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BGH Urteil vom 26.01.1999 - VI ZR 374/97 - Der Schädiger muss auch für Folgen einer Fehlverarbeitung des schädigenden Ereignisse seitens des Geschädigten einstehen

BGH v. 26.01.1999: Der Schädiger muss auch für Folgen einer Fehlverarbeitung des schädigenden Ereignisse seitens des Geschädigten einstehen.




Der BGH (Urteil vom 26.01.1999 - VI ZR 374/97) hat zur Einstandspflicht des Schädigers für einen Schaden, wenn der Schädigungsbeitrag, für den er verantwortlich ist, nur ein Faktor in einem "Ursachenbündel" ist, das den Gesamtschaden herbeigeführt hat, folgendes ausgeführt:

   Zur Einstandspflicht des Schädigers für einen Schaden, wenn der Schädigungsbeitrag, für den er verantwortlich ist, nur ein Faktor in einem "Ursachenbündel" ist, das den Gesamtschaden herbeigeführt hat.

Siehe auch
Fehlverarbeitung von Unfallfolgen - Begehrensneurose
und
Stichwörter zum Thema Personenschaden

Tatbestand:


Die Kl. kam am 12.6.1991 als Radfahrerin zu Fall, nachdem sie ein Lkw des Erstbeklagten überholt hatte. Sie erlitt bei diesem Sturz Verletzungen, deren Umfang und Folgen im einzelnen streitig sind. Es ist jedoch außer Streit, dass der Erstbeklagte und neben ihm die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer nur die Unfallfolgen nach §§ 831 Abs. 1, 842, 843, 847 Abs. 1 BGB, § 3 Pflug einstehen müssen.

Die Kl. hat geltend gemacht, sie habe sich durch den Sturz vom Fahrrad neben Blutergüssen ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen, dessen Spätfolge ein Psychosyndrom sei, das ihre geistige Leistungsfähigkeit und ihr körperliches Wohlbefinden beeinträchtige und sie außerstande setze, ihren Zwei-Personen-Haushalt wie bisher eigenständig zu führen. Sie hat von den Bekl. die Zahlung eines über den gezahlten Betrag von 250 DM hinausgehenden Schmerzensgeldes von 98.000 DM, eine monatliche Rente von 2.097,06 DM wegen vermehrter Bedürfnisse, eines auf 93.319.07 DM bezifferten Betrages für in der Vergangenheit entstandene unfallbedingte vermehrte Bedürfnisse und eines auf 405 DM bezifferten Betrages für Fahrtkosten für Besuche ihrer Verwandten im Krankenhaus verlangt. Die Bekl. haben bestritten, dass die von der Kl. behaupteten Spätfolgen durch den Unfall verursacht worden sind.

Das LG hat der Kl. auf der Grundlage eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000 DM, eine monatliche Rente von 630 DM, einen Betrag von 28.035 DM wegen vermehrter Bedürfnisse und die geltend gemachten Fahrtkosten für Besuche zugesprochen; die weitergehende Klage hat das LG abgewiesen. Das OLG hat die Klage auf die Berufung der Bekl. abgewiesen.

Mit der Revision begehrt die Kl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.




Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht, das ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt hat, hat sich im Unterschied zum LG nicht davon überzeugen können, dass die Beschwerden, aus denen die Kl. die Klageansprüche herleitet, auf dem Unfall vom 12. 6.1991 beruhen. Bei diesem Unfall habe die Kl. lediglich ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades erlitten. Eine Verschlechterung ihre Zustandes mit spezifisch psychopathologischer Beschwerdeentwicklung sei erst im Dezember 1991 aufgetreten. Ein ursächlicher Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Fahrradsturz sei nicht bewiesen. Die Kl. leide seit 1971 unter einem neurasthenischen Syndrom; außerdem seien im August 1990 Angst- und Unruhezustände sowie psychische Erschöpfüngszustände aufgetreten. Das bei dem Unfall erlittene Schädel-Hirn-Trauma habe im Rahmen der danach festgestellten Veränderung der Befindlichkeit der Klägerin, der Herausbildung von psychischen Störungen und Funktionsstörungen sowie der Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit den Stellenwert eines einzelnen Faktors im Zusammenwirken mehrerer Faktoren in einem typischen Ursachenbündel, keineswegs jedoch eine herausragende, gegenüber den anderen Faktoren überwiegende Bedeutung bei der Verursachung der weiteren Beschwerdeentwicklung.

II.

Die Revision hat Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht auf dem Boden des in der zweiten Instanz eingeholten Sachverständigengutachtens die Kausalität der bei dem Fahrradsturz erlittenen Verletzungen für die Beschwerden verneint hat, unter denen die Kl. jetzt leidet und auf die sie die Klageansprüche stützt. Das Berufungsurteil ist insoweit in sich widersprüchlich. Das Berufungsgericht hat im Anschluss an die zunächst getroffene Feststellung, eine Kausalität zwischen dem Sturz der Kl. und dem entstandenen Psychosyndrom sei nicht gegeben, weiter- in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen - ausgeführt, das von der Kl. bei dem Unfall erlittene Schädel-Hirn-Trauma habe im Rahmen der Veränderung ihrer Befindlichkeit, der Herausbildung von psychischen Störungen und Funktionsstörungen sowie der Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit den Stellenwert eines einzelnen Faktors im Zusammenwirken mehrerer Faktoren in einem typischen Ursachenbündel, keineswegs jedoch eine herausragende, gegenüber den anderen Faktoren überwiegende Bedeutung bei der Verursachung der weiteren Beschwerdeentwicklung. Diese Ausführungen stehen im Widerspruch zu der zuvor angenommenen fehlenden Kausalität. Sie lassen offen, ob die bei dem Sturz vom Fahrrad aufgetretenen Verletzungen der Kl. auf eine durch frühere Beschwerden vorbelastete Befindlichkeit der Kl. getroffen sind und dadurch das jetzige Beschwerdebild hervorgerufen haben. In einem solchen Fall, in dem die durch den Unfall hervorgerufenen Verletzungen der Kl. als ,,Auslöser" im Sinne einer Mitursache gewirkt hätten, müssten die Bekl. für die Folgen der jetzigen Beschwerden der Kl. aufkommen. Das gilt auch dann, wenn die Wirkung der Unfallverletzungen nur deshalb eingetreten ist, weil die Kl. aufgrund ihrer besonderen Konstitution und ihrer Vorschädigungen für die jetzigen Beschwerden besonders anfällig war. An der Einstandspflicht der Bekl. ändert sich grundsätzlich selbst dann nichts, wenn das jetzige Beschwerdebild in einer psychischen Fehlverarbeitung der Unfallfolgen seine Ursache hat (vgl. Senat BGHZ 132, 341, 345 f; DAR 1996, 351; DAR 1997, 70; DAR 1998, 66 f. und 63 ff, jeweils m. w. N.).


III.

Da das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben ist, kommt es auf die weiteren Revisionsrügen nicht mehr an. Das Berufungsgericht wird bei der anderweiten Verhandlung und Entscheidung - ggf. mit sachverständiger Hilfe - unter Beachtung des § 287 ZPO zu prüfen haben, ob unter den aufgezeigten rechtlichen Gesichtspunkten eine Einstandspflicht der Beklagten für die Folgen der jetzigen Beschwerden der Klägerin besteht, oder ob - wofür einzelne Wendungen im Berufungsurteil sprechen könnten - jegliche Ursächlichkeit der durch den Fahrradsturz erlittenen Verletzungen für das jetzige Befinden der Klägerin zu verneinen ist.

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