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Amtsgericht Saalfeld Urteil vom 15.02.2005 - 635 Js 31395/04 - 2 Ds jug - Keine Entziehung der Fahrerlaubnis bei Trunkenheitsfahrt in der Nacht auf einemn öffentllichen Parkplatz

AG Saalfeld v. 15.02.2005: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis bei Trunkenheitsfahrt in der Nacht auf einemn öffentllichen Parkplatz


Das Amtsgericht Saalfeld (Urteil vom 15.02.2005 - 635 Js 31395/04 - 2 Ds jug) hat entschieden:
Auch beim Vorliegen einer Indiztat i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann kein Regelfall angenommen werden, der die Entziehung der Fahrerlaubnis (hier: für Leicht- und Kleinkrafträder) gebietet, wenn die in Rede stehende Trunkenheitsfahrt mit einem Pkw ohne Fahrerlaubnis zu nachtschlafender Zeit und innerhalb eines öffentlichen Parkplatzes stattfand und der Täter - als Jugendlicher - das Kraftfahrzeug nur ein kurzes Stück mit geringer Geschwindigkeit bewegt hat.


Siehe auch Entziehung der Fahrerlaubnis - Führerscheinentzug


Zum Sachverhalt: Der zur Tatzeit 18-jährige Angeklagte trank am Abend des 27.09.2004 in der Zeit von 20.00 bis 23.00 Uhr bei einer Feier in der Wohnung eines Freundes in U soviel Bier und Schnaps, daß er eine Alkoholmenge im Blut hatte, die ausweislich der ihm am 28.09.2004 um 01.10 Uhr entnommenen Blutprobe zu einem sicher erreichten Wert der Blutalkoholkonzentration von 1,5 %o führte. Gemeinsam mit seinem Freund F S brach der Angeklagte gegen 24.00 Uhr von dort auf, um zu Fuß den Heimweg anzutreten. Dabei kamen die jungen Leute an dem Kundenparkplatz des Verbrauchermarkts „K“ in U vorbei, auf dem der Zeuge F S am Vortag seinen Personenkraftwagen BMW abgestellt hatte. Der alkoholisierte Angeklagte, der wußte, daß er nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war, jedoch aufgrund eines spontanen Entschlusses infolge alkoholbedingter Enthemmung seine Fahrkünste erproben wollte, überredete daraufhin seinen Freund, ihm den Personenkraftwagen zu überlassen, um damit auf dem menschenleeren Parkplatz „eine Runde zu drehen“. Obwohl der Angeklagte es als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, daß er infolge der Alkoholeinwirkung verkehrsunsicher war, setzte er sich in diesem Zustand gegen 00.20 Uhr hinter das Steuer des Personenkraftwagens, während sein Freund F S auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Der Angeklagte ließ den Motor an und fuhr los. Dabei wurde er von zwei Polizeibeamten aus ihrem Funkstreifenwagen beobachtet, die sich spontan entschlossen, das Fahrzeug und dessen Insassen zu kontrollieren. Als der Angeklagte, der das Fahrzeug auf dem Parkplatz vor dem Selbstbedienungsmarkt nur ein kurzes Stück bewegt hatte, das Polizeifahrzeug bemerkte, hielt er sofort an, stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen aus. Da die Polizeibeamten bei der anschließend durchgeführten Kontrolle starken Alkoholgeruch in der Atemluft des Angeklagten wahrnahmen und ein Atemalkoholtest ergab, daß eine Alkoholisierung deutlich über dem Gefahrengrenzwert vorlag, veranlaßten sie die Entnahme einer Blutprobe.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Antrag der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen und seinen Führerschein einzubehalten, war angesichts der ungewöhnlichen Begleitumstände des Tatgeschehens und der offen zutage liegenden Gesichtspunkte mit Ausnahmecharakter abzulehnen.

Zwar liegt eine Indiztat nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor. Auch wenn die begangene Tat unter § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB fällt, kann jedoch in Ausnahmefällen von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden, weil die Indizwirkung der Regelbeispiele bei ausgesprochenen Bagatelltaten entfällt (vgl. LK-Geppert, StGB, 11. Aufl., § 69 Rn. 89; S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 69 Rn. 42).

Nur solche Taten sollen unter die Regel des § 69 Abs. 2 StGB fallen, die ohne weiteres auf ein gefährliches Maß an Versagen und Verantwortungslosigkeit des Täters im Straßenverkehr schließen lassen. Die Indizwirkung einer in § 69 Abs. 2 StGB genannten Tat entfällt indes, wenn sie im Einzelfall diesem Bewertungsmaßstab nicht entspricht (vgl. OLG Stuttgart, NStE Nr. 3 zu § 69 StGB). Ein solcher Ausnahmefall, der die Anordnung der Maßregel entbehrlich macht, ist gegeben, wenn besondere Umstände vorliegen, die den an sich formell zur Entziehung der Fahrerlaubnis ausreichenden und seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß doch noch in einem günstigeren Licht erscheinen lassen als den Regelfall (vgl. OLG Düsseldorf, NStE Nr. 12 zu § 69 StGB).

Um eine solche Bagatelltat handelt es sich vorliegend. Der Angeklagte hat in fahruntüchtigem Zustand den Personenkraftwagen seines Freundes auf dem verkehrsentleerten Kundenparkplatz eines Einkaufsmarktes lediglich ein kurzes Stück mit naturgemäß geringer Geschwindigkeit geführt. Dieses Geschehen liegt so weit außer- und unterhalb der vom Gesetzgeber als typisch und indiziell angesehenen Begehungsweisen des Straftatbestandes des § 316 StGB, daß es nicht mehr als Regelfall eingestuft werden kann. Dies gilt um so mehr, als die Tat zu nachtschlafender Zeit und abseits vom fließenden Straßenverkehr begangen worden ist. Die Indizwirkung der Regelbeispiele kann entfallen, wenn im Einzelfall wegen Vorliegens besonderer Umstände das Gewicht der Tat und die den Täter treffende Schuld den Verstoß des Angeklagten als eine gegenüber dem Regelfall vergleichsweise harmlose Bagatelltat erscheinen lassen, für die die Anwendung der Regelahndung unangemessen erscheint (vgl. LG Gera, StraFo 1999, 388, 389). Umstände, die geeignet sein könnten, der Tat gleichwohl den Bagatellcharakter zu nehmen, sind nicht ersichtlich. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte, der bislang verkehrsstrafrechtlich noch nicht aufgefallen ist, zum Fahren unter Alkoholeinfluß neigt und sich dergleichen zukünftig wiederholen könnte. In bezug auf die Entziehung der Fahrerlaubnis ist vielmehr bei Jugendlichen und Heranwachsenden besondere Zurückhaltung des Tatrichters angezeigt (vgl. AG Saalfeld, DAR 1994, 77, 78). Aus dem Wesen des Jugendstrafrechts folgt die Notwendigkeit einer besonders sorgfältigen, jugendgerechten und einzelfallorientierten Prüfung der Erforderlichkeit der Regelentziehung (vgl. OLG Zweibrücken, NStE Nr. 4 zu § 105 JGG; AG Saalfeld, VRS 101, 194, 196). Bevor der Tatrichter diese - insbesondere mit der Problematik langfristiger Dauer verbundene - Maßregel verhängt, muß er in Anbetracht des jugendspezifisch geltenden Verhältnismäßigkeitsprinzips prüfen, ob nicht ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB hinreicht (vgl. Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., S. 147). Im einzelnen ist dabei zu beachten, daß die enorme Gefahr der „Sogwirkung“ in Gestalt von Folgekriminalität wie Fahren ohne Fahrerlaubnis und Unfallflucht heraufbeschworen wird, da der jugendliche Fahrreiz durch das Verbotensein noch verstärkt wird, was im Widerspruch zu Bemühungen um Vermeidung von Folgedelikten steht (vgl. hierzu Ostendorf, JGG, 6. Aufl., § 7 Rn. 15). Dem ist zweifellos nicht beizukommen mit einer besonders repressiven Praxis im Bereich der Entziehung der Fahrerlaubnis. Außerdem ist bei der Anwendung des Jugendstrafrechts mit Rücksicht auf die sich wandelnden besonderen Bedürfnisse Jugendlicher sowie auf die Vielfalt der möglichen Maßnahmen der Erziehungsgedanke vor allen anderen Erwägungen zu berücksichtigen, was der Wortlaut des § 7 JGG („können ... angeordnet werden“) bereits nahelegt (vgl. LG Oldenburg, NStE Nr. 1 zu § 7 JGG). Die Abwägung der Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner bisherigen Lebensführung und seines bisherigen Verhaltens im Straßenverkehr rechtfertigt hier den Schluß, daß es sich bei der Indiztat um eine einmalige, durch besondere Umstände bedingte Entgleisung handelte, deren Wiederholung nicht wahrscheinlich ist. Das Gericht hat in der Hauptverhandlung den Eindruck gewonnen, daß der Angeklagte bereits durch die Sicherstellung des Führerscheins, durch die ihm ein fühlbarer „Denkzettel“ erteilt und ein Gefühl dafür vermittelt worden ist, was es bedeutet, vorübergehend ohne Führerschein zu sein, derart nachhaltig beeindruckt worden ist, daß weitere Verstöße nicht zu erwarten sind. Die Abwägung der berechtigten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und der charakterlichen Eigenheiten des Angeklagten, wie sie in der Tat zutage getreten sind, ergibt hier demzufolge, daß die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht geboten ist, weil der von dem Angeklagten begangenen Tat eine Indizwirkung für den Eignungsmangel im vorliegenden Fall nicht zukommt.

Das Gericht hielt vielmehr als Ahndung ein mittlerweile durch Anrechnung der Sicherstellung des Führerscheins gemäß § 51 Abs. 5 StGB bereits verbüßtes Fahrverbot, welches spezialpräventiv als Warnungs- und Besinnungsstrafe für nachlässige, leichtsinnige oder sonst pflichtvergessene Kraftfahrer gedacht ist (vgl. LK-Geppert, StGB, 11. Aufl., § 44 Rn. 2; S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 44 Rn. 1), für ausreichend, den mit der Maßregel des § 69 StGB verfolgten Zweck zu erreichen, weil der Angeklagte zwar seine Verkehrspflichten in vorwerfbarer Weise verletzt, sich aber noch nicht als verkehrsuntauglich erwiesen hat. Ein solches Fahrverbot ist in der Regel anzuordnen, wenn - wie hier - in einem Falle des § 316 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis unterbleibt (§ 44 Abs. 1 Satz 2 StGB). Gesichtspunkte, auch insoweit einen Regelfall zu verneinen, sind nicht ersichtlich. Die Verhängung eines Fahrverbots ist vielmehr zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich. Ihm soll dadurch nachhaltig zum Bewußtsein gebracht werden, daß er in fahruntüchtigem Zustand im öffentlichen Verkehr kein Kraftfahrzeug führen darf. Ferner dient das verhängte Fahrverbot dazu, den Angeklagten nochmals eindringlich darauf hinzuweisen, daß er bei nochmaligem einschlägigem Fehlverhalten seine Fahrerlaubnis aufs Spiel setzt. Angesichts des Umstands, daß der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat, erscheint die Tat im obersten Bereich des durch Fahrverbot Sanktionswürdigen angesiedelt, weshalb das Gericht trotz der fehlenden Vorbelastung und der günstigen Persönlichkeitswertung die gesetzliche Höchstdauer des Fahrverbots von drei Monaten für erforderlich erachtete.

Nach § 51 Abs. 5 StGB gilt das Fahrverbot wegen seiner Anrechnung auf die Dauer der Sicherstellung des Führerscheins als vollstreckt. Für die überschießende Dauer der Sicherstellung des Führerscheins kommt eine Entschädigung des Angeklagten aus der Staatskasse gemäß § 2 StrEG nicht in Betracht. Eine Entschädigung ist nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen, weil der Angeklagte durch das Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand die Sicherstellung seines Führerscheins grob fahrlässig verursacht hat. ..."



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