Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Chemnitz Beschluss vom 21.06.2006 - 2 K 356/06 - Ein tschechischer Führerschein ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber auch die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III der Richtlinie 91/439/EWG erfüllt

VG Chemnitz v. 21.06.2006: Ein tschechischer Führerschein ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber auch die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III der Richtlinie 91/439/EWG erfüllt




Das Verwaltungsgericht Chemnitz (Beschluss vom 21.06.2006 - 2 K 356/06) hat entschieden:

   Ein tschechischer Führerschein ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber auch die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III der Richtlinie 91/439/EWG erfüllt. An einer „erneuten“ Prüfung der körperlichen oder geistigen Eignung und Befähigung des Inhabers der EU-Fahrerlaubnis ist die Fahrerlaubnisbehörde dann wegen der vom EuGH vorgegebenen engen Auslegung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG gehindert. Somit haben auch Maßnahmen zur Vorbereitung der Entscheidung über den Entzug der Berechtigung aus der EU-Fahrerlaubnis, namentlich die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, zu unterbleiben, wenn sich diese auf Begebenheiten stützt, die vor Erteilung der EU-Fahrerlaubnis lagen.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Zum Sachverhalt:


Der 1968 geborene Antragsteller war ursprünglich seit 7.6.1990 Inhaber einer Fahrerlaubnis. Das Amtsgericht Chemnitz verurteilte ihn mit seit 24.11.1995 rechtskräftigem Urteil gemäß § 316 StGB wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung, weil er am 8.4.1995 gegen 1.20 Uhr ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führte, obwohl er wegen vorangegangenen erheblichen Alkoholgenusses dazu nicht mehr in der Lage war (BAK 1,24 Promille im Mittelwert der Bestimmungen). Bei der Strafzumessung war berücksichtigt worden, dass der Antragsteller bereits am 14.9.1992 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Damals war eine Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bis 31.1.1993 ausgesprochen worden; am 1.4.1993 hatte er erneut die Fahrerlaubnis erhalten. In der Folge war es zweimal zu Verurteilungen wegen Diebstahls gekommen. Im Urteil vom 24.11.1995 wurde die Fahrerlaubnis abermals entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung von zwölf Monaten ausgesprochen.

Einen ersten Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nahm der Antragsteller am 21.7.1997 zurück. Im Rahmen eines erneuten Wiedererteilungsverfahrens legte er ein positives Gutachten des TÜV … vom 24.4.1998 vor, so dass ihm der Führerschein der Klassen 3, 4 und 5 am 10.6.1998 ausgehändigt wurde. Am 6.12.1999 fuhr der Antragsteller erneut unter Alkoholeinwirkung (AAK 1,38 Promille) im öffentlichen Straßenverkehr. Deswegen verurteilte ihn das Amtsgericht Chemnitz mit seit 16.10.2000 rechtskräftigem Urteil gemäß § 316 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, entzog die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperre für die Wiedererteilung von einem Jahr und sechs Monaten an. Die Sperrfrist endete am 5.10.2001. Am 7.12.2004 kontrollierten Beamte des Bundesgrenzschutzamtes … den Antragsteller bei der Ausreise, wobei er einen am 27.10.2004 ausgestellten tschechischen Führerschein vorlegte.

Unter dem 17.2.2005 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, bis spätestens 17.4.2005 ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) beizubringen. Die vom Antragsteller unterzeichnete Einverständniserklärung zur Beibringung des Eignungsgutachtens ging am 7.3.2005 bei der Antragsgegnerin ein, die daraufhin die Verwaltungsakte zwecks Begutachtung an die DEKRA … übersandte. Am 12.4.2005 meldete sich der Antragsteller bei der Antragsgegnerin ab und gab als künftige Wohnung eine Adresse in M./Tschechische Republik an. Die Begutachtungsstelle reichte die Unterlagen am 15.4.2005 zurück; ein Gutachten wurde nicht vorgelegt. Mit Schreiben vom 13.5.2005 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, angehört.

Auf Anfrage teilte das Verkehrsministerium der Tschechischen Republik am 22.6.2005 mit, dass der Antragsteller die Prüfung abgelegt und ein ärztliches Attest vorgelegt habe, demgemäß er gesundheitlich in der Lage sei, ein Fahrzeug zu führen. Er habe den Führerschein am 1.12.2004 abgeholt. Er habe mit seiner Unterschrift auf dem Antrag auf Erwerb eines Führerscheins bestätigt, dass ihm kein Handlungsverbot auferlegt worden sei, welches auf dem Verbot ein Fahrzeug zu führen beruhe und dass er nicht unter körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen leide, die ihn fahrunfähig machen würden. Er habe einen Auszug aus dem Führerscheinregister vom 11.10.2004 vorgelegt, aus dem hervorgegangen sei, dass ihm der Führerschein entzogen worden war. Weiterhin habe er eine Mitteilung der Staatlichen Vertretung in … vorgelegt, dass dem Betreffenden rechtmäßig die Fahrberechtigung verweigert und der Führerschein entzogen worden sei. Da bis zum heutigen Zeitpunkt im Rahmen der Europäischen Union die gegenseitige Anerkennung von Fahrverboten insbesondere der Führerscheinentzug in einzelnen Staaten noch nicht geregelt sei, sei dem Antragsteller eine Fahrberechtigung für die Fahrzeugklasse B erteilt und ein Führerschein ausgestellt worden.

Mit Bescheid vom 4.7.2005 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse B entzogen; es werde ihm damit das Recht aberkannt, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen (Ziffer 1). Zugleich wurde er aufgefordert, seinen tschechischen Führerschein bis zum dritten Werktag nach Zustellung des Bescheides bei der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin abzugeben (Ziffer 2), die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer 3) sowie ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro für den Fall der Nichtbefolgung der Frist zur Abgabe des Führerscheins angedroht (Ziffer 4).

In der Begründung des Bescheides wird u.a. ausgeführt, aufgrund der unterlassenen, ihm aber obliegenden Mitwirkungspflicht an der Überprüfung der Fahreignung gehe die Antragsgegnerin davon aus, dass er Mängel verbergen wolle, die seine Fahreignung ausschlössen. Die Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, sei auf dem ausländischen Führerschein zu vermerken und der ausstellenden Stelle des Auslandes und dem Kraftfahrtbundesamt mitzuteilen. Gemäß § 3 Abs. 2 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV sei der Antragsteller verpflichtet, den Führerschein bei der Behörde zu hinterlegen. Die hierzu gesetzte Frist sei angemessen und verhältnismäßig.

Nachdem dieser Bescheid dem Antragsteller weder in C noch in der Tschechischen Republik bekannt gegeben werden konnte, wurde der Bescheid durch Aushang vom 27.9.2005 bis 14.10.2005 öffentlich zugestellt. Hierüber erhielt der Antragsteller mit Schreiben vom 22.9.2005 Nachricht.

Am 25.10.2005 erhob der Antragsteller Widerspruch, den das Regierungspräsidium … mit am 2.3.2006 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 28.2.2006 zurückwies. Am 29.11.2005 hatte sich der Antragsteller wieder mit alleinigem Wohnsitz in C angemeldet.

Am 27.3.2006 hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 4.7.2005 Klage erhoben (2 K 357/06) und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes beantragt.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, ihm sei nach umfassender Mitteilung über die Gründe der Entziehung der Fahrerlaubnis in Deutschland und nach Durchführung ärztlicher Untersuchungen durch die Behörde in Ch./Tschechien eine Fahrerlaubnis erteilt worden, nachdem die Sperrfrist der Entziehung in Deutschland abgelaufen gewesen sei. Er sei vor Erteilung der Fahrerlaubnis durch Herrn M U Dr. Z. H. ärztlich untersucht worden, was mit ärztlicher Bescheinigung vom 19.4.2006 bestätigt werde. Auch habe die deutsche Ärztin SR K. P. in … hinsichtlich der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis nach Untersuchung eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Vorlage bei der tschechischen Fahrschule und bei der Führerscheinbehörde der Tschechischen Republik ausgestellt.




Der Antragsteller rügt einen Verstoß gegen Europarecht unter Bezugnahme auf die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen könne ein Mitgliedsstaat nur durch Handlungen des Fahrerlaubnisinhabers oder Ereignisse begründen, die nach der Erteilung der Fahrerlaubnis durch einen anderen Mitgliedsstaat aufgetreten seien. Tatsachen im Sinne von § 46 Abs. 3 FeV, die Bedenken an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, könnten nur solche sein, die nach der Erteilung der Fahrerlaubnis bekannt würden. Der Antragsteller habe seit seiner Fahrerlaubniserteilung durch die tschechische Behörde ohne Fehlverhalten am Straßenverkehr teilgenommen. Daher sei die Anordnung der Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 17.2.2005 nicht verhältnismäßig, anlassbezogen und rechtmäßig. Folglich stelle die Nichtbeibringung eines solchen Gutachtens keinen Pflichtverstoß dar.

Die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins sei nicht verhältnismäßig, weil die Fahrerlaubnis zumindest für alle anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht entzogen worden sei und der Führerschein als Legitimation auch für diese Staaten gelte.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

   die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 27.3.2006 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.7.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums … vom 28.2.2006 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

   den Antrag abzulehnen.

Mit dem Auszug aus dem Verkehrszentralregister seien drei Entscheidungen der Strafgerichte wegen Alkoholfahrten des Antragstellers übermittelt worden. Auch der Strafbefehl des Kreisgerichts Chemnitz-Stadt vom 14.9.1992 sei noch nicht gelöscht. Es könne aber dahinstehen, ob dieser im Hinblick auf die Zehnjahresfrist des § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG noch verwertet werden könne, da allein die beiden nachfolgenden Alkoholfahrten die Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Nr. 2 lit. b FeV rechtfertigten. Eine ersatzlose Ablieferung des Führerscheins sei, wie sich aus dem Bescheidtenor in Verbindung mit der Begründung ergebe, nicht verlangt worden. Vielmehr habe der Antragsteller den Führerschein wegen der entsprechenden Eintragung der Aberkennung des Rechts, von ihr in Deutschland Gebrauch zu machen, insoweit vorzulegen und zeitweilig abzugeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird in entsprechender Anwendung von § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Hauptsacheverfahren 2 K 357/96 sowie die von der Antragsgegnerin vorgelegte Behördenakte (1 Heftung Bl. 1-166) verwiesen.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Das Prozesskostenhilfegesuch und der Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt … haben Erfolg, weil die Rechtsverfolgung des Antragsteller aus den nachfolgenden Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und der Antragsteller bedürftig ist (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 2 ZPO).

Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der gegen die Ziffer 1 der Ordnungsverfügung des Antragsgegnerin vom 4.7.2005 erhobenen Klage (2 K 357/06) wiederherzustellen hat Erfolg. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung jener Entscheidung überwiegt nicht das private Aufschubinteresse des Antragstellers. Da der Bescheid der Antragsgegnerin auf nationalem Recht beruht, bestehen keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit von § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. Schoch, VwGO, Vorb § 80 RdNr. 29 m.w.N.).

Bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht die Belange, die für die sofortige Vollziehung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts sprechen, gegen das Aufschubinteresse des Betroffenen abzuwägen. Hierbei sind auch die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache (2 K 357/06) zu berücksichtigen, denn an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein öffentliches Interesse bestehen.

Unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) zur Auslegung der sog. Führerschein-Richtlinie (Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.7.1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2.6.1997 (ABl. L 150, S. 41) und der Richtlinie 2000/56/EG der Kommission vom 14.9.2000 (ABl. L 237 S. 45 ff; im Folgenden: Richtlinie 91/439/EWG) wird die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 4.7.2005, die gemäß § 73 Abs. 3 FeV trotz des damaligen ausländischen Wohnsitzes des Antragstellers zuständig war, keinen Bestand haben können. Denn die Antragsgegnerin durfte aus der Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens durch den Antragsteller gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht auf dessen fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen.




Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, genügte zwar den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Auch ist der Antragsteller auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Die Gutachtenanordnung hatte ihre Grundlage in §§ 28 Abs. 5 Satz 2, 20 Abs. 1, 13 Nr. 2 lit. b FeV. Nach der zuletzt genannten Vorschrift ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn der Verdacht der Kraftfahrungeeignetheit wegen Alkoholmissbrauchs besteht, weil wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Insoweit konnte die Antragsgegnerin die beiden Verurteilungen des Antragstellers vom 24.11.1995 und 16.10.2000 wegen Straftaten nach § 316 StGB verwerten (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2005, NJW 2005, 3440 ff.).

Nach § 28 Abs. 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in Deutschland haben, im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Diese Berechtigung gilt allerdings u.a. nicht für Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland bestandskräftig versagt oder von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist (§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV) oder denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf (§ 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV). Sie bedürfen gemäß § 28 Abs. 5 FeV einer besonderen Zuerkennung des Rechts, im Inland von einer ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, das nur erteilt wird, wenn die Gründe für die Versagung oder Entziehung nicht mehr bestehen. Die positive Zuerkennungsentscheidung nach § 28 Abs. 5 FeV setzt voraus, dass die Gründe, die zu der Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis geführt haben, also die Gefährdungssituation, der § 28 Abs. 4 und Abs. 5 FeV begegnen will, nicht mehr bestehen. Eine solche Zuerkennungsentscheidung liegt im Falle des Antragstellers unstreitig nicht vor; er hat eine solche im Übrigen auch nicht beantragt.


Streitig ist, ob diesem Erfordernis einer Zuerkennungsentscheidung i.S.d. § 28 Abs. 5 z.B. i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 FeV Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG entgegen steht (so wohl: OVG Rhld.-Pf., Beschl. v. 15.8.2005, NJW 2005, 3228; offen gelassen: BVerwG, Urt. v. 17.11.2005, NJW 2006, 1151 ff.). Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH sieht Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor und der Besitz eines solchen EU-Führerscheins ist als Nachweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber die in der Richtlinie 91/439/EWG vorgesehenen Voraussetzungen für die Ausstellung erfüllt hat (vgl. EuGH,; Urt. v. 29.4.2004 Rs. C-476/01 - Kapper, NZV 2004, 372, 374, m.w.N.). Zugleich erlegt Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG den Mitgliedstaaten damit eine klare und unbedingte Verpflichtung zur Anerkennung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (vgl. EuGH, Beschl. v. 6.4.2006 Rs. C-227/05 - Halbritter,
http://europa.eu.int/jurisp/...
; auf die Vorlagefrage des VG München, Beschl v. 4.5.2005, NJW 2005, 2800). Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Erteilung des Führerscheins z.B. hinsichtlich der in Art. 7 Abs. 1 lit. b) und Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG vorgesehenen Wohnsitzvoraussetzungen erfüllt sind, ist nach der durch den EuGH erfolgten verbindlichen Auslegung (Art. 220, 234 Abs. 1 lit. a) EG) der zitierten Richtlinie somit ausschließlich Sache des ausstellenden Mitgliedsstaates.

Damit hat der EuGH der Befugnis zur Überprüfung von EU-Fahrerlaubnissen nach innerstaatlichem Recht enge Grenzen gesetzt (vgl. EuGH, Beschl. v. 6.4.2006 - Halbritter, aaO, und Urt. v. 29.4.2004 - Kapper, aaO). So darf ein Mitgliedsstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins gemäß Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/ EWG nicht deshalb ablehnen, weil in seinem Hoheitsgebiet auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung in diesem Mitgliedsstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedsstaat ausgestellt worden ist. Denn Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG ist als Ausnahme zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine, der im Interesse der innergemeinschaftlichen Freizügigkeit und damit einer der Grundfreiheiten der Römischen Verträge aufgestellt wurde, restriktiv auszulegen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, aaO, S. 375). Andere Mitgliedsstaaten sind wegen Art 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG nicht befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen, und können ihre Befugnis nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG nur im Hinblick auf ein Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis ausüben (vgl. EuGH, Beschl. v. 6.4.2006 - Halbritter, aaO).


Gerade die jüngste Entscheidung des EuGH zur Führerschein-Richtlinie (Beschl. v. 6.4.2006 - Halbritter, aaO) wirft indes die Frage auf, ob diese Grundsätze auch in den Fällen Anwendung finden können, in denen greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erwerb der ausländischen EU-Fahrerlaubnis nicht im Zusammenhang mit der Ausübung der durch das EU-Recht gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 ff. EG) oder Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EG) erfolgte, sondern um die nationalen Bestimmungen für die Wiedererteilung einer zuvor entzogenen Fahrerlaubnis zu umgehen. Zwar hat der EuGH den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ohne jede Formalität auch im Beschluss vom 6.4.2006 (aaO) erneut betont. Dennoch hielt er es für notwendig darauf hinzuweisen, dass dem dortigen Kläger „nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, eine neue Fahrerlaubnis erworben zu haben, ohne die in Deutschland für den Erwerb einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug seiner letzten Fahrerlaubnis aufgestellten Voraussetzungen beachtet zu haben“ (aaO, RdNr. 30) und dass im Ausstellerstaat geprüft wurde, „dass er den Mindestanforderungen in Bezug auf die physische und psychische Fahreignung entsprechend den Bestimmungen des Anhangs III dieser Richtlinie [91/439/EWG] genügt“ (aaO, RdNr. 31). Denn im Fall „Halbritter“ war vor Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis nicht erfolglos im Inland ein Wiedererteilungsverfahren betrieben worden.

Zwar hatte der Antragsteller nach Aktenlage im Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis aufgrund der Angaben gegenüber der inländischen Meldebehörde keinen Wohnsitz in der Tschechischen Republik. Auch gegenüber den Tschechischen Behörden hatte er im Antrag auf Aushändigung eines Führerscheins als ständigen Aufenthaltsort eine Adresse im Bundesgebiet angegeben (vgl. Fax des Verkehrsministeriums der Tschechischen Republik vom 22.6.2005). Vorliegend ergeben sich allerdings außer dem Umstand, dass er keinen ordentlichen Wohnsitz i.S.d. Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG in Tschechien hatte, keine weiteren objektiven Anhaltspunkte dafür, dass lediglich die strengen materiellen Anforderungen des bundesdeutschen Wiedererteilungsverfahrens, insbesondere das Erfordernis eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens, umgangen werden sollen. Ausschließlich zuständig für die Prüfung des Wohnsitzes i.S.d. Art. 7 Abs. 1 lit. b), Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG ist indes der Ausstellungsmitgliedsstaat (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004, - Kapper, aaO). An diese Auslegung des Rechts der Europäischen Union durch den EuGH ist die Kammer gebunden (Art. 220, 234 EG).

Der vorgelegte tschechische Führerschein des Antragstellers vom 27.10.2004 ist daher als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber auch die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III der Richtlinie 91/439/EWG erfüllt. An einer „erneuten“ Prüfung der körperlichen oder geistigen Eignung und Befähigung des Inhabers der EU-Fahrerlaubnis ist die Antragsgegnerin dann wegen der vom EuGH vorgegebenen engen Auslegung des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG gehindert. Somit haben auch Maßnahmen zur Vorbereitung der Entscheidung über den Entzug der Berechtigung aus der EU-Fahrerlaubnis, namentlich die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, zu unterbleiben, weil sich diese auf Begebenheiten stützt, die vor Erteilung der EU-Fahrerlaubnis lagen. Dies hat zur Folge, dass die Aufforderung vom 3.5.2005 und damit der auf ihre Nichtbefolgung aufbauende Bescheid vom 4.7.2005 rechtswidrig sind.



Die in Ziffer 2 des Bescheids verfügte „Abgabe“ des tschechischen Führerscheins beim Antragsgegner kann demzufolge auch nicht verlangt werden.

Die Kammer hat außerdem Anlass darauf hinzuweisen, dass diese Anordnung auch sonst Bedenken begegnet. Anders als im Verfahren 2 K 1092/05 ergibt sich hier weder aus dem Wortlaut des Tenors oder den Gründen der Verfügung der Antragsgegnerin, dass die EU-Fahrerlaubnis vom 27.10.2004 - wie in § 3 Abs. 2 Satz 3 2. Alt StVG vorgesehen - lediglich zwecks Anbringung eines „Vermerks“ und deswegen auch nur zeitweilig vorzulegen sei. Vielmehr sind die Formulierungen „abzugeben“ in Ziffer 2 und „Abgabe des Führerscheins“ in Ziffer 4 sowie „Rückgabe“ und „abliefern“ in den Gründen des Bescheides vom 4.7.2005 im Sinne einer ersatzlosen Ablieferung bei der Antragsgegnerin zu verstehen. Auch im Widerspruchsbescheid vom 21.11.2005 wurde nicht klargestellt, dass der Führerschein nur vorzulegen ist, damit ein der Aberkennung entsprechender Vermerk eingetragen werden kann. Zu Recht weist der Antragsteller darauf hin, dass die sofort vollziehbare Aberkennungsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides vom 4.7.2005 gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG lediglich zur Folge hätte, dass der Antragsteller das Recht verlöre, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, während er im Ausland weiterhin Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr führen darf.

Infolge der Rechtswidrigkeit der Abgabeverpflichtung kann auch die daran anknüpfende Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des Bescheides keinen Bestand haben. ..."

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