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OLG Stuttgart Urteil v. 17.12.1998 - 7 U 138/98 - Zum Anspruch des Fahrlehrers gegen den eigenen Haftpflichtversicherer bei Unfallverletzungen im Fahrschulfahrzeug

OLG Stuttgart v. 17.12.1998: Zum Anspruch des Fahrlehrers gegen den eigenen Haftpflichtversicherer bei Unfallverletzungen im Fahrschulfahrzeug


Das OLG Stuttgart (Urt. v. 17.12.1998 - 7 U 138/98) hat entschieden:
  1. Der Fahrlehrer kann gegen den Haftpflichtversicherer des Fahrschulwagens unmittelbar Schadensersatzansprüche wegen der Unfallverletzungen geltend machen, die er bei dem von einem Fahrschüler verursachten Verkehrsunfall erlitten hat.

  2. Dem Fahrlehrer, der bei einem von seinem Fahrschüler verursachten Verkehrsunfall verletzt worden ist, kann ein Mitverschulden nicht schon deshalb vorgeworfen werden, weil er beim Anfahren an eine Einmündung bevorrechtigten Gegenverkehr erkannt und nicht sofort selbst auf die Bremse getreten, sondern aus Ausbildungsgründen darauf gewartet hat, ob der Schüler nicht von sich aus die richtige Entscheidung trifft.

Siehe auch Fahrschule / Fahrlehrer / Fahrschüler


Zum Sachverhalt: Mit der Klage werden Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall vom 22.12.1995 geltend gemacht.

Der Kläger ist (angestellter) Fahrlehrer. In dieser Funktion saß er zum Unfallzeitpunkt auf dem Beifahrersitz des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrschulwagens VW Golf, amtliches Kennzeichen ..., um dem Fahrschüler V E Unterricht zu erteilen. Dieser war bereits einmal - bei einer anderen Fahrschule - durch die Führerscheinprüfung gefallen und hatte bislang bereits 80 Fahrstunden absolviert. Diese Fahrt am 22.12.1995 sollte die letzte Unterrichtseinheit vor der nächsten, bereits angemeldeten Prüfung sein.

Der Fahrschulwagen hatte mit dem Fahrschüler am Steuer die L von W kommend in Richtung C befahren auf die dort querende, vorfahrtsberechtigte B 290 zu. Auf dieser Bundesstraße näherte sich von links ein von dem Zeugen R gelenkter Kraftomnibus mit dem amtlichen Kennzeichen .... Ohne dessen Vorfahrt zu achten, fuhr der Fahrschüler in die Kreuzung ein und kollidierte dort mit dem Kraftomnibus. Hierbei wurde der Fahrschüler getötet, der Kläger schwer verletzt.

Der Kläger ist der Auffassung, der Unfall sei allein durch ein schuldhaftes Fehlverhalten des Fahrschülers verursacht worden; ihm selbst könne weder eine unmittelbare Beteiligung an der Unfallverursachung vorgeworfen werden noch eine Überforderung des Fahrschülers bzw. mangelhafte Beaufsichtigung.

Die Beklagte trat der Schmerzensgeldklage entgegen und war der Auffassung, der Unfall sei nicht durch ein Verschulden des Fahrschülers, sondern allein durch ein Verschulden des Klägers herbeigeführt worden.

Das Landgericht hat die Beklagte zu einer Schmerzensgeldzahlung verurteilt und ging dabei von einem alleinigen Verschulden des Fahrschülers aus.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien frist- und formgerecht Berufung eingelegt.

Der Kläger verlangte nach wie vor eine doppelt so hohes Schmerzenseld; die Beklagte wendete sich weiterhin gegen die Annahme eines Verschuldens des Fahrschülers.

Die Berufung des Klägers war teilweise erfolgreich; die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, die Berufung des Klägers hat in der Sache allerdings nur zum Teil, die Berufung der Beklagten keinen Erfolg.

1. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Unfall durch ein Verschulden des Fahrschülers verursacht worden ist und den Kläger hierbei nicht einmal der Vorwurf eines Mitverschuldens trifft.

... (folgt die Beweiswürdigung des Gerichts)

b) Aufgrund dieses Sachverhalts steht ein Verschulden des Fahrschülers fest. Denn zwar ist ein solches Verschulden bei einem Fahrschüler allein an dessen individuellen Fähigkeiten zu messen, nicht also daran, was von einem Fahrzeugführer im Verkehr üblicherweise erwartet werden kann; für einen Fahrfehler, der auf mangelhaftes, durch den Ausbildungsstand noch nicht erzieltes Wissen und Können zurückzuführen ist, braucht ein Fahrschüler also nicht zu haften. Eine solche Konstellation war hier aber gerade nicht gegeben.

Beim Einfahren in eine Straße, deren Benutzer vorfahrtsberechtigt sind, handelt es sich um eine der alltäglichsten Verkehrssituationen überhaupt; das Wissen, dass dieses Einfahren nur geschehen darf, wenn eine Gefährdung des bevorrechtigten Verkehrs völlig ausgeschlossen ist, bedarf keiner fortgeschrittenen Schulung und Übung. Von einem Fahrschüler mit bereits 80 Stunden Unterricht darf dies - zumal eine Woche vor der (zweiten) Prüfung - ohne weiteres erwartet werden. Anspruchsvoller als dieses bloße Wissen ist dabei zwar dann die Fähigkeit, richtig abzuschätzen, ob nach der konkreten Verkehrssituation ein solches gefahrloses Einfahren möglich erscheint oder besser unterlassen werden sollte. Auch dies aber kann von einem Fahrschüler mit derartiger Fahrpraxis ohne weiteres erwartet werden, zumal sicher angenommen werden kann, dass innerhalb des seitherigen Fahrunterrichts dem Fahrschüler schon vielfach derart alltägliche Aufgaben gestellt waren und er sie auch jeweils gemeistert hatte; von anderen Unfällen oder auch nur der Herbeiführung gefährlicher Situationen ist nichts bekannt.

Der bloße Umstand, dass er bereits einmal durch eine Fahrprüfung gefallen war (wobei dies auf einem Fehler beruhte, der - unstreitig - mit einer Vorfahrtsverletzung nichts zu tun hatte) und vor der bevorstehenden zweiten Prüfung eine ungewöhnlich hohe Fahrstundenanzahl aufweist, ist hierbei zwar ein Indiz dafür, dass er zum einen langsam und schwer lernt und zum anderen bislang noch nicht prüfungsreif gewesen ist. Diese Indizwirkung geht aber nicht so weit und stellt insbesondere auch keinen Beleg dafür dar, dass er zum Unfallzeitpunkt untauglich gewesen sei für die Ausführung aller, also auch der einfachsten Verkehrsaufgaben. Diese Annahme wird zudem gestützt durch den Umstand, dass ihn der Kläger zur zweiten Fahrprüfung bereits angemeldet hatte; dies lässt ohne weiteres den Schluss darauf zu, dass er sich durch sein Fahrverhalten nun als prüfungstauglich erwiesen hat. Auch ging es konkret ja nicht um eine schwer abschätzbare Situation. Denn nach Aussagen aller Zeugen und dem Gutachten des Sachverständigen ist der Fahrschüler zu einem Zeitpunkt in die Einmündung eingefahren, in der es für alle Beteiligten ersichtlich gewesen ist, dass eine Kollision unmöglich zu vermeiden war; die Unfallverursachung beruhte also gerade nicht auf einer Fehlleistung in einer (zu) anspruchsvollen Abwägungslage.

c) Ein unfallursächlich gewordenes Mitverschulden des Klägers kann nicht angenommen, zumindest nicht bewiesen werden.

Zwar ist ein Fahrlehrer sowohl Dritten gegenüber als auch dem Fahrschüler dafür verantwortlich, dass Unfälle möglichst vermieden werden, wobei für die Erfüllung dieser Pflicht ein strenger Maßstab anzulegen ist. Der Fahrlehrer hat daher den Fahrschüler ständig zu verkehrsgerechtem Verhalten anzuhalten und entsprechend ununterbrochen zu beaufsichtigen, darf ihn hierbei keinesfalls vor Aufgaben stellen, die diesen überfordern könnten und muss sich jederzeit zum Eingreifen bereit halten. Er muss dabei aber auch die Aufgabe im Auge behalten, den Fahrschüler zu selbständigem Verhalten zu erziehen und diesem Gelegenheit zur eigenständigen Erprobung und ständiger Verbesserung seiner fahrerischen Leistungen geben. Denn Ausbildungsinhalt kann ja nicht sein, dass der Fahrlehrer die ihm zur Verfügung stehenden Pedale so bedient, als fahre er selbst, vielmehr muss er - und zwar in einem immer größeren Umfang - dem Schüler Freiräume belassen, damit dieser zeigen kann, ob er tatsächlich auch etwas gelernt hat und dies umzusetzen vermag. Der Fahrlehrer darf also - zumal in einem fortgeschrittenen, unmittelbar vor der Prüfung liegenden Ausbildungsstadium - nicht immer schon dann, wenn er beim Anfahren an eine Einmündung Gegenverkehr sieht und erkennt, dass angehalten werden muss, sofort selbst auf die Bremse treten, sondern darf und muss (aus Ausbildungsgründen) sogar darauf warten, ob der Schüler nicht von sich aus die richtige Entscheidung trifft. Er muss sich lediglich für den Fall einer Fehleinschätzung in sofort umsetzbarer Einsatzbereitschaft halten. Und diese Passivität darf er so lange beibehalten, wie er darauf vertrauen darf, dass der Fahrschüler tatsächlich das Richtige tut.

Da vorliegend - wie bereits ausgeführt - die Verkehrssituation nicht eine solche gewesen ist, die eine Überforderung des Schülers hätte darstellen können und der Schüler ja tatsächlich zunächst ein Fahrverhalten gezeigt hatte, aus dem der Kläger den Schluss ziehen konnte, dieser habe den Bus gesehen, dessen Vorfahrtsrecht erkannt und die richtige Entscheidung getroffen, langsam an die Einmündung heranzufahren, um den Bus vorbeifahren zu lassen, kann in dem zunächst passiven Verhalten des Klägers kein Verschulden gesehen werden, im Gegenteil wäre es unverständlich, wenn er in dieser Situation das bereits langsam fahrende Fahrzeug zusätzlich abgebremst hätte. Damit, dass der Schüler dann dieses bisher gezeigte ordnungsgemäße Verhalten plötzlich umkehrt und wieder beschleunigt (sei es bewusst, um doch noch den unmöglichen Versuch zu machen, vor dem Bus einzubiegen oder weil ihm ein Bedienungsfehler bei den Pedalen unterläuft), brauchte der Kläger nun aber sicher nicht zu rechnen. Dies war eine nach dem bisherigen Verlauf völlig überraschende Reaktion, auf die sich auch der umsichtigste Fahrlehrer nicht einzustellen braucht und wäre nur dann zu verhindern gewesen, hätte der Kläger sich vorsorglich entweder selbst auf die Bremse gestellt oder beim langsamen Anfahren an die Einmündung vorsorglich den Fuß unter das Gaspedal geschoben, um ein weiteres Durchdrücken zu verhindern. Hierfür gab es aber weder aus der konkreten Situation noch im Hinblick auf das vorherige Verhalten des Fahrschülers und dessen Ausbildungsstand eine Veranlassung.

Das Verhalten des Klägers ab diesem Zeitpunkt gibt ebenfalls keinen Anlass für den Vorwurf eines schuldhaften Verhaltens. Er hat so schnell wie möglich reagiert, konnte aber - darüber sind sich Zeugen und Sachverständiger einig - das Unfallgeschehen ab dem Zeitpunkt, zu dem der Schüler das Fahrzeug wieder beschleunigt hatte, nicht mehr vermeiden. Auch die Beklagte bringt hierzu nichts Geeignetes vor, wobei das Bestreiten der Behauptung, der Kläger habe sofort gebremst, bereits deshalb nichts bringt, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen der Unfall trotz unverzüglichen Bremsens nicht mehr vermeidbar gewesen war.


2. Für dieses Alleinverschulden des Fahrschülers hat die Beklagte als die Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeugs einzustehen, da sie gemäß § 3 Nr. 1 PflVG direkt und unmittelbar auch für Schäden haftet, die durch ein deliktisches Verhalten des Fahrschülers beim beifahrenden Fahrlehrer eingetreten sind. Der Umstand, dass der Fahrschüler nicht als Fahrer im Sinne der StVG gilt, spielt dabei für den gegen den Haftpflichtversicherer aus § 823 geltend gemachten Anspruch keine Rolle, weil diese Fiktion des § 3 Abs. 2 StVG nichts daran ändert, dass der das Fahrzeug tatsächlich lenkende Fahrschüler mitversicherter Fahrer im Sinne der Bestimmungen der AKB ist (Stiefel/Hoffmann, Rz. 213 zu § 2 AKB, 16. Aufl.). Auch führt § 11 Ziff. 2 AKB hier nicht zu einem Haftungsausschluss, da es beim Feststellungsantrag nicht um originäre Vermögensschäden geht, sondern um Vermögensschäden, die sich als Folge eines versicherten Personenschadens ergeben (Prölss/Martin, Rz. 4 zu § 11 AKB). ..."



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