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OLG Celle Urteil vom 12.03.2008 - 14 U 108/07 - Betriebsgefahr eines Anhängers wirkt sich beim Abbiegevorgang aus, weil ein Gespann schwerfälliger ist als ein Einzelfahrzeug

OLG Celle v. 12.03.2008: Die Betriebsgefahr eines Anhängers wirkt sich beim Abbiegevorgang regelmäßig aus, weil ein Gespann schwerfälliger ist als ein Einzelfahrzeug




Das OLG Celle (Urteil vom 12.03.2008 - 14 U 108/07) hat entschieden:

   Die Betriebsgefahr eines Anhängers wirkt sich beim Abbiegevorgang regelmäßig aus, weil ein Gespann schwerfälliger ist als ein Einzelfahrzeug. Die Haftung des Anhängerhalters entfällt nicht dadurch, dass sich die allein auf den Anhänger bezogene Betriebsgefahr nicht selbständig ausgewirkt hat, weil sie mit der Betriebsgefahr des ziehenden Fahrzeugs eine Einheit bildet. Zugfahrzeug und Anhänger zusammen weisen gegenüber dem Zugfahrzeug allein immer eine höhere Betriebsgefahr auf.

Zum Sachverhalt:


Die Parteien sind Haftpflichtversicherer – die Klägerin für einen Pkw, die Beklagte für einen mit diesem Pkw als Gespann verbundenen Wohnwagenanhänger – und streiten nach einem Verkehrsunfall um die Verteilung des auf das Fahrzeuggespann insgesamt entfallenden Haftungs- und Schadensanteils.

Am 18. August 2002 befuhr Herr S. S. mit seinem Motorrad BMW die B. … Vor ihm befand sich der (bei der Klägerin versicherte) Pkw VW Passat mit angehängtem Wohnwagen (bei der Beklagten versichert). Fahrer des Gespanns war Herr O. W. In der Ortschaft L./T. beabsichtigte Herr W., mit dem Anhängergespann nach links in die K. … einzubiegen. In diesem Moment wurde er von dem Motorrad überholt, sodass es zur Kollision der Fahrzeuge kam; das Motorrad stieß mittig gegen den Pkw.

Der Motorradfahrer hat den Pkw-Fahrer und die Klägerin des vorliegenden Verfahrens in einem Vorprozess auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das OLG Naumburg hat mit rechtskräftigem Urteil vom 19. September 2006 (9 U 33/06) die Klägerin und den Pkw-Fahrer als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt und außerdem festgestellt, dass sie als Gesamtschuldner verpflichtet sind, 75 % der dem Geschädigten künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem genannten Verkehrsunfall zu ersetzen (vorbehaltlich des Anspruchsübergangs auf Dritte).




Im Rahmen der Regulierung des Verkehrsunfalls hat die Klägerin an den Geschädigten S. Zahlungen erbracht.

Die Klägerin war der Ansicht, von dem Schadensanteil, den sie aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des OLG Naumburg gegenüber dem Motorradfahrer S. zu tragen habe, müsse die Beklagte im Innenverhältnis der Versicherer des Gespanns ein Drittel mittragen. Denn auch der Anhänger unterliege einer eigenständigen Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG. Außerdem sei das Gespann im Sinne von § 59 VVG doppelversichert gewesen, weshalb die Versicherer gemäß § 59 Abs. 2 VVG untereinander zum Ausgleich verpflichtet seien. In jedem Fall bestünde aber eine Gesamtschuldnerstellung der Klägerin und der Beklagten, die eine Ausgleichspflicht gemäß § 426 Abs. 1 BGB begründe.

Das Landgericht ist dem nicht gefolgt und hat die Klage insgesamt abgewiesen. Zwischen den Parteien bestehe kein Gesamtschuldverhältnis. Bei dem Unfall habe sich auch nicht die typische Betriebsgefahr des Anhängers verwirklicht, sondern allein ein Verstoß des Pkw-Fahrers gegen die Verpflichtung zur doppelten Rückschau gemäß § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO. Das habe das OLG Naumburg festgestellt. Angesichts der Streitverkündung im Vorprozess würden auch die Urteilsgründe des Oberlandesgerichts Naumburg im vorliegenden Prozess – so das Landgericht – zwischen den Parteien „Bindungswirkung entfalten“.

Dagegen richtete sich die Berufung der Klägerin.

Die Beklagte verteidigte das angefochtene Urteil und war der Ansicht, der Anhänger habe nicht die Betriebsgefahr des Gespanns insgesamt erhöht. Es habe sich um einen „Normalbetrieb“ gehandelt. Überdies habe der Motorradfahrer die schuldhafte Verursachung des Verkehrsunfalls durch den Versicherungsnehmer der Klägerin im Vorprozess nachgewiesen.

Die Berufung hatte nur teilweisen Erfolg.





Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Beklagte hat der Klägerin gem. § 17 Abs. 4 und 1 StVG, § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB 13,33 % des Schadens auszugleichen, den die Klägerin gegenüber dem Geschädigten zu ersetzen hat (das entspricht einer Einstandspflicht der Beklagten für 10 % des Gesamtschadens).

1. Die Parteien sind als Gesamtschuldner untereinander ausgleichspflichtig gem. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a) Dem geschädigten Motorradfahrer S. steht ein Schadensersatzanspruch aus dem Verkehrsunfall vom 18. August 2002 zu.

Dies ist rechtskräftig durch das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 19. September 2006 festgestellt und für die Beklagte bindend. ...

b) Die Parteien dieses Rechtsstreits haben für den rechtskräftig ausgeurteilten Schadensersatzanspruch als Gesamtschuldner einzustehen gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG a.F., 421 BGB. Das gilt unabhängig davon, dass Anhänger und Pkw grundsätzlich – wenn sie als Gespann verbunden sind – haftungsrechtlich eine Einheit bilden, weil der Betrieb des Anhängers regelmäßig auch Teil des Betriebs des ziehenden Kraftfahrzeugs ist (so Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 39. Auf., § 7 StVG, Rdnr. 8). Denn die Haftung des Anhängerhalters bzw. des verantwortlichen Haftpflichtversicherers entfällt nicht dadurch, dass sich die allein auf den Anhänger bezogene Betriebsgefahr nicht selbständig ausgewirkt hat, und zwar gerade deshalb, weil sie mit der Betriebsgefahr des ziehenden Fahrzeugs eine Einheit bildet. Das folgt ausdrücklich aus der Begründung zu dem § 7 Abs. 1 StVG ändernden Gesetz vom 19. Juli 2002 (BT Drucks. 14/7752 S. 29, abgedruckt bei Hentschel/König a.a.O., S. 118), nach der auch dann, wenn der Schaden nicht oder nicht ausschließlich durch den Anhänger verursacht worden ist, eine Gefährdungshaftung des Anhängerhalters sachgerecht ist. Zugfahrzeug und Anhänger zusammen weisen nämlich gegenüber dem Zugfahrzeug allein eine höhere Betriebsgefahr auf. Ziel des Gesetzgebers war zudem, für Anhänger in der gleichen Weise eine Gefährdungshaftung zu schaffen wie für Kraftfahrzeuge (vgl. Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 7 StVG, Rdnr. 12). Der Anhängerhalter soll allerdings den Schaden nicht tragen, der durch das Zugfahrzeug oder dessen Führer verursacht wurde und bei dem sich die Betriebsgefahr des Anhängers (überhaupt) nicht realisiert hat (vgl. Hentschel/König a.a.O., Rdnr. 13 m.w.N.). Im Übrigen findet ein Ausgleich im Innenverhältnis der Gesamtschuldner statt (dazu gleich unter c)).





Im vorliegenden Fall hat sich jedenfalls auch die Betriebsgefahr des Anhängers ausgewirkt, weil ein Gespann im Zuge eines Abbiegevorgangs schwerfälliger und langsamer ist und insgesamt für den betroffenen Fahrzeugverkehr eine im Gegensatz zu einem Einzel-Pkw höhere Gefährlichkeit aufweist. Gerade beim Abbiegen ist ein Pkw ohne Wohnwagen zügiger und – beim Linksabbiegen – allein schon aufgrund seiner geringeren Länge schneller aus dem Bereich der Gegenfahrspur hinausgefahren – in der sich vorliegend der Verkehrsunfall ereignet hat – als ein Pkw mit Anhänger. Außerdem hat der Anhänger nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing.C.W. im Vorprozess die Sicht erschwert (vgl.S. 1 f., 14 f., 25 f. des Gutachtens vom 25.März 2005, Bl. 176 f., 189 f., 200 f. der Beiakte I).

Die Beklagte kann sich demgegenüber nicht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. Oktober 1980 (III ZR 132/79, NJW 1981, 681) berufen. Abgesehen davon, dass dieses Urteil nicht die vorliegende Problematik betrifft, ist es auch vor der Änderung des § 7 StVG (durch das Änderungsgesetz vom 19. Juli 2002) ergangen. Die an dieser Stelle entscheidende Frage, ob die beteiligten Haftpflichtversicherungen dem Geschädigten gegenüber als Gesamtschuldner haften (können), war nicht Gegenstand jener Entscheidung des Bundesgerichtshofs, in der es darum ging, ob ein Entsendestaat im Sinne des Nato-Truppenstatutes neben einem Versicherer dem Geschädigten als Gesamtschuldner einzustehen hat.

Der Geschädigte hatte demnach im vorliegenden Fall grundsätzlich ein Wahlrecht, seine Ansprüche gegenüber dem Versicherer der Zugmaschine oder des Anhängers geltend zu machen; beide sind ihm gegenüber als Gesamtschuldner verantwortlich (vgl. auch Lang/Stahl/Suchomel, Die Unfallregulierung nach neuem Schadensersatzrecht, NZV 2003, 441, 443).

c) Gemäß §§ 17 Abs. 4 und 1 StVG, 426 BGB ist demnach ein Ausgleich der Gesamtschuldner untereinander vorzunehmen (vgl. auch Jagow/Burmann/Heß a.a.O., § 7 StVG, Rdnr. 15; Hentschel/König a.a.O., § 17 StVG, Rdnr. 32). Dem steht § 10a Abs. 2 AKB nicht entgegen. Danach umfasst die Haftpflichtversicherung des Anhängers nur Schäden, die durch den Anhänger verursacht wurden, wenn er mit dem Kraftfahrzeug nicht verbunden war. Die AKB entfalten jedoch zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits keine Wirkung. Als Allgemeine Geschäftsbedingungen betreffen sie das Verhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und der Versicherung. Sie haben also mit dem hier zu klärenden Gesamtschuldnerinnenausgleich zwischen zwei Versicherern nichts zu tun. Darüber hinaus kann durch § 10a Abs. 2 AKB auch nicht die Versicherungspflicht gemäß §§ 1 und 2 PflVG außer Kraft gesetzt werden. Ob etwas anderes gilt, wenn die Fahrzeughalter der beteiligten Fahrzeuge identisch sind (vgl. LG Dortmund, Urt.v. 8. November 2007 – 11 S 129/07, juris), kann deshalb hier ebenso dahinstehen wie der Umstand, dass § 10a Abs. 2 AKB in den AKB seit dem 1. Oktober 2003 nicht mehr enthalten ist (weshalb sich die Versicherer bereits zuvor zumindest teilweise nicht mehr auf die Subsidiarität der Deckung in § 10a Abs. 2 AKB berufen wollten, vgl. Lang/Stahl/Suchomel a.a.O.). Für den Ausgleich zwischen den Parteien gilt damit vorliegend § 426 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 17 Abs. 1, Abs. 4 StVG uneingeschränkt.

d) Dahinstehen kann, ob hier eine Doppelversicherung im Sinne von § 59 VVG vorlag, obwohl es sich um zwei selbständige Versicherungen für den Pkw einerseits und den Wohnwagenanhänger andererseits handelte. Die Parteien haften ohnedies als Gesamtschuldner und sind untereinander zum Ausgleich verpflichtet.

2. Die Beklagte hat 13,33 % des von der Klägerin insgesamt gegenüber dem Geschädigten zu ersetzenden Schadens der Klägerin auszugleichen.

...



b) Keine Bindungswirkung entfaltet dagegen das Urteil des OLG Naumburg, soweit es die Haftungsverteilung im Innenverhältnis der Parteien des vorliegenden Rechtsstreits (d.h. innerhalb des Gespanns) betrifft. Der Senat wertet hier das Mitverschulden des Pkw-Fahrers im Gegensatz zur Betriebsgefahr des gesamten Gespanns als deutlich überwiegend, weil der Fahrer persönlich – und nicht der Anhänger – die Hauptursache für den Verkehrsunfall gesetzt hat. Das liegt nicht nur daran, dass er als Fahrer das Geschehen überhaupt (mit) veranlasst hat. Der Anstoß ist auch allein mittig gegen seinen Pkw – und nicht gegen den Anhänger – erfolgt. Bei beiden Sachverhaltskonstellationen, die der im Vorprozess beauftragte Sachverständige W. für möglich hält, ist der Pkw-Fahrer mit relativ normaler Abbiegegeschwindigkeit von 10 oder 25 km/h nach links abgebogen, dies jedoch nach den bindenden Feststellungen des OLG Naumburg stets unter Missachtung seiner Verpflichtung gemäß § 9 StVO. Andererseits kann auch nicht angenommen werden, dass der Fahrer ohne den Wohnwagen so erheblich schneller abgebogen wäre, dass es dann mit Sicherheit zu keinem Zusammenstoß mit dem überholenden Motorrad gekommen wäre. Eine Abbiegegeschwindigkeit von 10 bis 25 km/h ist auch ohne Wohnwagen nichts Ungewöhnliches. Auf den Fahrer allein müssen deshalb schon wegen seines Fahrfehlers insgesamt 2/3 der Gesamthaftung des Gespanns entfallen, das sind 50 % des Gesamtschadens.

c) Bei der Verteilung der verbleibenden 25 % des Gesamtschadens – 25 % trägt der Motorradfahrer selbst – sind auf Seiten beider Parteien die jeweiligen Betriebsgefahren des Pkw und des Anhängers zu berücksichtigen. Wie dargelegt (1b) – vgl. auch das Protokoll der mündlichen Verhandlung, Bl. 153 d.A.) hat sich die Betriebsgefahr des Anhängers bei dem Unfallgeschehen verwirklicht. Im Übrigen würde die Annahme einer nicht in sich quotierbaren Haftungseinheit dazu führen, dass insgesamt nur eine gemeinsame Quote gebildet werden kann; dann müsste die Beklagte im Ergebnis gegenüber der Klägerin zur Hälfte für den bei der Klägerin entstandenen Schaden einstehen (vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl., § 426 Rdnr. 11 m.w.N.). Die Klägerin macht aber lediglich 1/3 der ihr entstandenen Schäden gegenüber der Beklagten geltend.

Der im Rahmen der Haftungseinheit des Gespanns anzusetzende Haftungsanteil für den Wohnwagen ist relativ gering. Die Betriebsgefahr der Zugmaschine ist im Verhältnis zur Betriebsgefahr des lediglich mitgezogenen Wohnwagens höher zu bewerten. Der Senat nimmt für die Betriebsgefahr des Gespanns insgesamt einen (leicht erhöhten) Satz von 25 % (des Gesamtschadens) an. Innerhalb des Gespanns trägt der Pkw den höheren Teil der Gesamtbetriebsgefahr, den der Senat mit 60 % bemisst, so dass für den Wohnwagen 40 % der Betriebsgefahr des Gespanns verbleiben. Das entspricht im Ergebnis einem Haftungsanteil von 10 % am Gesamtschaden (40 % von 25 sind 10). ..."

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