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OLG Köln Beschluss vom 30.06.2005 - 8 Ss-OWi 103/05 - Zur Feststellung der Schuldform - Fahrlässigkeit oder Vorsatz - bei Drogenkonsum

OLG Köln v. 30.06.2005: Zur Feststellung der Schuldform - Fahrlässigkeit ordre Vorsatz - bei Drogenkonsum




Das OLG Köln (Beschluss vom 30.06.2005 - 8 Ss-OWi 103/05) hat entschieden:

   Eine „Wirkung” im Sinne des § 24 a Abs. 2 S. 1 StVG kann nur angenommen werden, wenn die betreffende Substanz in einer Konzentration nachweisbar ist, die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lässt (Anschluss an BVerfG NJW 2005, 349 f.).

Siehe auch
Rauschfahrt - drogenbedingte Fahruntüchtigkeit
und
Stichwörter zum Thema Drogen

Zum Sachverhalt:


Das AG hat den Betr. wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die rügt, das AG habe rechtsfehlerhaft von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen, führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Auch im Bußgeldverfahren muss der Tatrichter seine Überzeugungsbildung im Urteil so ausführlich darlegen, dass das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt wird, das Urteil daraufhin zu überprüfen, ob er sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen gehalten hat und die tatsächliche Beurteilung auf rechtlich zutreffenden Erwägungen beruht (SenE v 19. 4. 1994 - Ss 132/94 B -; SenE v 10. 6. 1997 - Ss 303/97 -; SenE v. 5. 4. 2001 - Ss 95/01 B -, OLG Zweibrücken DAR 2002, 182; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 71 Rdn. 43). Er muss bei seiner Überzeugungsbildung alles verwerten, was Gegenstand der Hauptverhandlung war (BGH NStZ 1992, 49 a. E.), namentlich die Einlassung des Betr., die eingehend zu würdigen ist (OLG Zweibrücken a.a.O.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 267 Rdn. 12 m. w. N..; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. Aufl., Rdnr 408 m.w.N.). Schlussfolgerungen des Tatrichters halten einer rechtlichen Überprüfung nur stand, wenn das Urteil bedenkenfrei ergibt, dass er bei seiner Prüfung keinen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen (SenE. v. 19. 4. 1994 - Ss 132/94 B -; SenE v. 27. 5. 1994 - Ss 171/94 B = NVwZ-RR 1995, 386 = NuR 1994, 463; SenE v. 19. 6. 2002 - Ss 092/02 B -).

Stützt das Gericht seine Überzeugung auf das Gutachten eines Sachverständigen, so sind die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen mitzuteilen (Senatsentscheidungen vom 1. 12. 1989 - Ss 606/89 (Z); SenE v. 4. 12. 1998 - Ss 571/98 (B) -; SenE v. 5. 1. 1999 - Ss 599/98 B -; SenE v. 18. 6.2002 - Ss 246/02 B ).

Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das AG hat zum Schuldvorwurf folgende Feststellungen getroffen:

   „Am 10. 1. 2004 gegen 23.55 Uhr fuhr der Betr. mit einem Pkw in Köln auf öffentlichen Straßen, obwohl er zuvor das berauschende Mittel Cannabis konsumiert hatte. Der Betr. räumt dies ein. Im Übrigen ergibt sich die Tat aus dem rechtsmedizinischen Gutachten vom 29. 1. 2004, wonach der Betr. zum Vorfallszeitpunkt unter der Wirkung von Cannabis stand. Er hat sich mithin gem. § 24a Abs. 2 und 3 StVG ordnungswidrig verhalten.”xxx


Das objektive Tatbestandsmerkmal des § 24 a Abs. 2 StVG „unter der Wirkung” erfordert keine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit. Es ist vielmehr dann gegeben, wenn eine der Substanzen der Anlage 2 im Blut nachgewiesen ist (BayObLG NZV 2004, 267, 268; OLG Saarbrücken VRS 102,120; Janiszewski/Jagow/Burmann StVR, 18. Aufl. § 24 a StVG Rdn. 5; Hentschel StrVR 38. Aufl. § 24 a StVG Rdn. 21, 24 m.w.N.).

Auch nach der jüngsten Rspr. des BVerfG (NJW 2005, 349 = DAR 2005, 70) bestehen zwar gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 24a Abs. 2 StVG keine Bedenken. StVG § 24a Abs. 2 S 1 u 2 diene als abstraktes Gefährdungsdelikt der Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr und damit dem Schutz wichtiger Rechtsgüter wie insbesondere dem Leben, der Gesundheit und dem Eigentum der Verkehrsteilnehmer. Im Hinblick auf das Fehlen einer mit der erforderlichen naturwissenschaftlichen Genauigkeit zu ziehenden Grenze zwischen ungefährlichen und gefährlichen Wirkstoffmengen stünden dem Gesetzgeber derzeit exaktere und damit mildere Wege der Tatbestandsfixierung nicht zur Verfügung. Die Erforderlichkeit des Eingriffs könne deshalb nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden (vgl. BVerfG, BVerfGE 90, 145). Weiter hat das BVerfG aber ausgeführt:

   „Infolge des technischen Fortschritts hat sich inzwischen die Nachweisdauer für das Vorhandensein von THC wesentlich erhöht. Spuren der Substanz lassen sich nunmehr über mehrere Tage, unter Umständen sogar Wochen nachweisen. Für Cannabis trifft daher die Annahme des Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und Nachweiszeit nicht mehr zu. Mit Rücksicht darauf kann nicht mehr jeder Nachweis von THC im Blut eines Verkehrsteilnehmers für eine Verurteilung nach StVG § 24a Abs 2 ausreichen. Festgestellt werden muss eine Konzentration, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Das wird in der Wissenschaft zum Teil erst bei Konzentrationen von über 1 ng/ml angenommen (vgl. Stellungnahmen von Berghaus, BA 2002, S. 321 <328 f.>, und Krüger, BA 2002, S. 336 (344 ff) in BVerfG, NJW 2002, 2378). [Zu den in der Rspr. zugrunde gelegten Grenzwerten vgl. BayObLG, NJW 2003, 1681; VG München, 26. 5. 2004, M 6a S 04.2632; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2003, 899 <900>; VGH Mannheim VRS 107, 234 <236>; OVG Koblenz, DAR 2004, 413).]. Prüfen die Fachgerichte - wie vorliegend - nicht, ob die Annahme des Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und Nachweiszeit für Rauschmittel der hier in Rede stehenden Art weiterhin zutrifft, sondern stellen sie bei Auslegung und Anwendung des StVG § 24a Abs 2 allein darauf ab, dass im Blut des Beschwerdeführers THC im Spurenbereich von weniger als 0,5 ng/ml festgestellt worden war, so ist die hierauf ergehende Entscheidung mit dem Grundrecht aus GG Art. 2 Abs. 1 nicht vereinbar."

Eine verfassungskonforme Anwendung erfordert daher, dass eine Wirkung i. S. d. § 24 a Abs. 2 S. 1 StVG nur angenommen werden kann, wenn die betreffende Substanz in einer Konzentration nachweisbar ist, die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lässt und damit die in § 24 a Abs. 2 S. 2 StVG aufgestellte gesetzliche Vermutung rechtfertigt (BVerfG NJW 2005, 349; zum Ganzen Schreiber NJW 2005, 1026). Dies ist dann der Fall, wenn zumindest der in der Empfehlung der Grenzwertkommission vom 20. 11. 2002 (BA 2005, 160) empfohlene Nachweisgrenzwert erreicht ist, der für THC (Cannabis) derzeit bei 1 ng/ml liegt (vgl. OLG Zweibrücken, DAR 2005, 408 = NJW 2005, 2168; Hentschel NJW 2005, 641, 646).



Den danach zu stellenden Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, da sie keinerlei Ausführungen zu den konkreten Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des zum Beleg angeführten rechtsmedizinischen Gutachtens enthält, insbesondere auch nicht, welche Konzentration von THC im Blut des Betr. festgestellt worden ist, obwohl dies für die Frage, ob § 24a Abs. 2 StVG überhaupt Anwendung findet, von Bedeutung sein kann. Dass der Betr. den Vorwurf eingeräumt hat - was sich ohnehin nicht auf die Konzentration beziehen kann -, entbindet das Tatgericht nicht von der Notwendigkeit dieser Darlegungen, zumal auch der nähere Inhalt dessen nicht mitgeteilt wird, was der Betr. eingeräumt hat. Dem Senat ist daher auch nicht zugänglich, warum das AG lediglich von fahrlässigem Handeln ausgegangen ist. ..."

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