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Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss vom 05.02.2007 - 6 L 83/07 - Zum In-Kraft-Treten der 3. FS-Richtlinie und zur Ablieferungspflicht des ausländischen Führerscheins bei Anordnung einer Nutzungsuntersagung

VG Düsseldorf v. 05.02.2007: Zum In-Kraft-Treten der 3. FS-Richtlinie und zur Ablieferungspflicht des ausländischen Führerscheins bei Anordnung einer Nutzungsuntersagung




Das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 05.02.2007 - 6 L 83/07) hat entschieden:

  1.  Die 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein - Neufassung) ist seit Januar 2007 in Kraft getreten und ist in noch laufenden Verfahren anzuwenden. Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie wird zum 19.01.2009 in Kraft treten.

  2.  Die Aufforderung, den ausländischen Führerschein abzuliefern und damit der Verfügungsgewalt des Betroffenen zu entziehen, ist insbesondere deshalb rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig ist, um ihr Ziel zu erreichen. Denn der Betroffene verfügt weiterhin über das Recht, den Führerschein außerhalb von Deutschland zu gebrauchen.


Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Der sinngemäße Antrag,

   die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 5. Januar 2007 wiederherzustellen bzw. anzuordnen,

hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat ein Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO unter anderem dann, wenn die Behörde, die den angegriffenen Verwaltungsakt - hier die Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen - erlassen hat, aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes anordnet. Das Gericht kann jedoch auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen. Eine derartige Wiederherstellung kommt dann in Betracht, wenn entweder die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder aus sonstigen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.

Die für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und vom Gericht in eigener Ermessensausübung zu treffende Abwägung des Interesses des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer sofort wirksamen Gefahrenabwehr muss im Hinblick auf das aberkannte Recht, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, zu Ungunsten des Antragstellers ausfallen, weil im gegenwärtigen Verfahrensstadium - nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nur möglichen summarischen Prüfung - zwar offen ist, ob die angefochtene Ordnungsverfügung rechtmäßig oder rechtswidrig ist, aber die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausgeht.

Der Antragsgegner hat Nr. 1 seiner Verfügung auf § 3 Abs. 1 und 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) gestützt, der durch § 46 Abs. 1 und 5 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis- Verordnung - FeV) ergänzt wird. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG hat die Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung der Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV erlischt mit der Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.


Hier ist fraglich, ob diese Maßnahme mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Dies hatte die Kammer und auch das OVG NRW bisher in vergleichbaren Fällen im Eilverfahren offengelassen,

   vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2006 - 16 B 1523/06 -.

Im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 6. April 2006 (Rechtssache I) hat das OVG NRW bereits auf Bedenken hingewiesen, ob in dem Beschluss des EuGH überhaupt der von Art. 8 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie erfasste Fall der Entziehung einer ausländischer Fahrerlaubnis behandelt wird. Außerdem sei die Reichweite dieses Beschlusses fraglich,

   vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2006 - 16 B 1523/06 - und vom 6. Oktober 2006 - 16 B 769/06 -.

Ob aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 28. September 2006 (C-340/05 -, Rechtssache L1) eine andere Beurteilung zu folgen hätte, mag hier offenbleiben.




Denn mittlerweile ist die sog. 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein - Neufassung) in Kraft getreten, die im noch laufenden Widerspruchsverfahren anwendbar ist. Diese Richtlinie hat u.a. auch die Bekämpfung des „Führerscheintourismus" in den Blick genommen und Art. 11 neu eingeführt. Nach dessen Absatz 2, der nach Art. 18 am 19. Januar 2007 in Kraft getreten ist, kann der Mitgliedsstaat des ordentlichen Wohnsitzes vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes auf den Inhaber eines von einem anderes Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen. Art. 7 Abs. 5 der genannten 3. Führerscheinrichtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten unbeschadet des Artikel 2 bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf achten, dass eine Person die Anforderungen des Absatzes 1 des vorliegenden Artikels erfüllt; sie wenden ihre nationalen Vorschriften für die Aufhebung oder den Entzug der Fahrerlaubnis an, wenn feststeht, dass ein Führerschein ausgestellt worden ist, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlagen.

Eine Prüfung der Voraussetzungen durfte der Antragsgegner hier einleiten, wobei Ergebnisse noch nicht vorliegen. Hier könnte der tschechische Führerschein unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 b) Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 (91/439/EWG) erteilt worden sein, wenn der Antragsteller keinen ordentlichen Wohnsitz im ausstellenden Mitgliedsstaat gehabt hat, sondern in Deutschland seinen Wohnsitz hatte. Dafür spricht, dass er in Deutschland gemeldet war. Dies weiter zu prüfen, ist jedoch Aufgabe des Hauptsacheverfahrens, da im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf seinen nur summarischen Charakter weitere Ermittlungen nicht anzustellen sind.

Damit ist unklar, ob der tschechische Führerschein unter Verstoß gegen Art 7 1 b) Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 (91/439/EWG) erteilt worden ist.

Deshalb sind hier die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Ausnutzung der Fahrerlaubnis gegen die öffentlichen Interessen abzuwägen.

Dabei ist in die Abwägung einzustellen, dass nicht festzustellen ist, ob der Antragsteller seinen ordentlichen Wohnsitz i.S. von Art. 12 der 3. Führerscheinrichtlinie während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr in der Tschechischen Republik unterhielt und ob er dort seinen ordentlichen Wohnsitz hatte, wobei auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür, wann von einem ordentlichen Wohnsitz auszugehen ist (z.B. persönliche Bindungen, Ausführung eines Auftrages) zu prüfen sind. Allein die Vorlage eines Mietvertrages reicht dazu nicht aus, weil dieser über die tatsächliche Anwesenheit in Tschechien nichts besagt. Ob allein persönliche Bindungen ausreichend sind, wenn der berufliche Schwerpunkt in Deutschland liegt und der Beruf hier ausgeübt wird, ist fraglich. Die Klärung dieser Rechtsfrage muss der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.


Außerdem ist dem Antragsteller im Jahr 1997 die Fahrerlaubnis entzogen worden, weil er mit 1,41 Promille ein Fahrzeug geführt hatte. Die zweite Entziehung mit 18-monatiger Sperrfrist erfolgte 2004, weil er mit 1,08 Promille ein Fahrzeug geführt hatte. Damit bestehen erhebliche Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers. Vor diesem Hintergrund ist hier nach §§ 11 und 13 FeV zumindest eine verkehrspsychologische Abklärung nötig, ob der Antragsteller wieder fahrgeeignet ist,

   vgl. OVG NRW vom 17. Mai 2006 - 16 B 594/06 -.

Hier hat der Antragsteller ersichtlich den für ihn einfacheren Weg gewählt, eine Fahrerlaubnis in Tschechien zu erwerben und hat damit gezeigt, dass er nicht bereit ist, sich mit seinem Verhalten auseinanderzusetzen.

Es ist zudem in den Blick zu nehmen, dass die Gewährleistung der Freizügigkeit in Europa hier nur in einem Randbereich berührt ist und dass die 3. Führerscheinrichtlinie deutlich zum Ausdruck bringt, dass eine Umgehung der Prüfung, ob ein Bewerber geeignet ist, ein Fahrzeug zu führen, grundsätzlich nicht ermöglicht werden soll. Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie, der zum 19. Januar 2009 in Kraft treten wird, gewährt den Mitgliedstaaten das Recht, es abzulehnen, einen Führerschein auszustellen, wenn der Führerschein bereits in dem anderen Mitgliedstaat entzogen war.

Da eine Abklärung, ob der Antragsteller wieder geeignet ist, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen, bisher nicht vorliegt, kann es im Hinblick auf die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer, an Leib und Leben nicht gefährdet zu werden, nicht verantwortet werden, dem Antragsteller vorläufig das Führen eines Kraftfahrzeuges bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu gestatten. Vor diesem Hintergrund überwiegt das öffentliche Interesse an der vorläufigen Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, die Interessen des Antragstellers.

Im Hinblick auf die in Ziffer 3. der Ordnungsverfügung des Antragsgegners verfügte Pflicht, den Führerschein abzuliefern, ist die Verfügung rechtswidrig.



Die Aufforderung, den ausländischen Führerschein abzuliefern und damit der Verfügungsgewalt des Betroffenen zu entziehen, ist insbesondere deshalb rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig ist, um ihr Ziel zu erreichen. Denn der Betroffene verfügt weiterhin über das Recht, den Führerschein außerhalb von Deutschland zu gebrauchen,

   vgl. Beschluss der Kammer vom 23. Januar 2007 - 6 L 2493/06 - und dazu ausführlich BayVGH, Beschluss vom 6. Oktober 2005 - 11 CS 05.1505 -, juris.

Das OVG NRW hat die demgegenüber weniger in die Rechte des Betroffenen eingreifende Anordnung, den ausländischen Führerschein innerhalb einer bestimmten Frist zur Eintragung der Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, nach § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 2 FeV für rechtmäßig gehalten,

   vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. November 2006 - 16 B 1494/06 -; vgl. zu den Möglichkeiten, die Aberkennung des Rechts auf einer EU-Fahrerlaubnis zu dokumentieren, BayVGH, Beschluss vom 6. Oktober 2005, a.a.O.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner nur eine Eintragung vornehmen wollte, da er in der Ordnungsverfügung ausführte, dass der Antragsteller zur unverzüglichen Ablieferung verpflichtet sei, auch wenn er ein Rechtsmittel einlege.

Vor diesem Hintergrund war insoweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen bzw. anzuordnen. ..."

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