VGH München Beschluss vom 23.08.2023 - 11 CS 23.98 - Rückgabe des Führerscheins im Eilverfahren bei nicht nachzollziehbatem MPU-Gutachten zum Alkoholmissbrauch
VGH München v. 23.08.2023: Rückgabe des Führerscheins im Eilverfahren bei nicht nachzollziehbatem MPU-Gutachten zum Alkoholmissbrauch
Der VGH München (Beschluss vom 23.08.2023 - 11 CS 23.98) hat entschieden:
Sind die wesentlichen Schlussfolgerungen eines MPU-Gutachtens zum Alkoholmissbrauch nicht nachvollziehbar, führt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zur zumindest einstweiligen Rückgabe des sichergestellten Führerscheins.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C1, C1E, C, CE, L und T.
Nachdem der Antragsteller am 21. Januar 2016 und am 8. Juni 2022 mit Blutalkoholkonzentrationen von 1,37 ‰ bzw. 0,84 ‰ ein Kraftfahrzeug geführt hatte, forderte ihn das Landratsamt Cham mit Schreiben vom 10. November 2022 zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu seinem Trennungsvermögen auf.
Am 24. Januar 2023 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten ein negatives Gutachten (Begutachtungstermin 28.12.2022) vorlegen. Danach hat er keine tragfähige Auseinandersetzung mit Fragen der Rückfallverhinderung nachvollziehbar dargestellt und meidet auch keine Freizeitveranstaltungen, bei denen der Konsum von Alkohol ein wesentlicher Bestandteil ist. Ferner habe er keine umfassende Veränderung seiner Lebenssituation hinsichtlich des vormals problematischen Alkoholkonsums und auch keine gefestigte Einsicht in die Notwendigkeit dauerhaften Alkoholverzichts darstellen können. Der Antragsteller habe sich einen zukünftigen Alkoholkonsum explizit offengehalten. Eine fundierte Einsicht in das von der Norm abweichende Ausmaß des früheren Alkoholkonsums bestehe noch nicht. Gegenwärtig seien noch Bagatellisierungstendenzen erkennbar. Der derzeitige Alkoholverzicht werde vor allem mit den negativen Folgen der Trunkenheitsfahrt und dem Bestreben begründet, die Fahrerlaubnis behalten zu können. Eine solche Sichtweise berge regelmäßig die Gefahr abnehmenden Veränderungsdrucks nach Beendigung des Fahrerlaubnisverfahrens. Der Antragsteller habe keine Abstinenznachweise vorlegen können; die Abstinenz bestehe noch keine 12 Monate. Auf Alkohol habe er nach seinen Angaben erst seit Spätsommer 2022 verzichtet. In der Gesamtschau der Befunde handle es sich zwar noch nicht um einen klinisch relevanten Alkoholmissbrauch, jedoch um eine fortgeschrittene, verzichtspflichtige Alkoholproblematik. Deshalb sei ein dauerhafter Alkoholverzicht und ein Abstinenzbeleg über in der Regel 12 Monate zu fordern. Ansonsten seien keine somatischen Beeinträchtigungen und bei der leistungspsychologischen Überprüfung keine Befunde festgestellt worden, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 infrage stellen. Die Angaben des Antragstellers seien plausibel.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten unter Bezugnahme auf die gutachterlichen Feststellungen vortragen, es sei nicht nachvollziehbar, wie das Gutachten zur Annahme einer fortgeschrittenen Alkoholproblematik mit dem Erfordernis eines dauerhaften Alkoholverzichts und dem Erfordernis von Abstinenzbelegen für 12 Monate gelange. Innerhalb der Beibringungsfrist sei es nicht möglich gewesen, diesen Abstinenznachweis zu führen. Der Antragsteller sei beruflich selbstständig (Erd- und Tiefbauarbeiten). Der Entzug der Fahrerlaubnis zerstöre seine Existenz. Daher werde angeregt, ihm einen neuen Termin für die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis 31. Dezember 2023 zu setzen. Zwischenzeitlich könne er der Fahrerlaubnisbehörde Abstinenznachweise vorlegen. Er sei auch zu anderen Kompensationsmaßnahmen bereit.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2023 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen nach der Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Am 3. März 2023 ließ der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erheben und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen.
Den Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2023 als unzulässig ab, soweit er die Anordnung des Sofortvollzugs, die Zwangsgeldandrohung und die Kostenentscheidung betraf, und im Übrigen als unbegründet. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Insbesondere sei sie hinreichend begründet (§ 80 Abs. 3 VwGO) worden. Auch materiell sei sie rechtmäßig, weil der Antragsteller sein Trennungsvermögen nicht nachgewiesen habe. Das vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten spreche ihm das Trennungsvermögen ab. Beim Antragsteller sei von Alkoholmissbrauch im Sinne von Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV auszugehen, da er wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen habe. Diese seien trotz ihres zeitlichen Abstands verwertbar, da die Taten im Fahreignungsregister noch nicht getilgt seien (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a StVG). Das Landratsamt habe auf der Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV zu Recht eine Begutachtung angeordnet. Die Fahreignung bestehe erst wieder, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt sei (Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV). Zwar sei das medizinisch-psychologische Gutachten in mehrfacher Hinsicht defizitär, sodass nicht ausgeschlossen erscheine, dass die Änderung des Trinkverhaltens des Antragstellers gefestigt sei. Da er die Wiederherstellung seiner Fahreignung nachzuweisen habe und den erforderlichen Nachweis nicht erbracht habe, gehe dies jedoch zu seinen Lasten. Im Einzelnen habe der Gutachter nicht nachvollziehbar dargelegt, worin die konkrete Alkoholproblematik trotz Fehlens eines klinisch relevanten Alkoholmissbrauchs liege, inwiefern sie fortgeschritten und weshalb sie nur durch Abstinenz zu lösen sei. Es werde somit nicht schlüssig erklärt, weshalb ein kontrollierter Alkoholkonsum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sei. Die Beurteilungsleitlinien gingen davon aus, dass sich das Trinkverhalten auch dann ausreichend geändert habe, wenn Alkohol nur noch kontrolliert getrunken werde. Abstinenz sei (nur) zu fordern, wenn aufgrund der Lerngeschichte anzunehmen sei, dass sich ein konsequenter kontrollierter Umgang mit alkoholischen Getränken nicht erreichen lasse. Anders als im Fall der Alkoholabhängigkeit seien hierfür – mit Ausnahme besonders gelagerter, atypischer Sachverhaltsgestaltungen – grundsätzlich nicht bestimmte Abstinenzzeiträume erforderlich. Für einen kontrollierten Umgang mit Alkohol sei außerdem nicht generell eine fachliche Intervention oder ein klar definiertes und eingeübtes Verhaltenskonzept zu fordern. Vor diesem Hintergrund werde nicht hinreichend dargelegt, weshalb der Gutachter Abstinenznachweise für zwölf Monate als Regelfall voraussetze. Es werde nicht hinreichend gewürdigt, dass der Antragsteller am Untersuchungstag bereits mehr als sechs Monate seit der zweiten Trunkenheitsfahrt sein Verhalten im Umgang mit Alkohol geändert und seit 4. Juli 2022 vollständig auf Alkohol verzichtet habe. Die angenommene fortgeschrittene Alkoholproblematik werde nicht hinreichend erklärt. Somit sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb sich der Antragsteller mit deren Hintergründen sowie der Funktionalität des Alkoholkonsums noch nicht in ausreichendem Maße auseinandergesetzt habe. Es sei nicht erkennbar, welche Angaben fehlten; ferner nicht, was der Gutachter mit schädlichem Alkoholkonsum gemeint habe, da er entgegen ICD-10 F 10.1 eine Schädigung der körperlichen oder psychischen Gesundheit nicht habe feststellen können. Folglich sei unklar, ob vom Antragsteller Angaben zu nicht vorliegenden Umständen verlangt worden seien. Weiter könne ohne Darlegung, weshalb Abstinenz notwendig sei, ein fehlendes Trennungsvermögen nicht auf das Fehlen der Einsicht in die „fachärztlich abzuleitende Notwendigkeit eines auch künftig dauerhaften Alkoholverzichts“ gestützt werden. Ebenso wenig könne ohne Erläuterung, inwiefern der Alkoholkonsum des Antragstellers von der Norm abweiche, in Anbetracht seiner diesbezüglichen Angaben eine noch fehlende fundierte Einsicht in das „von der Norm abweichende Ausmaß des früheren Alkoholkonsums“ angenommen werden. Insofern seien auch nicht die in dem Gutachten benannten Bagatellisierungstendenzen erkennbar. Nicht nachvollziehbar sei auch die Forderung, dass der Antragsteller Freizeitveranstaltungen meiden solle, bei denen der Konsum von Alkohol ein wesentlicher Bestandteil sei, und die Feststellung, die Beseitigung der festgestellten Defizite durch einen anerkannten und evaluierten Rehabilitationskurs für alkoholauffällige Kraftfahrer sei nicht möglich. Trotz allem enthalte das Gutachten nicht die erforderliche positive Feststellung einer gefestigten Änderung des Trinkverhaltens. Das Landratsamt habe ihm daher die Fahrerlaubnis entziehen müssen.
Mit seiner Beschwerde beantragt der Antragsteller, ihm vorläufigen Rechtsschutz gegen sämtliche Verfügungen des angefochtenen Bescheids zu gewähren, hilfsweise beschränkt auf die Fahrerlaubnis der Klasse L, und trägt vor, das Verwaltungsgericht habe aus der festgestellten Mangelhaftigkeit des Fahreignungsgutachtens die falschen Schlüsse gezogen. Maßstab für die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibe die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Hieran orientiere sich das Aussetzungsinteresse des Antragstellers bzw. das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Nach der Prüfung und Auswertung des Gutachtens hätte das Verwaltungsgericht angesichts der massiven Mängel des Gutachtens zwingend von einem zuverlässigen Trennungsvermögen des Antragstellers ausgehen müssen. Auf etwaige Beweislastregelungen komme es nicht an. Das Gutachten sei schon nicht tauglich gewesen, um den Entzug der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen. Der auf dem rechtswidrigen Gutachten basierende Bescheid sei daher ebenfalls rechtswidrig ergangen. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege daher vollständig das Vollzugsinteresse, insbesondere auch vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Aufgrund dieser Ausführungen sei jedenfalls von einem Ermessensfehlgebrauch bei der Entscheidung über die Fahrerlaubnis der Klasse L auszugehen. Es werde auf den Vortrag zur Existenzgefährdung des Antragstellers Bezug genommen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist überwiegend begründet, im Übrigen unzulässig.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins zu gewähren ist, weil das vorgelegte Fahreignungsgutachten nicht nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen ist, dass dem Antragsteller das Trennungsvermögen fehlt, und daher nicht als Grundlage für jene Verfügungen des Antragsgegners dienen kann.
Soweit der Antragsteller auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung des Sofortvollzugs und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung, die Kostentragungsregelung und die Festsetzung der Verfahrensgebühren beantragt, ist die Beschwerde unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen genügt. Auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO insoweit für unzulässig erachtet hat, geht der Antragsteller nicht ansatzweise ein. Eine ausreichende Darlegung im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erfordert jedoch eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Gerichtsbeschlusses (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2020 – 11 CS 20.854 – juris Rn. 9 m.w.N.; Guckelberger in Sodan / Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 76 ff.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 22a f.). Hinsichtlich der Nebenentscheidungen des angefochtenen Bescheids war die Beschwerde daher gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO zu verwerfen. Dies spielt praktisch freilich keine Rolle, weil sich die Zwangsgeldandrohung durch die Abgabe des Führerscheins erledigt hat und sich die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Sachentscheidung auf die im Zusammenhang mit der Hauptsacheentscheidung ergangene Kostenentscheidung erstreckt (vgl. Schoch in Schoch / Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 80 Rn. 143).
Der Antragsteller macht zu Recht geltend, dass ihm der Antragsgegner aufgrund des vorgelegten, in wesentlichen Punkten nicht nachvollziehbaren Gutachtens die Fahrerlaubnis nicht entziehen durfte. Die sich hieraus ergebenden überwiegenden Erfolgsaussichten der Klage und die gezeigte Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers bei der Aufklärung seiner Fahreignung ergeben im Rahmen der von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis vorläufig zu belassen ist.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2022 (BGBl I S. 2752), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).
Unstreitig ist, dass die Voraussetzungen für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV vorlagen, da der Antragsteller wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat. Allerdings steht damit ein Alkoholmissbrauch im rechtlichen Sinn noch nicht fest. Nach der Systematik der einschlägigen Vorschriften begründet eine zweifache, d.h. wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss den Verdacht eines Alkoholmissbrauchs im Sinne von Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 11 CS 23.273 – juris Rn. 18 zu den Voraussetzungen für eine Beibringungsanordnung allgemein) bzw. ist sie ein Indiz für Alkoholmissbrauch (Siegmund in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 3.5.2023, § 13 FeV Rn. 45 ff.). Diesem Verdacht hat die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV durch Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nachzugehen. Stünde mit Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV der zur Entziehung der Fahrerlaubnis berechtigende Alkoholmissbrauch bereits fest, hätte eine Beibringungsanordnung nach § 11 Abs. 7 FeV zu unterbleiben. Für § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV gäbe es dann keinen Anwendungsbereich, was einer dahingehenden Auslegung der Vorschrift entgegensteht.
Zu Unrecht nimmt jedoch das Verwaltungsgericht an, der Antragsteller müsse die Wiederherstellung seiner Fahreignung durch eine gefestigte Änderung seines Trinkverhaltens nachweisen und das Landratsamt habe ihm die Fahrerlaubnis entziehen müssen, da er diesen Nachweis nicht erbracht habe. Eine Ungewissheit über ermächtigungsbegründende Tatsachen, hier das Fehlen der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers wegen Alkoholmissbrauchs, geht grundsätzlich zu Lasten der Behörde, da diese im Bereich der Eingriffsverwaltung, wie bei der Entziehung der Fahrerlaubnis, nach den allgemeinen Regeln die materielle Beweislast trägt, jedenfalls wenn der Betroffene seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist (vgl. Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 24 Rn. 55; Rebler, NZV 2021, 184/185; BayVGH, B.v. 14.9.2022 – 11 CS 22.876 – juris Rn. 28; B.v. 26.7.2019 – 11 CS 19.1093 – juris Rn. 14; B.v. 7.8.2018 – 11 CS 18.1270 – juris Rn. 15 m.w.N.; SaarlOVG, B.v. 15.7.2020 – 1 B 173/20 – Blutalkohol 57, 372 = juris Rn. 25 ff.; OVG NW, B.v. 16.2.2021 – 16 B 1496/20 – Blutalkohol 58, 107 = juris Rn. 7 ff.). Letzteres ist der Fall, weil der Antragsteller das von ihm geforderte Fahreignungsgutachten fristgerecht beigebracht und an dessen Erstellung auch ausreichend mitgewirkt hat. Soweit das Gutachten einen dauerhaften Alkoholverzicht des Antragstellers verlangt, weil eine fortgeschrittene Alkoholproblematik vorliege und dem Antragsteller ein kontrollierter Alkoholkonsum nicht möglich sei, ist dies – wovon auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht – nicht nachvollziehbar.
Alkoholabstinenz ist, sofern – wie hier – keine Alkoholabhängigkeit vorliegt, nach Nr. 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (vom 27.1.2014 [VkBl S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [VkBl S. 198]), die nach Anlage 4a zur FeV Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind, nur zu fordern, wenn aufgrund der Lerngeschichte anzunehmen ist, dass sich ein konsequenter kontrollierter Umgang mit alkoholischen Getränken nicht erreichen lässt. Das Gutachten spricht dem Antragsteller die Fähigkeit zu kontrolliertem Alkoholkonsum mit der Begründung ab, er sei zweimal unter Alkoholeinfluss auffällig geworden und habe eingeräumt, den Rausch bewusst gesucht und Trinkpausen zum Selbstbeweis eingelegt zu haben. Allein darauf lässt sich jedoch die Annahme einer fortgeschrittenen, verzichtspflichtigen Alkoholproblematik nicht stützen. Ohne diesen Begriff zu verwenden, beschreiben die ‚Beurteilungskriterien‘ der Deutschen Gesellschaften für Verkehrspsychologie und Verkehrsmedizin (Urteilsbildung in der Fahreignung, 4. Aufl. 2022, S. 103 ff.), aus denen sich die in Nr. 1 Buchst. c der Anlage 4a zur FeV der Fahreignungsbegutachtung zugrunde zu legenden anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 17.4.2023 – 11 BV 22.1234 – DAR 2023, 469 Rn. 37 m.w.N.), in Hypothese A2 Kriterien für die Notwendigkeit eines konsequenten Alkoholverzichts auch bei Nichtvorliegen einer Alkoholabhängigkeit (Hypothese A1). Danach kann ein verlässliches Trennverhalten nicht attestiert werden, wenn keine hinreichend zuverlässige Steuerungsfähigkeit und Verhaltenskontrolle angenommen werden kann. Dass die dort detailliert beschriebenen Umstände für das Postulat eines konsequenten Alkoholverzichts im Fall des Antragstellers vorliegen, ergibt sich aus dem Gutachten nicht. Unterhalb der in den Hypothesen A1 und A2 beschriebenen klinischen Ausprägungen von Alkoholabhängigkeit und -missbrauch mit der Notwendigkeit eines Alkoholverzichts siedeln die Beurteilungskriterien eine Alkoholgefährdung im Bereich des schädlichen Konsums mit gesteigerter Alkoholgewöhnung, unkontrollierten Trinkepisoden oder ausgeprägtem Entlastungstrinken an (Hypothese A3, Beurteilungskriterien S. 118 ff.). Diese ist im Unterschied zur Hypothese A2 dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffene in der Vorgeschichte noch in der Lage und bereit war, durch angemessene Verhaltensänderungen zu reagieren, wenn er die Konsequenzen seines Trinkverhaltens (erstmalig) als für andere wichtige Lebensziele bedrohlich erlebt hat. Zu dieser Abgrenzung, die für die Forderung eines konsequenten Alkoholverzichts maßgebend ist, äußert sich das Gutachten nicht in einer Weise, dass das Ergebnis nachvollziehbar wäre. Allein die wiederholte Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss mit den vom Antragsteller erreichten Werten und dessen Einlassung, bewusst den Rausch gesucht und Trinkpausen zum Selbstbeweis eingelegt zu haben, rechtfertigt die Zuordnung zur Hypothese A2, verbunden mit der Notwendigkeit eines Alkoholverzichts, nicht ohne Weiteres. Aufgrund der nicht schlüssigen Prämisse einer zwingenden Alkoholabstinenz kann ein entsprechender Nachweis vom Antragsteller nicht verlangt werden. Dem Gutachten kann daher nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Dies hat zur Folge, dass die Ungeeignetheit des Antragstellers wegen nicht hinreichenden Trennungsvermögens zwischen Alkoholkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr nicht gutachterlich festgestellt ist und ihm die Fahrerlaubnis daher nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht entzogen werden kann.
Allerdings sind die sich aus den beiden Trunkenheitsfahrten ergebenden Fahreignungszweifel entgegen der Auffassung des Antragstellers durch das nicht verwertbare Gutachten auch nicht zerstreut. Dazu müsste vielmehr ein nachvollziehbares und schlüssiges Gutachten vorgelegt werden, das das Trennungsvermögen bzw. die Trennungsbereitschaft des Antragstellers positiv feststellt. Auch schwere Mängel eines Gutachtens ersetzen eine derartige Feststellung nicht. Eine Fahrerlaubnisbehörde, die ein Gutachten für nicht nachvollziehbar hält, kann nicht ihre regelmäßig nicht von Fachkunde getragene Auffassung an die Stelle des ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens setzen, sondern muss beim Gutachter nachfragen und ggf. eine Nachbesserung des Gutachtens verlangen (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2019 – 11 CS 19.1093 – juris Rn. 14 für ein nicht nachvollziehbar positives Gutachten). Da ein zum Verlust der Fahreignung führender Alkoholmissbrauch derzeit nicht festgestellt ist, kann vom Antragsteller freilich nicht der Nachweis verlangt werden, dass er den Missbrauch entsprechend der Regelung in Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV beendet hat, auch wenn eine etwaige Änderung des Trinkverhaltens (Abstinenz) und ein Einstellungswandel bei der Frage des Trennungsvermögens zu berücksichtigen sind.
Für das weitere Vorgehen wird darauf hingewiesen, dass der angegriffene Entziehungsbescheid – sofern sich im Hauptsacheverfahren durch eine Erläuterung bzw. Ergänzung des aktuell nicht verwertbaren Gutachtens nicht noch weitere Erkenntnisse ergeben – aufzuheben sein dürfte. Eine erstmalige Sachaufklärung und Beurteilung nach den einschlägigen Maßstäben ist nach der Systematik des Fahrerlaubnisrechts im Behördenverfahren durch ein vom Betroffenen vorzulegendes Fahreignungsgutachten im Sinne von § 11 Abs. 2 FeV zu leisten. Dem Verwaltungsgericht fehlt es an einer Rechtsgrundlage zur Anordnung eines Fahreignungsgutachtens im Rechtssinn. Es kann allenfalls ein gerichtliches Sachverständigengutachten in Auftrag geben, das den Standards eines Fahreignungsgutachtens entsprechen soll (vgl. Geiger, DAR 2013, 231). Wegen dieser besonderen Ausgestaltung des Verfahrens und der hervorgehobenen Stellung des vom Betroffenen vorzulegenden Gutachtens erscheint es sachgerecht, eine nochmalige Begutachtung hier einem erneuten Behördenverfahren vorzubehalten (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2022 a.a.O. Rn. 33), was voraussetzt, dass die beiden Trunkenheitsfahrten noch nicht getilgt sind. Insoweit bleibt der Antragsteller zur Mitwirkung verpflichtet (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2022 a.a.O. Rn. 34; B.v. 7.8.2018 a.a.O. Rn. 19).
Nach allem war der Beschwerde wie tenoriert in weitem Umfang stattzugeben. Da der Antragsteller insoweit obsiegt hat und die Beschwerde lediglich hinsichtlich der Nebenentscheidungen zu verwerfen war, hält der Senat es für angemessen, dem Antragsgegner die Kosten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO ganz aufzuerlegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wobei die Klassen A, B und C maßgebend sind. Die übrigen Klassen werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 4, 5 und 6 FeV von diesen mitumfasst. Die Klasse E wirkt bei den Klassen B, C1 und C nicht streitwerterhöhend, weil sie in § 6 Abs. 1 FeV nicht mehr gesondert aufgeführt ist und nach § 9 Abs. 2 FeV nur erteilt werden darf, wenn der Bewerber bereits die Fahrerlaubnis für das ziehende Fahrzeug besitzt (vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2017 – 11 C 17.1384 – juris Rn. 2). Der nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs in Antragsverfahren zu halbierende Gesamtstreitwert von 17.500,- EUR ergibt einen Wert von 8.750,- EUR.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).