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VGH Mannheim Beschluss vom 10.05.2004 -10 S 427/04 - Keine Bevorzugung des Passivrauchens von Cannabis

VGH Mannheim v. 10.05.2004: Keine Bevorzugung des Passivrauchens von Cannabis




Der VGH Mannheim (Beschluss vom 10.05.2004 -10 S 427/04) hat entschieden.

   Eine für den Fahrerlaubnisinhaber günstigere Bewertung des sog. Passivrauchens von Cannabis gegenüber dem aktiven Eigenkonsum im Hinblick auf die Voraussetzungen der Fahrungeeignetheit nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist nicht gerechtfertigt, wenn sich der Betreffende vor der Autofahrt längere Zeit bewusst in einem Raum mit stark cannabishaltigem Rauch aufgehalten hat.

Siehe auch
Unbewusster Drogenkonsum - Passivkonsum - Passivrauchen - Konsum ohne Wissen oder Bewusstsein
und
Stichwörter zum Thema Drogen

Zum Sachverhalt:


Dem Ast. war die Fahrerlaubnis unter Hinweis auf Cannabiskonsum entzogen worden, das VG hatte die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestätigt. Hiergegen wandte sich der Ast. im summarischen Verfahren. Seine Beschwerde erwies sich als nicht begründet.




Aus den Entscheidungsgründen:


Auch im Hinblick auf das Vorbringen in der Beschwerdebegründung ist nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage von der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung auszugehen. Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Ast. zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet und somit ernstlich zu befürchten ist, er werde bereits vor einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden. Damit überwiegt aber das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verfügung.

Zwar wird in der Antragsbegründung geltend gemacht, der Ast. sei entgegen § 28 LVwVfG vor Erlass der Entziehungsverfügung nicht angehört worden. Dieses Vorbringen führt aber nicht zum Erfolg der Beschwerde. (Wird ausgeführt).

Nach § 3 I 1 und § 6 I Nr. 1 Buchst. c StVG sowie § 46 I FeV i. V. m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist derjenige regelmäßig zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, der gelegentlich Cannabis konsumiert und nicht zwischen Konsum und Fahren trennt. Der Senat geht davon aus, dass diese Voraussetzungen hinsichtlich des Ast. erfüllt sind und diesem – auch wegen des Fehlens atypischer Umstände – die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt.




Im Schriftsatz vom 14. 4. 2004 hat der Ast. ausdrücklich eingeräumt, zumindest vor dem 6. 4. 2003 Cannabis gelegentlich aktiv konsumiert zu haben. Das Zusatzelement des fehlenden Trennungsvermögens zwischen Cannabiskonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs i. S. v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist durch die Fahrt vom 6. 4. 2003 unter akuter Beeinflussung von THC belegt. Es ist allgemein anerkannt, dass der akute, durch den Nachweis der psychoaktiven Substanz THC im Serum belegte Genuss von Cannabis Beeinträchtigungen der für die Fahreignung wichtigen Faktoren, wie Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie Psychomotorik, hervorruft und zu Leistungseinschränkungen im Bereich der Koordination, der Fähigkeit, seltene Signale bei einer ereignisarmen oder langweiligen Aufgabe zu entdecken und zu beantworten, und des Vorgangs des Auffassens und des Erkennens eines Gegenstandes führt (vgl. zu den Leistungseinschränkungen Berghaus/Schulz/Szegedi, in: Berghaus/Krüger, Cannabis im Straßenverkehr, S. 73–96; Geschwinde, Rauschdrogen, Rdnr. 111 ff.; Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr e. V., www.bads.de). Hinsichtlich der Konzentration der psychoaktiven Substanz THC im Serum eines Fahrzeugführers, ab der die Fahrtüchtigkeit des Betreffenden beeinträchtigt sein kann, kann auf die Aussagen in dem vom Bundesverfassungsgericht im Verfahren 1 BvR 2062/96 eingeholten Gutachten von Prof. Dr. K. vom 15. 8. 2001 verwiesen werden.

Hier wird unter Auswertung von mehreren wissenschaftlichen Studien ausgeführt, dass bei THC-Konzentrationen unter 2 ng/ml keine Risikoerhöhung erfolgt, während bei höheren Konzentrationen eine Risikoerhöhung eintritt (vgl. auch Berghaus/ Schulz/Szegedi, in: Berghaus/Krüger, Cannabis im Straßenverkehr, S. 87). Im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 24 a II StVG) wird darüber hinaus davon ausgegangen, dass bereits bei THC-Konzentration von 1,0 ng/ml ein zeitnaher Cannabiskonsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gegeben ist (vgl. Beschluss der Grenzwertkommission zu § 24 a II StVG vom 20. 11. 2002 zu den in der Anlage zu § 24 a II StVG genannten Substanzen; Weitbrecht, Blutalkohol 2003, 130, 135). Die im Gutachten von der Universität Heidelberg vom 17. 4. 2003 festgestellte THC-Konzentration von 5 ng/ml im Serum des Ast. liegt wesentlich höher als der Wert für THC im Serum, ab dem eine Beeinträchtigung der fahreignungsrelevanten Eigenschaften des Konsumenten anzunehmen ist.

Bereits gegenüber dem Landratsamt und auch gegenüber dem Verwaltungsgericht hat der Ast. geltend gemacht, am 6. 4. 2003 Cannabis nicht aktiv ("mit Wissen und Wollen") konsumiert zu haben und sich die Ergebnisse der Serumuntersuchung hinsichtlich der psychoaktiv wirkenden Substanz THC und ihrer Metaboliten nur durch passives Mitrauchen („ohne sein Wissen und Wollen") erklären zu können. Im Hinblick auf diesen Vortrag des Ast. hat der Senat eine gutachtliche Stellungnahme zu den Fragen eingeholt, ob die Darstellung des Ast., die Werte für THC von 5 ng/ml bzw. THC-COOH von 34 ng/ml seien auf bloßes passives Mitrauchen zurückzuführen, aus wissenschaftlicher Sicht zutreffen kann bzw. ob bei einem zeitlichen Abstand von ca. 30 Minuten zwischen einer lediglich passiven Aufnahme des Cannabis über die Lunge und der Blutprobe ein Nachweis von THC im Blut ausgeschlossen ist, so dass ein positiver Befund von THC im Blut in keinem Fall mit einem bloßen passiven Mitrauchen erklärt werden kann.

Der Gutachter ist in seiner schlüssig begründeten und nachvollziehbaren sowie vom Ast. inhaltlich nicht angegriffenen Stellungnahme vom 24. 3. 2004 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Darstellung des Ast., die Werte für THC und TCH-C00H seien auf bloßes Mitrauchen zurückzuführen, aus wissenschaftlicher Sicht nicht nachzuvollziehen sei, insbesondere nicht bei einem zeitlichen Abstand von ca. 30 Minuten oder wenig mehr zwischen der Blutprobe und lediglich passiver Aufnahme von Cannabis über die Lunge. Diese Stellungnahme beruht in tatsächlicher Hinsicht auf bestimmten Annahmen, wie z. B. hinsichtlich der Körpergröße und des Körpergewichts des Ast., hinsichtlich des zeitlichen Abstands zwischen dem Cannabiskonsum und der Autofahrt bzw. der Probenentnahme und insbesondere hinsichtlich der Räumlichkeiten, in denen der Ast. Cannabis lediglich passiv geraucht haben will (großräumige und belüftete Hallen bei Musikveranstaltungen mit vergleichsweise sehr geringer Cannabinoidkonzentration gegenüber den kleinen Räumen, die bei den der Stellungnahme zu Grunde gelegten Studien genutzt wurden). Im Hinblick auf diese tatsächlichen Annahmen des Gutachters hat der Ast. im Schriftsatz vom 14. 4. 2004 Einwendungen erhoben und insbesondere geltend gemacht, die lediglich passive Aufnahme von Cannabis sei während seines ca. zweistündigen Aufenthalts in einem mit dicken Cannabis-Nebelschwaden durchzogenen kleinen und umschlossenen Nebenraum („chill-out-Raum") im Zeitraum von 3.45 bis 5.45 Uhr erfolgt.


Im Hinblick auf dieses Vorbringen des Ast. bedarf es aber nicht der Einholung einer ergänzenden und mit weiteren Kosten verbundenen Stellungnahme des Gutachters. Denn das für die Annahme der Fahrungeeignetheit des Ast. erforderliche unzureichende Trennungsvermögen ist auch dann belegt, wenn die Sachverhaltsdarstellung des Ast. im Schriftsatz vom 14. 4. 2004 und der anliegenden eidesstattlichen Versicherung zutreffen sollte.

Die rechtliche Erwägung, das bloße Passivrauchen von Cannabis sei im Hinblick auf das Zusatzelement des unzureichenden Trennungsvermögens anders zu bewerten als der aktive Konsum dieses Betäubungsmittels, beruht auf der Überlegung, dass bei einem lediglich passiven Cannabiskonsum dieser dem Betroffenen weniger angelastet werden kann, weil er sich der oralen oder inhalativen Aufnahme der psychoaktiv wirkenden Substanz Tetrahydrocannabinol unter Umständen nicht bewusst war: Diesem Fahrerlaubnisinhaber kann nicht ohne weiteres vorgehalten werden, er sei in charakterlich-sittlicher Hinsicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr ungeeignet, weil er in Kenntnis des Cannabiskonsums und der dadurch bedingten Möglichkeit der Beeinträchtigung seiner fahreignungsrelevanten Eigenschaften und der erheblichen Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt und damit das vorrangige öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs den eigenen Interessen untergeordnet habe (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 20. 6. 2002 — 1 BvR 2062/96 , Rn. 49, NJW 2002, 2378).

Diese Besserstellung ist im Fall des Ast. im Hinblick auf seine Darstellung der Aufnahme von Cannabis am 6. 4. 2003 aber nicht gerechtfertigt. Denn wird die Schilderung des Ast. zu Grunde gelegt, war sich der Ast. der erheblichen inhalativen Aufnahme von Cannabis durchaus bewusst.

Nach eigener Darstellung hat er sich immerhin zwei Stunden (ca. 3.45 bis 5.45 Uhr) in einem kleinen, umschlossenen und dunklen Nebenraum der Techno-Veranstaltung („chill-out-Raum") aufgehalten, in, dem ca. 100 Personen über die ganze Zeit hinweg in erheblichem Umfang Cannabis konsumiert haben. Viele der Konsumenten hätten dicht um ihn herum gesessen und aktiv Cannabis konsumiert, der „chill-out-Raum” sei von dicken Cannabis-Nebelschwaden durchzogen gewesen.

Ein Fahrerlaubnisinhaber, der wie der Ast., nicht erstmals mit Cannabis in Berührung kommt, sondern zumindest gelegentlicher Konsument dieses Betäubungsmittels ist, muss sich aber darüber im Klaren sein, dass er sich durch einen zweistündigen Aufenthalt in einer sehr stark cannabishaltigen Atmosphäre allein durch das Einatmen der mit Cannabis durchsetzten Luft eine erhebliche Menge von Cannabinoiden zugeführt hat. Auch ein Fahrerlaubnisinhaber, der in solcher Kenntnis der erheblichen inhalativen Aufnahme von Cannabinoiden durch den Aufenthalt in einer stark cannabishaltigen Atmosphäre ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt und damit den öffentlichen Straßenverkehr gefährdet, ist wegen seiner unzureichenden Trennungsbereitschaft fahrungeeignet.



Hat der Betreffende einen gelegentlichen Cannabiskonsum bestätigt und ist auch das unzureichende Trennungsvermögen i. S. v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung belegt, so bedarf es auch nicht der Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 I 4 FeV, vielmehr ist die unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlich geboten (vgl. Senatsbeschl. v. 7. 3. 2003 — 10 S 323/03 —, DAR 2003, 236). Da die beiden Elemente i. S. v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung nachgewiesen sind, kommt es auf den vom Ast. zu Recht geltend gemachten Umstand nicht an, das Verwaltungsgericht sei fälschlicherweise von einer THC-COOH Konzentration von 340 ng/ml ausgegangen und habe ihm zu Unrecht einen regelmäßigen Cannabiskonsum (Nr. 9.2.1 der Anlage 4) unterstellt.

Schließlich führt die Behauptung des Ast., nach dem Ereignis vom 6. 4. 2003 Cannabis nicht mehr konsumiert zu haben, nicht zum Erfolg der Beschwerde. Denn nach der Rechtsprechung des Senats ist die Fahreignung nur dann wieder erlangt, wenn der Betreffende ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten hinsichtlich seines Trennungsvermögens vorgelegt oder den Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz erbracht hat.

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