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OVG Münster Beschluss vom 21.07.2004 - 19 B 862/04 - Zur Beurteilung der Möglichkeit des Betroffenen, zwischen Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme zuverlässig zu trennen

OVG Münster v. 21.07.2004: Zur Beurteilung der Möglichkeit des Betroffenen, zwischen Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme zuverlässig zu trennen




Das OVG Münster (Beschluss vom 21.07.2004 - 19 B 862/04) hat entschieden:

  1.  Für die Beantwortung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber in der Lage ist, bei gelegentlichen Cannabiskonsum zuverlässig zwischen Konsum und Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen, kommt es nicht darauf an, ob bei einer konkreten Fahrt Fahruntüchtigkeit vorlag.

  2.  Die Verhängung "nur" eines Fahrverbots statt der Entziehung der Fahrerlaubnis im Strafverfahren besagt nichts über die Fahreignung des Betroffenen und bindet diesbezüglich daher nicht die Fahrerlaubnisbehörde.


Siehe auch
Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme - auch durch den aktiven THC-Wert
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

...

Die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegner findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV iVm Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung fehlt die Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen im Falle des gelegentlichen Cannabiskonsums, wenn der Betreffende nicht zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennen kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.




Der Antragsteller hat am 27. April 2003 unstreitig Cannabis konsumiert; der in der angefochtenen Ordnungsverfügung getroffenen Feststellung des gelegentlichen Cannabiskonsums im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist er nicht substantiiert entgegengetreten. Nach dem toxikologischen Gutachten vom 24. Juni 2004 bestehen aufgrund der Untersuchung einer am 18. Mai 2004 entnommenen Blutprobe zwar keine Anhaltspunkte für regelmäßigen oder gewohnheitsmäßigen Haschisch- oder Marihuanakonsum. Das Gutachten enthält aber keine dem Antragsteller günstige Aussage über einen derzeit nicht einmal gelegentlichen Cannabiskonsum.

Darüber hinaus mangelt es dem Antragsteller an der Fähigkeit, zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen. Denn er führte trotz des Cannabis-Konsums und unter akuter Beeinflussung durch das Rauschgift am 27. April 2003 einen PKW. Ob beim Antragsteller wegen des Drogenkonsums am 27. April 2003 "eine Fahruntauglichkeit bestand" oder ob er noch - woran nach den Feststellungen des Gutachters Prof. Dr. N. vom 26. Mai 2003 zumindest durchgreifende Zweifel bestehen - ein Kraftfahrzeug sicher führen konnte, kann dahinstehen. Denn für die ordnungsrechtliche, an den Belangen der Verkehrssicherheit und der (vorbeugenden) Gefahrenabwehr ausgerichtete Beantwortung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber in der Lage ist, bei Drogenkonsum zuverlässig vom Führen eines Kraftfahrzeugs abzusehen, kommt es nicht darauf an, ob bei einer konkreten Fahrt Fahruntüchtigkeit vorlag.

   OVG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2003 - 19 B 430/03 -.

Der Vortrag des Antragstellers, er sei seit dem 27. April 2003 "nicht wieder auffällig" geworden, er habe an diesem Tag einen Fehler begangen, der sich nicht wiederholen werde, ist nicht geeignet, die Wiedererlangung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen darzutun. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nach seiner Fahrt unter Rauschgifteinfluss am 27. April 2003 selbst oder mit Hilfe anderer, etwa einer verkehrspsychologischen Beratungsstelle, ausreichende Vermeidungsstrategien entwickelt hat, die eine erneute Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis verlässlich ausschließen. Mangels Darlegung und Glaubhaftmachung konkreter Vermeidungsstrategien ist nicht auszuschließen, dass keine gefestigte Änderung seiner bisherigen Cannabiskonsumgewohnheiten und seines Verkehrsverhaltens vorliegt und es deshalb nur zufällig nicht zu einer weiteren - aktenkundigen - Fahrt unter Betäubungsmitteleinfluss gekommen ist.

   Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2004 - 19 B 177/04 -.


Das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten vom 24. Juni 2004, demzufolge Cannabinoide im Blut des Antragstellers nicht nachgewiesen wurden, ist nicht geeignet, die Entwicklung derartiger Vermeidungsstrategien zu belegen. Es belegt nicht, dass der Antragsteller seinen Drogenkonsum vollständig eingestellt hat und enthält keinerlei Aussagen zu der - verkehrspsychologisch zu klärenden - Fähigkeit des Antragstellers zwischen Drogenkonsum und Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen. Abgesehen davon ist das Gutachten nicht aussagekräftig, weil es nicht erkennen lässt, dass die Blutprobe zu einem für den Antragsteller nicht vorhersehbaren Zeitpunkt erfolgte.

Der Antragsteller macht ohne Erfolg geltend, dass sich aus dem Ergebnis des strafgerichtlichen Urteils in Verbindung mit dem Anklagesatz, der die §§ 69 und 69a StGB aufgelistet habe, ergebe, dass das Amtsgericht sich mit der Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis befasst und dadurch, dass es lediglich ein Fahrverbot verhängt habe, insoweit seine Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges bejaht habe. Die Verhängung eines Fahrverbotes (§ 44 StGB) - wie im vorliegenden Falle - lässt lediglich erkennen, dass das Strafgericht aus erzieherischen Gründen von einer weiteren Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 69a StGB abgesehen hat. Mit der Verhängung eines Fahrverbotes wird nämlich nicht über die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen befunden. Vielmehr handelt es sich bei dem Fahrverbot lediglich um eine erzieherische Nebenfolge der Straftat.

   Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1994 - 11 B 116.93 -, NJW 1994, 1672; OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2002 - 19 B 2305/02 -, m. w. N.



Die Kraftfahreignung des Antragstellers hat das Amtsgericht dagegen nicht mit Bindungswirkung für den Antragsgegner behandelt. Dem "Ergebnis", d.h. dem Tenor des Urteils, lässt sich die für die Annahme einer Bindungswirkung erforderliche Beurteilung der Kraftfahreignung entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht entnehmen. Die Verwaltungsbehörde ist wegen ihrer umfassenden Prüfungsbefugnis an eine strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann und insoweit gebunden, als diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und als die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht auszugehen hat.

   BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 1994 - 11 B 152/93 -, Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 92.

Eine diesen Maßstäben entsprechende Prüfung der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen lässt sich den Gründen des Strafurteils nicht entnehmen, auch wenn sie mit Blick auf den Antrag der Staatsanwaltschaft und die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB erforderlich gewesen sein sollte. Damit fehlt es an einem hinreichenden Anknüpfungspunkt für eine Bindungswirkung des Antragsgegners gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibt, sich - nach Rücksprache bzw. in Absprache mit dem Antragsgegner - während des laufenden Widerspruchsverfahrens einem Drogenscreening zu stellen, das den gebotenen Überraschungseffekt besitzt, und je nach dessen Ergebnis geeignet ist, die Eignungsbedenken auszuräumen. Sollte das Drogenscreening zu dem Ergebnis führen, dass der Antragsteller weiterhin (nur) gelegentlich Cannabis konsumiert, müsste seine Fähigkeit, zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen zu können, durch eine verkehrspsychologische Untersuchung im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung geklärt werden. ..."

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