Das Verkehrslexikon

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Die Rechtsprechung des EuGH zur rechtsmissbräuchlichen Berufung auf europäisches Gemeinschaftsrecht

Die Rechtsprechung des EuGH zur rechtsmissbräuchlichen Berufung auf europäisches Gemeinschaftsrecht




Bereits im Urteil vom 09.03.1997 (C-212/97 - Centros Ltd) gibt der EuGH einen Überblick über seine ältere Rechtsprechung zur missbräuchlichen Berufung auf das Gemeinschaftsrecht:

   "Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist ein Mitgliedstaat zwar berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet (vgl. u. a. im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs die Urteile vom 3. Dezember 1974 in der Rechtssache 33/74, Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Randnr. 13; vom 3. Februar 1993 in der Rechtssache C-148/91, Veronica Omroep Organisatie, Slg. 1993, I-487, Randnr. 12; und vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-23/93, TV10, Slg. 1994, I-4795, Randnr. 21; auf dem Gebiet der Niederlassungsfreiheit Urteile vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache 115/78, Knoors, Slg. 1979, 399, Randnr. 25; und vom 3. Oktober 1990 in der Rechtssache C-61/89, Bouchoucha, Slg. 1990, I-3551, Randnr. 14; auf dem Gebiet des freien Warenverkehrs Urteil vom 10. Januar 1985 in der Rechtssache 229/83, Leclerc u. a., Slg. 1985, 1, Randnr. 27; auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Urteil vom 2. Mai 1996 in der Rechtssache C-206/94, Paletta, Slg. 1996, I-2357, Randnr. 24; auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnr. 43; auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik Urteil vom 3. März 1993 in der Rechtssache C-8/92, General Milk Products, Slg. 1993, I-779, Randnr. 21; auf dem Gebiet des Gesellschaftsrecht Urteil vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-367/96, Kefalas u. a., Slg. 1998, I-2843, Randnr. 20).

Zwar können die nationalen Gerichte unter solchen Umständen im Einzelfall das missbräuchliche oder betrügerische Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung stellen, um ihnen gegebenenfalls die Berufung auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht zu verwehren; sie haben jedoch bei der Würdigung eines solchen Verhaltens die Ziele der fraglichen Bestimmungen zu beachten (Urteil Paletta, Randnr. 25)."


Und in seiner Entscheidung vom 12.05.1998 - C-367/96 (Kefalas) hat der EuGH konstatiert:

   “Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (vgl. u. a. im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs die Urteile vom 3. Dezember 1974 in der Rechtssache 33/74, Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Randnr. 13, und vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-23/93, TV10, Slg. 1994, I-4795, Randnr. 21; auf dem Gebiet des freien Warenverkehrs Urteil vom 10. Januar 1985 in der Rechtssache 229/83, Leclerc u. a., Slg. 1985, 1, Randnr. 27; auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnr. 43; auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik Urteil vom 3. März 1993 in der Rechtssache C-8/92, General Milk Products, Slg. 1993, I-779, Randnr. 21; auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Urteil vom 2. Mai 1996 in der Rechtssache C-206/94, Paletta, Slg. 1996, I-2357, Randnr. 24). Es kann daher nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen werden, dass nationale Gerichte eine innerstaatliche Rechtsvorschrift ... anwenden, um zu beurteilen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt wird.

Zwar kann der Gerichtshof nicht seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der nationalen Gerichte setzen, die für die Feststellung des Sachverhalts der Rechtssache, mit der sie befaßt sind, allein zuständig sind; jedoch ist daran zu erinnern, dass die Anwendung einer solchen nationalen Rechtsvorschrift nicht die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigen darf (vgl. Urteil Pafitis u. a., Randnr. 68). Insbesondere können die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechtes nicht die Tragweite dieser Bestimmung verändern oder die mit ihr verfolgten Zwecke vereiteln."




Auch das Verwaltungsgericht Münster (Beschl. v. 26.06.2006 - 10 L 361/06) verweist auf eine Reihe von EuGH-Entscheidungen zum Missbrauchsproblem:

   "Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Mitgliedstaat durchaus berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch das Gemeinschaftsrecht geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen. Die missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht ist nämlich auch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht gestattet.

   Vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH: für den Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs Urt. vom 3. Dezember 1974 - Rs. 33/74 (Van Binsbergen) -, EuGHE 1974, 1299 (Rn. 13); Urt. vom 3. Februar 1993 - Rs. C-148/91 (Veronica Omroep Organisatie) -, EuGHE 1993, I-487 (Rn. 12); Urt. vom 5. Oktober 1994 - Rs. C-23/93 (TV10) - EuGHE 1994, I-4795 (Rn. 21); auf dem Gebiet der Niederlassungsfreiheit Urt. vom 7. Februar 1979 - Rs. 115/78 (Knoors) -, EuGHE 1979, 399 (Rn. 25); Urt. vom 3. Oktober 1990 - Rs. C-61/89 (Bouchoucha) -, EuGHE 1990, I-3551 (Rn. 14); Urt. vom 9. März 1999 - Rs. C- 212/97 (Centros Ltd.) - EuGHE 1999, I-1459 (Rn. 24) m.w.N. auch für die Gebiete des freien Warenverkehrs, der sozialen Sicherheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

Danach können die nationalen Gerichte im Einzelfall das missbräuchliche Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung stellen, um ihnen gegebenenfalls die Berufung auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht zu verwehren; sie haben jedoch bei der Würdigung eines solchen Verhaltens die Ziele der fraglichen Bestimmungen zu beachten.

   EuGH, Urt. vom 2. Mai 1996 - Rs. C-206/94 (Paletta) -, EuGH 1996, I-2357 (Rn. 24).

Die Feststellung eines Missbrauchs setzt danach voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde.

   EuGH, Urt. vom 21. Februar 2006 - Rs. C-255/02 (Halifax plc) -, zit nach curia.eu.int (Rn. 74); vgl. zum Missbrauchsverbot auch Otte/Kühner, NZV 2004, 321 (327)."




Im Urteil vom 21.02.2006 - C-255/02 (Halifax plc) - hat der EuGH nochmals bekräftigt:

   “Ungeachtet dieser Feststellung ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist (vgl. u. a. Urteile vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C‑367/96, Kefalas u. a., Slg. 1998, I‑2843, Randnr. 20, vom 23. März 2000 in der Rechtssache C‑373/97, Diamantis, Slg. 2000, I‑1705, Randnr. 33, und vom 3. März 2005 in der Rechtssache C‑32/03, Fini H, Slg. 2005, I‑1599, Randnr. 32).

Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts kann nämlich nicht so weit gehen, dass die missbräuchlichen Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden, d. h. diejenigen Umsätze, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 11. Oktober 1977 in der Rechtssache 125/76, Cremer, Slg. 1977, 1593, Randnr. 21, vom 3. März 1993 in der Rechtssache C‑8/92, General Milk Products, Slg. 1993, I‑779, Randnr. 21, und Emsland-Stärke, Randnr. 51).”

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