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Landgericht Oldenburg Urteil vom 13.8.2004 -13 O 3560/03 - Grundsätze des Fahrverhaltens bei Baustellen mit Fahrbahnverschwenkung und Haftungsquote bei Mitverursachung eines Auffahrunfalls durch Nichtbefolgen einer Fahrbahnverschwenkung

LG Oldenburg v. 13.08.2004: Grundsätze des Fahrverhaltens bei Baustellen mit Fahrbahnverschwenkung und Haftungsquote bei Mitverursachung eines Auffahrunfalls durch Nichtbefolgen einer Fahrbahnverschwenkung (Haftung 1/4)




Bezüglich einer Mithaftung von 25 % an einem durch das Nichtbefolgen einer baustellenbedingten Fahrbahnverschwenkung verursachten Auffahrunfall dahinter fahrender Fahrzeuge hat das Landgericht Oldenburg (Urteil vom 13.8.2004 -13 O 3560/03) geurteilt:

  1.  Eine baustellenbedingte Fahrbahnverschwenkung mit Überleitungstafel verpflichtet nicht zum Fahrstreifenwechsel.

  2.  Gleichwohl ist der auf dem rechten von zwei Fahrstreifen fahrende Fahrzeugführer gem. § 1 StVO gehalten, die Fahrbahnverschwenkung mitzuvollziehen, um die Verkehrsteilnehmer auf dem linken Fahrstreifen nicht zu behindern oder zu gefährden.

  3.  Die auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Verkehrsteilnehmer dürfen nicht darauf vertrauen, dass die auf dem rechten Fahrstreifen fahrenden Fahrzeugführer die Fahrbahnverschwenkung mitvollziehen.

  4.  Wer auf dem rechten Fahrstreifen die Fahrbahnverschwenkung nicht mitvollzieht, sondern geradeaus auf den linken Fahrstreifen fährt und dort einen Fahrzeugführer zu einer Vollbremsung zwingt, hat dem auf das abgebremste Fahrzeug Auffahrenden ein Viertel des Schadens zu ersetzen.

Siehe auch
Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden und Auffahrunfall
und
Stichwörter zum Thema Auffahrunfälle


Zum Sachverhalt:


Die kl. Versicherung nimmt die Bekl. nach einem Verkehrsunfall auf anteilige Erstattung der von ihr aus einer Haftpflichtversicherung geleisteten Zahlungen in Anspruch.

Die Kl. ist (Fahrzeug-)Haftpflichtversicherer des Herrn M. Dieser befuhr am 27.3.2002 mit seinem PKW Ford Fiesta in Höhe L. die linke Fahrspur der (zweispurigen) Autobahn A 1 in Richtung Bremen. Vor Herrn M fuhr Herr G mit seinem Pkw BMW, neben den beiden auf der rechten Fahrspur die Bekl. zu 2) mit ihrem, bei der Bekl. zu 1) haftpflichtversicherten Pkw VW Lupo. In Höhe des Kilometers 249,5 war die linke Fahrspur der Autobahn gesperrt. Dort befand sich ein Sicherungsanhänger mit dem Verkehrszeichen VZ 616 Pfeilrichtung rechts. Etwa 650 m davor stand eine an das Verkehrszeichen VZ 500 angelehnte Hinweistafel, derzufolge die Benutzer des linken Fahrstreifens auf den rechten und die Benutzer des rechten Fahrstreifens auf den Seitenstreifen überwechseln sollten. Die Geschwindigkeit war im betroffenen Bereich auf 100 km/h, später 80 km/h reduziert. Überleitende Fahrbahnmarkierungen waren nicht vorhanden. Bei der Annäherung an das Ende des linken Fahrstreifens unterließ es die Bekl. zu 2), vom rechten Fahrstreifen auf den Seitenstreifen überzuwechseln. Der Pkw-Fahrer G, der infolgedessen gehindert war, vom linken auf den rechten Fahrstreifen zu wechseln, vollzog zur Vermeidung eines Aufpralls auf den Sicherungsanhänger unmittelbar vor dem Ende des linken Fahrstreifens eine Vollbremsung und kam zum Stehen. Der Pkw-Fahrer M vollzog zeitgleich ebenfalls eine Vollbremsung, konnte jedoch nicht mehr rechtzeitig anhalten und fuhr auf den Wagen Gs auf. Die hierdurch Herrn G entstandenen Schäden in Höhe von Haftungs- und Versicherungsrecht 13234,20 € hat die Kl. aus der bestehenden Haftpflichtversicherung reguliert.

Die Kl. ist der Auffassung, dass der Verkehrsunfall überwiegend von der Bekl. zu 2), die insoweit auch wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit verurteilt wurde, verursacht worden sei, wobei die Kl. von einem Verschuldensanteil der Bekl. zu 2) von 2/3 ausgeht.

Die Klage hatte zu einem Teil Erfolg. Das LG sprach der KI. 25% des von ihr regulierten Schadens zu.




Aus den Entscheidungsgründen:


"Die Kl. kann wegen der von ihr nach dem Verkehrsunfall vom 27. 3. 2002 erbrachten Versicherungsleistungen von den Bekl. aus übergegangenem Recht die Zahlung eines Betrages von 3323,71 € beanspruchen (§§ 7, 17 I, 18 StVG, 840 I, 426 II BGB, 67, 1 VVG).

Der von der Kl. im Rahmen einer Kfz-Haftpflichtversicherung unstreitig mit einem Betrag von 13 234,20 € regulierte Verkehrsunfall vom 27. 3. 2002 beruhte nach dem im Wesentlichen unstreitigen Vorbringen der Parteien ganz überwiegend auf einem schuldhaften Verstoß des Versicherungsnehmers der Kl. M gegen die Abstandsvorschriften aus § 4 1_ StVO. Der Verursachungsanteil der am Unfallgeschehen beteiligten Bekl. zu 2) ist demgegenüber zur Überzeugung des Gerichts lediglich mit 25% zu bewerten.

Zwar ist die Bekl. zu 2), nachdem sie die an das Verkehrszeichen VZ 500 angelehnte Aufforderung zum Fahrstreifenwechsel passiert hatte, nicht vom Hauptfahrstreifen auf die Seitenspur übergewechselt und hat damit aus Sicht der auf dem Überholfahrstreifen befindlichen Fahrzeugführer G und M den Hauptfahrstreifen blockiert. Aufgrund der sich aus der beigezogenen Ermittlungsakte ergebenden Ausschilderung der Autobahnbaustelle bestand allerdings auch gar keine konkrete straßenverkehrsrechtliche Verpflichtung für die Bekl. zu 2), einen Fahrstreifenwechsel zu vollziehen. Insbesondere stellte die Weiterfahrt der Bekl. zu 2) auf dem Hauptfahrstreifen keinen Fahrspurwechsel im Sinne von § 7 V StVO dar, da unstreitig eine den Verkehr auf die Standspur leitende (gelbe) Fahrbahnmarkierung nicht vorhanden war. Die Aufforderung zum Fahrstreifenwechsel ergab sich vielmehr allein aus der an das Verkehrszeichen VZ 500 angelehnten sogenannten Überleitungstafel. Hierbei handelt es sich um ein nur als „sonstige Verkehrslenkungstafel” qualifiziertes Richtzeichen im Sinne von § 42 StVO, dass keine konkreten Anordnungen, sondern lediglich die Ankündigung einer Überleitung des Verkehrs enthält. Aufgrund dieser Überleitungstafel war die Bekl. zu 2) daher lediglich gehalten, nicht jedoch verpflichtet, vom Hauptfahrstreifen auf die Standspur überzuwechseln. Dies folgt im Übrigen auch schon daraus, dass sich aus der Überleitungstafel (allein) nicht entnehmen lässt, wo der in Aussicht genommene Fahrstreifenwechsel konkret zu vollziehen ist. Ob und gegebenenfalls wo ein Fahrzeugführer den Fahrstreifen wechselt, hatte dieser vielmehr unter Beachtung der Erfordernisses des Verkehrs und des Rücksichtnahmegebotes eigenverantwortlich zu entscheiden. Diese Auffassung wird bestätigt durch den von der Kl. vorgelegten Regelplan DIII (Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen), in dem das streitige Verkehrsschild ausdrücklich als „Vorwarntafel” bezeichnet ist und im eigentlichen Bereich der Fahrbahnverschwenkung aufnehmbare Markierungen, eine dichte Reihe von Leitkegeln oder Leitschwellen vorgesehen sind.




Zur Überzeugung der Kammer wäre die Bekl. zu 2) im vorliegenden Fall bei ordnungsgemäßer Beachtung des – insbesondere auch auf dem Überholfahrstreifen fahrenden – seit- und rückwärtigen Verkehrs zur Vermeidung einer Behinderung oder gar Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer allerdings gehalten gewesen, schon einige Zeit vor dem auch für sie erkennbaren Verkehrszeichen VZ 616 auf die Standspur überzuwechseln. Denn sie musste in Rechnung stellen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Vorwarntafel zum Anlass für einen Fahrspurwechsel nehmen würden. Indem sie diesen Fahrspurwechsel oder eine andere angemessene Reaktion z. B. Abbremsen unterlassen hat, verstieß die Bekl. zu 2) zwar nicht gegen eine konkrete Verkehrsanordnung, wohl aber gegen das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 1 StVO. Insoweit trifft die Bekl. zu 2) eine Mitschuld an dem sich auf dem Überholfahrstreifen ereignenden, von der Kl. regulierten Verkehrsunfall. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die auf dem Überholfahrstreifen fahrenden Fahrzeugführer nicht auf einen Fahrstreifenwechsel der Bekl. zu 2) vertrauen durften und ihre Fahrweise,. insbesondere auch einen etwaigen Sicherheitsabstand zum Vorausfahrenden, hierauf einstellen mussten, schätzt die Kammer den Verursachungsbeitrag der Bekl. zu 2) am Unfallgeschehen mit insgesamt 1/4 ein, während den Versicherungsnehmer der Kl. M ein Verursachungsanteil von 3/4 trifft. Die Kl. kann daher von dem Bekl. als Gesamtschuldner 25% des regulierten Schadens erstattet verlangen. ..."

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