O 455/19 wird, soweit die Klage abgewiesen wurde, aufgehoben und wie folgt abgeändert

  2.  Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.419,08 freizustellen.

und

   Die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.





II.

A)

Die statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet, da das Landgericht der Feststellungsklage zu Recht stattgegeben hat.

1. Die Feststellungsklage ist zulässig.

a) Der gestellte Feststellungsantrag genügt bei der gebotenen Auslegung den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. Senat, Urteil vom 06. November 2019 – 13 U 12/19, juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019 - 17 U 160/18, juris Rn. 65).

b) Das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist gegeben. Es ergibt sich aus dem berechtigten Interesse der Klagepartei, die Haftung der Beklagten, die ihre Einstandspflicht bestreitet, zum Zwecke der Verjährungshemmung wegen des gesamten Anspruchs feststellen zu lassen. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert nicht an der Subsidiarität der Feststellungsklage. Zwar fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (BGH, Urteil vom 19.04.2016 - VI ZR 506/14, juris Rn. 6). Die Klagepartei muss sich jedoch vorliegend nicht auf eine Leistungsklage verweisen lassen, weil die Schadensentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.1983 - VIII ZR 3/82, juris Rn. 27 mwN; Senat, Urteil vom 06. November 2019 – 13 U 12/19, juris Rn. 17 ff).

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Kläger grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Denn es besteht keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Dementsprechend kann der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht verlangen, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 30.03.1983 - VIII ZR 3/82, juris Rn. 27 mwN; BGH, Urteil vom 19.04.2016 - VI ZR 506/14, juris Rn. 6 mwN).

Dabei setzt die Zulässigkeit der Feststellungsklage zumindest eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts voraus, wenn nicht die Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines absoluten Rechtsguts, sondern für reine Vermögensschäden festgestellt werden soll (vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2015 - IV ZR 36/14, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 07.05.2019 - II ZR 278/16, juris Rn. 31). Die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts muss der Kläger nach allgemeinen Grundsätzen substantiiert dartun (vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2015 - IV ZR 36/14, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 07.05.2019 - II ZR 278/16, juris Rn. 30 ff.). Allerdings ist die Frage, ob der Kläger die Wahrscheinlichkeit künftiger Schäden hinreichend dargelegt hat, mit Rücksicht auf die drohende Verjährung großzügiger zu bewerten, wenn bereits eine erste Vermögensbuße eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.07.2018 - I ZR 274/16, juris Rn. 26).




bb) Nach diesen Maßstäben ist die erhobene Feststellungsklage zulässig. Die Klagepartei hat die Wahrscheinlichkeit eines in der Fortentwicklung befindlichen Schadens substantiiert dargetan. Die Klagepartei macht geltend, dass sie bereits durch den Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug, in das eine nach Ansicht des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen sei, einen Vermögensschaden erlitten hat. Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens war im Zeitpunkt der Klageerhebung ein auf der schädigenden Handlung beruhender, künftig erwachsender Vermögensschaden wahrscheinlich. Denn im Zeitpunkt der Klageerhebung stand nach allgemeiner Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Klagepartei bis zum Vollzug der Rückabwicklung der Erhaltung oder Wiederherstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugs dienende, über notwendige Unterhaltungskosten hinausgehende Aufwendungen tätigt (wie z. B. größere Reparaturen), die sie ohne die behauptete schädigende Handlung der Beklagten - mangels Erwerbs des Fahrzeugs - nicht getätigt hätte (Senat, Urteil vom 06. November 2019 – 13 U 12/19, juris Rn. 20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019 - 17 U 160/18, juris Rn. 79 f.; OLG Koblenz, Urteil vom 16.09.2019 - 12 U 61/19, juris Rn. 94). Diese Aufwendungen könnte die Klagepartei nach § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich von der Beklagten ersetzt verlangen. Dies genügt für die Annahme eines Feststellungsinteresses (Senat, Urteil vom 06. November 2019 – 13 U 12/19, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019 - 17 U 160/18, juris Rn. 80), da nicht ausgeschlossen ist, dass der Klagepartei abzüglich im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigender, ersparter Aufwendungen ein erstattungsfähiger Schaden verbliebe. Hinzu kommt, dass die Klagepartei nachteilige Auswirkungen durch das Software-​Update behauptet, das zur Vermeidung zulassungsrechtlicher Nachteile aufzuspielen war. Von daher ist nach dem für das Feststellungsinteresse maßgeblichen Klägervorbringen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 28.10.2014 - 22 U 175/13, juris Rn. 24) zu befürchten, dass der Klagepartei bis zum Vollzug der Rückabwicklung weitere, noch unbezifferbare „Folgeschäden“ entstehen.

Auf die Frage, ob im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung sämtliche ersatzfähigen Vermögensschäden entstanden und bezifferbar sind, kommt es nicht an. Denn in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist seit langem anerkannt, dass eine ursprünglich zulässige Feststellungsklage nicht dadurch unzulässig wird, dass im Verlaufe des Rechtsstreits die Voraussetzungen für den Übergang zu einer Leistungsklage eintreten (vgl. nur BGH, Urteil vom 04.06.1996 - VI ZR 123/95, juris Rn.13 mwN; Urteil vom 04.11.1998 - VIII ZR 248/97, juris Rn. 15 mwN; Senat, Urteil vom 06. November 2019 – 13 U 12/19, juris Rn. 21).

2. Die Feststellungsklage ist auch begründet.

Ein Feststellungsantrag ist nach allgemeinen Grundsätzen begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH, Beschluss vom 09.01.2007 - VI ZR 133/06, juris Rn. 6). Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Die Beklagte haftet der Klagepartei aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB.




3. Die Beklagte, die für das Vorliegen der Voraussetzungen der Verjährung darlegungs- und beweispflichtig ist, kann sich nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB berufen.

a) Es genügt insoweit, dass die Einrede der Verjährung einmal erhoben wird. Einer ausdrücklichen Wiederholung der Einrede der Verjährung in der zweiten Instanz bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1988 - IX ZR 33/88 -; OLG Stuttgart, Urteil vom 14. April 2020 – 10 U 466/19 –, Rn. 37, juris).

b) Für Schadensersatzansprüche nach §§ 826, 31 BGB und nach § 831 BGB in Verbindung mit § 826 BGB gilt die regelmäßige 3-​jährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2012, II ZR 177/11, juris Rn. 14). Die Verjährungsfrist beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis der den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners hat oder die Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit nicht hat.

Die dreijährige Verjährungsfrist hat entgegen der Auffassung des Landgerichts bereits mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen. Der Kläger hatte nach unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten (AS I, 339) bereits im Jahr 2015 Kenntnis davon erlangt, dass sein Fahrzeug vom Dieselabgasskandal betroffen war.

Aus den Mitteilungen der Beklagten und des KBA sowie der nachfolgenden Berichterstattung, die von der Beklagten im Einzelnen dargelegt wurde (AS I, 341 bis 359), ergab sich, dass mehrere Millionen VW-​Dieselfahrzeuge mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet waren, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden, dass das KBA der Beklagten deshalb einen Rückruf und eine Nachbesserung der betroffenen Fahrzeuge aufgab, und dass die Software von der Beklagten als „Umschaltlogik“, hingegen von den Medien als „Schummelsoftware“, „Manipulationssoftware“ und „Softwaretrickserei“ beschrieben wurde.

Naturgemäß war dem Kläger weiter bekannt, ob er beim Kauf des Fahrzeugs die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben als selbstverständlich vorausgesetzt hatte und ob er das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn er von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und den damit möglicherweise verbundenen (rechtlichen) Konsequenzen gewusst hätte (BGH, Urteil vom 17.12. 2020 – VI ZR 739/20, Juris Rn. 21).

Die dem Kläger bekannten Tatsachen reichten aus, den Schluss nahe zu legen, dass der Einbau der Motorsteuerungssoftware, die nach ihrer Funktionsweise ersichtlich auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde abzielte, auf einer am Kosten- und Gewinninteresse ausgerichteten Strategieentscheidung beruhte (vgl. BGH, aaO, Rn 22). Denn die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung betraf die grundlegende strategische Frage, mit Hilfe welcher technischen Lösung die Beklagte die Einhaltung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-​Norm sicherstellen wollte. Sie wirkte sich auf die Produktion von mehreren Millionen Fahrzeugen aus und war mit weitreichenden Konsequenzen, nicht zuletzt enormen Risiken, verbunden. Aus denselben Gründen war es weiter naheliegend, dass eine solche Strategieentscheidung nicht etwa von einem untergeordneten Mitarbeiter im Alleingang, sondern von einem Vorstand oder einem sonstigen verfassungsmäßig berufenen Vertreter, dessen Verhalten der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen ist, getroffen oder jedenfalls gebilligt worden war. Da sich die Unzulässigkeit der verwendeten Motorsteuerungssoftware aufdrängt, konnte daraus ohne Weiteres der Schluss auf ein diesbezügliches Bewusstsein des verfassungsmäßig berufenen Vertreters gezogen werden, ferner auf dessen Bewusstsein, dass angesichts der mit der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verbundenen, die volle Brauchbarkeit des Fahrzeugs einschränkenden Risiken niemand ein solches Fahrzeug - zumindest nicht ohne einen erheblichen Abschlag vom Kaufpreis - erwerben würde.

c) Der Ablauf der Verjährungsfrist ist aber mit Wirkung zum 01.11.2018 durch die Anmeldung des Klägers zum Klageregister der Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, 4 MK 1/18, am 14.09.2019 (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB) sowie im Anschluss durch Klageerhebung im Dezember 2019 (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) gehemmt worden.

aa) Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB wird die Verjährung durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, gehemmt, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, 4 MK 1/18, liegen dieselben Feststellungsziele wie der vorliegenden Klage, nämlich eine sittenwidrige Schädigung der Beklagten durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeuges, das mit dem Motor EA 189 und einer vom Kraftfahrtbundesamt durch Bescheid vom 15.10.2015 beanstandeten, unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, zugrunde.

Vorliegend hat sich die Klagepartei am 14.09.2019 mit E-​Mail an das Bundesamt für Justiz zum Klageregister zu der Musterfeststellungsklage angemeldet (Anlage R 23, R 24 und R 25). Der Ablauf der Verjährungsfrist wurde damit gehemmt.

bb) Der Hemmung der Verjährung steht nicht entgegen, dass sich der Kläger erst im Jahr 2019 der Musterfeststellungsklage angeschlossen hat, da die Erhebung der Musterfeststellungsklage bereits am 01.11.2018 erfolgte.


Die rechtzeitige Hemmung der Verjährung setzt nicht voraus, dass die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage in unverjährter Zeit erfolgt ist, vielmehr ist es ausreichend, wenn die Erhebung der Musterfeststellungsklage vor Verjährungseintritt erfolgt ist (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-​Anhalt, Urteil vom 01. 04. 2020 - 12 U 198/19, Juris, Rn. 70; OLG Naumburg, Urteil vom 01.04.2020 - 12 U 198/19, beck-​online, Rn. 59 ; offengelassen: OLG München, Beschluss vom 07.09.2020 - 3 U 2049/20, beck-​online, Rn. 25; Staudinger/Herrler, 2019, § 204, Rn. 48 h MüKO/Grothe, 8. Aufl., § 204 BGB, Rn. 30 a; Rüsing, NJW 2020, 2588, 2590). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach mit der Erhebung der Musterfeststellungsklage die Hemmung beginnt. Auch der Gesetzgeber wollte eine Hemmungswirkung im Zeitpunkt der Klageerhebung (BT-​Drucksache 19/2701, S. 9): „Mit der Erhebung der Musterfeststellungsklage wird, wie auch sonst nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei Klageerhebung üblich, die Verjährung noch nicht verjährten Ansprüche gehemmt unter der Bedingung, dass der Verbraucher den Anspruch, dem derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt, in dem Klageregister anmeldet. Erfolgt keine fristgerechte, wirksame Anmeldung des individuellen Anspruchs zum Klageregister, entfällt die verjährungshemmende Wirkung für diesen Anspruch wieder. Damit kann sich der Beklagte mit der Erhebung der Musterfeststellungsklage darauf einstellen, dass bei Ansprüchen mit demselben Lebenssachverhalt zunächst Verjährungshemmung eintritt und nur für die Verbraucher entfällt, die ihre Ansprüche nicht bzw. nicht wirksam zum Klageregister anmelden.“ Die Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage stellt somit keine Hemmung eines möglicherweise verjährten Anspruchs dar, weil der Anspruch bereits mit der Erhebung der Musterfeststellungsklage schwebend gehemmt war.

cc) Nach § 204 Abs. 2 BGB endet die Hemmung sechs Monate nach Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister. Diese ist am 27.09.2019 erfolgt (Anlagen R 27). Die Klagepartei hat noch im Dezember 2019 beim Landgericht Freiburg Klage eingereicht, die der Beklagten im Januar 2020 zugestellt wurde. Hierdurch ist der Ablauf der Verjährung erneut nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.

dd) Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage habe die Verjährung nicht hemmen können, da sich nach der erfolgten Rücknahme die Inanspruchnahme des Musterfeststellungsverfahrens als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) darstelle.

(1) Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister einer Musterfeststellungsklage und der Geltendmachung der Ansprüche der Klagepartei im Wege der Individualklage bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt bewusst geschaffen und für diesen Fall eine nachlaufende Verjährungshemmung von sechsmonatiger Dauer vorgesehen (§ 204 Abs. 2 S. 1 BGB). Damit ist dem Verbraucher ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet worden, seine Entscheidung, in welcher Weise Rechtsschutz gesucht wird, zu ändern und gleichwohl für einen gewissen Zeitraum von der durch die Anmeldung zum Klageregister bewirkten Verjährungshemmung nachlaufend zu profitieren.

Wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, enthalten die Vorschriften über die Verjährung eine formale Regelung, die im Interesse der Rechtssicherheit aufgestellt worden ist. Ihre Auslegung muss sich daher grundsätzlich eng an den Wortlaut des Gesetzes anlehnen (BGH, Urteil vom 06. Juli 1993 – VI ZR 306/92 juris Rn. 18 unter Hinweis auf BGHZ 48, 125, 134; 53, 43, 46 f.; vgl. auch BGHZ 45, 223, 230).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es grundsätzlich legitim und begründet im Regelfall auch keinen Rechtsmissbrauch, wenn ein Antragsteller eine Gütestelle ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung anruft (BGH, Urteil vom 25. 05. 2016 – IV ZR 211/15, juris; BGH, Urteile vom 28.10.2015 - IV ZR 405/14, und - IV ZR 526/14, juris; BGH, Urteil vom 06.07.1993 – VI ZR 306/92, juris). Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchstatbestandes bleibt hiernach nur ein sehr enger Anwendungsspielraum.

(2) Gesichtspunkte, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28.10. 2015 - IV ZR 526/14, juris; BGH, Urteil vom 25.05.2016 – IV ZR 211/15, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 06.07.1993 – VI ZR 306/92, juris; RG, RGZ 66, 412 ff.), liegen hier nicht vor.

Eine solche Ausnahme hat der Bundesgerichtshof BGH (a.a.O.) nicht nur bei der bewusst wahrheitswidrigen Erklärung im Mahnverfahren, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei (BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 157/11, juris; BGH, Urteil vom 16.07.2015 – III ZR 238/14, juris), sondern auch dann angenommen, wenn schon vor Einreichung eines Güteantrags feststeht, dass der Antragsgegner nicht bereit ist, sich an dem Güteverfahren zu beteiligen und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen, er dies dem Antragssteller im Vorfeld eindeutig mitgeteilt hat und die Gütestelle daher ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung angerufen wird. In einem solchen Fall ist von vornherein sicher, dass der Zweck des außergerichtlichen Güteverfahrens - die Entlastung der Justiz und ein dauerhafter Rechtsfrieden durch konsensuale Lösungen – nicht erreicht werden kann, weshalb sich eine gleichwohl erfolgte Inanspruchnahme der Gütestelle als rechtsmissbräuchlich erweist (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 526/14, juris Rn. 34).



Auch das Reichsgericht (RGZ 66, 412 ff.) hat für die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens entschieden, dass eine Unterbrechung der Verjährung durch Einleitung des Verfahrens jedenfalls voraussetze, dass ein ernstlich gemeinter Antrag auf Beweissicherung vorliege. Erkläre der Antragsteller demgegenüber von vornherein, dass er den Antrag nur zur Unterbrechung der Verjährung einreiche, nehme er dem Antrag seine Bedeutung als Beweissicherungsantrag.

Von einer vergleichbaren zweckwidrigen Inanspruchnahme des Musterfeststellungsverfahrens im Zeitpunkt der Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren kann entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. LG Landshut, Urteil vom 03.04.2020 – 54 O 3169/19, juris Rn. 23 – 26 LG Köln, Urteil vom 20.12.2019 – 4 O 171/19, juris; Mekat/Nordholtz, „Die Flucht in die Musterfeststellungsklage“ NJW 2019, 411, 412) ohne Vorliegen sonstiger Umstände nicht ausgegangen werden. Denn Ziel des Gesetzes zur Einführung der Musterfeststellungsklage ist es gerade, den betroffenen Verbrauchern einen einfachen Weg der kollektiven Rechtsverfolgung zu eröffnen, in dem sie ihre Ansprüche gegen die beklagte Partei mit verjährungshemmender Wirkung und ohne Anwaltszwang zu einem Klageregister anmelden können (BT-​Drucks. 19/2507, S. 24). Liegt der Zweck des Gesetzes aber auch in der Schaffung einer einfachen Möglichkeit zur Verjährungshemmung, so stellt es sich grundsätzlich nicht als rechtsmissbräuchlich dar, wenn eine Anmeldung eines Geschädigten zum Klageregister ausschließlich zu diesem Zweck erfolgt ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13. 01 2021 – 13 U 232/20, Juris, Rn. 72f f). Infolge dessen stellt es sich nicht als rechtsmissbräuchlich dar, wenn die Klagepartei sich ausschließlich zum Zwecke der Verjährungsunterbrechung zum Musterfeststellungsverfahren angemeldet hat und von Anfang an nicht vorgehabt hat, am Musterfeststellungsverfahren vollständig teilzunehmen. Der hierzu beantragten Parteivernehmung der Klagepartei bedarf es deshalb ebenso wenig wie einer Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Klägers als Zeugen.

B)

Die statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht Ansprüche auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht als begründet angesehen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen auch hinsichtlich der Frage der Hemmung der Verjährung durch Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage nicht vor. Divergierende obergerichtliche Rechtsprechung hat die Beklagte weder aufgezeigt noch ist diese ersichtlich.

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