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Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss vom 02.05.2003 - 15 VG 1487/2003 - Berechtigte MPU-Verweigerung bei bekanntem nur gelegentlichen Cannabiskonsum

VG Hamburg v. 02.05.2003: Berechtigte MPU-Verweigerung bei bekanntem nur gelegentlichen Cannabiskonsum und vorhandenem Trennvermögen




Das Verwaltungsgericht Hamburg (Beschluss vom 02.05.2003 - 15 VG 1487/2003) hat entschieden:

  1.  Die Fahrerlaubnisentziehung aufgrund Cannabiskonsums ist trotz der Weigerung, ein medizinisches Gutachten beizubringen, nicht rechtmäßig, wenn die nur gelegentliche Einnahme von Cannabis bekannt ist, bereits durch ein Drogenscreening abgeklärt wurde und keine Umstände für eine zwischenzeitliche Änderung der Konsumgewohnheiten sprechen, sondern die MPU-Anordnung lediglich auf Grund eines Rauchgerätefundes im Auto erfolgte.

  2.  Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann "Einnahme" im Rechtssinne nicht dergestalt verstanden werden, dass jeder konkret festgestellte Fall der Einnahme erneut zwingend Gefahrerforschungsmaßnahmen rechtfertigt.


Siehe auch
Besitz von Cannabissubstanzen
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der Antragsteller begehrte vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin.

Der 1981 geborene Antragsteller ist seit 1999 Inhaber der Fahrerlaubnis Klasse B. Bereits am 3. März 1998 war der Antragsteller dadurch polizeilich aufgefallen, dass er mit drei anderen Jugendlichen zusammen in einem Auto Marihuana konsumierte.

Am 10. Juni 2000 wurde von der Polizeiinspektion Schwerin im Kraftfahrzeug des Antragstellers ein Rauchgerät für Marihuana sichergestellt.

Unter dem 9. Juli 2001 ordnete die Antragsgegnerin erstmals unter Hinweis auf die festgestellte Einnahme von Betäubungsmitteln die ärztliche Begutachtung des Antragstellers an, um zu klären, ob bei ihm regel- oder gewohnheitsmäßiger Drogenkonsum gegeben sei (sog. Drogenscreening).

In seinem Gutachten von 20. Februar 2002 stellte das Institut für Rechtsmedizin der Universität Hamburg auf Grund dreier ausgewerteter Urinproben und einer Haarprobe fest, dass sich keine Drogenrückstände dort befunden hätten. Aus den Urinuntersuchungen folge, dass der Antragsteller in den Tagen vor den Probeentnahmen keine der überprüften Substanzen konsumiert habe. Der negative Haarbefund weise darauf hin, dass der Antragsteller in den drei Monaten vor dem 7. Januar 2002 nicht regelmäßig Haschisch konsumiert habe. Ein nur gelegentlicher Konsum führe nicht zu messbaren Konzentrationen des Haschischwirkstoffs in den Haaren. Seiner Fahreignung sei aus toxikologischer Hinsicht nicht zu widersprechen.

Am 23. August 2002 wurde der Antragsteller auf einer Autobahn-Rastanlage in der Nähe von Erlangen von der Polizei schlafend in seinem VW-Bus angetroffen. Eine Durchsuchung seines Fahrzeugs erbrachte ein Tütchen mit 0,4 g Haschisch und 0,54 g Marihuana. Der Antragsteller gab an, die Drogen von einem Freund geschenkt bekommen zu haben.




Hierauf ordnete die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. September 2002 unter Hinweis auf den festgestellten Drogenbesitz erneut ein Drogenscreening des Antragstellers an.

Dieser erklärte unter dem 9. Oktober 2002, an einer erneuten Untersuchung nicht teilnehmen zu wollen: Er habe bereits ein für ihn günstiges Gutachten vorgelegt, das ihm erhebliche Kosten bereitet habe.

Hierauf wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 21. November 2002 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis entzogen: Da er kein Gutachten beigebracht habe, sei von fehlender Eignung zur Führung eines Kraftfahrzeugs auszugehen.

Der Widerspruch des Antragstellers wurde zurückgewiesen.

Der Antragsteller erhob Klage und beantragte - erfolgreich - die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Antragsgegnerin auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat. Weitere Voraussetzung für die hieraus folgende Schlussfolgerung der Nichteignung ist allerdings, dass der Betroffene zur Untersuchung und Vorlage des geforderten Gutachtens verpflichtet war (ständige Rechtsprechung, vgl. nur OVG Hamburg, Beschluss vom 30.3.2000, NZV 2000, 348 ff.).

An der Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Gutachtenanordnung bestehen erhebliche Zweifel.

Zwar ordnet die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FeV zur Vorbereitung von Entscheidungen über den Bestand der Fahrerlaubnis an, dass ein ärztliches Gutachten beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) vorliegt.

Bei Haschisch wie auch Marihuana handelt es sich um solche Betäubungsmittel im Sinne des BtMG (§ 1 Abs. 1 BtMG in Verbindung mit Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG, Teil B).


Auch durfte die Antragsgegnerin annehmen, dass der Antragsteller, der 1998 beim Rauchen von Haschisch angetroffen, bei dem im Jahr 2000 ein einschlägiges Rauchgerät gefunden und in dessen Auto im Jahr 2002 eine typische Konsumentenmenge an Haschisch und Marihuana sichergestellt worden war, Haschisch bzw. Marihuana im Sinne der FeV „einnimmt“. Dies durfte sie allein schon aus dem letzten Fund schließen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2002, Az: 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378 ff.).




Gleichwohl dürfte sie nicht berechtigt gewesen sein, vom Antragsteller das streitbefangene Gutachten zu fordern.

Angesichts der besonderen Umstände des zu entscheidenden Falles bedarf hier keiner Klärung, ob Auffälligkeiten der Art, wie sie der Antragsteller gezeigt hat, angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insbesondere BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2002, Az: 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts (insbesondere Urteil vom 5.7.2001, Az: 3 C 13/01, NJW 2002, 78 ff.) überhaupt ein Drogenscreening rechtfertigen können. Denn ein solches wurde mit negativem Befund bereits im Februar 2002 durchgeführt. Seither haben sich die Umstände, aus denen auf das Konsumverhalten des Antragssteller zu schließen ist, nicht in relevanter Weise verändert. Schon dies schließt weitere Maßnahmen derzeit aus.

Die rechtliche Eingriffsvoraussetzung „Einnahme von Betäubungsmitteln“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der mit Blick auf die grundrechtliche Relevanz der hierdurch veranlassten behördlichen Sachverhaltsaufklärung Maßnahme auszulegen ist. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 20. Juni 2002 (Az: 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378 ff.) ausgeführt:

   „Setzt die Überprüfung belastende, in Grundrechte eingreifende Maßnahmen voraus, ist bei der Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit das Spannungsverhältnis zu berücksichtigen, das zwischen dem Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers andererseits besteht, von Gefahrerforschungseingriffen verschont zu bleiben, die mit erheblichen Belastungen für ihn verbunden sind (zu den Belastungen vgl. BVerwG, NJW 2002, S. 78 <79>).

Mit Blick auf dieses Spannungsverhältnis kann auf das Erfordernis eines hinreichenden Verdachts fehlender Fahreignung nicht schon allein deshalb verzichtet werden, weil es für die zuständigen Behörden schwer ist, verdachtsauslösende Momente zu entdecken, noch bevor es zu einem drogenkonsumbedingten Verkehrsunfall oder einer Verkehrsgefährdung gekommen ist. Vorangegangener Cannabiskonsum lässt sich am Verhalten des Konsumenten zwar regelhaft schwerer erkennen als Alkoholkonsum. Polizeibeamten ist es jedoch bei entsprechender Schulung in der Regel möglich, Anzeichen des Cannabiskonsums - etwa bei einer Fahrzeugkontrolle - anhand des Aussehens und Verhaltens des Konsumenten festzustellen und dies dann zum Anlass weiterer Aufklärungsmaßnahmen zu nehmen. Die entsprechenden Verdachtsmomente sind zwar andere als beim Alkoholkonsum und die Anforderungen an deren Feststellung dürfen auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Erkennbarkeit von Mängeln der Fahrtüchtigkeit und -eignung festgelegt werden. Ein gänzlicher Verzicht auf hinreichende Verdachtsindikatoren ist in einem Rechtsstaat jedenfalls bei einem für die persönliche Lebensführung gewichtigen Eingriff ausgeschlossen. Besteht ein hinreichender Verdacht und können mögliche Eignungsmängel nur unter aktiver Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers aufgeklärt werden, ist es unbedenklich, diese Mitwirkung einzufordern und bei ihrer Verweigerung die dadurch bewirkte Vereitelung der abschließenden Aufklärung zum Nachteil des Betroffenen zu würdigen.

Die gesetzlichen Anforderungen an die Art und Intensität des Verdachts, der solche Folgen auslösen kann, müssen allgemein und ihre Rechtsanwendung muss im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden. Die Beschränkungen sind nur angemessen, wenn die Behörde im Zuge der Ausübung der gesetzlichen Ermächtigung zur Fahreignungsüberprüfung hinreichend konkrete Verdachtsmomente feststellt, die einen Eignungsmangel als nahe liegend erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 89, 69 <85 f.>).“


Im zu entscheidenden Fall fehlt es an dem verfassungsrechtlich geforderten hinreichenden Verdacht. Zwar liegt „Einnahme“ von Betäubungsmitteln vor und wird vom Antragsteller auch nicht ernsthaft geleugnet. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann „Einnahme“ im Rechtssinne jedoch nicht dergestalt verstanden werden, dass jeder konkret festgestellte Fall der Einnahme erneut zwingend Gefahrerforschungsmaßnahmen rechtfertigt. Vielmehr ist das Gesamtbild des Einnahmeverhaltens maßgeblich, welches nach bereits erfolgter gutachterlicher Abklärung nur dann weiterer Aufklärung bedarf, wenn aufgrund konkreter Umstände eine Veränderung zum Ungünstigen zu besorgen ist. Da solche nicht vorliegen, ist das Einnahmeverhalten des Antragstellers hinreichend erforscht und kann nicht Grundlage weiterer Maßnahmen sein. Der Antragsteller hat den Anspruch der Antragsgegnerin auf Mitwirkung an den in Bezug auf seine Person nötigen Gefahrerforschungseingriffen somit erfüllt.

Im einzelnen gilt hinsichtlich des Antragstellers, dass dieser sich bisher – insbesondere auch nach dem Gutachten vom 20. Februar 2002 – als Gelegenheitskonsument von Haschisch und Marihuana darstellt, welcher beide Substanzen nicht gewohnheitsmäßig konsumiert und auch den Konsum vom Autofahren zu trennen weiß. Dies ist bei Gelegenheitskonsumenten auch regelmäßig anzunehmen, es sei denn, konkrete Umstände sprechen hier gegen (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2002, Az: 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378 ff.). Solche Umstände, die auf das Fahren unter Cannabis-Einfluss hindeuten, sind jedoch bisher nicht erkennbar und wurden auch von der Antragsgegnerin nicht geltend gemacht, so dass diese auch kein zusätzliches medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV verlangt hat. Nach den Erkenntnissen neuester Forschung zur Frage der Auswirkungen von Cannabis-Konsum auf die Fahreignung ist ein solcher Gelegenheitskonsument grundsätzlich fahrgeeignet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2002, Az: 1 BvR 2062/96, NJW 2002, 2378 ff.).



Schließlich spricht der letzte Drogenfund aus dem Jahr 2002 auch nicht für einen zunehmenden, jetzt möglicherweise mehr als gelegentlichen Konsum, welcher befürchten lässt, dass dem Antragsteller die Trennung von Drogenkonsum und Autofahren nicht mehr gelingen könnte. Die gefundene Menge war nur gering und nicht für eine Vielzahl von Konsumeinheiten ausreichend. Auch waren im Sommer 2002 seit der vorigen BtM-Auffälligkeit des Antragstellers rund 2 Jahre vergangen, so dass trotz der Annahme einer hohen Dunkelziffer nicht auf eine Steigerung der im Februar 2002 gutachterlich festgestellten, verkehrsrechtlich noch hinnehmbaren Konsumfrequenz geschlossen werden kann.

Die Einnahme von Betäubungsmitteln ergibt somit für den Antragsteller über die letzten Jahre ein kontinuierlich gleichbleibendes Bild. Es handelt sich um einen offenbar stabilen Dauerzustand, welcher durch das Drogenscreening vom 20. Februar 2002 hinreichend abgeklärt wurde. Anlass, derzeit weitere Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen, gibt es keine, da der Drogenfund aus dem Jahr 2002 nicht auf eine Änderung des Konsumverhaltens schließen lässt. ..."

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