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Landgericht Gera Urteil vom 05.07.1999 - 650 Js 15513/98-Ns - Keine Entziehung der Fahrerlaubnis bei kurzer Fahrstrecke und geringer Geschwindigkeit

LG Gera v. 05.07.1999: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis bei kurzer Fahrstrecke und geringer Geschwindigkeit


Das Landgericht Gera (Urteil vom 05.07.1999 - 650 Js 15513/98-Ns) hat entschieden:
  1. Auch wenn die vom Angeklagten begangene Tat unter § 69 Abs. 2 Nr.4 StGB fällt, kann in Ausnahmefällen von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden.

  2. Zu solchen Ausnahmefällen, die die Anordnung der Massregel entbehrlich machen können, gehören vor allem folgenlos gebliebene Trunkenheitsfahrten, bei denen der volltrunkene Fahrer sein Fahrzeug mit geringer Geschwindigkeit nur ein kurzes Stück, bewegt.


Aus den Gründen:

Zwar liegt eine Indiztat nach § 69 Abs. 2 Nr.4 StGB vor. Auch wenn die vom Angekl. begangene Tat unter § 69 Abs. 2 Nr.4 StGB fällt, kann jedoch in Ausnahmefällen von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden. In einem Falle des Vollrausches ist es regelmässig zulässig und geboten, bei der Frage, ob die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, neben der Täterpersönlichkeit namentlich die tatbezogenen Merkmale der im Vollrausch begangenen Tat zu berücksichtigen. Danach sind Art, Umfang und Gefährlichkeit oder Folgen einer Trunkenheitsfahrt wie bei einem noch schuldfähigen Täter so auch bei dem Vollberauschten beachtlich, weil sie ein Indiz für den Umfang der vom Täter zu verantwortenden Rauschgefährlichkeit sind.

Nur solche Taten sollen unter die Regel des § 69 Abs. 2 StGB fallen, die ohne weiteres auf ein gefährliches Mass an Versagen und Verantwortungslosigkeit des Täters im Strassenverkehr schliessen lassen. Die Indizwirkung einer in § 69 Abs. 2 StGB genannten Tat entfällt, wenn sie im Einzelfall diesem Bewertungsmassstab nicht entspricht (vgl. OLG Stuttgart, NStE Nr.3 zu § 69 StGB). Ein solcher Ausnahmefall, der die Anordnung der Massregel entbehrlich macht, ist gegeben, wenn besondere Umstände vorliegen, die den an sich formell zur Entziehung der Fahrerlaubnis ausreichenden und seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoss doch noch in einem günstigeren Licht erscheinen lassen als den Regelfall, wobei allerdings ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen ist. Im vorliegenden Fall hat der Angekl. in fahruntüchtigem Zustand von mindestens 3,49 %o den Pkw seines Arbeitgebers lediglich 20 m, also wenige Wagenlängen, mit naturgemäß geringer Geschwindigkeit auf dem Gelände einer Autobahnraststätte geführt. Dieses Geschehen fällt derart aus dem Rahmen der vom Gesetzgeber als typisch und indiziell angesehenen Begehungsweisen, daß die Tat nicht mehr als Regelfall eingestuft werden kann. Dies gilt um so mehr als der Angeklagte, der seinen Vater gebeten hatte, ihn von dem Rastplatz abzuholen, im Zustand der letzten Nüchternheit nicht mehr mit einer Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr zu rechnen brauchte. Insoweit hat der Angekl. vielmehr Vorsorge getroffen, daß er sich gerade nicht in betrunkenem Zustand ans Steuer setzte. Wenn er sich gleichwohl später ans Steuer gesetzt hat, so ist dies in Ansehung des zuvor gezeigten Verhaltens allein auf den genossenen Alkohol und die damit verbundene Enthemmung zurückzuführen. Die Indizwirkung der Regelbeispiele kann entfallen, wenn im Einzelfall wegen Vorliegens besonderer Umstände das Gewicht der Tat und die den Täter treffende Schuld den Verstoß des Angekl. als eine gegenüber dem Regelfall vergleichsweise harmlose Bagatelltat erscheinen lassen, für die die Anwendung der Regelahndung unangemessen erscheint. Zu solchen Ausnahmefällen, die die Anordnung der Maßregel entbehrlich machen können, gehören vor allem folgenlos gebliebene Trunkenheitsfahrten, bei denen der volltrunkene Fahrer sein Fahrzeug mit geringer Geschwindigkeit nur ein kurzes Stück bewegt (vgl. AG Lüneburg, StV 1996,439; LK-Spendel, StGB, 11. Aufl., § 323 a Rdn. 302; a.M. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 69 Rdn. 14). Umstände, die geeignet sein könnten, der Tat gleichwohl den Bagatellcharakter zu nehmen, sind nicht ersichtlich. Allein die Möglichkeit, daß sich im Fahrbereich des Angekl. ersichtlich nicht vorhandene Verkehrsteilnehmer hätten aufhalten können, vermag eine von dem Angekl. geschaffene konkrete Gefahrenlage nicht aufzuzeigen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Angekl. zum Fahren unter Alkoholeinfluß neigt und sich dergleichen zukünftig wiederholen könnte.

Mangels Vorliegens eines Regelfalls im Sinne von § 69 Abs. 2 StGB kann deshalb der angeordnete Entzug der Fahrerlaubnis keinen Bestand haben, zumal der Angekl. nach Überzeugung der Kammer durch die vorausgegangene, langdauernde einstweilige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO, die zum Verlust seines Arbeitsplatzes geführt hat, hinreichend gewarnt worden ist. Hier reicht es vielmehr aus, dem Angekl. durch ein Fahrverbot nach § 44 StGB einen Denkzettel zu geben. Ein solches ist in der Regel anzuordnen, wenn - wie hier - in einem Falle des Vollrausches, der sich auf eine Trunkenheit im Verkehr bezieht, die Entziehung der Fahrerlaubnis unterbleibt (§ 44 Abs. 1 Satz 2 StGB). Gesichtspunkte, auch insoweit einen Regelfall zu verneinen, sind nicht ersichtlich. Vielmehr erscheint die Tat im obersten Bereich des durch Fahrverbot Sanktionswürdigen angesiedelt, weshalb die Kammer die gesetzliche Höchstdauer des - durch Anrechnung auf die Dauer der Sicherstellung des Führerscheins und die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis verbüßten - Fahrverbots von drei Monaten für erforderlich erachtet."



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