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Amtsgericht Hof Urteil vom 30.05.2006 - 11 OWi 261 Js 3895/06 - Zum tatrichterlichen Ermessen beim Absehen von einem Fahrverbot für einen vielfahrenden Handelsvertreter

AG Hof v. 30.05.2006: Zum tatrichterlichen Ermessen beim Absehen von einem Fahrverbot für einen vielfahrenden Handelsvertreter


Das Amtsgericht Hof (Urteil vom 30.05.2006 - 11 OWi 261 Js 3895/06) hat entschieden:
Es liegt im Rahmen des dem Tatrichter zustehenden Ermessensspielraums, wenn ein einmonatiges Regelfahrverbot nach einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a StVG aufgehoben und durch eine Verdreifachung des Regel-Bußgeldsatzes gemäß § 4 IV BKatV kompensiert wird, wenn zur Überzeugung des Tatrichters die Beweisaufnahme ergibt, dass der Betroffene als Handelsvertreter an fünf Tagen in der Woche im Außendienst tätig ist, und hierbei wegen des Mitführens von Musterwaren das Führen eines Pkws erforderlich ist und der als Zeuge einvernommene Arbeitgeber bestätigt, dass aus betrieblichen Gründen dem Betroffenen länger als eine Woche zusammenhängender Urlaub nicht gewährt werden kann, bei Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen wird und nach den finanziellen Verhältnissen des Betroffenen die Einstellung eines Aushilfsfahrers nicht möglich ist.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrverbot


Anmerkung:
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil wurde vom OLG Bamberg mit Beschluss vom 17.08.2006 - 2 Ss OWi 1049/05 - als unbegründet verworfen.

Zum Sachverhalt: Gegen den Betr. erging am 14. 11. 2005 ein Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße von 270 €. 4 Punkten sowie einem einmonatigen Fahrverbot. weil er am 14. 7. 2005 ein Fahrzeug trotz einer BAK von 0,62 Promille führte.

Der Betr. hat gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt und ihn zulässig auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das AG hat das Fahrverbot aufgehoben und die Geldstrafe auf 750 € erhöht.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das fahrlässige Führen eines Kfz mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer BAK von 0,5 Promille oder mehr geführt hat, wird im Regelfall mit einer Geldbuße von 250 € geahndet (§ 24a I StVG, Nr. 241 BKat).

Im gegenständlichen Verfahren musste berücksichtigt werden, dass der Betr. bereits zwei Voreintragungen im Verkehrszentralregister aufwies, wenngleich diese nicht einschlägig waren. Daher, insbesondere aber im Hinblick auf das an sich verwirkte Fahrverbot (§ 4 IV BKatV) hat das Gericht eine erheblich erhöhte Geldbuße von 750 € für tat- und schuldangemessen erachtet.

Von der Verhängung eines Fahrverbotes gem. § 25 I StVG war vorliegend ausnahmsweise abzusehen. Zwar liegt an sich ein Regelfall gem. § 4 I, III BKatV wegen grober Verletzung der Pflichten des Kraftfahrzeugführers vor. Aufgrund konkreter Existenzgefährdung für den Fall der Anordnung des Fahrverbotes hat das Gericht jedoch von der Anordnung des Fahrverbotes im konkreten Fall abgesehen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die Anordnung eines Fahrverbotes zu einer konkreten Existenzgefährdung des Betr. führen würde. Nach übereinstimmenden Einlassungen des Betr. sowie der glaubhaften Aussage des vernommenen Zeugen M. ist der Betr. mindestens an fünf Tagen in der Woche beruflich auf ein Kfz angewiesen. Er muss mindestens an zwei Tagen in der Woche darüber hinaus berufsbedingt, teilweise an abgelegeneren Orten, übernachten. Der Betr. hat Fahrten in ganz Bayern durchzuführen und muss dabei berufsbedingt auch kleinere Orte, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schlecht erreichbar sind, erreichen. Weiterhin steht aufgrund der eigenen Einlassung des Betr. sowie der übereinstimmenden glaubhaften Aussage des Zeugen M. fest, dass der Betr. bei diesen Fahrten Warenmuster in einem Umfang von ca. einem Kubikmeter mit sich führen muss. Vorliegend besteht nicht die Möglichkeit, das Fahrverbot durch Urlaub zu überbrücken. Der Betr. hat in Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen M. ausgeführt, dass er derzeit nur maximal eine Woche Urlaub am Stück nehmen könne. Mehr werde ihm nicht gewährt, weil dies aus betrieblichen Gründen derzeit nicht möglich sei. Daher besteht auch nicht die Möglichkeit, das Fahrverbot oder auch nur den überwiegenden Teil des Fahrverbotes im Urlaub abzugelten.

Auch die Einstellung eines Ersatzfahrers ist nicht möglich. Aufgrund der verlesenen Aussagen der Zeugen A. K. und J. K. steht fest, dass Familienangehörige aufgrund eigener Verhinderung den Betr. auch nicht vorübergehend fahren können. Ebenso ist die Aufnahme eines Kredites zur Finanzierung der Einstellung eines Ersatzfahrers, nämlich eines Aushilfsfahrers oder Studenten, nicht möglich. Aus dem verlesenen Schreiben der Bank vom 22. 5. 2006 ergibt sich, dass die Bank dem Betr. einen weiteren Kredit in der erforderlichen Höhe nicht einräumen wird. Darüber hinaus muss der Betr. nach eigenen Angaben sowie übereinstimmender Aussage des Zeugen M. an mindestens zwei Nächten in der Woche übernachten. Der Betr. hat sich hierbei zum Zweck der Kundenakquise in teilweise abgelegenen Orten aufzuhalten. Im Falle der Beschäftigung eines Aushilfsfahrers durch den Betr. müsste der Betr auch dem Aushilfsfahrer die Übernachtung bezahlen. Dies ist auch im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse des Betr. von monatlich 1.750 € netto nicht finanzierbar. Angesichts der festgestellten zeitlichen Arbeitsbelastung des Betr. müsste der Betr. mindestens zwei Fahrer gleichzeitig einstellen, da sie dann als Berufskraftfahrer tätig wären und entsprechende Lenkzeiten beachten müssen. Aufgrund der Arbeitszeiten des Betr., die auch der Zeuge bestätigt hat, würden hier erhebliche zusätzliche Kosten entstehen.

Der Betr. würde bei Anordnung des Fahrverbotes auf jeden Fall seinen Arbeitsplatz verlieren. Dies hat der Zeuge M. glaubhaft bekundet. Da das Fahrverbot nicht auf andere Art und Weise überbrückt werden kann, die Einstellung eines oder mehrerer Aushilfsfahrer finanziell nicht möglich ist und auch Familienangehörige den Betr. nicht fahren können, sowie die Abgeltung des Fahrverbotes innerhalb des Urlaubes des Betr. nicht möglich ist, würde der Arbeitsplatzverlust bei dem 57-jährigen Betr. unmittelbar zur wirtschaftlichen Existenzgefährdung führen. Der Betr. würde im Falle der Anordnung des Fahrverbotes sofort entlassen werden. In dem Alter des Betr. ist auch für den Fall der Arbeitslosmeldung realistischerweise eine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz nicht gegeben.

Der Betr. kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass er gegen eine arbeitsrechtlich möglicherweise unbegründete Kündigung Kündigungsschutzklage erheben könnte. Denn gerichtsbekannt führen in aller Regel Kündigungsschutzklagen auch im Falle ihrer Begründetheit nicht zu einer Wiedereinstellung eines Arbeitnehmers, sondern allenfalls zu einer Abfindung, die jedoch in der Höhe nicht den Betrag erreicht, den der Betr., in seinen restlichen bis zum Ruhestand verbleibenden Arbeitsbezügen erreichen könnte.

Damit läge eine konkrete Existenzgefährdung für den Betr. im Falle der Anordnung eines Fahrverbotes vor, so dass ausnahmsweise von der Anordnung eines Fahrverbotes abzusehen war. ..."



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