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OLG Hamm Urteil vom 24.04.1990 - 27 U 18/90 - Ein Fahrstreifenwechsel ist unzulässig, wenn er mit dem Einscheren in eine zu enge Fahrzeuglücke verbunden ist

OLG Hamm v. 24.04.1990: Ein Fahrstreifenwechsel ist unzulässig, wenn er mit dem Einscheren in eine zu enge Fahrzeuglücke verbunden ist




Siehe auch
Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden und Auffahrunfall
und
Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle



Schert ein Fahrstreifenwechsler bei lebhaftem Verkehr in eine 18 bis 20 m große Lücke zwischen den Fahrzeugen auf dem neben ihm liegenden Fahrstreifen ein, dann trifft ihn die volle Haftung, wenn gleich nach dem Einscheren ein verkehrsbedingtes Bremsen nötig wird und das dahinter fahrende Fahrzeug auf ihn auffährt; das OLG Hamm (Urteil vom 24.04.1990 - 27 U 18/90) führt hierzu aus:

   Ein Fahrstreifenwechsel ist unzulässig, wenn er derart mit dem Einscheren in eine enge Fahrzeuglücke verbunden ist, dass die Fahrzeugabstände auf dem neuen Fahrstreifen in gefährlicher Weise verkürzt werden. Hierdurch verursachte Auffahrunfälle fallen dem Einscherenden zur Last.


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Kl. kann von den Bekl. vollen Ersatz des ihr aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 8.1.1989 entstandenen erstattungsfähigen Schadens verlangen. Schadensersatzansprüche der Kl. dem Grunde nach folgen aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 823 BGB sowie aus § 3 PflVG. Da keiner der Unfallbeteiligten den Nachweis der Unabwendbarkeit (§ 7 Abs. 2 StVG) führen kann, bedarf es der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile nach § 17 Abs. 1 StVG. Diese ergibt, dass der Bekl. zu 1 den Unfall so überwiegend fahrlässig verursacht hat, dass demgegenüber der Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Kl. kein anspruchsminderndes Eigengewicht zukommt.

Schuldhaftes Fehlverhalten auf seiten der Kl. wird weder nach dem ersten Anschein vermutet, noch ist es gar positiv feststellbar.

Ein gegen den Auffahrenden (hier: Kl.) sprechender erster Anschein, der sich letztlich auf die Nichteinhaltung eines der Geschwindigkeit entsprechenden Sicherheitsabstands oder auf Unaufmerksamkeit gründet, ist dann ausgeräumt, wenn der Vordermann (hier: Bekl. zu 1) im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat (vgl. z. B. KG VRS 65, 189 OLG Celle VersR 82, 960). Ein solcher vom typischen Auffahrunfall abweichender Geschehensablauf liegt hier vor...




Der Bekl. zu 1 hat entgegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO den Fahrstreifen gewechselt, da eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern im hohen Maße durch ihn begründet war. Ein Fahrstreifenwechsel darf wegen seiner auf der Hand liegenden latenten Gefahren nur unter Beachtung äußerster Sorgfalt durchgeführt werden er ist untersagt, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht auszuschließen oder zu gewärtigen ist. Bei dichtem Verkehr oder Kolonnenbildung ist deshalb das Wechseln in aller Regel auf das Ausnutzen größerer Lücken beschränkt, welche ausreichenden Abstand nach hinten und vorn ermöglichen (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 30. Aufl. 1989 § 7 StVO Rdnr. 16 m. w. N.). Im Streitfall war dies bei einer Lücke von nur 18 bis 20 m von vornherein ausgeschlossen. Ausreichende Sicherheitsabstände konnten dabei weder zum Vorder- noch zum Hintermann eingehalten werden. Den zuvor ausreichenden Sicherheitsabstand der Kl. zum Pkw des D. hat der Bekl. zu 1 unzulässig verkürzt.

Die in Abs. 5 normierte besondere Sorgfaltspflicht räumt zwar dem auf der benachbarten Fahrspur nachfolgenden Verkehr nicht allgemein ein Vorrecht gegenüber einem die Fahrspur wechselnden Vordermann mit der Folge ein, dass er seine Fahrt ohne Rücksicht auf vom Vordermann abgegebene Richtungszeichen fortsetzen darf. Vielmehr kann es Fälle geben, in denen der auf dieser Spur nachfolgende Verkehr einen ordnungsgemäß angezeigten Fahrstreifenwechsel ermöglichen muss, jedenfalls dann, wenn für den Hintermann erkennbar ein berechtigter Grund für den Fahrstreifenwechsel vorliegt (OLG Karlsruhe VRS 58, 56 BayObLG VerkMitt 73, 39 (40). Davon, dass der Bekl. zu 1 den Fahrstreifenwechsel bereits geraume Zeit durch Blinkzeichen angekündigt hat, ist der Senat entsprechend den Angaben des Bekl. zu 1 ausgegangen. Indes hätte der Fahrstreifenwechsel unter den gegebenen Umständen nur nach vorheriger Verständigung mit der Kl. durchgeführt und nicht erzwungen werden dürfen. Der Hintermann braucht nämlich der (ordnungsgemäß angezeigten) Absicht des Fahrspurwechsels nur dann Rechnung zu tragen, wenn er noch weit genug entfernt ist, um sich ohne Schwierigkeit auf sie einzustellen.

Wenn der Bekl. zu 1 bei ca. 45 km/h unter Ausnutzung einer nur 18 bis 20 m großen Lücke den Fahrstreifen gewechselt hat, ohne sich mit der Kl. zu verständigen - wie er selbst eingeräumt hat -, so war dies ein risikoreiches Unterfangen, zumal bei Regen, beginnender Dämmerung und der Tatsache, dass auch der vorausfahrende Kolonnenverkehr jederzeit ins Stocken geraten konnte.




Die Gefährdung des Vorder- und Hintermannes hat zu den zwei Auffahrunfällen geführt.

Dieser gewichtige Verstoß des Bekl. zu 1 gegen die höchstmögliche Sorgfaltsverpflichtung aus § 7 Abs. 5 StVO steht als Hauptunfallursache deutlich im Vordergrund. Ihr gegenüber kommt der einfachen Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Kl. kein anspruchsminderndes Eigengewicht zu. Die Aufprallgeschwindigkeit ist der Kl. nicht vorwerfbar. Durch den Fahrstreifenwechsel zuvor war ihr die Sicht auf die Bremslichter der in der Kolonne weiter voraus fahrenden Fahrzeuge erschwert, ihr zuvor ausreichender Sicherheitsabstand unzulässig verkürzt worden. Dass sie sofort auf den Fahrstreifenwechsel mit heftiger Bremsung hätte reagieren müssen, ist nicht feststellbar, zumal sie ihrerseits auf ihren Hintermann Rücksicht zu nehmen hatte..."

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