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Verwaltungsgericht München Beschluss vom 13.01.2005 - M 6b S 04.5843 - Eine schon vor der strafgerichtlichen Entziehung der deutschen FE vorhandene EU-FE wird "ungültig"

VG München v. 13.01.2005: Eine schon vor der strafgerichtlichen Entziehung der deutschen FE vorhandene EU-FE wird "ungültig"




Zur Frage, was mit einer schon vor der Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis durch das Strafgericht vorhandenen zweiten EU-Fahrerlaubnis passiert, hat das Verwaltungsgericht München (Beschluss vom 13.01.2005 - M 6b S 04.5843) entschieden:

  1.  Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht hat auch dann die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von ausländischen Fahrerlaubnissen im Inland Gebrauch zu machen, wenn dem Gericht die Existenz einer ausländischen Fahrerlaubnis nicht bekannt war.

  2.  Ausländische Fahrerlaubnisse, die vor einer strafrechtlichen Entziehung erteilt worden sind, berechtigen auch nach Ablauf der Sperrfrist nicht (mehr) zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Eine erneute Aberkennung des Rechts, von ausländischen Fahrerlaubnissen im Inland Gebrauch zu machen, durch die Fahrerlaubnisbehörde geht ins Leere; einem Antrag nach § 80 VwGO fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.


Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Zum Sachverhalt:


Der Ast. erwarb erstmals 1985 bzw. 1986 eine italienische Fahrerlaubnis. 1990 wurde die Fahrerlaubnis des Ast. in eine deutsche Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt) „umgeschrieben”. Nach Verlegung des Wohnsitzes nach Rom stellte die Republik Italien dem Ast. 1998 einen bis zum Jahr 2008 gültigen Führerschein für die Klassen A und B aus. Seit dem Jahr 2003 lebt der Ast. im Zuständigkeitsbereich des Ag.




Mit Urteil des AG München ist der Ast. unter anderem der Trunkenheit im Verkehr in drei selbstständigen Fällen schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist; weiterhin ist dem Ast. die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen worden, ihm vor Ablauf von noch drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Anlässlich einer Verkehrskontrolle stellten Polizeibeamte fest, dass der Ast. ohne deutsche Fahrerlaubnis am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug teilnahm. Daraufhin erkannte der Ag. dem Ast. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Recht ab, von seiner italienischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. 1) und forderte ihn auf, seinen Führerschein binnen sieben Tagen nach „Rechtskraft” des Bescheids bei der Führerscheinstelle abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Aufforderung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro angedroht (Nr. 3).

Den hiergegen gerichteten Eilantrag lehnt das VG ab.




Aus den Entscheidungsgründen:


Der Antrag war gem. § 88 VwGO dahin gehend auszulegen, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nur hinsichtlich Nr. 1 des Bescheids begehrt wird. Hinsichtlich Nr. 2 des Bescheids bedarf es keines vorläufigen Rechtsschutzes, weil der Führerschein gegenwärtig mangels „Rechtskraft” (gemeint: Bestandskraft) des Bescheids ohnehin nicht abgegeben werden muss.

1. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die verfügte Aberkennung des Rechts, von der italienischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, ist bereits mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.

Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen im Rechtsweg geltend gemachten Rechtsbehelf fehlt unter anderem, wenn der Rechtsschutzsuchende mit einer Klage oder mit einem Antrag keine Verbesserung seiner Rechtsstellung erreichen kann, der eingelegte Rechtsbehelf also mit anderen Worten nutzlos ist (Rennert, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. [2000], Vorb. § 40 Rdnrn. 11, 16 ff. m. w. Nachw., s. auch VGH Mannheim, NJOZ 2005, 1366).

So verhält es sich im vorliegenden Fall. Auf Grund des Urteils des AG München ist der Ast. nicht mehr berechtigt, im Bundesgebiet ein Kraftfahrzeug zu führen. Die verfügte Aberkennung des Rechts, von der italienischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen zu dürfen, geht damit - ebenso wie die Anordnung der sofortigen Vollziehung - ins Leere; die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen diese Anordnung würde am Verlust der Fahrerlaubnis nichts ändern. Im Einzelnen:

a) Nach der Grundregel des § 28 I 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis (wie vorliegend der Ast.) oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz i. S. von § 7 1 oder II FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben, grundsätzlich im Umfang der erteilten Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im Inland führen. Seit. 2003 hat der Ast. (unabhängig vom Zeitpunkt des Erwerbs des italienischen Führerscheins) seinen ordentlichen Wohnsitz i. S. von § 7 FeV im Inland (zur weitgehend vergleichbaren Rechtslage für Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten Fahrerlaubnis, die keinen ordentlichen Wohnsitz im Inland i. S. von § 7 FeV begründet haben, vgl. § 4 der Verordnung über Internationalen Kraftfahrzeugverkehr - VOInt - in der derzeit gültigen Fassung).




§ 28 I 1 FeV setzt Art. 1 II der Richtlinie 91/439/EWG in nationales Recht um. Nach dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung, die trotz ihres formalen Richtliniencharakters die Voraussetzungen der so genannten unmittelbaren Wirkung erfüllt (VGH Mannheim, NJW 2004, 3058 DAR 2004, 606, unter Verw. auf die Rspr. des EuGH), sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anzuerkennen. Auf Grund von Art. 1 II der Richtlinie 91/439/EWG in der derzeit gültigen Fassung und auf Grund § 28 I FeV sind die Inhaber einer gültigen EU- bzw. EWR-Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland daher ohne weiteres befugt, im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Berechtigung des ausländischen Führerscheins bzw. der ausländischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge zu führen. Es bedarf auch keiner förmlichen Umschreibung des EU- bzw. EWR-Führerscheins, weil die Inhaber von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnissen allein auf Grund der Innehabung der EU- bzw. EWR-Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen in den anderen Mitgliedstaaten berechtigt sind (vgl. VGH Mannheim, NJW 2004, 3058 = DAR 2004, 606 [607]; VG Karlsruhe, NJW 2005, 460 L).

b) Die grundsätzliche Berechtigung nach § 28 I 1 FeV steht aber unter dem ausdrücklichen Vorbehalt von Einschränkungen nach § 28 II–IV FeV. Nach § 28 IV Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung des § 28 I FeV, im Umfang der ausländischen Berechtigung Kraftfahrzeuge, im Inland zu führen, nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben.

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Ast. erfüllt: Ihm ist mit Urteil des AG München die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen worden. Damit hat der Ast. sowohl die 1990 ausgestellte deutsche Fahrerlaubnis als auch die 1998 ausgestellte italienische Fahrerlaubnis verloren. Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das AG München hat nämlich hinsichtlich der italienischen Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der italienischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (§ 69 b I 1 StGB). Bis heute wurde dem Ast. von keiner deutschen Behörde eine Fahrerlaubnis oder das Recht wiedererteilt, von der italienischen Fahrerlaubnis im Inland (wieder) Gebrauch machen zu dürfen. Deshalb geht die .verfügte Aberkennung des Rechts, von der italienischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch machen zu dürfen, ins Leere.




c) Europäisches Gemeinschaftsrecht steht diesem Ergebnis nicht entgegen.

aa) Zwar verbürgt Art. 1 H der Richtlinie 91/439/EWG das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine. Dieses Prinzip darf nicht unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht eingeschränkt werden. Das Gemeinschaftsrecht ist jedoch nicht auf vollständige Harmonisierung hinsichtlich der Führerscheinerteilung und Führerscheinentziehung ausgerichtet, sondern enthält zum Teil nur Mindestanforderungen, die einer strikteren Ausformung im Recht des einzelnen Mitgliedstaats jedenfalls nicht grundsätzlich entgegenstehen (vgl. insofern auch Otte/Kühner, NZV 2004, 321 [324]).

Dies zeigt Art. 8 H der Richtlinie 91/439/EWG, der es – vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips – dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes gestattet, auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Ergänzend ist in Art. 8 IV der Richtlinie 91/439/EWG ausgeführt, dass es ein Mitgliedstaat ablehnen kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Art. 8 der Richtlinie 91/439/EWG genannten Maßnahmen - Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis - angewendet wurde.

Diese Regelungen bewirken, dass die durch das AG München ausgesprochene Aberkennung des Rechts, von der italienischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, mit vorrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

bb) Das Urteil des EuGH vom 29. 4. 2004 (NJW 2004, 1725 = NZV 2004, 372 = DAR 2004, 333 m. Anm. Geiger; s. Otte/Kühner, NZV 2004, 321) steht dem nicht entgegen.



Gegenstand der Entscheidung war in erster Linie die Frage, ob ein Mitgliedstaat der EU prüfen darf, ob ein Führerscheininhaber, dem ein anderer Mitgliedstaat eine EU-Fahrerlaubnis ausgestellt hat, dort seinen ordentlichen Wohnsitz hatte. Dies hat der Gerichtshof verneint. Weiter wurde entschieden, „dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats für den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist”. In dem vom EuGH entschiedenen Fall ging es somit um die Frage, ob einer Person die Anerkennung der Gültigkeit einer Fahrerlaubnis versagt werden kann, die nach bestandskräftiger Entziehung der Fahrerlaubnis nach Ablauf der angeordneten Sperrfrist von einem anderen Mitgliedstaat erworben wurde.

Damit unterscheidet sich der vom EuGH beurteilte Sachverhalt jedoch grundlegend von der vorliegenden Fallkonstellation der Entziehung einer früher erworbenen EU-Fahrerlaubnis. Zu der im vorliegenden Fall maßgeblichen Frage der Fortgeltung einer bereits früher erteilten EU-Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer inländischen Fahrerlaubnis ist aus dem genannten Urteil somit nichts abzuleiten.

2. Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass der Antrag - wäre der Ast. vor Erlass des Bescheids noch berechtigt gewesen, von seiner italienischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen - insoweit jedenfalls unbegründet gewesen wäre.


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