Das Verkehrslexikon

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OLG Koblenz (Beschluss vom 12.09.2005 - 1 Ss 235/05 - Zum Augenblicksversagen bei der Verwechslung einer Geschwndigkeitsaufhebung

OLG Koblenz v. 12.09.2005: Zum Augenblicksversagen bei der Verwechslung einer Geschwindigkeitsaufhebung




Das OLG Koblenz (Beschluss vom 12.09.2005 - 1 Ss 235/05) hat zur Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Aufhebung einer Geschwindigkeitsbeschränkung zum diesbezüglichen Augenblicksversagen entschieden:

  1.  Zur Berufung auf ein Augenblicksversagen bei Verwechslung des Zeichens 280 mit dem Zeichen 282 (§ 31 Abs. 2 Nr. 7 StVO).

  2.  Ein Kraftfahrer, der vorhat, sich ab Geschwindigkeitsfreigabe mit rasendem Tempo (über 200 km/h) durch dichten Verkehr zu bewegen, muss absolut sicher sein, dass die bisherige Geschwindigkeitsbeschränkung auch tatsächlich aufgehoben ist. Er muss dafür sorgen, dass ein Irrtum völlig ausgeschlossen ist, weil sonst eine extrem hohe Unfallgefahr dadurch entsteht, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer, die das Aufhebungszeichen richtig erkannt haben und sich daher mit relativ langsamer Geschwindigkeit weiterbewegen, zu Recht nicht damit rechnen, dass von hinten ein Fahrzeug mit derart extremem Tempo herangerast kommt. (Rn.13) Das Außerachtlassen dieser besonderen und zum Schutze der übrigen Verkehrsteilnehmer vor unerwarteten Rasern unerlässlichen gesteigerten Sorgfalt bei der Beobachtung von Verbotsaufhebungszeichen ist deshalb unter Ausschuss der Berufung auf ein sog. Augenblicksversagen regelmäßig als grobe Nachlässigkeit zu bewerten, die das Regelfahrverbot rechtfertigt.

Siehe auch
Fahrverbot und sog. Augenblicksversagen
und
Geschwindigkeitsverstöße im Ordnungswidrigkeitenrecht


Gründe:


Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung hat zwar Rechtsfehler bei der Begründung des Fahrverbots ergeben. Diese ändern jedoch im Ergebnis nichts daran, dass gegen den Betroffenen zu Recht ein Fahrverbot verhängt wurde.

I.

Das Amtsgericht hat das Fahrverbot auf folgende Feststellungen gestützt:

   "Betroffene befuhr am 20.08.2004 um 16:05 Uhr mit seinem Kraftrad Yamaha ... die Bundesautobahn ... in der Gemarkung D... in Fahrtrichtung Norden. Nach der Anschlussstelle W... sind bei km 239,445 und km 237,630 jeweils beidseitige Verkehrszeichen 274 (130 km/h) aufgestellt. In Höhe des Kilometer 237,580 ist das Verkehrszeichen 525 Fahrstreifentafel mit Verkehrszeichen 280 (Beginn der 3. Spur und Aufhebung des Überholverbotes) aufgestellt. Vor km 233,0 befuhr der Betroffene mit seinem Kraftrad noch im Bereich der 130 Tempozone einer Messstrecke von 1.073 Metern in einer Zeit von 18,03 Sekunden, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 214,24 km/h entspricht... Nach Abzug der gerätegegebenen Toleranz von 11 km/h ergibt dies eine vorwerfbare Geschwindigkeitsüberschreitung von 73 km/h. Vor Beginn der Messstrecke hatte der Betroffene bei dichtem Verkehr das Messfahrzeug verbotswidrig rechts überholt. ...

Der Betroffene ... macht geltend, das Verkehrszeichen 280 mit dem Verkehrszeichen 282 (Aufhebung sämtlicher Streckenverbote) verwechselt zu haben. Er habe sich in dem irrigen Glauben befunden, die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 130 km/h sei aufgehoben worden. Es habe sich um ein Augenblicksversagen gehandelt, das sich aus einem sehr kurzfristigen Fehlverhalten durch Außerachtlassung der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt begründe. ...

Zwar ist seine Einlassung, die Verkehrsschilder verwechselt zu haben, nicht zu widerlegen. Dennoch kann von einem Augenblicksversagen nicht ausgegangen werden. Wer bei dichtem Verkehrsaufkommen und zudem mit einem Motorrad mit über 200 km/h auf der Autobahn rast, muss sich bewusst sein, dass er aufgestellte Verkehrsschilder nicht mehr ordnungsgemäß wahrnehmen kann, da er sich voll auf den fließenden Verkehr konzentrieren muss.“




II.

Mit dieser Begründung könnte das Fahrverbot allerdings keinen Bestand haben.

1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist lediglich der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass extrem hohe Geschwindigkeiten von wie hier 200 km/h und mehr sowie waghalsige Überholmanöver wie das vom Betroffenen praktizierte Rechtsüberholen, alles auch noch bei hoher Verkehrsdichte, es ausschließen, ein Augenblicksversagen anzunehmen, wenn dabei ein Verkehrsschild übersehen oder (wie hier vom Betroffenen behauptet) missdeutet bzw. verwechselt wird. Das setzt allerdings voraus, dass die gefahrenträchtige, extreme Konzentration für sich beanspruchende Fahrweise und das Übersehen, Missverstehen oder Verwechseln in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, so dass nach der Lebenserfahrung von einer auf grobe Weise selbstverschuldeten Wahrnehmungsbeeinträchtigung auszugehen ist. Genau diesen Situationszusammenhang hat der Tatrichter aber, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist, gerade nicht festgestellt. Nach den ohnehin unklaren und ohne Zuhilfenahme des (im Urteil weder wiedergegebenen noch prozessordnungsgemäß in Bezug genommenen) Beschilderungsplans Bl. 19 kaum verständlichen Urteilsangaben zu den Streckenverhältnissen und der hier maßgeblichen Beschilderung ist lediglich davon auszugehen, dass der Betroffene irgendwann nach den beiden (bei km 239,445 und 237,630 aufgestellten) Zeichen 274 (130) sowie nach einem Aufhebungszeichen 280 und noch im Bereich einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 130 km/h mit einer Geschwindigkeit von 214 km/h gemessen wurde und dass er irgendwann vor Beginn dieser Messung das Messfahrzeug rechts überholt hatte. Dafür, dass er bereits vor dem Aufhebungszeichen mit auch nur annähernd so hoher Geschwindigkeit gefahren wäre und/oder rechts überholt (und dadurch seine fehlerhafte Wahrnehmung verschuldet) hätte, enthalten die Urteilsfeststellungen keinerlei Hinweise. Ohne entsprechende Feststellungen aber hängen die Rechtsausführungen des Amtsgerichts zum Augenblicksversagen, so zutreffend sie für sich genommen auch sein mögen, in der Luft.




2. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft könnte das Fahrverbot auch nicht mit folgender Begründung bestehen bleiben:

   „Die Tatsache..., dass der Betroffene im Rahmen der Messung bei dichtem Verkehr erheblich über 200 km/h fuhr und schon vor Beginn der Messstrecke das Messfahrzeug bei ebenfalls dichtem Verkehr verbotswidrig rechts überholt hatte, lässt nicht nur den Schluss zu, dass er zu diesem Zeitpunkt der Fahrt völlig gleichgültig gegenüber Ge- und Verbotsnormen ... handelte. Das Verhalten während und unmittelbar vor der Messstrecke ist seinerseits auch ein ausreichend starkes tat- und täterbezogenes Indiz dafür, dass das behauptete Verwechseln des Zeichens 280 mit einem Zeichen 282 kurz vor der Messstrecke in Höhe km 237,580 nicht etwa lediglich auf einfacher Fahrlässigkeit beruhte, sondern vielmehr auf der Gleichgültigkeit des Betroffenen und damit grob pflichtwidrig war.“

Von einer diese Argumentation rechtfertigenden Fahrweise des Betroffenen vor dem von ihm unwiderlegbar missverstandenen bzw. verwechselten Aufhebungszeichen kann ohne Verstoß gegen den Zweifelssatz nicht ausgegangen werden. Über sein Fahrverhalten auf der Strecke vor dem Aufhebungsschild enthält das Urteil keinerlei Feststellungen. Damit aber handelt es sich auch bei der Hilfsüberlegung der Generalstaatsanwaltschaft letztlich nur um eine Vermutung. Angesichts der Tatsache, dass sich die Autobahn hinter dem Aufhebungszeichen von zwei auf drei Fahrspuren verbreiterte und in offensichtlichem Zusammenhang damit eine bis dahin geltende Beschränkung aufgehoben worden war, erscheint sie auch keineswegs zwingend. Zumindest ist sie nicht wahrscheinlicher als die Annahme, dass der Betroffene bis km 237,580 mit 130 km/h oder jedenfalls nicht mit einer so stark überhöhten Geschwindigkeit fuhr, dass er durch sie in der Wahrnehmung und korrekten Deutung des Zeichens behindert gewesen wäre, und dass er erst angesichts der angekündigten Aufweitung der Autobahn in Verbindung mit einer kurzzeitigen Unaufmerksamkeit das Aufhebungszeichen falsch interpretierte und deshalb in der Annahme, (auch) die Geschwindigkeitsbeschränkung sei aufgehoben, nunmehr stark beschleunigt hatte. Da die irgendwo danach beginnende Messstrecke nur 1.073 Meter betrug und die Messung beendet wurde, bevor der Betroffene das nächste Geschwindigkeitsbeschränkungsschild passiert hatte, ist durch die bisher getroffenen Feststellungen seine Einlassung nicht widerlegt, trotz vorschriftsmäßiger Fahrweise, lediglich infolge kurzzeitiger Unaufmerksamkeit das Autosymbol unter dem Diagonalbalken des Zeichens 280 übersehen und es deshalb mit dem Zeichen 282 verwechselt zu haben.



III.

Die Rechtsbeschwerde erweist sich sie jedoch aus einem anderen Grund als unbegründet.

Der Betroffene hat sich zwar auf ein Augenblicksversagen (Verwechslung des Zeichens 280 mit dem Zeichen 282) berufen. Seine dazu gebrachte Einlassung behauptet jedoch keinen Sachverhalt, der die Berufung auf ein Augenblicksversagen gestatten würde:

Der Betroffene hat kein Verkehrsschild übersehen, das ihm eine Beschränkung seines Fahrverhaltens auferlegte, mit der Folge, dass er mit seiner bisherigen höheren Geschwindigkeit weitergefahren wäre. Er war sich der Geschwindigkeitsbeschränkung 130 km/h vielmehr bewusst und hatte seiner unwiderlegbaren Einlassung zufolge seine Geschwindigkeit danach auch ausgerichtet. Er wusste, dass er eine besondere Gestattung benötigte, um wieder freie Fahrt zu haben. Wie sein anschließendes Fahrverhalten (gemessene Geschwindigkeit: 214 km/h) belegt, hatte er vor, bei freier Fahrt auf eine enorme Geschwindigkeit zu beschleunigen und diese, wenn irgend möglich, beizubehalten; selbst durch Belegung der linken Fahrspur mit langsameren Fahrzeugen ließ er sich davon, wie sein verkehrswidriges Rechts-Überholmanöver beweist, nicht abbringen. Ein Motorradfahrer, der vorhat, sich ab Geschwindigkeitsfreigabe mit derart rasendem Tempo durch (den vom Amtsgericht festgestellten) dichten Verkehr zu bewegen, muss absolut sicher sein, dass die bisherige Geschwindigkeitsbeschränkung auch tatsächlich aufgehoben ist. Er muss dafür sorgen, dass ein Irrtum völlig ausschlossen ist, weil sonst eine extrem hohe Unfallgefahr dadurch entsteht, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer, die das Aufhebungszeichen richtig erkannt haben und sich daher mit relativ langsamer Geschwindigkeit weiterbewegen, zu Recht nicht damit rechnen, dass von hinten ein (noch zumal einspuriges und somit ohnehin schlecht erkennbares) Fahrzeug mit derart extremem Tempo herangerast kommt. Ein Kraftradfahrer, der es unter diesen Umständen an der nötigen Sorgfalt bei der Wahrnehmung und Erkennung eines Streckenverbotsaufhebungszeichens fehlen lässt, handelt mindestens vergleichbar fahrlässig wie ein Kraftfahrer, der angesichts einer Fahrbahnverengung oder einer sich erkennbar nähernden Baustelle, Abzweigung oder Kreuzung eine dort angebrachte Geschwindigkeitsbeschränkung übersieht. Auch ihm macht die Rechtsordnung zum Vorwurf, nicht die ersichtlich notwendige, durch die Umstände geforderte besondere Aufmerksamkeit aufgewandt zu haben, die ein Übersehen des Zeichens ausgeschlossen und die übrigen Verkehrsteilnehmer vor der sich daraus ergebenden erhöhten Gefährdung bewahrt hätte.



Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. ausführlich Senat NJW 05,1061 = DAR 05,47 = NZV 05,383 m.w.N.) ist in Fällen dieser Art die Berufung auf ein bloß leichtes Versehen, wie es jedem, auch einem an sich sorgfältigen Fahrer einmal unterlaufen kann (sog. Augenblicksversagen), regelmäßig ausgeschlossen; das Außerachtlassen der besonderen, erhöhten Sorgfalt wird, jedenfalls im Regelfall, als grobe Nachlässigkeit eingestuft.

Das Verhalten des Betroffenen im vorliegenden Fall ist nicht anders zu bewerten. Er wusste, dass die äußere Gestaltung der vornehmlich in Weiß und Grau gehaltenen Aufhebungszeichen 280 ff. weit weniger augenfällig ist als die der Ge- und Verbotszeichen. Das ist allgemein bekannt und deshalb weiß auch jeder Kraftfahrer, dass er, wenn er sich sicher sein will, dass auch tatsächlich jedes Streckenverbot aufgehoben ist, sich dessen mit entsprechend erhöhter Sorgfalt und Aufmerksamkeit vergewissern muss. Das Außerachtlassen dieser besonderen und zum Schutze der übrigen Verkehrsteilnehmer vor unerwarteten Rasern unerlässlichen gesteigerten Sorgfalt bei der Beobachtung von Verbotsaufhebungszeichen ist deshalb regelmäßig als grobe Nachlässigkeit zu bewerten, die das Regelfahrverbot rechtfertigt.

IV.

Soweit die Rechtsbeschwerde das Fahrverbot auch noch aus anderen Gründen, insbesondere wegen unzumutbarer Härte (vgl. dazu ausführlich Senat, 1 Ss 151/03 vom 01.09.2003 m.w.N.), angreift, ist sie i. S. v. § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet.

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