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BGH Beschluss vom 05.02.1997 - 5 StR 249/96 - Der Erlass des Bußgeldbescheides muss nicht aktenmäßig erkennbar dokumentiert sein

BGH v. 05.02.1997: Der Erlass des Bußgeldbescheides muss nicht aktenmäßig erkennbar dokumentiert sein




Siehe auch
Bußgeldbescheid und Einspruch im Ordnungswidrigkeitenverfahren
und
>Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren



Es gehört nicht zu den Verfahrensvoraussetzungen des gerichtlichen Bußgeldverfahrens, dass der Erlass des Bußgeldbescheides in einer für Außenstehende erkennbaren Weise aktenmäßig dokumentiert ist, sondern dies kann auch im Wege des Freibeweises geklärt werden (BGH DAR 1997, 204 im Anschluss an BGH DAR 1970, 248, OLG Hamm NJW 1995, 2937 gegen den Vorlegungsbeschluss des OLG Brandenburg NStZ 1996, 393).

Der BGH (Beschluss vom 05.02.1997 - 5 StR 249/96) entschieden:

   Es gehört nicht zu den Verfahrensvoraussetzungen des gerichtlichen Bußgeldverfahrens, dass der Erlass des Bußgeldbescheides in einer für Außenstehende erkennbaren Weise aktenmäßig dokumentiert ist (im Anschluss an BGH, 16. Juni 1970, 5 StR 261/70, BGHSt 23, 280).

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Zum Verfahren beim Erlass des Bußgeldbescheides hat das Oberlandesgericht - im Freibeweis - folgendes festgestellt: Die Bußgeldbehörde hat den Bußgeldbescheid unter Einsatz einer Anlage zur elektronischen Datenverarbeitung erlassen. Das System hatte zunächst den Anhörungsbogen ausgedruckt, der dem Betroffenen zugesandt worden war. Dieser hatte darauf seine Täterschaft bestritten. Nach Beiziehung einer Ablichtung des Personalausweises des Betroffenen prüfte die Sachbearbeiterin, ob der Betroffene eine mit Bußgeld bedrohte Handlung begangen habe und ob der Erlass eines Bußgeldbescheides notwendig sei. Sie bejahte dies und schrieb deshalb in den Verwaltungsvorgang das Kürzel "ÄA 06 25.7". Dabei steht "ÄA" für "Änderungsart" (Brandenburgisches OLG JMBl. Brandenburg 1995, 41). Die Zahl "06" bedeutet, dass der im System bereits vorhandene, die ursprünglich erfassten Personal- und Tatdaten sowie die nach der Bußgeldkatalog-Verordnung vorgesehenen Rechtsfolgen enthaltende Bußgeldbescheid ohne Änderung auszudrucken ist. Die Zahlen "25.7" sind eine Kurzform des Datums. Der Bußgeldbescheid wurde ausgedruckt und der Sachbearbeiterin vorgelegt, die aufgrund einer vorher gefertigten Notiz handschriftlich im Bußgeldbescheid die Textzeile ankreuzte: "Ihre Äußerung konnte Sie jedoch nicht entlasten." Der Bußgeldbescheid trägt im Kopf den Namen der Sachbearbeiterin und wurde nicht unterschrieben. Die Sachbearbeiterin veranlasste die Absendung des Bußgeldbescheides.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist der Ansicht, damit sei ein Bußgeldbescheid nicht wirksam erlassen worden. Wenngleich das Gesetz solches nicht ausdrücklich verlange, müsse die Entscheidung über den Erlass eines Bußgeldbescheides "als solche eines bestimmten oder wenigstens bestimmbaren Bediensteten für Außenstehende erkennbar aktenmäßig dokumentiert sein". Zur Begründung beruft das Oberlandesgericht sich auf das Prinzip der "Aktenvollständigkeit". Es erachtet für "grundsätzlich unerlässlich, die ... Bußgeldakten so zu führen, dass sie in beweiskräftiger und auch durch nicht in der Bußgeldbehörde tätige Dritte erkennbarer Weise ergeben, welcher Bearbeiter zu welchem Zeitpunkt einen Bußgeldbescheid mit welchem Inhalt erlassen hat, oder dass sie durch entsprechend beweiskräftige Unterlagen leicht ergänzt werden können".




An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Brandenburgische Oberlandesgericht durch den in NJW 1995, 2937 abgedruckten Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm gehindert. Dieses erachtet - entscheidungstragend - "eine von vornherein aus den Akten ersichtliche Verfügung des Sachbearbeiters hinsichtlich des Erlasses eines Bußgeldbescheids" nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung eines solchen Bescheides, sondern lässt es insofern genügen, dass "im Nachhinein im Wege des Freibeweises festgestellt werden kann, ob ein wirksamer Bußgeldbescheid erlassen worden ist".

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (abgedruckt NStZ 1996, 393; in der Sache bereits ebenso - obiter - Brandenburgisches OLG JMBl. Brandenburg 1995, 41) hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Frage vorgelegt:

   "Gehört es zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen eines im Wege der Elektronischen Datenverarbeitung ausgedruckten Bußgeldbescheides, dass sein Erlass durch einen Bediensteten aktenmäßig dokumentiert ist?"

Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:

   "Es gehört nicht zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen eines im Wege der Elektronischen Datenverarbeitung ausgedruckten Bußgeldbescheides, dass er durch eine datierte Aktenverfügung, die den Sachbearbeiter erkennbar macht, erlassen wird."


II.

Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind gegeben. Das Brandenburgische Oberlandesgericht kann der Rechtsbeschwerde nicht stattgeben, ohne von der die genannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm tragenden Rechtsansicht abzuweichen.

Allerdings wäre die Vorlegung unzulässig, wenn die in der Vorlegungsfrage genannte "aktenmäßige Dokumentierung" des Erlasses des Bußgeldbescheides darin zu finden wäre, dass hier die Sachbearbeiterin in den Verwaltungsvorgängen das Kürzel "AA 06 25.7" angebracht hat (und ihr Name im Bußgeldbescheid genannt ist). Indes verneint das vorlegende Oberlandesgericht ausdrücklich, dass in diesem Kürzel die für erforderlich gehaltene "aktenmäßige Dokumentierung" liege. Dies ist zwar als vertretbar hinzunehmen, muss jedoch, wie auch der Generalbundesanwalt annimmt, zu einer Einengung der Vorlegungsfrage führen.

Der Senat versteht die Vorlegungsfrage danach dahin, ob der Erlass des Bußgeldbescheides in einer für Außenstehende erkennbaren Weise aktenmäßig dokumentiert sein muss, damit ein wirksamer Bußgeldbescheid vorliegt.

III.

In der Sache stimmt der Senat der vom Generalbundesanwalt und vom Oberlandesgericht Hamm vertretenen Rechtsansicht zu.




1. Auszugehen ist von folgendem: Der Erlass eines wirksamen Bußgeldbescheides ist Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Bußgeldverfahren. Ein Bußgeldbescheid kann wirksam nicht von einem Computer erlassen werden. Wirksamkeitsvoraussetzung ist vielmehr, dass der Bußgeldbescheid auf einem - für den Betroffenen erkennbaren und nachprüfbaren - Willensakt der Behörde, letztlich also eines Bediensteten der Behörde, beruht, wobei die Behörde durch ihren Bediensteten zu prüfen hat, ob sie aufgrund des ermittelten Sachverhaltes, der auch das Anhörungsergebnis umfasst, die Überzeugung von der Schuld des Betroffenen gewonnen hat und eine Ahndung nach pflichtgemäßem Ermessen für geboten hält (in diesem Sinne OLG Hamm NJW 1995, 2937; Göhler, OWiG 11. Aufl. vor § 65 Rdn. 4; Herrmann in Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG 2. Aufl. § 66 Rdn. 16; Kurz in KK-OWiG § 65 Rdn. 14).

Dabei bedarf der Bußgeldbescheid - wie Verwaltungsbescheide in vergleichbaren Fällen (BVerwG NJW 1974, 2101; BFH BStBl. 1967 111, 682; BSozGE 13, 269) einer Unterschrift nicht, weil nach § 66 OWiG jedenfalls die einfache Schriftform genügt (OLG Düsseldorf VRS 39, 440; OLG Oldenburg VRS 42, 47; OLG Frankfurt am Main VRS 50, 214; BayObLG VRS 57, 49; KG VRS 64, 39; Göhler aaO § 66 Rdn. 31; Herrmann aaO).

2. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, welche Anforderungen an den verfahrenstechnischen Beleg und späteren Nachweis des Erlasses eines Bußgeldbescheides zu stellen sind. Dabei können im Bußgeldverfahren hinsichtlich des Bußgeldbescheides keine höheren Anforderungen gestellt werden, als sie im Strafverfahren im Hinblick auf den Eröffnungsbeschluss gelten (vgl. BGHSt 23, 280, 281).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Wirksamkeit eines Eröffnungsbeschlusses nicht die Zahl der geleisteten richterlichen Unterschriften, sondern allein entscheidend, ob die erforderliche Zahl der Richter an der Beschlussfassung mitgewirkt hat (BGHSt 10, 278, 279). Ob letzteres geschehen ist, unterliegt der Beurteilung im Freibeweisverfahren (RGSt 43, 217, 219; BGHR StPO § 203 Unterschrift 1; BGH, Urteil vom 12. Mai 1959 - 1 StR 145/59 - insoweit in BGHSt 13, 126 nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 2. August 1983 - 5 StR 542/83 -; BGH, Beschluss vom 5. März 1996 - 5 StR 474/95 -; vgl. auch BGHR StPO § 203 Beschluss 2). Entsprechendes gilt auch im Falle der verlorengegangenen Urschrift des Eröffnungsbeschlusses (BGH NStZ 1985, 420).



Allerdings betrifft diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur solche besonderen Fälle, in denen es nach Beurkundungsmängeln oder Urkundenverlusten um die Rekonstruktion des jeweils getroffenen Eröffnungsbeschlusses - als einer Verfahrensvoraussetzung - ging, während es Intention des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ist, generell bestimmte, erhöhte Anforderungen an die Fassung und Dokumentierung des Bußgeldbescheides - als einer vergleichbaren Verfahrensvoraussetzung - zu stellen, um so einem etwaigen Missbrauch in der alltäglichen Praxis vorzubeugen.

Indes können diese - billigenswerten rechtspolitischen - Gesichtspunkte nicht dazu führen, allgemeine Verfahrensprinzipien für den Teilbereich des Ordnungswidrigkeitenrechts aufzugeben. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es nicht zu den Verfahrensvoraussetzungen des gerichtlichen Bußgeldverfahrens gehört, dass sich die Urschrift des Bußgeldbescheides bei den Gerichtsakten befindet; vielmehr können Erlass und Inhalt des Bußgeldbescheides mit allen verfügbaren Beweismitteln im Freibeweisverfahren festgestellt werden (BGHSt 23. 280). Entsprechendes gilt für die Vorlegungsfrage in der oben (II.) zugrunde gelegten Fassung (im Ergebnis ebenso Herrmann aaO; Kurz aaO § 65 Rdn. 14, § 66 Rdn. 71; vgl. auch OLG Dresden VRS 90, 39; a.A. wohl Göhler aaO vor § 65 Rdn. 4, § 66 Rdn. 31).

3. Gleichwohl erachtet der Senat - auch insoweit in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt - eine aktenmäßige Dokumentierung des Erlasses eines Bußgeldbescheides nach den vom Brandenburgischen Oberlandesgericht genannten Maßstäben für wünschenswert."

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