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OLG Karlsruhe Beschluss vom 29.01.2007 - 3 Ss 205/06 - Zum Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis ab 1 ng/ml aktives THC im Blutserum

OLG Karlsruhe v. 29.01.2007: Zum Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis ab 1 ng/ml aktives THC im Blutserum




Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 29.01.2007 - 3 Ss 205/06) hat entschieden:

   Für die Feststellung des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis reicht es aus, dass bei einer Blutuntersuchung auf Tetrahydrocannabinol im Blutserum, welche den von der Grenzwertkommission vorausgesetzten Qualitätsstandards genügt, ein Messergebnis ermittelt wird, das den von der Grenzwertkommission empfohlenen analytischen Grenzwert von 1 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Serum erreicht. Ein Abzug "für Messungenauigkeiten" findet nicht statt.

Siehe auch
Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme - auch durch den aktiven THC-Wert
und
Stichwörter zum Thema Cannabis


Zum Sachverhalt:


Dem Betroffenen nach dem Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums K. - Zentrale Bußgeldstelle B. - vom 28.11.2005 zur Last gelegt, am 09.05.2005 gegen 9:40 Uhr auf der Bundesautobahn zwischen H. und M. einen PKW unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis/Tetrahydrocannabinol geführt zu haben.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen von diesem Vorwurf aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil eine Tetrahydrocannabinolkonzentration im Blut des Betroffenen von mindestens 1 ng/ml nicht sicher nachgewiesen sei. Angesichts einer Messwertschwankung von bis zu 40 Prozent sei bei einem durch eine Blutuntersuchung ermittelten Analysewert von 1 ng/ml zu Gunsten des Betroffenen davon auszugehen, dass die tatsächlich gegebene Tetrahydrocannabinolkonzentration lediglich bei 0,6 ng/ml gelegen habe.

Gegen den Freispruch wendet sich die mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die vorläufigen Erfolg hatte.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der objektive Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG bereits dann erfüllt, wenn bei einer Blutuntersuchung unter Einhaltung der von der Grenzwertkommission vorgegebenen qualitativen Standards ein Messwert von mindestens 1 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Blutserum festgestellt wird, ohne dass es eines Sicherheitszuschlages für vorhandene Messungenauigkeiten bedarf.

Nach der einen abstrakten Gefährdungstatbestand normierenden Vorschrift des § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels - hier Cannabis - im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt gem. § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz - bei Cannabis Tetrahydrocannabinol - im Blut nachgewiesen wird. Diese Regelung beruht auf der gesetzgeberischen Vorstellung, dass die Wirkungs- und Nachweisdauer bei den einzelnen Mitteln übereinstimmen und daher bei jedem blutanalytischen Nachweis die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers gegeben ist (vgl. BT-Drucksache 13/3764 S. 4 ff.). Infolge der zwischenzeitlich erheblich verbesserten Nachweismöglichkeiten für Tetrahydrocannabinol ist die Annahme einer Übereinstimmung von Nachweis- und Wirkungsdauer indes nicht mehr gerechtfertigt (vgl. BVerfG, NJW 2005, 349 Rdnr. 27 m.w.N.). Das hat zur Folge, dass nicht mehr jeder Nachweis von Tetrahydrocannabinol im Blut eines Kraftfahrers für eine Verurteilung nach § 24a Abs. 2 StVG ausreicht. Zur Bejahung des objektiven Tatbestandsmerkmals des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis ist bei verfassungskonformer Auslegung des § 24a Abs. 2 StVG vielmehr erforderlich, dass eine Tetrahydrocannabinolkonzentration festgestellt wird, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war (vgl. BVerfG, a.a.O. Rdnr. 29). Diese Voraussetzung ist - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - nicht erst dann erfüllt, wenn im Blut eine Tetrahydrocannabinolkonzentration von mindestens 1 ng/ml sicher nachgewiesen wird. Es reicht nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis vielmehr aus, wenn bei einer Blutuntersuchung auf Tetrahydrocannabinol im Blutserum, welche den von der Grenzwertkommission vorausgesetzten Qualitätsstandards genügt (vgl. Eisenmenger NZV 2006, 24), ein Messergebnis ermittelt wird, welches den von der Grenzwertkommission in ihren Beschlüssen vom 20.11.2002 (abgedruckt in Blutalkohol 2005, 160) und 24.10.2005 empfohlenen analytischen Grenzwert von 1 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Serum erreicht (vgl. Senat, B. v. 15.05.2006 - 3 Ss 62/06; OLG Schleswig, SchlHA 2006, 367; OLG Saarbrücken, B. v. 29.11.2006 - Ss (B) 44/2006; OLG Köln, NStZ-RR 2005, 385, 386; DAR 2005, 699 zu Morphin; OLG Zweibrücken, NJW 2005, 2168 zu Amphetamin; OLG München, NJW 2006, 1606, 1607 zu Amphetamin; OLG Karlsruhe, B. v. 05.04.2005 - 2 Ss 57/04; vgl. auch BVerfG, NJW 2005, 349 Rdnr. 29). Liegen Nachweis- und Bestimmungsgrenze des konkret angewandten Analyseverfahrens entsprechend den Vorgaben der Grenzwertkommission unter dem Grenzwert von 1 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Serum, sind Zuschläge für Messungenauigkeiten nicht erforderlich (vgl. Eisenmenger a.a.O.; Wehowsky 44. VGT 2006, 180, 186; OLG Saarbrücken a.a.O.; OLG München a.a.O. 1607; restriktiver Möller 44. VGT 2006, 172, 178).

Da der Tatrichter mit dem Abstellen auf den sicheren Nachweis einer tatsächlichen Tetrahydrocannabinolkonzentration im Blutserum von mindestens 1 ng/ml somit die Anforderungen an die Anwendung des § 24a Abs. 2 StVG überspannt hat, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache bedarf einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.




III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Im Falle der Bejahung des objektiven Tatbestands des § 24a Abs. 2 StVG wird der Tatrichter zu prüfen haben, ob dem Betroffenen insoweit ein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Vorsatz oder Fahrlässigkeit beziehen sich im Rahmen des § 24a Abs. 2, 3 StVG auch auf die Wirkung des berauschenden Mittels zum Tatzeitpunkt (vgl. OLG Hamm, NZV 2005, 428, 429; KG, DAR 2003, 82; Jagow in: Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., § 24a Rdnr. 7a). Es wird daher auf der Grundlage möglicher Feststellungen zum Cannabiskonsum des Betroffenen sowie etwaiger sonstiger Beweisanzeichen zu klären sein, ob der Betroffene eine fortbestehende mögliche körperliche Beeinflussung durch die konsumierten Drogen bei Fahrtantritt erkannte oder bei Beachtung der ihm nach den Umständen möglichen und zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können (vgl. OLG Hamm a.a.O.; Senat, B. v. 15.05.2006 - 3 Ss 62/06). ..."

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