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BGH Beschluss vom 19.07.2022 - 4 StR 116/2 - Zur Notwendigkeit sicherer Feststellungen einer Rennabsicht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke

BGH v. 19.07.2022: Zur Notwendigkeit sicherer Feststellungen einer Rennabsicht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke




Der BGH (Beschluss vom 19.07.2022 - 4 StR 116/2) hat entschieden:

   Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten. Für eine Verurteilung muss eindeutig festgestellt werden, dass nach den Vorstellungen des Angeklagten ein Rennen über eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke gefahren werden sollte.


Siehe auch
Verbotene Straßenrennen - ungenehmigte Rennveranstaltungen
und
Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen

Zum Sachverhalt:


Nach den Feststellungen mietete der Angeklagte am 16. März 2021 einen PKW Aston Martin und befuhr mit diesem PKW am 18. März 2021 das Stadtgebiet von D. im Bereich der S. straße. Als sich neben seiner Fahrspur in gleicher Fahrtrichtung und auf gleicher Höhe ein unbekannt gebliebener Kraftfahrzeugführer in einem hochmotorisierten schwarzen Mercedes befand, bremsten beide Fahrer ohne ersichtlichen Grund ihre Fahrzeuge bis zum Stillstand ab, gaben sich durch "Hupen" ein Signal und starteten "das nicht erlaubte Autorennen in der Innenstadt"; sie beschleunigten die von ihnen geführten Fahrzeuge erheblich, denn "es kam ihnen darauf an, sich mit dem jeweils anderen Fahrer zu ˌmessenˈ". In dieser Weise verfuhren der Angeklagte und der Mercedesfahrer insgesamt drei Mal. Weiterhin wurde das Fahrzeug des Angeklagten im Bereich der E. Straße mit einer Geschwindigkeit von 138 km/h gemessen.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen und wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und Führerscheinmaßnahmen verhängt.

Hiergegen richtete sich die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten, die teilweise erfolgreich war.




Aus den Entscheidungsgründen:


“1. Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat keinen Bestand. Die Feststellungen zeigen nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit auf, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht hat.

a) Nach den Feststellungen mietete der Angeklagte am 16. März 2021 einen PKW Aston Martin und befuhr mit diesem PKW am 18. März 2021 das Stadtgebiet von D. im Bereich der S. straße. Als sich neben seiner Fahrspur in gleicher Fahrtrichtung und auf gleicher Höhe ein unbekannt gebliebener Kraftfahrzeugführer in einem hochmotorisierten schwarzen Mercedes befand, bremsten beide Fahrer ohne ersichtlichen Grund ihre Fahrzeuge bis zum Stillstand ab, gaben sich durch „Hupen“ ein Signal und starteten „das nicht erlaubte Autorennen in der Innenstadt“; sie beschleunigten die von ihnen geführten Fahrzeuge erheblich, denn „es kam ihnen darauf an, sich mit dem jeweils anderen Fahrer zu ˌmessenˈ“. In dieser Weise verfuhren der Angeklagte und der Mercedesfahrer insgesamt drei Mal. Weiterhin wurde das Fahrzeug des Angeklagten im Bereich der E. Straße mit einer Geschwindigkeit von 138 km/h gemessen.


b) Damit ist nicht eindeutig festgestellt, dass nach den Vorstellungen des Angeklagten ein Rennen über eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke gefahren werden sollte.

aa) Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten. Die besondere Gefährlichkeit von Kraftfahrzeugrennen in all diesen Konstellationen liegt darin, dass es zwischen den konkurrierenden Kraftfahrzeugführern zu einem Kräftemessen im Sinne eines Übertreffenwollens gerade in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit kommt. Gerade diese Verknüpfung trägt die Gefahr in sich, dass dabei die Fahr- und Verkehrssicherheit außer Acht gelassen, der Verlust von Kontrolle in Kauf genommen und die Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Konkurrenten gerichtet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 ‒ 4 StR 224/20 Rn. 12; Urteil vom 11. November 2021 ‒ 4 StR 511/20 Rn. 19, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).



bb) Die erforderliche Rennabsicht ist nicht hinreichend klar festgestellt. Insoweit hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

   „Die Feststellungen der Kammer belegen nicht, dass es bei dem Wettbewerb des Angeklagten mit dem unbekannt gebliebenen Fahrzeugführer (zumindest auch) darum ging, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere teilnehmende Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Insbesondere stellt das Landgericht nicht fest, über welche Strecke und Entfernung der (Beschleunigungs-)Wettbewerb ausgetragen wurde sowie welche Geschwindigkeiten - abseits der Geschwindigkeitsmessung - dabei erreicht wurden. Ob die Rennsituation im Zeitpunkt der Messung noch fortbestanden hat, lässt sich den Feststellungen ebenfalls nicht entnehmen.“

Diesen Ausführungen kann sich der Senat nicht verschließen. Zwar liegt nach den Feststellungen und der umgangssprachlichen Wendung, der Angeklagte habe den Mercedesfahrer „abziehen“ wollen, eine Rennabsicht nicht fern; dass diese sich aber ‒ wie von § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB gefordert ‒ nach der Vorstellung des Angeklagten auf eine nicht unerhebliche Wegstrecke beziehen sollte, lässt sich den Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen.”

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