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Landgericht Gießen Urteil vom 25.03.2021 - 5 O 450/20 - Diesel-Skandal - Schadenersatzanspruch wegen sittenwidrigen Vertriebs einer unzulässigen Abschaltautomatik

LG Gießen v. 25.03.2021: Diesel-Skandal - Schadenersatzanspruch wegen sittenwidrigen Vertriebs einer unzulässigen Abschaltautomatik




Das Landgericht Gießen (Urteil vom 25.03.2021 - 5 O 450/20) hat entschieden:

   Gegen den Hersteller des mit einer unzulässigen Abschaltautomatik ausgestatteten Diesel-Kfz besteht ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.

Siehe auch
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal
und
Stichwörter zum Thema Autokaufrecht

Tatbestand:


Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Fahrzeugs mit einem Dieselmotor.

Der Kläger kaufte am einen gebrauchten Pkw zum Preis von 26.400,- €. Der Kilometerstand betrug 53.400. Auf die Anlage K 1 wird Bezug genommen.

Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs. Eingebaut in das Fahrzeug ist ein Motor des Typs . Einzelheiten zur Funktion der Abgasreinigung bei diesem Motor sind zwischen den Parteien streitig.

Der Kläger behauptet, in sein Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut.

Es liege ein Thermofenster vor, die Abgasrückführung erfolge nur bei Temperaturen von 20 bis 30 Grad Celsius, ab Temperaturen von unter 17 Grad Celsius und über 30 Grad Celsius werde sie abgeschaltet.

Es sei eine Zykluserkennung vorhanden. Hierzu zitiert der Kläger aus einer Applikationsrichtlinie der Beklagten wie folgt:

   "NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precons und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlung (DeNOx-/DeSOX-Events) nur streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken-und beladungsgesteuerte Platzierung der Events, Beladungssteuerung als führende Größe."

Bei SCR-Katalysatoren würden durch die Zykluserkennung die Einspritzungsmengen von Harnstoff außerhalb des NEFZ verändert, was dazu führe, dass auf dem im normalen fahrbetrieb die Abgasreinigung deutlich reduziert werde.

Mit Schriftsatz vom trägt der Kläger zu weiteren Abschalteinrichtungen vor.

Der Kläger meint weiter, er sei von der Beklagten vorsätzlich und in sittenwidriger Weise geschädigt worden. Bei Kenntnis von dem tatsächlichen Zustand des Fahrzeugs würde er es nicht erworben haben.




Der Kläger beantragt,

  1.  Die Beklagte wird verurteilt - mit der Maßgabe, dass der Abzugsbetrag für die Nutzungsentschädigung 2.198,72 € betragen soll-, an den Kläger 24.965,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke vom Typ mit der FIN: nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.

hilfsweise
  2.  Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschaltvorrichtung in das Fahrzeug der Marke vom Typ mit der FIN: und der damit verbundenen Manipulation des Emissionskontrollsystems resultieren.

  3.  Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung in Annahmeverzug befindet.

  4.  Es wird festgestellt, dass der in Antrag 1 bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

  5.  Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.077,74 € freizustellen.

 6.  Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 764,17 € in der Hauptsache erledigt hat.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, eine unzulässige Abschalteinrichtung liege in dem Fahrzeug nicht vor, insbesondere nicht in Form einer sog. Umschaltlogik wie bei dem Motor . Auch eine Fahrkurvenerkennung sei nicht hinterlegt.

Die Erkennung des Prüfstandes anhand von Fahrkurven (Zykluserkennung) könne erforderlich sein, weil bestimmte Fahrzeugfunktionen auf dem Prüfstand deaktiviert sein müssten, beispielsweise die ESC und die Airbags. Solche Zykluserkennungen seien daher nicht verboten und auch nicht per se als Abschalteinrichtung zu qualifizieren. Im streitgegenständlichen Fahrzeug sei diese Funktion aber ohnehin nicht hinterlegt. Vielmehr sei sie in einem Update vom entfernt worden.

Bei Fahrzeugen mit einem SCR-Katalysator bewirke die Zykluserkennung, dass nach Erreichen der für die optimale Funktionsfähigkeit des SCR erforderlichen Betriebstemperatur von ca. 200 Grad eine bis dahin hohe Abgasrückführungsrate parallel bestehen bleibe, wobei dies entweder überhaupt keine messbaren Auswirkungen habe oder diese jedenfalls nicht relevant für das Einhalten des Grenzwertes von 80 mg/km seien.

Zum Thermofenster führt die Beklagte aus, die Abgasrückführung sei in einem Temperaturbereich von - 15 bis + 42 Grad Celsius aktiv. Nur außerhalb dieses Bereichs finde aus Gründen des Motorschutzes eine Abgasrückführung nicht mehr statt. Auch bei geringerer Abgasrückführungsrate finde eine Abgasreinigung durch den SCR-Katalysator statt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.





Entscheidungsgründe:


Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 4) unzulässig.

Insoweit fehlt es am Feststellungsinteresse.

Kommt es auf die rechtliche Qualifizierung eines Anspruchs als vorsätzliche unerlaubte Handlung an, so ist zwar anerkannt, dass diesbezüglich Feststellungklage erhoben werden kann. Vorliegend kann das Feststellungsinteresse aber nicht auf § 302 InsO gestützt werden, da Restschuldbefreiung nur natürliche Personen erlangen können. Auch die Anwendung des § 850 f ZPO kommt nicht in Betracht. Dass § 393 BGB (Verbot der Aufrechnung gegen eine Forderung aus unerlaubter Handlung) zur Anwendung gelangen könnte, dafür ist gleichfalls nichts ersichtlich oder vorgetragen.

Die Klage ist im Übrigen zum Teil begründet.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Schadenersatz nach § 826 BGB in tenorierter Höhe zu.

Die Voraussetzungen des § 826 BGB liegen vor.

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich einen Schaden zufügt, ist diesem zum Schadenersatz verpflichtet.

Bei dem Vertrieb von Dieselkraftfahrzeugen mit einem Motor geht die Rechtsprechung der Kammer dahin, einen Anspruch nach § 826 BGB gegenüber dem Hersteller dieser Motoren zu bejahen.

Die sittenwidrige Handlung dieses Herstellers ist darin zu sehen, dass sie aus Gewinnstreben millionenfach Fahrzeuge hergestellt hat und vertrieben hat, für die eine Typengenehmigung nur durch Täuschung erlangt worden war und die demgemäß nicht den dem Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung dienenden Vorschriften entsprachen. Diese Motoren sind mit einer sogenannten "Fahrzykluserkennung" ausgestattet, die bewirkt, dass auf dem Prüfstand der Motor in einem "NOX-optimierten Betriebsmodus" läuft, bei dem es zu einer höheren Abgasrückführung kommt. Außerhalb des Prüfstandes schaltet die Software den Motor aber in den Betriebsmodus 0, bei dem die Stickoxydemissionen höher sind und nicht der Abgasnorm entsprechen.

Dies ist als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 VO2007/715/EG eingestuft worden und hat zu einem verpflichtenden Rückruf für sämtliche betroffenen Fahrzeuge durch das Kraftfahrtbundesamt geführt.




Gemäß Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung 2007/715/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist danach

   "ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die unter normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird".

Unzulässig ist eine Abschalteinrichtung dann nicht, wenn

  a)  "die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

  b)  die Einrichtung nicht länger arbeitet als zum Anlassen des Motors erforderlich ist.

  c)  die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind."

Es ist nicht zu bezweifeln, dass - auch für den Hersteller von vorneherein offensichtlich- eine unzulässige Abschalteinrichtung in diesem Sinne vorliegt, wenn, wie bei dem Motor, die Abgasbehandlung immer auf dem Prüfstand eine andere ist, als im normalen Fahrbetrieb (Modus Null und Modus 1). Denn dann kann nicht im Sinne der oben dargestellten Vorschrift eine "Ausnahme" von der grundsätzlichen Wirksamkeit der Abgasreinigung unter "üblichen" Bedingungen vorliegen.

Auf die im streitgegenständlichen Fahrzeug aktiven Funktionen kann diese Wertung nicht durchweg übertragen werden.

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 26.1.2021, VI ZR 433/19) hat hierzu ausgeführt, der Einsatz eines sog. Thermofensters sei nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19 zum Motor ) zugrunde liegt. Dort hatte der Automobilhersteller die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entschieden, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten. Bei dem Einsatz eines Thermofensters wie im vorliegenden Fall fehle es dagegen an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Nach den getroffenen Feststellungen unterscheide die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Sie weise keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere, sondern arbeite in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem - vom Berufungsgericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setze jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.


Dem folgt die Kammer.

Anderes gilt aber im Hinblick auf die Funktion des SCR-Katalysators. Hier führt die Beklagte aus, die Zykluserkennung bewirke, dass nach Erreichen der für die optimale Funktionsfähigkeit des SCR erforderlichen Betriebstemperatur von ca. 200 Grad eine bis dahin hohe Abgasrückführungsrate parallel bestehen bleibe, wobei dies entweder überhaupt keine messbaren Auswirkungen habe oder diese jedenfalls nicht relevant für das Einhalten des Grenzwertes von 80 mg/km seien. In den meisten Konzepten werde die Temperatur von 200 Grad im allerletzten Teil des NEFZ erreicht.

Damit liegt aber eine Funktion vor, die den Prüfstand erkennt (sog. Zykluserkennung) und daran gekoppelt im NEFZ eine vom normalen Straßenbetrieb abweichende Abgasbehandlung durch Aufrechterhaltung einer hohen AGR-Rate herbeiführt. Dass dies aus Gründen des Motorschutzes erforderlich wäre, wird nicht vorgetragen.

Es kann dahinstehen, ob das weitere Vorbringen der Beklagten, diese Funktion habe kaum messbare Auswirkungen, glaubhaft ist, denn hierauf kommt es nicht an. Allerdings stellt sich insoweit die Frage, warum eine Funktion, die keine messbaren Auswirkungen hat, in einen Motor implementiert wird.

Es ist daher davon auszugehen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung anknüpfend an eine Zykluserkennung vorliegt. Insoweit führt auch die von der Beklagten vorgelegte Auskunft des KBA vom 1.2.2021 in einem anderen Rechtsstreit nicht zu einem anderen Ergebnis, denn hier führt das KBA aus, eine Fahrkurvenerkennung sei nicht unzulässig, soweit sie nicht als unzulässige Abschalteinrichtung genutzt werde, was aber nach den obigen Ausführungen gerade der Fall ist.

Wenn aber die Beklagte ihre Fahrzeuge mit einer Motorsteuerungssoftware ausstattete, die erkennt, wenn das Fahrzeug im NEFZ läuft und dann eine andere Abgasbehandlung auslöst als im Normalbetrieb, dann umgeht sie bewusst die Vorschriften über die Erlangung der Typengenehmigung, die nach der Logik voraussetzen, dass die Funktionsweise des Fahrzeugs auf dem Prüfstand und im Alltagsbetrieb identisch ist und damit zumindest theoretisch auch im Alltagsbetrieb die Werte erreicht werden könnten wie auf dem Prüfstand.

Denn eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand ist nur sinnvoll und lässt einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller nur dann zu, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten eine Vergleichbarkeit selbst unter den dem realen Fahrbetrieb fernen, genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr herzustellen wäre. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden (LG Bielefeld, Urteil vom 16.10. 2017, 6 O 149/16).

Dieses Verhalten der Beklagten war auch objektiv sittenwidrig. Nach der Rechtsprechung liegt Sittenwidrigkeit vor, wenn das Verhalten des Täters gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH, Urteil vom 09.07.1953 - IV ZR 242/52). Zwar genügt nicht jeder Gesetzesverstoß zur Annahme der Sittenwidrigkeit. Hinzukommen müssen besondere Umstände, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen (BGH, NJW 2001, 3702).

Nach der oben bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Motor, auf die Bezug genommen wird, ist vom Tatbestand des § 826 BGB auszugehen, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, weil er damit die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.

Zwar trägt die Beklagte in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom vor, dem KBA sei die Fahrkurvenerkennung seit Oktober bekannt. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde am erstzugelassen, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass das KBA bei Erteilung der Typengenehmigung für dieses Fahrzeug von der Fahrkurvenerkennung wusste.




Unerheblich ist, ob die Fahrkurvenerkennung durch das Update vom entfernt wurde.

Die Beklagte hat die Manipulation, ein anderer Grund ist nicht ersichtlich, vorgenommen, um eine Typengenehmigung zu erhalten, die sie ohne diese Manipulation nicht erhalten hätte, weil sie nämlich entweder technisch nicht in der Lage war, vorschriftenkonforme Fahrzeuge herzustellen oder aber dies nur mit einem erheblichen höheren und damit nicht wettbewerbsfähigen Herstellungsaufwand hätte tun können. In dem einen wie dem anderen Fall hat sie damit nicht nur aus Gewinnstreben viele ihrer Kunden und die für die Typengenehmigung zuständigen Behörden getäuscht, sondern auch den Schutz der Umwelt ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Mit der Umweltbelastung einher gehen Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung, die durch die umgangenen Vorschriften gerade abgewendet werden sollen. In einer Gesamtwürdigung muss dieses Verhalten als sittenwidrig bezeichnet werden. Bereits seit Jahrzehnten hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Schutz der Umwelt im Interesse gegenwärtiger und zukünftiger Generationen das Handeln Einzelner, aber auch das von wirtschaftlichen und staatlichen Institutionen mit bestimmen muss. Unter anderem auch die Beklagte bewirbt ihre Produkte mit der Anpreisung besonderer Umweltfreundlichkeit. Vor diesem Hintergrund stellt sich ihr Handeln sowohl im Hinblick auf das angewandte Mittel (Erschleichung einer Typengenehmigung) als auch auf die dabei gezeigte Gesinnung schlechthin als unredlich und sittenwidrig dar. Subjektiv ist das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich, wenn der Schädiger die Tatumstände kennt, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen. Auch das ist hier zu bejahen. Die Beklagte hat "sehenden Auges die Gefährdung von Vermögensinteressen unbeteiligter Dritter herbeigeführt wird und somit eine besondere Bedenkenlosigkeit gegenüber diesen fremden Vermögensbelangen zum Ausdruck kommt" (OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.9.2019, 17 U 45/19).

Die oben dargestellte sittenwidrige Handlung ist der Beklagten auch zuzurechnen.

Sie haftet, sollten ihre Organe, was nahe liegt, von der Verwendung der Software Kenntnis gehabt haben, nach §§ 826, 31 BGB oder aber nach § 831 BGB.

Zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen sind der juristischen Person zuzurechnen, wenn sie von dem Vorstand, einem Mitglied des Vorstandes oder einem anderen ihrer verfassungsmäßigen Vertreter begangen worden sind, § 31 BGB. Wurde die Handlung, die den Tatbestand des § 826 BGB erfüllt, von einem anderen Mitarbeiter der juristischen Person begangen und liegen bei dieser Person auch die subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB vor, so haftet die juristische Person nach § 831 BGB.

Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, Voraussetzung der Haftung nach § 831 BGB sei, dass der Kläger konkret die Person benennt, die die Entscheidung über die Verwendung der Software getroffen hat.

Grundsätzlich gehört eine solche Angabe zwar zur Darlegungslast des Anspruchsstellers. Der vorliegende Fall ist jedoch abweichend zu beurteilen. Bereits in seinem Urteil vom 26.11.1968, (NJW 1969, 269 ff) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, die moderne Entwicklung der Warenproduktion, an der oft nachträglich nur schwer zu ermittelnde Personen beteiligt seien und die auf nur noch vom Fachmann zu durchschauenden und zu kontrollierenden Fertigungsprozessen beruhe, verlange eine Fortbildung des Beweisrechts. Demnach sei es Sache des Produzenten, sich zu entlasten, wenn der Geschädigte keine Angaben darüber machen könne, in welchen Einzelpunkten schuldhafte Pflichtverletzungen der Unternehmensleitung vorgelegen hätten.

Dem entspricht es, dass durch die Rechtsprechung der Anwendungsbereich des § 31 BGB durch die Lehre vom Organisationsmangel erweitert wurde. Die juristische Person ist verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist. Entspricht die Organisation nicht diesen Anforderungen, so muss sich die juristische Person so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter (BGHZ 24,200).

Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger nicht verpflichtet, darzutun, welche konkrete Person aus dem Kreis der Mitarbeiter der Beklagten oder gar aus dem Kreis der Organe die Manipulation vorgenommen bzw. von ihr gewusst hat. Vielmehr reicht es aus, dass feststeht, dass irgend ein Mitarbeiter, sei es ein verfassungsgemäß berufener Vertreter (§ 31 BGB) oder ein Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) entsprechend gehandelt hat.

Die Beklagte handelte auch mit Schädigungsvorsatz. Insoweit kann auf die oben gemachten Ausführungen Bezug genommen werden. Die Beklagte wusste, dass die Abnehmer ihrer Fahrzeuge eine Ware erhalten, die mangelbehaftet und im Falle der Aufdeckung der Manipulation von der Stilllegung bedroht war und hat dies in Kauf genommen, um Fahrzeuge absetzen zu können. Die von der Beklagten in das Fahrzeug eingebaute Motorsteuerungssoftware hatte, wie bereits ausgeführt, unstreitig den Zweck, Daten zu manipulieren, die Einfluss auf die Schadstoffklasseneingruppierung und die Zulassung des Fahrzeugs haben. Dies wiederum hatte, was für die Beklagte ohne weiteres vorhersehbar war, zur Folge, dass nach Aufdeckung des Vorgangs seitens des Kraftfahrtbundesamtes eine verpflichtender Rückruf für den betroffenen Fahrzeugtyp angeordnet wurde und der Beklagten aufgegeben wurde " die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen" und "den Nachweis zu führen, dass nach Entfernen der unzulässigen Abschalteinrichtung alle technischen Anforderungen der relevanten Einzelrechtsakte der Richtlinie 2007/46/EG erfüllt werden".

Durch die sittenwidrige Handlung der Beklagten hat der Kläger auch einen Vermögensschaden erlitten.

Ob ein Vermögensschaden vorliegt, beurteilt sich grundsätzlich nach der sog. Differenzhypothese, also nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte. Es ist also auf die Vermögenslage des Klägers abzustellen, und zwar die Gesamtvermögenslage, wie sie sich nach Abschluss der auf den Erwerb des Fahrzeugs darstellt, mit der Vermögenslage, wie sie sich ohne diesen Vertrag entwickelt hätte. Zu einem Schaden kommt man infolgedessen dann, wenn bei diesem Vergleich ein rechnerisches Minus verbleibt, wenn also der Vertragsschluss für den Kläger wirtschaftlich nachteilig gewesen ist. Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn der erworbene Gegenstand den Kaufpreis nicht wert ist oder wenn, trotz Werthaltigkeit des Kaufgegenstandes, die mit dem Vertrag verbundenen Verpflichtungen und sonstigen Nachteile durch die Vorteile nicht ausgeglichen werden.

Bei dieser Gegenüberstellung sind die Rechnungsposten allerdings, gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes, wertend zu bestimmen (vgl. BGHZ (GSZ) 98, 212, 217 m. w. N.). Die Differenzhypothese hat sich einer normativen Kontrolle zu unterziehen, die sich einerseits an der jeweiligen Haftungsgrundlage, konkret also an dem sie ausfüllenden haftungsbegründenden Ereignis, und andererseits an der darauf beruhenden Vermögensminderung orientiert und die dabei auch die Verkehrsanschauung berücksichtigt (BGH NJW 1998, 2309).



Nach diesen Maßstäben ist vorliegend ein Schaden zu bejahen. Dabei ist unerheblich, ob das streitgegenständliche Fahrzeug durch die verwendeten Abschalteinrichtungen einen Wertverlust erlitten hat oder ob das streitgegenständliche Fahrzeug, verglichen mit vergleichbaren Modellen anderer Hersteller, im realen Fahrbetrieb vergleichsweise emissionsarm und kraftstoffsparend ist. Im Anwendungsbereich des § 826 dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten des Schädigers beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung wieder befreien können (BGH NJW-RR 2015, 275).

Hier hat der Kläger ein Fahrzeug erworben, das er bei Kenntnis seines tatsächlichen Zustandes nicht erworben hätte. Es ist schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass es auf die Kaufentscheidung des Klägers Einfluss gehabt hätte, wenn er von diesem Zustand des Fahrzeugs gewusst hätte. Dies zeigt bereits die (Kontroll-) Überlegung, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit der Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb jedenfalls mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das KBA rechnen müsse. Für jeden Käufer eines Kraftfahrzeugs bedingt der Abschluss des Kaufvertrags als wesentliche Voraussetzung, dass er ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug erhält, das er im Straßenverkehr auch nutzen darf.

Die Beklagte hat gemäß § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

Um den bei dem Kläger eingetretenen Schaden zu ersetzen, ist der für ihn nachteilige Vertrag rückabzuwickeln. Danach kann der Kläger den von ihm gezahlten Kaufpreis zurückverlangen und muss dafür seinerseits das streitgegenständliche Fahrzeug zurückgeben, sowie Wertersatz für die von ihm gezogenen Nutzungen leisten.



Der Schadensersatzanspruch des Klägers umfasst daher zunächst die Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Denn ohne die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erworben und den Kaufpreis nicht zahlen müssen; im Gegenzug hätte er das Fahrzeug nicht übergeben und übereignet bekommen.

Der Kläger muss sich allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung die Vorteile anrechnen lassen, die er durch die Nutzung des Fahrzeugs erzielt hat. Denn andernfalls stünde er durch das schädigende Ereignis besser, als er es ohne die Schädigung tun würde. Die Kammer schätzt den Wert der von dem Kläger gezogenen Nutzungen auf 2.198,72 €. Der Wert der Nutzung des Fahrzeugs berechnet sich anhand der Formel: Bruttokaufpreis multipliziert mit der gefahrenen Kilometerzahl dividiert durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung. Die Kammer legt der Schätzung eine zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km zu Grunde, die für ein Dieselfahrzeug realistisch erscheint.

Die Beklagte befindet sich spätestens seit ihrem Klageabweisungsantrag in Annahmeverzug.

Der Anspruch auf Freistellung von den Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung beruht auf § 826 BGB.

Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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