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OLG Koblenz Urteil vom 11.10.2004 - 12 U 1197/03 - Zum stillschweigenden Haftungsverzicht hinsichtlich der deliktischen Haftung in einem Land mit Linksverkehr

OLG Koblenz v. 11.10.2004: Zum stillschweigenden Haftungsverzicht hinsichtlich der deliktischen Haftung in einem Land mit Linksverkehr bei abwechselnder Fahrzeugführung


Das OLG Koblenz (Urteil vom 11.10.2004 - 12 U 1197/03) hat zum Haftungsverzicht in einem Land mit Linksverkehr entschieden:
Ein stillschweigender Haftungsverzicht kann ausnahmsweise auch beim Bestehen einer Haftpflichtversicherung angenommen werden, wenn es sich um eine Gefälligkeitsfahrt in einem Urlaubsland mit Linksverkehr handelt, in dem Fahrer und Beifahrer abwechselnd ein Mietfahrzeug führen wollten, der Beifahrer jedoch den Linksverkehr nicht bewältigen konnte und deshalb von dem Führen des Fahrzeugs Abstand nahm.


Siehe auch Haftung und Haftungsbegrenzung bei Gefälligkeitsfahrten


Zum Sachverhalt: Die Beklagte und die Zeugin S. machten gemeinsam auf Zypern Urlaub. Sie mieteten einen Pkw Suzuki für gemeinsame Ausflüge an, wofür sie schon vorab Teilung der Kosten der Fahrzeugmiete, die in dem Pauschalreisevertrag enthalten war, und abwechselndes Führen des Kraftfahrzeugs verabredet hatten. Eine Zusatzversicherung wurde nicht abgeschlossen. Nach einem Fahrversuch zu Beginn des Urlaubs lehnte die Zeugin S. das Führen des Fahrzeugs für die Folgezeit ab, weil sie mit dem Linksverkehr auf Zypern nicht zu Recht kam. In der Folgezeit fuhr deshalb die Beklagte bei gemeinsamen Exkursionen; die Zeugin S. war Beifahrerin. Das war auch am 14.September 1998 der Fall. Die Urlauberinnen fuhren an jenem Tage gegen 21.00 Uhr bei Dunkelheit auf der Landstraße, wo die Beklagte wendete , um zurückzufahren, weil sie glaubte, bereits am Ziel der Fahrt vorbei gefahren zu sein. Nach dem Wenden kam es am gegenüberliegenden Rand der Gegenfahrspur zur Frontalkollision mit dem entgegenkommenden Fahrzeug des N. C. Dabei wurde die Beklagte verletzt. Die Klägerin erbrachte in der Folgezeit Leistungen im Rahmen der medizinischen Versorgung, die sie von der Beklagten ersetzt verlangt.

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe nach dem Wenden vergessen, dass in Zypern im griechischen Landesteil Linksverkehr herrscht. Sie sei deshalb auf der nach dem Ortsrecht falschen Fahrspur gefahren und so mit dem aus einer Kurve entgegenkommenden Fahrzeug des N. C. kollidiert. Sie habe den Unfall allein verschuldet und könne sich nicht auf einen Haftungsausschluss berufen.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... greift ein Haftungsverzicht ein.

a) Eine Haftungsbeschränkung kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auf der Grundlage des § 242 BGB ausnahmsweise angenommen werden; sie stellt allerdings eine künstliche Rechtskonstruktion dar, da sie von einem Haftungsverzicht ausgeht, an den beim Abschluss der Vereinbarung tatsächlich niemand gedacht hat (vgl. BGHZ 34, 355, 361; 41, 79, 81; 43, 72, 76; BGH, VersR 1992, 1145, 1147). Allein daraus, dass sich jemand aus Gefälligkeit an das Steuer eines fremden Fahrzeugs setzt und eine andere Person mitnimmt, kann die Vereinbarung des Ausschlusses einer deliktischen Haftung nicht gefolgert werden (vgl. BGH, VersR 1978, 625; 1979, 136; 1990, 426, 427; 1993, 1092, 1093); jedoch kann dieser Umstand bei Vorliegen weiterer Indizien in einer Gesamtschau berücksichtigt werden. Wo der Schädiger gegen Haftpflicht versichert ist, entspricht es im Allgemeinen weder dem gesetzlichen Anliegen der Versicherungspflicht noch dem Willen der Beteiligten, durch letztlich fingierte Verzichtsabreden den Haftpflichtversicherer zu entlasten (vgl. BGHZ 39, 156, 158; BGH, VersR 1966, 40, 41; 1993, 1092, 1093). Deshalb spricht das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes für den Schädiger in der Regel gegen eine stillschweigende Haftungsbeschränkung (BGHZ 63, 51, 59). Freundschaft und der in der Mitnahme liegende Gefälligkeitserweis lassen nach der Rechtsprechung für sich genommen auch nicht den Schluss zu, dass der Fahrgast stillschweigend auf die Haftung des Fahrers aus leichter Fahrlässigkeit verzichtet habe (BGHZ 43, 72; BGH, BGH, VersR 1967, 157 f.); jedoch handelt es sich dabei wiederum um einen Umstand, der in einer Gesamtschau zu berücksichtigen ist.

Im Ganzen liegen hier Umstände vor, die bei einer Gesamtbewertung einen Haftungsverzicht rechtfertigen. Das gilt zunächst für das Bestehen eines gemeinsam eingegangenen Vertragsverhältnisses. Ferner ist von Bedeutung, dass ein besonderes Interesse der Zeugin S. daran bestand, dass die Beklagte das Steuer übernahm. Hinzu kommt die „Gefahrengemeinschaft“ der gemeinsamen Urlaubsreise. Schließlich bestand für die Beklagte jedenfalls generell auch die Gefahr, im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen sich in einer fremden Rechtsordnung gegen Ansprüche zur Wehr setzen zu müssen (OLG Köln, MDR 2002, 150 f.).Die Durchführung der Fahrt im relativ ungewohnten Linksverkehr war selbst bei einer – nachdem stillschweigenden Haftungsausschluss angeeigneten „Fahrpraxis“ von 700 km bis zum Unfall für die Beklagte erkennbar mit erheblichem Risiko verbunden. Die Geschädigte hatte gerade wegen der Ungewohntheit des Linksverkehrs für sich selbst das ursprünglich geplante wechselseitige Führen des Fahrzeugs abgelehnt. Bei Gesamtbetrachtung dieser Umstände ist ein Haftungsausschluss anzunehmen. Dem steht auch nicht entgegen, dass hier eine gesetzliche Haftpflichtversicherung nach griechisch-zyprischem Recht bestand. Zwar spricht das Bestehen einer Haftpflichtversicherung im deutschen Haftpflichtrecht in der Regel gegen eine stillschweigende Haftungsbeschränkung (vgl. BGHZ 39, 156, 158; BGH, NJW 1993, 3068, 3069; OLG Frankfurt, NJW 1998, 1232; OLG Köln, MDR 2002, 150, 151). Jedoch war die Existenz einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung im griechischen Landesteil von Zypern den Parteien nicht bewusst. Nach allem ist davon auszugehen, dass von der Zeugin S. jedenfalls für den Fall des Nichteingreifens einer Versicherung nach griechisch-zyprischem Recht auf eine persönliche Haftung der Beklagten verzichtet wurde.

b) Der Haftungsverzicht ist nicht deshalb wirkungslos, weil die Beklagte den Unfall grob fahrlässig verschuldet hätte. Zwar erstreckt sich eine stillschweigender Haftungsverzicht nicht auf grobe Fahrlässigkeit (vgl. OLG Celle, NZV 1993, 187; OLG Frankfurt, NJW 1998, 1232; OLG Hamm, NZV 1999, 421; OLG Köln, MDR 2002, 150, 151). Angesichts des Unfallhergangs ist jedoch davon auszugehen, dass die Beklagte den Unfall nur durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat, weil sie wie der Aussage des Zeugen C. zu entnehmen ist alsbald nach dem Wendemanöver auf der Suche nach einem Reiseziel in Ansehung des im Dunkeln entgegen kommenden Fahrzeugs irritiert war. Die immer noch geringe Fahrpraxis im ungewohnten Linksverkehr führt unter diesen Umständen dazu, dass kein grobes Verschulden anzunehmen ist. Grobe Fahrlässigkeit würde voraussetzen, dass die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem besonders schweren Maße verletzt und das nicht beachtet hätte, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BGH, NJW 1992, 3236); Dafür, dass es im vorliegenden Fall so war, liegen keine ausreichenden Anhaltspunke vor. Es hat sich vielmehr das Risiko realisiert, dass die Zeugin S. für ihre Person als zu hoch angesehen hatte. Dass die Beklagte auf der Straße wendete, kann ihr für sich genommen nicht zum Verschulden gereichen. Das Wenden war erlaubt und es lag ein nachvollziehbarer Grund dafür vor, weil die Urlauberinnen gemeinsam nach einem bestimmten Exkursionsziel suchten. Das Wenden war auch für sich genommen ungefährlich, weil noch kein (beleuchtetes) Fahrzeug in Sicht war. Dass danach ein Fahrfehler durch Fahren auf der „falschen“ Fahrspur entstand, war unter den gegebenen Umständen ein Augenblicksverschulden, welches nicht als grobes Verschulden einzuordnen ist. ..."



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