Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht VG Düsseldorf (Beschluss vom 01.12.2020 - 14 K 1640/20 - Abschleppen eines Fahrzeugs wegen Parkens an einer engen Straßenstelle im Bereich einer Kurve

VG Düsseldorf v. 01.12.2020: Abschleppen eines Fahrzeugs wegen Parkens an einer engen Straßenstelle im Bereich einer Kurve




Das Verwaltungsgericht VG Düsseldorf (Beschluss vom 01.12.2020 - 14 K 1640/20) hat entschieden:

  1.  Eine enge Straßenstelle im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO liegt jedenfalls dann vor, wenn die verbliebene Restbreite 3,05 m unterschreitet.

  2.  Das Halteverbot im Bereich einer scharfe Kurve im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO ist nicht daran geknüpft, ob ein Begegnungsverkehr stattfindet, so dass es auch in einer Einbahnstraße gilt.


Siehe auch
Schmale Straße - enger Straßenteil
und
Unfälle in Kurven


Gründe:


Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Die Klage bietet nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung des Sach- und Streitstandes im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Der angefochtene Leistungs- und Gebührenbescheid der Beklagten vom 23. März 2020 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.

Der Leistungsbescheid findet seine Ermächtigungsgrundlage in § 77 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) und § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Verordnung zur Ausführung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VO VwVG NRW) i.V.m. § 15 Abs. 1 Ziff. 7, § 24 Nr. 13 Ordnungsbehördengesetz (OBG) i.V.m. § 5 Abs. 1, 2, § 46 Abs. 3 Satz 1 und 3 Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) und § 14 Abs. 2 Satz 1 Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (GebG NRW). Danach fallen die Kosten, d.h. Gebühren und Auslagen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW), des rechtmäßigen Abschleppens und Verwahrens eines zugelassenen Kraftfahrzeugs dem Pflichtigen zur Last.

Die Maßnahme war rechtmäßig. Die Beklagte durfte das Fahrzeug der Klägerin abschleppen lassen.




Die Beklagte konnte sich auf die Ermächtigungsgrundlage des § 43 Abs. 1 Nr. 1 PolG stützen. Die Vorschrift ermächtigt gemäß der Verweisungsnorm des § 24 Nr. 13 OBG auch die Ordnungsbehörden, eine Sache sicherzustellen, wenn von ihr eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Zum polizeilichen Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählt die gesamte objektive Rechtsordnung. Diese wurde hier verletzt:

Es spricht bereits viel dafür, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Ziffer 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) vorliegend erfüllt sind. Danach ist es unzulässig, an engen Straßenstellen zu parken. Die Vorschrift dient der Sicherstellung ausreichenden Raumes für den fließenden Verkehr. Eng ist eine Straßenstelle in der Regel, wenn der zur Durchfahrt insgesamt frei bleibende Raum für ein Fahrzeug höchstzulässiger Breite (§ 32 Abs. 1 Z. 1 StVZO) zzgl. 50 cm Seitenabstand bei vorsichtiger Fahrweise nicht ausreichen würde, ohne dass es dann auf die wirkliche Breite des behinderten Fahrzeuges ankommt,

   vgl.: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, § 12, Rdnr. 22; Berr/ Schäpe/ Müller/ Rebler, Das Recht des ruhenden Verkehrs, 3. Aufl., 2020, 7. Kapitel, Rdnr. 3; VG Düsseldorf, Urteil vom 9. Mai 2017 - 14 K 9457/16.

Da die höchstzulässige Breite eines Fahrzeuges nach § 32 Abs. 1 Ziffer 1 StVZO allgemein 2,55 m beträgt (bei land- und forstwirtschaftlichen Arbeitsgeräten z.B. 3,00 m), liegt eine enge Straßenstelle jedenfalls dann vor, wenn die Restbreite 3,05 m unterschreitet.

Für das Unterschreiten dieser Restbreite von 3,05 m spricht vorliegend die Messung der Außendienstkraft der Beklagten vor dem Abschleppvorgang, die bei dem Parkstand des PKW eine verbliebene Restbreite von 2,70 m zwischen dem vorderen linken Kotflügel bis zur Bordsteinkante ergab. Zusammen mit den im Verwaltungsvorgang befindlichen Lichtbildern erscheint dieser Wert plausibel zu sein. Jedenfalls vermögen die eigenen nachträglichen Messungen der Klägerin dies nicht zu erschüttern. Denn das Ergebnis ihrer eigenen Messung von 3,26 m resultiert ausweislich ihrer im Klageverfahren eingereichten Lichtbilder aus einem anderen Parkstand als dem vor der Abschleppmaßnahme. Anders als am Mittag des 21. Februar 2020 steht das Fahrzeug der Klägerin bei ihrer eigenen Messung nämlich mit einem Vorderreifen auf der Bordsteinkante.

Jedenfalls stellte das Fahrzeug der Klägerin an dieser Stelle eine Behinderung dar. Denn ausweislich der Feststellungen der Außendienstkraft der Beklagten konnte ein LKW morgens nicht auf den L.-----platz fahren; ebenso hätten Rettungsfahrzeuge und Feuerwehrfahrzeuge die Stelle überhaupt nicht durchfahren können, so dass die Abschleppmaßnahme allein aus diesem Grund zur Beseitigung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit gerechtfertigt erscheint.


Es lag indes ebenso ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO vor, demzufolge das Halten im Bereich von scharfen Kurven unzulässig ist. Dabei ist eine Kurve nicht nur dann "scharf", wenn sie einen 90° Winkel beschreibt. Ein rechtwinkliger Verlauf der Straße wird für eine scharfe Kurve nicht vorausgesetzt. Maßgebend sind der Grad der Abweichung von der geraden Linie und der Kurvenradius. Eine scharfe Kurve ist danach dann gegeben, wenn der Kurvenradius so klein ist, dass die Gefahr des Abweichens von der Richtung in besonderem Maße gegeben ist,

   vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH Bayern) , Beschluss vom 15. Juli 2020- 10 ZB 20.1368 - juris; VG München, Urteil vom 28. April 2020 - 7 K 18.5617 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 17. Februar 2010 - 14 K 2614/09 - juris; vgl.: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, § 12, Rdnr. 24; Berr/ Schäpe/ Müller/ Rebler, Das Recht des ruhenden Verkehrs, 3. Aufl., 2020, 7. Kapitel, Rdnr. 16.

Auch ist das Haltverbot nicht daran geknüpft, ob ein Begegnungsverkehr stattfindet, so dass das Halteverbot vorliegend bestand, obwohl es sich bei der Brüderstraße um eine Einbahnstraße handelt. Denn Sinn und Zweck der Regelung in § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO ist es auch, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Kraftfahrzeuge in Kurvenbereichen nicht per se zum Fahren auf Sicht verpflichtet sind und darauf vertrauen dürfen, dort nicht durch stehenden Verkehr beeinträchtigt zu werden,

   vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 15. Juli 2020 - 10 ZB 20.1368 - juris.

Zwar ist das Haltverbot nicht daran geknüpft, dass ein zusätzliches Erfordernis wie die Unübersichtlichkeit der Fahrbahn oder eine tatsächliche Beeinträchtigung des übrigen Verkehrs vorliegt. Da hier allerdings ein Lkw nicht auf den L.-----platz abbiegen konnte, lag vorliegend sogar eine tatsächliche Beeinträchtigung des Verkehrs durch die Parkweise der Klägerin vor.

Die Abschleppmaßnahme war auch verhältnismäßig. Die Beklagte hat in fehlerfreier Weise von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht. Es ist nicht ersichtlich, dass die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, § 114 Satz 1 VwGO.




Das Abschleppen des klägerischen Fahrzeuges war auch geeignet, den Rechtsverstoß und die Verkehrsbehinderung zu beenden. Die Maßnahme war auch erforderlich, da kein milderes und gleich effektives Mittel zur Beseitigung des Rechtsverstoßes in Betracht kam. Die Außendienstkraft der Beklagten war insbesondere nicht gehalten, die verantwortliche Fahrerin vor Einleitung der Abschleppmaßnahme ausfindig zu machen. Denn sofern sich der unbekannte Fahrer - wie hier - von dem verbotswidrig geparkten Fahrzeug entfernt und deshalb nicht unmittelbar wie jemand zur Verfügung steht, der sich in Ruf- oder Sichtweite seines Fahrzeugs aufhält, sind grundsätzlich keine Ermittlungen nach dem Verbleib des Verantwortlichen veranlasst, weil deren Erfolg zweifelhaft ist und zu nicht abzusehenden Verzögerungen führt.

   Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2002 - 3 B 149.01 -, Rn. 6 ff., juris; OVG Hamburg, Urteil vom 22. Mai 2005 - 3 Bf 25/02 -, Rn. 36, juris; VGH Bayern, Urteil vom 16. Januar 2001- 24 B 99.1571 -, Rn. 36, juris; VGH Hessen, Urteil vom 11.11.1997 - 11 UE 3450/95 -, Rn. 27, juris; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2009 - 14 K 1421/09 -; VG Köln, Urteil vom 11. Oktober 2007 - 20 K 2162/06 -, Rn. 22, juris.



Zwar kann in besonders gelagerten Ausnahmefällen etwas anderes gelten, wenn der für das Fahrzeug Verantwortliche sofort mühelos und ohne Zeitverzögerung auffindbar ist und auch zu erwarten steht, dass er selbst die Anordnung, das Fahrzeug zu entfernen, ohne Verzug befolgen kann und will,

   vgl. VG Hamburg, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 20 VG 3197/98 juris; Berr/ Schäpe/ Müller/ Rebler, Das Recht des ruhenden Verkehrs, 3. Aufl., 2020,16. Kapitel, Rdnr. 86.

Für das Vorliegen eines solchen Falles ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich. Entscheidend ist, dass keine erkennbaren Umstände vorlagen, die darauf hindeuteten, dass sich die Klägerin in unmittelbarer Nähe des Fahrzeugs befand und innerhalb einer absehbaren Zeit erscheinen würde. Denn im Fahrzeug befand sich kein Hinweis zu dem konkreten Aufenthaltsort der Klägerin zum Zeitpunkt des festgestellten Verstoßes,

   vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 8. November 2016 - 14 K 8007/15 - juris.

Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt auch nichts anderes vor dem Hintergrund, dass sich ihr Wohnort in fußläufiger Entfernung zu dem Abstellort des PKW befindet. Denn zum Zeitpunkt der Feststellung des Verstoßes war aus Informationen im PKW nichts dafür ersichtlich, dass sich die Klägerin an einem Werktag mittags an ihrer Wohnanschrift aufhält. Daher war es ist der Außendienstkraft nicht zumutbar, einen nicht in unmittelbarer Nähe des störenden Kraftfahrzeuges befindlichen Verantwortlichen mit dem Risiko des Zeitverlustes zu suchen und den Ort der Störung unkontrolliert zurückzulassen,

   vgl.: Berr/ Schäpe/ Müller/ Rebler, Das Recht des ruhenden Verkehrs, 3. Aufl., 2020,16. Kapitel, Rdnr. 86.

Das Abschleppen war auch angemessen. Die Nachteile, die für die Klägerin mit der Abschleppmaßnahme verbunden sind, stehen nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg. Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, der die Kammer sich angeschlossen hat, stehen die Folgen des Abschleppens im Regelfall selbst dann nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg, wenn der Zweck des Abschleppens allein in der Beseitigung des Rechtsverstoßes liegt.

   Vgl.: OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 1990 - 5 A 1687/89 - juris; Urteil vom 26. September 1996- 5 A 1746/94 - juris, jeweils m.w.N., VG Düsseldorf, Urteil vom 20. Dezember 2013 - 14 K 6792/13 - juris.


[folgt die Rechtsmittelbelehrung:]

- nach oben -



Datenschutz    Impressum