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Kammergericht Berlin Urteil vom 06.06.2005 - 12 U 55/04 - Zur Unfallursächlichkeit bei einem Schleudertrauma

KG Berlin v. 06.06.2005: Zur Unfallursächlichkeit bei einem Schleudertrauma


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 06.06.2005 - 12 U 55/04) hat entschieden:
Das Gericht ist nicht gehalten, auf Antrag des Klägers dessen behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen über die Unfallursächlichkeit von HWS – Beschwerden zu laden, wenn der Kläger nicht darlegt, diese Ärzte hätten objektivierbare Befunde erhoben, die einen eindeutigen Schluss der Verursachung der behaupteten Beschwerden durch den Unfall zulassen würden. Auch wenn das Gericht das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen für überzeugend hält und selbst keinen Erklärungsbedarf sieht, hat es dem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens und zur Befragung durch die Partei grundsätzlich zu entsprechen (§§ 402, 397 ZPO). Die Ursächlichkeit eines Unfalls für behauptete HWS – Beschwerden kann nicht festgestellt werden, wenn nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass die Beschwerden auf einer Schädigung durch einen Vorunfall beruhen und der gerichtliche Sachverständige eine Verschlimmerung einer Vorschädigung durch den Zweitunfall zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich hält.



Siehe auch Halswirbelschleudertrauma - Lendenwirbelschleudertrauma - unfallbedingte Wirbelsäulenverletzungen


Gründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Im Hinblick auf das Vorbringen in der Berufung weist es auf Folgendes hin:

a) Soweit die Klägerin mit der Berufung erstmals die Feststellungen des Sachverständigen W. in seinem Gutachten vom 2. Oktober 2002 angreift sind die Voraussetzungen, unter denen dieses Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise zugelassen werden könnte weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Im Übrigen wäre das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin auch nicht geeignet, der Berufung zum Erfolg zu verhelfen. Unterstellt man die Auffassung der Klägerin auf Seite 18 der Berufungsbegründung als zutreffend, wonach mangels konkreter Kenntnis der Beschädigungen, die am unfallbeteiligten PKW Opel entstanden sind, keinerlei konkrete Aussagen zur kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung am klägerischen Fahrzeug möglich sind, so würde dies bedeuten, dass auch die vom Landgericht zu Gunsten der Klägerin unterstellte kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von jedenfalls 13 km/h nicht bewiesen wäre. Die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung könnte also noch unter dem Wert von 13 km/h gelegen haben. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 28. Januar 2003 (BGH NZV 2003, 167) nicht, wie die Klägerin offenbar in ihrem Schriftsatz vom 25. Mai 2005 meint, so zu verstehen ist, dass die Höhe der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung für die Feststellung einer HWS-​Distorsion ohne Bedeutung wäre. Der Bundesgerichtshof hat sich in der zitierten Entscheidung lediglich gegen die Auffassung einzelner Gerichte gewandt, wenn die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung die so genannte „Harmlosigkeitsgrenze“ nicht überschreite, sei eine Verletzung der Halswirbelsäule wissenschaftlich ausgeschlossen. Die im medizinischen Schrifttum soweit ersichtlich durchgängig vertretene Auffassung, wonach die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Halswirbelsäule um so größer ist, je stärker die auf den Fahrzeuginsassen einwirkende Kraft ist, hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung nicht in Frage gestellt.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin war das Landgericht nicht gehalten, die von ihr im Schriftsatz vom 7. Januar 2004 als sachverständige Zeugen benannten Prof. H. und Dr. R. zu laden. Weder der Schriftsatz vom 7. Januar 2004 noch derjenige vom 10. November 2003 enthalten konkrete Beweisbehauptungen, die der Beweisaufnahme durch Vernehmung eines sachverständigen Zeugen zugänglich wären. Die Klägerin behauptet nicht, die von ihr benannten Ärzte hätten objektivierbare Befunde erhoben, die den eindeutigen Schluss der Verursachung der von ihr behaupteten Verletzungen durch den streitgegenständlichen Unfall vom 22. Dezember 1997 beweisen würden. Zutreffend ist das Landgericht daher davon ausgegangen, dass der behauptete Ursachenzusammenhang zwischen den von der Klägerin beklagten Verletzungen und dem streitgegenständlichen Unfall nur durch ein Sachverständigengutachten erbracht werden kann.

c) Dem Landgericht ist auch darin zu folgen, dass die Klägerin Umstände, die nach § 412 ZPO Anlass zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gegeben hätten, nicht aufgezeigt hat. Soweit es die Klägerin als gravierenden Mangels des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Z. angesehen hat, dass dieser in seinem schriftlichen Gutachten vom 24. Juli 2003 von einem nicht zutreffenden beschwerdefreien Zeitraum ausgegangen sei, hat der Sachverständige bei seiner Befragung im Termin vom 2. Mai 2005 klargestellt, dass er mangels konkreter Angaben in der Akte keinen bestimmten beschwerdefreien Zeitraum zugrunde gelegt hat. Er habe in seinem Gutachten lediglich darauf hingewiesen, dass nach dem medizinischen Schrifttum die Dauer eines etwaigen beschwerdefreien Zeitraums für die Beurteilung der Schwere einer aufgetretenen HWS-​Distorsion von Bedeutung sein kann. Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass die Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2003, also nach Erstellung des Gutachtens vom 24. Juli 2003 pauschal und ohne Beweisantritt das Vorhandensein eines beschwerdefreien Zeitraums in Abrede gestellt hat. Nach Aktenlage musste der Sachverständige bei Erstellung seines Gutachtens davon ausgehen, dass die Klägerin erstmals am 29. Dezember 1997, also eine Woche nach dem Unfall, einen Arzt aufgesucht hatte.

Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Z. werden auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der von der Klägerin beauftragte Privatgutachter Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 7. April 2000 ausgeführt hat, der Vorunfall (aus dem Jahr 1994) habe „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Vorschädigung geführt“. Abgesehen davon, dass der Privatgutachter Prof. Dr. H. diese Einschätzung in seinem Gutachten vom 7. April 2000 nicht begründet, spricht er lediglich von einer hohen Wahrscheinlichkeit, schließt aber eine Vorschädigung der Halswirbelsäule durch den Unfall aus dem Jahr 1994 nicht aus. Auch führt der Privatgutachter Prof. Dr. H. auf Seite 7 seines Gutachtens selbst aus, dass ein traumatisch bedingter Bandscheibenvorfall nach seinem Dafürhalten eine Rarität sei. Auf Grund welcher konkreter Anhaltspunkte er gleichwohl davon ausgeht, ein solcher von ihm als Rarität angesehener Verlauf sei im vorliegenden Fall ausnahmsweise eingetreten, kann dem Gutachten nicht entnommen werden. Im Übrigen hat der Privatgutachter Prof. Dr. H. in seinem Gutachten offenbar die unbewiesene Behauptung der Klägerin zugrunde gelegt, sie habe bereits unmittelbar nach dem streitgegenständlichen Unfall über massive Nackenschmerzen geklagt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht es auch nicht gegen die Richtigkeit des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Z., dass dieser aus der von ihm festgestellten Abstützreaktion auf Seite 16 seines Gutachtens geschlossen hat, der Bandscheibenvorfall C5/C6 könne nicht durch den streitgegenständlichen Unfall verursacht worden sein, während er auf Seite 13 des Gutachtens von einer beginnenden Abstützreaktion spricht. Der Sachverständige hat hierzu klargestellt, dass es sich bei einer Abstützreaktion um einen sich über mehrere Jahre erstreckenden Vorgang handelt und die Formulierung „beginnende Abstützreaktion“ keinesfalls so zu verstehen ist, dass diese erst wenige Tage und Wochen alt sei.

Soweit die Klägerin schließlich auf Seite 2 ihres Schriftsatzes vom 25. Mai 2005 von der Möglichkeit eines Ausnahmeverlaufs spricht, verkennt sie, dass die Darlegungs- und Beweislast für einen solchen Ausnahmeverlauf bei ihr als Anspruchstellerin liegt. Einen solchen Ausnahmeverlauf hat sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch unter Berücksichtigung der sich aus § 287 ZPO ergebenden Beweiserleichterungen nicht erbracht.

d) Allerdings hat die Klägerin zutreffend beanstandet, dass das Landgericht nicht, wie mit Schriftsatz vom 10. November 2003 beantragt wurde, den Gutachter Prof. Dr. Z. zum Termin geladen hat und der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, dem Sachverständigen Fragen zu stellen (§ 411 Abs. 3 ZPO). Diesem Antrag hätte das Landgericht auch dann entsprechen müssen, wenn es das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Z. selbst für ausreichend hielt (vgl. BGH NJW RR 2003, 208 f.). Die im Berufungsrechtszug nachgeholte Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Z. hat jedoch letztlich zu keinem der Klägerin günstigeren Beweisergebnis geführt. Insoweit wird auf die Ausführungen zu b) und c) verwiesen.

Soweit die Klägerin in der Berufung erstmals die Möglichkeit andeutet, der Unfall könne zu einer Verschlimmerung bereits bestehender gesundheitlicher Beeinträchtigungen geführt haben, sind die Voraussetzungen für die Zulassung dieses Vortrages gemäß § 531 II ZPO nicht ersichtlich.

Im Übrigen hat der Sachverständige Prof. Dr. Z. hierzu bei seiner Befragung ausgeführt, eine solche Verschlimmerung sei zwar grundsätzlich möglich, im vorliegenden Fall aber nicht wahrscheinlich.

2. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.



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