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Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss vom 25.07.2006 - 6 K 924/06 - Zum Entzug der Fahrerlaubnis bei mehr als 150 THC-COOH

VG Sigmaringen v. 25.07.2006: Zum Entzug der Fahrerlaubnis bei mehr als 150 THC-COOH


Das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Beschluss vom 25.07.2006 - 6 K 924/06) hat in einer an sich eine EU-Fahrerlaubnisentziehung betreffenden Entscheidung ausgeführt:

   Ergibt sich aus einer - auch direkt nach einer Verkehrskontrolle - entnommenen Blutprobe ein Abbauwert von mehr als 150 ng/ml des passiven Abbauprodukts THC-COOH, dann ist der Betroffene als regelmäßiger Konsument einzustufen und seine Fahrerlaubnis ist zu entziehen.

Siehe auch
Konsumgrade / Konsummuster bei Cannabis
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Ausschnitt aus dem an sich umfangreicheren Sachverhalt:

(siehe die ausführliche Wiedergabe der Entscheidung im EU-Fahrerlaubnisteil des Lexikons)

Im Juli 2004 teilte die Polizeidirektion B. dem Landratsamt mit, der Antragsteller sei mit seinem PKW am 15.07.2004 angehalten und kontrolliert worden. In seiner Hosentasche habe man ein Longpaper, ein abgeschnittenes Trinkröhrchen und ein Briefchen mit ca. 0,5 g Speed gefunden. Der Antragsteller habe angegeben, mittags einen Joint geraucht zu haben. Der daraufhin durchgeführte Urintest sei auf THC und Amphetamin positiv verlaufen. Der Antragsteller habe ferner angegeben, im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein. Das in der Folge erstellte rechtsmedizinische Gutachten der Eberhard-Karls-Universität Tübingen vom 31.07.2004 stellte im Blut des Antragstellers einen THC-Wert von 31,3 ng/ml und einen THC-COOH-Wert von 160 ng/ml fest; Amphetamine konnten im Blut nicht nachgewiesen werden. Mit Strafbefehl vom 26.01.2005 - 10 Cs 34 Js 22192/04 - verurteilte das Amtsgericht R. den Antragsteller daraufhin wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen - durch Urteil vom 24.02.2005 ermäßigt auf 35 Tagessätze - und verbot ihm für die Dauer von drei Monaten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.

Dem Antragsteller wurde die Nutzung seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Inland untersagt. Sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs blieb erfolglos.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die fehlende Eignung des Antragstellers ergibt sich bei Anwendung nationalen Rechts u.a. bereits aus dem regelmäßigen Cannabiskonsum des Antragstellers, jedenfalls aber - wie vom Antragsgegner angenommen - aus der Nicht-Vorlage des angeordneten medizinisch-psychologischen Gutachtens zum Nachweis der Fahreignung des Antragstellers oder aus § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV.

Der Antragsteller ist bereits nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V. mit Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV als regelmäßiger Konsument von Cannabis ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen (zu den Auswirkungen regelmäßigen Konsums auf die Fahreignung vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.05.2003 - 10 S 1907/02 -). Aus dem rechtsmedizinischen Gutachten der Eberhard-Karls-Universität ergibt sich, dass der Antragsteller täglich oder nahezu täglich Cannabis konsumiert hat bzw. noch konsumiert (zu den Anforderungen an „regelmäßigen“ Konsum vgl. nur VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.11.2003 - 10 S 2048/03 -, DAR 2004, 170). In seinem Blut wurden 160 ng/ml des THC-Abbauprodukts THC-COOH nachgewiesen. Bereits bei einem über 75 ng/ml THC-COOH liegenden Wert wird im Allgemeinen ein regelmäßiger Konsum angenommen (vgl. etwa den Erlass des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr Nordrhein-Westfalen - Az. 632-21-03/2.1 - zur Beurteilung von Cannabiskonsum; ebenso OVG Saarland, Beschluss vom 30.09.2002 - 9 W 25/02 -, ZfSch 2003, 44). Selbst wenn man - wie etwa das OVG Niedersachsen (Beschluss vom 11.07.2003 - 12 ME 287/03 -, NVwZ-RR 2003, 899) unter Berufung auf Daldrup (Blutalkohol 2000, 39, 44) - einen THC-Carbonsäurewert von 150 ng/ml verlangen wollte, wäre von einem regelmäßigen Konsum auszugehen. Hinzu kommt, dass vieles dafür spricht, dass der Antragsteller auch Konsument von Amphetaminen ist, nachdem bei der Verkehrskontrolle am 15.07.2004 auch entsprechende Utensilien und ein halbes Gramm Speed aufgefunden wurden und nachdem auch der durchgeführte Urintest auf Amphetamine positiv reagierte; dass Amphetamine bei der nachfolgenden Blutuntersuchung nicht (mehr) nachgewiesen werden konnten, mag am schnellen Abbau des Wirkstoffs im Blut liegen. Die Wiedererlangung seiner Fahreignung - durch den Nachweis mindestens einjähriger Betäubungsmittelabstinenz (vgl. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.05.2003 - 10 S 1907/02 -; Urteil vom 30.09.2003 - 10 S 1917/02 -) - oder das Vorliegen besonderer Umstände hat der Antragsteller nicht dargelegt.


Selbst wenn man nur von einem gelegentlichen Konsum ausgehen wollte, würde dies nichts an der fehlenden Kraftfahreignung des Antragstellers ändern. Diese folgt dann aus § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V. mit Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV. Zusatzelement im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 ist hier das Unvermögen des Antragstellers, zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen. Das erforderliche Trennungsvermögen, das eine gelegentliche Einnahme von Cannabis im Hinblick auf die Anforderungen der Verkehrssicherheit als noch hinnehmbar erscheinen lässt, kann einem Fahrerlaubnisinhaber nur dann attestiert werden, wenn dieser Fahren und Konsum in einer Weise trennt, dass eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften durch die Einnahme von Cannabis unter keinen Umständen eintreten kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.11.2003 - 10 S 2048/03 -, a.a.O.; Beschluss vom 28.11.2003 - 10 S 1789/03 -; Beschluss vom 01.12.2003 - 10 S 1958/03 -). Hier hat der Antragsteller das fehlende Trennungsvermögen durch die Autofahrt unter der berauschenden Wirkung von Tetrahydrocannabinol (THC) vom 15.07.2004 belegt. Nach dem Gutachten der Eberhard-Karls-Universität Tübingen betrug die THC-Konzentration noch eine knappe Stunde nach der Fahrt 31,3 ng/ml (!) zzgl. weiterer 9,8 ng/ml 11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol. Der VGH Baden-Württemberg geht in ständiger Rechtsprechung aufgrund von Stellungnahmen in der naturwissenschaftlichen Literatur davon aus, dass jedenfalls bei THC-Konzentrationen über 2 ng/ml nennenswerte Leistungseinbußen möglich sind und dementsprechend durch das Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer solchen THC-Konzentration das fehlende Trennungsvermögen belegt ist (vgl. Beschluss vom 15.11.2005 - 10 S 2143/05 -; Beschluss vom 10.05.2004 - 10 S 427/04 -, DAR 2004, 604; Beschluss vom 15.11.2004 - 10 S 2194/04 -, Blutalkohol 2005, 187); zuletzt hält der VGH Baden-Württemberg sogar eine THC-Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml für ausreichend um von fehlendem Trennungsvermögen im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV auszugehen (Beschluss vom 27.03.2006 - 10 S 2519/05 -, NJW 2006, 2135; Beschluss vom 15.11.2004 - 10 S 2194/04 -; vgl. dazu auch VG Freiburg, Beschluss vom 09.01.2006 - 1 K 1914/05 -). Letztlich ergibt sich das fehlende Trennungsvermögen auch aus der eigenen Einlassung des Antragstellers, der gegenüber der Polizei angegeben hat, am gleichen Tag gegen 12.30 Uhr einen „Joint“ geraucht zu haben.




Die in Anbetracht dessen für den Antragsteller entgegenkommende - und wohl auf dem Umstand, dass er zwischenzeitlich in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis erteilt bekommen hatte, beruhende - Verfahrensweise des Landratsamts, dem Antragsteller die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu ermöglichen, gründet sich im Übrigen auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV, nachdem der Antragsteller insgesamt sechs Mal in erheblicher strafrechtlicher Weise - und zum Teil unter Einfluss von Alkohol oder Cannabis - verkehrsauffällig geworden ist (Januar 1991: fahrlässige Trunkenheit im Verkehr mit einer BAK von 1,43 ‰; April 1991, August 2003, Januar 2004, Juli 2004, Mai 2005: Fahren ohne Fahrerlaubnis, davon einmal mit einer BAK von 0,84 ‰ und einmal unter THC-Einwirkung); dabei dürften auch die Straftaten aus dem Jahr 1991 nach § 29 Abs. 5 StVG noch verwertbar sein, wobei es darauf angesichts der erheblichen Vorfälle in den letzten drei Jahren nicht in entscheidungserheblicher Weise ankommt. ..."

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