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OLG Hamm Urteil vom 08.10.1986 - 13 U 287/83 - Zum Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit, wenn ein Fahrzeug im Dunkeln unbeleuchtet auf der Fahrbahn abgestellt wird und ein Verkehrsteilnehmer darauf auffährt

OLG Hamm v. 08.10.1986: Zum Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit, wenn ein Fahrzeug im Dunkeln unbeleuchtet auf der Fahrbahn abgestellt wird und ein Verkehrsteilnehmer darauf auffährt




Zur Haftungsverteilung beim Auffahren eines Mopedfahrers auf einen bei Dunkelheit unbeleuchtet abgestellten Lkw-Anhängers (2/3 zu Lasten des letzteren) hat das OLG Hamm (Urteil vom 08.10.1986 - 13 U 287/83) ausgeführt:

  1.  Zum Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit, wenn ein Fahrzeug im Dunkeln unbeleuchtet auf der Fahrbahn abgestellt wird und ein Verkehrsteilnehmer darauf auffährt.

  2.  Über das Mitverschulden des auf ein stehendes Fahrzeug Auffahrenden, der seine Verhaltensweise nicht den Sichtverhältnissen anpasst.

Siehe auch
Auffahren auf unbeleuchtete Hindernisse oder Fahrzeuge bei Dunkelheit
und
Auffahren auf Hindernisse

Zum Sachverhalt:


Am 4.11.1979 gegen 20.00 Uhr befuhr der damals 17jährige Kl. mit seinem Moped die 6,5 m breite, gradlinig verlaufende B.Straße in A. in Richtung S.-Straße mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h. Auf der vom Kl. gesehen rechten Straßenseite hatte der Bekl. zu (2) den bei der Bekl. zu (3) haftpflichtversicherten Lkw mit Anhänger des Bekl. zu (1) so abgestellt, dass der Anhänger noch mindestens 1,7 m weit in die Fahrbahn hineinragte. Das Fahrzeug war unbeleuchtet; etwa 1,5 m hinter dem Heck des Anhängers befand sich eine zur Unfallzeit eingeschaltete Straßenleuchte.

Der Kl., der einen Schutzhelm mit klappbarem Visier trug, fuhr gegen das Heck des Anhängers und wurde schwer verletzt. Er verlangte von den Bekl. über die vorprozessual gezahlten 10000 DM hinaus weiteres Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. für materielle und immaterielle Folgeschäden. Das LG hat die Bekl. zu (2) und (3) zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 23000 DM verurteilt und dem Feststellungsantrag zu 75% entsprochen.

Die Berufung des Kl. hatte keinen, die der Bekl. teilweise Erfolg.




Aus den Entscheidungsgründen:


Die Bekl. sind dem Grunde nach verpflichtet, dem Kl. 2/3 des ihm aus dem Unfall vom 14.11.1979 entstandenen und noch entstehenden Schadens zu ersetzen, wobei die Haftung der Bekl. zu (1) als Halterin des am Unfall beteiligten Lkw allerdings auf den materiellen Zukunftsschaden beschränkt ist. Die Haftung der Bekl. zu (1) folgt aus §§ 7, 17 StVG, die Haftung des Bekl. zu (2) folgt aus §§ 18, 17 StVG, 17 Abs. 4 S. 3 StVO, 823 Abs. 1 und 2, 847 BGB, während die Haftung der Bekl. zu (3) als Haftpflichtversicherer des Bekl. zu (1) sich aus § 3 Nr. 1 PflVG ergibt. Die Bekl. haften als Gesamtschuldner. Den restlichen Schaden muss der Kl. selber tragen, weil auch ihn ein fahrlässig verkehrswidriges Fehlverhalten am Zustandekommen des Unfalls trifft, das sich unfallursächlich ausgewirkt hat (§§ 7, 17 StVG).

Der Unfall hat seine überwiegende Ursache in einem fahrlässig verkehrswidrigen Fehlverhalten des Bekl. zu (2) als Fahrer des Lkw der Bekl. zu (1). Ihm fällt ein unfallursächlicher Verstoß gegen § 17 Abs. 4 S. 3 StVO zur Last. Nach dieser Vorschrift sind Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,8 t und Anhänger innerhalb geschlossener Ortschaften stets mit eigener Lichtquelle zu beleuchten oder durch andere zugelassene lichttechnische Einrichtungen kenntlich zu machen.

Gegen diese Verpflichtung hat der Bekl. zu (2) als Fahrer des Lkw unstreitig verstoßen, denn er hat am 14.11.1979 gegen 19.00 Uhr, also zu einem Zeitpunkt, als es bereits dunkel war, den Lkw nebst Anhänger der Bekl. zu (1) so auf der für den Kl. rechten Fahrbahnseite abgestellt, dass der Lkw etwa 1,7 m weit in die Fahrbahn hineinragte.

Entgegen der Auffassung der Bekl. hat sich dieser Verstoß auch unfallursächlich ausgewirkt. Hierfür spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei Beleuchtungsverstößen bereits der Beweis des ersten Anscheins für die Unfallursächlichkeit spricht, wenn im Dunkeln ein Fahrzeug unbeleuchtet auf der Fahrbahn abgestellt wird und es zum Auffahrunfall kommt (vgl. BGH VersR 84, 296; OLG Hamm VersR 76, 299). Diesen gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis haben die Bekl. nicht zu erschüttern vermocht.


Durch den Umstand, dass etwa 1,5 m hinter dem Heck des Anhängers des Lkw eine Peitschenlaterne angebracht war, die zur Unfallzeit auch brannte, kann die Ursächlichkeit des Beleuchtungsverstoßes für den Unfall des Kl. nicht ausgeräumt werden. Der Zeuge B. hat nach dem Unfall einen Fahrversuch unternommen und dabei festgestellt, dass der Lkw trotz der Straßenbeleuchtung schwer zu erkennen gewesen sei. Er hat auch den Verkehr nach dem Unfall beobachtet und dabei festgestellt, dass Kraftfahrer erst im letzten Moment nach links auswichen, um an dem unbeleuchteten Lkw vorbeizufahren. Der Zeuge N. hat vor dem Unfall des Kl. die gleiche Strecke wie der Kl. mit einer Geschwindigkeit von 50 - 55 km/h befahren. Dabei hat er den unbeleuchteten Lkw gemäß seiner Bekundung so spät bemerkt, dass er nur durch Ausweichen eine Kollision hat vermeiden können. Nach den Bekundungen des Zeugen hätte er durch Bremsen allein eine Kollision nicht verhindern können. Aufgrund der glaubhaften Zeugenaussagen steht somit fest, dass der unbeleuchtete Lkw wegen der Dunkelheit, der Fahrbahnnässe und durch die Behinderung infolge Gegenverkehrs äußerst schlecht zu sehen war, jedenfalls die Straßenbeleuchtung nicht ausreichte, um bei Dunkelheit und nasser Fahrbahn den großen Lkw nebst Anhänger auf der Fahrbahn frühzeitig für Kraftfahrer erkennbar zu machen. Bei dieser Sachlage spricht die Lebenserfahrung vielmehr dafür, dass der Auffahrunfall des Kl. auch darauf zurückzuführen ist, dass der Lkw nicht vorschriftsmäßig beleuchtet gewesen ist.

Die Bekl. hätten den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis allerdings ausgeräumt, wenn der Unfall auch bei vorschriftsmäßiger Beleuchtung des Lkw und des Anhängers geschehen wäre, also wenn der Kl. ihn trotz brennenden Rücklichts nicht oder erst so spät wahrgenommen hätte, dass er die Kollision nicht mehr hätte vermeiden können. Die Bekl. behaupten, die Sichtbehinderung sei für den Kl., der bei Regen mit geschlossenem Visier gefahren sei und Gegenverkehr gehabt habe, so stark gewesen, dass er den Lkw auch bei vorschriftsmäßiger Beleuchtung nicht wahrgenommen hätte. Die Richtigkeit dieser Behauptung haben die Bekl. jedoch nicht beweisen können.

Dass das Nichteinschalten der Beleuchtung seitens des Bekl. zu (2) als verantwortlicher Fahrer des Lkw fahrlässig gewesen ist, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.




Den Kl. trifft jedoch wie das LG zutreffend angenommen hat ein anspruchsminderndes Mitverschulden. Aufgrund der Aussage des Zeugen S., der zur Zeit des Unfalls mit dem Pkw aus der Gegenrichtung kam und den Unfallhergang genau beobachtet hat, steht fest, dass der Kl., ohne dass eine Reaktion erkennbar gewesen ist, auf den Lkw aufgefahren ist, und zwar wie aufgrund der überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen feststeht - mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h. Bei einem derartigen Geschehensablauf spricht schon der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Kl. (vgl. BGH VersR 69, 1023 = NJW 69, 2136). Ein Kraftfahrer hat gem. § 3 StVO seine Geschwindigkeit so einzurichten, dass er jederzeit in der Lage ist, seinen Verpflichtungen im Verkehr Genüge zu leisten und dass er das Fahrzeug nötigenfalls rechtzeitig anhalten kann. Seine Geschwindigkeit hat er den Straßen-, Verkehrs- und Wetterverhältnissen anzupassen. Er darf grundsätzlich nur so schnell fahren, dass der Anhalteweg nicht länger als die sichtbare Strecke ist. Das gilt insbesondere auch bei Dunkelheit und Regenwetter. Der Kraftfahrer ist zu einer solchen Fahrweise verpflichtet, dass er in der Lage ist, auch vor einem unvermuteten und unbeleuchteten Hindernis, mit dem auf öffentlicher Straße jederzeit gerechnet werden muss, rechtzeitig anhalten zu können. Er verstößt gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn er dem nicht Rechnung trägt und sich in seiner Fahrweise hierauf nicht einrichtet.

Kommt es dadurch zu einem Unfall, dass ein Kraftfahrer bei Dunkelheit auf ein unbeleuchtetes Hindernis auffährt, so findet dies in aller Regel seine Erklärung in einem fahrlässigen Fehlverhalten des auffahrenden Kraftfahrers, der es entweder an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen oder aber seine Fahrgeschwindigkeit nicht den Sicht-, Verkehrs- und Wetterverhältnissen angepasst hat. Es handelt sich bei derartigen Fällen um Geschehensabläufe typischer Art, die nach der Erfahrung des Lebens auf ein unfallursächliches Verschulden des auffahrenden Kraftfahrers hinweisen, so dass nach den Grundsätzen des Beweises vom ersten Anschein ohne weiteren Nachweis rein erfahrungsgemäß auf die Ursächlichkeit schuldhaften Verhaltens geschlossen werden kann (vgl. BGH aaO; BGH VersR 76, 729). Diesen gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis hat der Kl. nicht zu entkräften vermocht (wird ausgeführt).

Selbst wenn man zugunsten des Kl. unterstellt, dass er mit herabgeklapptem Visier gefahren ist, entfällt damit noch nicht sein unfallursächliches Verschulden. Gem. § 23 Abs. 1 S. 1 StVO hat der Fahrzeugführer für ausreichende und unbehinderte Sicht zu sorgen, selbst wenn die Beobachtung der Fahrbahn und die Erkennbarkeit von Hindernissen durch Blendung, die von entgegenkommenden Fahrzeugen ausgeht, erschwert wird. Der Kraftfahrer muss diesem Umstand durch erhöhte Aufmerksamkeit Rechnung tragen, denn er darf niemals blindlings ins Ungewisse hineinfahren. War wegen Regens und Blendung seine Sicht so beeinträchtigt, dass er nur wenige Meter weit sehen konnte, hätte der Kl. das Visier trotz Regens hochklappen müssen und die Geschwindigkeit so herabsetzen müssen, dass er trotz der Blendung in der übersehbaren Strecke hätte anhalten können (Vgl. BGH VersR 76, 729). Den entgegenkommenden Wagen des Zeugen S. hat er rechtzeitig sehen können. Er hätte sich deshalb auf die von diesem Wagen ausgehende Blendung rechtzeitig einstellen können. Da der Kl. nachweislich solche Abwehrmaßnahmen nicht getroffen hat, seine Fahrt trotz der für diesen Fall gegebenen Sichtbehinderung mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h fortgesetzt hat, ist sein Fehlverhalten in jedem Fall als schuldhaft zu bezeichnen. Ihm fällt somit ein unfallursächlicher Verkehrsverstoß zur Last.



Im Rahmen der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung ist neben den Betriebsgefahren das schuldhafte Fehlverhalten beider Fahrzeugführer zu berücksichtigen. Mit dem LG ist der Senat der Auffassung, dass der Bekl. zu (2) die Hauptunfallursache gesetzt hat, denn von dem auf der Fahrbahn stehenden unbeleuchteten Lkw geht bei den gegebenen schlechten Wetter- und Sichtverhältnissen eine hohe Betriebsgefahr aus, weil der Lkw nur schwer zu erkennen war. Das Verhalten des Bekl. zu (2) war leichtsinnig. Andererseits kommt aber dem Fehlverhalten des Kl., der entweder unaufmerksam war oder sich nicht ordnungsgemäß auf die schlechten Sichtverhältnisse eingestellt hat, ebenfalls ein nicht gering zu veranschlagendes Gewicht zu. Eine Quote von 1:2 zu Lasten der Bekl. trägt nach Auffassung des Senats den beiderseits gesetzten Unfallbeiträgen angemessen Rechnung. Bei der vom LG gewählten Quote erscheint dem Senat der Verursachungsanteil des Kl. zu gering bemessen. Der Kl. kann daher von den Bekl. Schadensersatz in Höhe von 2/3 dem Grunde nach verlangen."

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